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lich für irgend einen Zweig des Rechtes abzuweisen. Es kommt nur darauf an, ob die Voraussetzungen für ein solches gegeben und ob beim Zutreffen der Voraussetzungen die inneren Grenzen und Schranken der Ausnahmegesetzgebung eingehalten sind. Es würde zu weit führen, dies für die neue Zeit an jedem der grossen Rechtsgebiete zu untersuchen. Wir beschränken uns darauf, diesfalls das Gebiet der sog. Grundrechte und der »staatsbürgerlichen Freiheitsrechte«, auf welchem sich die eigentliche » Ausnahmegesetzgebung der allerneuesten Zeit vorzugsweise bewegt, mit wenigen Worten zu streifen.

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Verfasser dieses ist sich bewusst, schon zu einer Zeit, als dies wenigstens in Süddeutschland weder unten noch oben gefiel, zu den wärmsten und überzeugtesten Vertretern einerseits der allgemeinen bürgerlichen Freiheitsrechte der Niederlassungsfreiheit, der Aufenthaltsfreiheit, der Freizügigkeit, der Gewerbefreiheit andererseits der besonderen staatsbürgerlichen Freiheitsrechte der Pressfreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Vereinsfreiheit gehört zu haben. Auf der Gesittungsstufe, die wir erreicht haben, stellen diese Rechte die unerlässlichen Grundlagen für die gesunde Entwicklung der Gesellschaft und des Staates dar. Sie gehören zu den massgebendsten Bedingungen des bürgerlichen Wohlstandes, des politischen Friedens und des Fortschrittes. Eben darin liegt ihre Begründung für unsere Zeit und hoffentlich für eine unabsehbare Zukunft.

Allein davon kann keine Rede sein, dass diese Rechte jeglicher Einschränkung unter allen Umständen und auch dann entrückt bleiben müssten, wenn durch ganze Klassen und Volksschichten ein anders wie nicht zu vereitelnder Missbrauch dahin stattfände, die ganze Gesellschaft, die Freiheit aller übrigen Bürger, den Frieden des Staates und den gesunden Fortschritt auf gesetzlicher Bahn zu gefährden. Mit solchem Missbrauch schwindet die eigenste Grundlage dieser Rechte. Der naturrechtliche Individualismus in seiner antisozialen und staatsfeindlichen Schrankenlosigkeit ist auch in Beziehung auf die allgemeinen bürgerlichen Freiheitsrechte nicht stichhaltig.

Die grundsätzliche Verwerflichkeit der Ausnahmegesetzgebung lässt sich unseres Erachtens auch aus dem Wesen des Verfassungs staates nicht ableiten. Der Verfassungsstaat an sich schliesst weder rechtliche Vorzugsstellungen noch rechtliche Beschränkungen singulärer Natur aus; denn er ist durchaus nicht der Möglichkeit entrückt, durch die ersteren dem Ganzen und in diesem allen übrigen nichtbevorrechteten Einzelnen zu nützen, und durch die Einschränkung Einzelner dem Wohl und der Sicherheit des Ganzen und hiemit allen übrigen Einzelnen, ja den ausnahmsrechtlich Behandelten selbst eine sonstwie nicht erreichbare, unumgängliche Gewähr zu geben. Der Verfassungsstaat hat in dieser Hinsicht dieselbe Lage, wie der absolute Staat. Der letztere hinwiederum wird bei weiser Selbstbeherrschung, die ihm freilich unvergleichlich schwerer fällt, ebenso wie der Verfassungsstaat in singulärer Gesetzgebung über das schlechthin unerlässliche Mass nicht hinausgehen.

Das Besondere des Verfassungsstaates gegenüber der Ausnahmegesetzgebung besteht nicht darin, dass der Verfassungsstaat alles Ausnahmerecht grundsätzlich ausschliesst, sondern darin, dass er durch die Volksvertretung besonders berufen und befähigt ist, die Ausnahmegesetzgebung streng auf das Mass ihrer Unerlässlichkeit einzuschränken. Und dies führt von der Untersuchung grundsätzlicher Berechtigung der Ausnahmegesetzgebung zur näheren Entfaltung des obersten Grundsatzes über das Mass zulässiger Ausnahmegesetzgebung hinüber.

IV. Zur grundsätzlichen Begrenzung des Ausnahmerechtes. Diese Begrenzung ergiebt aus dem Begriff des Ausnahmerechts selbst zwei Forderungen.

Einmal ist alles Ausnahmerecht überhaupt zu verwerfen, sofern das bestehende gemeine Recht oder eine alsbald erreichbare Um- und Fortbil dung des letzteren der gemeinen Gefahr gewachsen erscheint. Das Andere ist, sofern Ausnahmerecht unumgänglich ist, darf es in den Mitteln, der Dauer und der Ausdehnung auf die verschiedenen Rechtsgebiete das Mass des schlechthin Unerlässlichen, die Grenzen spar

samster Anwendung und äussersten Masshaltens nicht

überschreiten.

Die nähere Entfaltung dieser Doppelforderung ergiebt folgende Grundsätze:

Erstens darf Ausnahmerecht nur geschaffen werden, wenn wirklich eine Gefahr vorliegt, welcher die Mittel des gemeinen Rechtes und ausserrechtliche, ausserstaatliche Gegenwirkungen nicht beizukommen vermögen. Im Zweifelsfalle ist für das weitere Fortkämpfen mit den Mitteln des gemeinen Rechtes zu entscheiden, bis jeder Zweifel über die Notwendigkeit von Ausnahmerecht ausgeschlossen ist.

Als zweites ergiebt sich die Forderung, dass man bei der Frage, ob nicht die Verbesserung des gemeinen Rechtes ausreiche, um der Gefahr zu steuern, nicht bloss auf jenen Punkt des Gemeinrechtssystems zu blicken hat, an welchem der Schaden hervortritt. Der ganze Umkreis des gemeinen Rechtes und der gemeinrechtlichen Verwaltung muss in ernstem Suchen nach dem eigentlichen Sitz und nach dem wirklichen Grund jenes Uebels durchschritten werden, für dessen Bekämpfung Ausnahmerecht in Frage kommt.

Als dritter Grundsatz ergiebt sich, dass auch dann, wenn Ausnahmerecht als unumgänglich erwiesen ist, mit diesem Recht und seiner Ausübung die volle Arbeit verknüpft werden muss, welche auf dem Boden des gemeinen Rechtes für die Bekämpfung des Uebels und der Gefahr geleistet werden kann.

Viertens darf das Ausnahmerecht nicht so beschaffen sein, dass es den eigentlichen Grund des Uebels verstärkt oder den eigentlichen Sitz der Gefahr unangreifbar macht.

Eine fünfte Voraussetzung für die Zulässigkeit der Einführung und Aufrechterhaltung von Ausnahmsgesetzen ist die genaue Nachweisung, dass die Mittel der Ausnahmegesetzgebung gegen das ausnahmerechtlich abzuwendende Uebel auch als wirksam anzunehmen seien, beziehungsweise als wirksam sich erwiesen haben.

Ein sechster Grundsatz ist: auch die wirksamen Mittel einer als unerlässlich nachgewiesenen Ausnahmegesetzgebung müssen auf das schlechthin notwendige Mass eingeschränkt

654 Dr. Schäffle: Zur rechtsphilosph. Theorie des Ausnahmerechtes.

werden, sowohl was die Ausdehnung auf die zu beschränkenden Individuen und Rechtsgebiete, als was die Kombination verschiedener Mittel, endlich was die Dauer anbetrifft.

Die Anwendung dieser Grundsätze hat den Verfasser von allem Anfange an, zuletzt im vorigen Jahrgang dieser Zeitschrift, zur entschiedensten Ablehnung des Sozialistengesetzes und der Maigesetze hingeführt 1).

1) Vergl. Bekämpfung der Socialdemokratie ohne Ausnahmegesetz, Tübingen. Laupp 1890.

Die Anfänge des Deutschen Eisenbahnwesens.

Von Gustav Cohn.

I.

Im letzten Jahrzehnte sind, teilweise veranlasst durch fünfzigjährige Jubiläen, mehrere Arbeiten veröffentlicht worden, welche die ersten Anfänge der Eisenbahnen in Deutschland, zumal in Preussen, aufhellen. Ich nenne hier namentlich die Schrift von Dr. Rudolf Hagen (Rektor der städtischen Handelsschule in Nürnberg) über die erste deutsche Eisenbahn mit Dampfbetrieb zwischen Nürnberg und Fürth«, Gedenkschrift zu deren fünfzigjährigem Jubiläum am 7. Dezember 1885 (Nürnberg, Verlag von Joh. Leonh. Schrag, 1886); dann die Abhandlungen, welche in dem »Archiv für Eisenbahnwesen< (herausgegeben im Preuss. Ministerium der öffentlichen Arbeiten) erschienen sind, und zwar »Die Entstehung der MagdeburgLeipziger Eisenbahn« von Dr. von der Leyen (Jahrgang 1880); >Die Verhandlungen der Vereinigten Ständischen Ausschüsse über die Eisenbahnfrage in Preussen im Jahre 1842< (Jahrgang 1881); >Zum dritten November 1888«, von Gleim, Geh. Oberregierungsrat (Jahrg. 1888); >Zur Entstehungsgeschichte der ersten Deutschen Staatsbahn« von v. Mühlenfels (Jahrg. 1889). Ganz kürzlich ist endlich von dem Mitgliede des Preussischen Abgeordnetenhauses L. Berger (Witten) ein biographisches Werk erschienen, »Der alte Harkort, ein westphälisches Lebens- und Zeitbild (Leipzig, 1890) zu dessen wertvollsten Partien die Darstellung der hierher gehörigen Bestrebungen zu zählen ist.

Es ist unzweifelhaft noch manchen ferneren Arbeiten vorbehalten, die Einzelheiten der zersplitterten Anfänge des Deut

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