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ternde Aenderungen der bisherigen Strafbestimmungen enthalten die Nr. 11 und 12 des Entwurfs.

Nach dem jetzigen § 151 der G.O. war nämlich der Gewerbeunternehmer für die Uebertretung aller polizeilichen Vorschriften mitverantwortlich, deren sich seine Betriebs- oder Aufsichtsbeamten schuldig gemacht, so dass, wenn z. B. in einem Werke, wie dem weltbekannten Krupp'schen in Essen, ein Betriebschef eine gewerbepolizeiliche Vorschrift übertreten, nicht bloss dieser, sondern auch der Eigentümer Krupp selbst bestraft werden musste, obwohl es, wie auf der Hand liegt, geradezu absurd war, diesem eine so weitgehende Verantwortlichkeit aufzubürden.

Nach dem Entwurf (Nr. 11, Art. 4) ist dieser unhaltbare Zustand beseitigt. Der Gewerbetreibende kann danach mit Recht nur dann für die von seinen Betriebs- und Aufsichtsbeamten begangenen polizeilichen Kontraventionen zur strafrechtlichen Verantwortung herangezogen werden, wenn die Uebertretung mit seinem Vorwissen begangen ist oder wenn er bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung der Betriebsleiter oder Aufsichtspersonen es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen.

Eine noch viel einschneidendere und wichtigere Aenderung hat der § 153 der jetzigen G.O. durch den Entwurf erfahren. Einmal setzt er das Strafminimum auf 1 Monat und bei gewohnheitsmässigem Verstoss gegen § 153 auf 1 Jahr, das Strafmaximum also auf 5 Jahre fest, während letzteres bisher nur 3 Monate betrug.

Diese Strafschärfungen sind mit Rücksicht auf das gewaltsame Vorgehen, mittelst dessen insbesondere im Laufe des vorigen Jahres die strikenden Arbeiter ihre ruhigen Genossen zur Beteiligung an den Arbeitseinstellungen gezwungen, durchaus gerechtfertigt; die Strafvorschriften bilden ein unumgänglich notwendiges Korrelat der durch § 152 G.O. sanktionierten Koalitionsfreiheit. Denn wenn es den Arbeitern mit Recht nicht verwehrt ist, Verabredungen zum Zwecke der Erlangung besserer Arbeitsbedingungen zu treffen und zu diesem Zwecke auch eine gemeinsame Einstellung der Arbeit zu vereinbaren,

so müssen doch andererseits auch diejenigen Arbeiter, welche nicht gesonnen sind, sich an einer solchen Arbeitseinstellung zu beteiligen, vielmehr unter den bisherigen Arbeitsbedingungen die Arbeit fortsetzen wollen, mit aller Energie gegen jegliche Vergewaltigung durch ihre strikenden Genossen geschützt werden: muss ihnen doch ihre Willensfreiheit ebenso gut gewahrt bleiben, wie ihren unzufriedenen Genossen.

Im Interesse des allgemeinen, des Staats-Wohls ist jede Arbeitseinstellung vom Uebel: schon aus diesem Gesichtspunkt erheischt es ein eminentes staatliches Interesse, diejenigen Arbeiter, welche arbeiten wollen, mit allen staatlichen Machtmitteln, also vor allem auch mit der staatlichen Strafgewalt, vor Behelligungen und insbesondere vor gewaltthätigem Zurückhalten von der Arbeit zu schützen.

Der Entwurf hat aber gegenüber dem bisherigen Rechtszustande nicht bloss die Strafen erheblich verschärft, sondern auch das Gebiet der strafbaren Handlungen selbst bedeutend erweitert.

Bisher war nämlich eine gewaltthätige Einwirkung1) auf den Willensentschluss des Arbeiters oder Arbeitsgebers nur dann strafbar, wenn mittelst derselben versucht wurde, den Arbeiter oder Arbeitgeber zur Teilnahme an den in § 152 G.O. erwähnten Koalitionen zu bestimmen oder zum Rücktritt von denselben zu veranlassen.

Dem obenerwähnten Gesichtspunkt, dass jede Einstellung der Arbeit für das Staats wohl schädlich ist, wird nun weiter auch insofern Rechnung getragen, als - ohne Rücksicht auf eine vorgängige Verabredung oder Vereinbarung Mehrerer jeder Versuch, durch gewaltthätige Einwirkung auf den Willensentschluss des Arbeiters oder Arbeitgebers

a) Arbeiter zur Einstellung der Arbeit zu bestimmen oder an der Fortsetzung oder Annahme der Arbeit zu hindern, oder

1) Als eine solche gewaltthätige Einwirkung bezeichnet das Gesetz : »Die Anwendung körperlichen Zwanges, Drohungen, Ehrverletzungen, Verrufserklärung«.

b) Arbeitgeber zur Entlassung von Arbeitern zu bestimmen oder an der Annahme von Arbeitern zu hindern, in derselben Weise bestraft wird, als wenn es sich um die Teilnahme an oder den Rücktritt von einer Koalition der obengedachten Art handelt.

Die gleichen Strafen sollen endlich denjenigen treffen, welcher Arbeiter zur widerrechtlichen Einstellung der Arbeit, oder Arbeitgeber zur widerrechtlichen Entlassung von Arbeitern öffentlich auffordert.

Hiernach ist also schon die blosse öffentliche Aufforderung zum Vertragsbruch, ohne Rücksicht darauf, ob sie Erfolg hat oder nicht, mit Strafe bedroht.

Vergegenwärtigt man sich, welche unheilvollen Wirkungen diese öffentlichen Aufforderungen im verflossenen Jahre gehabt, erwägt man ferner, dass solche Aufforderungen stets nur dann ergehen, wenn es sich um Massenausstände handelt, bei denen also das öffentliche Wohl in Frage kommt (s. o. S. 25) so erscheint die Bestrafung einer derartigen Handlung durchaus gerechtfertigt.')

1) Wenn Brentano a. a. O. S. LXI gegen diese Vorschrift geltend macht, dass danach kein Arbeiterführer, der zu einer Arbeitseinstellung aufgefordert hat, bei welcher irgendwo ein Kontraktbruch stattfand, davor sicher wäre, wegen Aufforderung zur widerrechtlichen Arbeitseinstellung verfolgt zu werden, so ist dagegen zu bemerken, dass nur derjenige Arbeiterführer nach § 153 des Entwurfs sich strafbar macht, welcher zu einer widerrechtlichen, d. h. mittelst Vertragsbruchs erfolgenden, nicht aber derjenige, welcher zu einer gesetzlich erlaubten, d. h. unter Innehaltung der Kündigungsfristen zu bewerkstelligenden Arbeitseinstellung auffordert, dies selbst dann nicht, wenn trotz seiner erlaubten Aufforderung einzelne oder die Mehrzahl der Arbeiter die Arbeit unter Vertragsbruch einstellen.

Wie Brentano diese Bestimmung des Entwurfs mit der Behauptung bekämpfen kann, dieselbe würde die praktische Ausübung des Koalitionsrechts unmöglich machen, ist mir um so weniger verständlich, als er unmittelbar vorher (S. LX) den Kontraktbruch als sittlich und wirtschaftlich gleich verwerflich bezeichnet, und als er für England, dieses nach seiner Ansicht klassische Land der Arbeiterkoalitionen behauptet, »der organisierte Arbeiter denke nicht daran, auf dem Wege des Kontraktbruchs zum Ziele zu gelangen«. Der zweite Absatz des § 153 Abs. 2 des Entwurfs, gegen welchen allein Brentano's Polemik 5

Zeitschr. f. Staatsw. 1891. I. Heft.

Es erfordert alsdann aber auch die Rechtskonsequenz, die Beteiligung an einem Massenausstand mittels Vertragsbruchs unter Strafe zu stellen, wie dies o. S. 25 u. 26 gefordert und näher begründet ist. Denn durch die blosse öffentliche Aufforderung selbst wird, wenn ihr keine Folge gegeben wird, die öffentliche Rechtsordnung, das öffentliche Wohl objektiv nicht beeinträchtigt. Die Schädigung tritt erst ein, wenn der Aufforderung stattgegeben wird. In der Aufforderung wird mithin lediglich die Gefährdung des öffentlichen Wohls, die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass der Aufforderung entsprochen werden wird, strafrechtlich geahndet. Daraus folgt von selbst, dass um so mehr auch derjenige, welcher zur Herbeiführung des von der strafbaren Aufforderung gewollten Erfolges widerrechtlich, d. h. mittelst Vertragsbruchs, mitwirkt, bestraft werden muss, da hier die Gefährdung eines öffentlichen Interesses in eine direkte Verletzung desselben übergeht.

Es wäre demnach dem § 153 des Entwurfs als letzter Absatz hinzuzusetzen:

>In gleicher Weise wird derjenige bestraft, welcher sich an einer Arbeitseinstellung oder Entlassung der Arbeiter, welche ihrem Umfange oder ihrer Art nach geeignet ist, die Sicherheit des Staates, oder das Staats- oder öffentliche Wohl

sich richtet, will, indem er lediglich die Aufforderung zu widerrechtlichen, d. h. unter Vertragsbruch erfolgenden Arbeitseinstellungen unter Strafe stellt, doch nur den Vertragsbruch, nicht aber die Arbeitseinstellungen als solche inhibieren, so dass selbst unter Zugrundelegung der sonstigen Ausführungen Brentano's gar nicht abzusehen ist, weshalb in dieser Strafvorschrift eine Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit liegen soll.

Dem Vorschlage Brentano's (a. a. O. S. LXIII) auf Streichung des § 152 Abs. 2 der jetzigen G.O. pflichte ich dagegen vollständig bei, da auch ich in diesem Vorschlage eine wesentliche Stärkung des Koalitionsrechts und eine notwendige Konsequenz des durch § 152 Abs. 1 G.O. anerkannten Prinzips der Koalitionsfreiheit erblicke; denn wenn der Gesetzgeber einmal die hier gedachten Koalitionen der Arbeitgeber und Arbeiter zulässt, so ist nicht abzusehen, weshalb er denselben nicht auch rechtsverbindliche Kraft für die Beteiligten gewähren will.

zu gefährden, mittelst Vertragsbruchs beteiligt<1) wenn man nicht meinen oben S. 25 formulierten Vorschlag annehmen will.2)

1) Anmerkg. der Red. Wäre diese Bestrafung allgemein und willkürfrei durchzuführen?

2) Zu der vorstehenden Frage der Redaktion gestatte ich mir auf den S. 25 gemachten Vorschlag hinzuweisen, wonach eventuell der im Text charakterisierte Straffall als Antragsvergehen konstruiert werden kann; im übrigen nehme ich auf meine Ausführungen in Brassert's Zeitschrift a. a. O. S. 511 ff. Bezug.

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