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liegende Buch von Wieser das Gesetz vom Grenznutzen als allgemeines
Wertgesetze nach allen Seiten hin durchzuführen und auszubilden sucht.
Gotha.
Dr. Richard Zeyss.

Markow, Dr. Alexis, Das Wachstum der Bevölkerung und die Entwickelung der Aus- und Einwanderungen, Ab- und Zuzüge in Preussen und Preussens einzelnen Provinzen, Bezirken und Kreisgruppen von 1824 bis 1885. Tübingen 1889, H. Laupp. 8°. XVI a. 218 S.S.

Das vorliegende Buch bildet den dritten Band der von Prof. F. J. Neumann herausgegebenen Beiträge zur Geschichte der Bevölkerung in Deutschland seit dem Anfange dieses Jahrhunderts<. Während sich aber die beiden ersten Bände mit den speziellen Verhältnissen einzelner Provinzen resp. Kreise (Posen, Schmalkalden in Thüringen) beschäftigen, findet sich hier eine auf ganz Preussen ausgedehnte Untersuchung über Stand und Bewegung der Bevölkerung von 1824 bis 1885. Auf breitester Grundlage (Teil I-III) baut sich eine Bevölkerungsbilanzrechnung auf, die in den Ausführungen des IV. Teils über die äusseren und inneren Wanderungen gipfelt. Das von Prof. Neumann gesammelte und dem Verf. zur Verfügung gestellte Material ist von diesem mit ausserordentlichem Fleisse verwertet und sorgfältig ausgenutzt worden. Begegnen wir auch nur an sehr wenigen Stellen einem Eingehen auf Ursache und Folge, Vorteil und Nachteil der geschilderten Vorgänge, so haben wir doch ein gutes, oft bis in die kleinsten Züge ausgeführtes Bild der Thatsachen vor Augen, und das ist ja bei einem statistischen Werke die Hauptsache.

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Gleich der erste Teil, der über die sog. faktische Bevölkerungszunahme Preussens, seiner Provinzen, Bezirke und Kreisgruppen während der Jahre 1825-85 handelt, bringt über die Gestaltung dieser Zunahme innerhalb der ganzen Periode, sowie innerhalb grösserer und kleinerer Zeitabschnitte derselben, wichtige Aufschlüsse, welche durch Gegenüberstellung der für die anderen deutschen und europäischen Staaten gültigen Ziffern, noch bedeutend an Interesse gewinnen. Es verdient hervorgehoben zu werden, dass auch diese Ziffern mit grossem Fleisse zusammengetragen sind. Der zweite Teil behandelt die Gestaltung der Geburtsziffer. Trotzdem die östlichen, stark mit slavischen und littauschen Elementen durchsetzten Provinzen Preussens eine relativ hohe Geburtsziffer aufweisen, so wird doch durch die Untersuchung bestätigt, was schon Engel in Bezug auf das Königreich Sachsen nachgewiesen hat, dass nämlich innerhalb einer industriellen Bevölkerung die Zahl der Geburten im allgemeinen grösser ist, als innerhalb einer ackerbauenden. So zeigen namentlich die Provinzen Rheinland und Westfalen, wo sich die Industrie immer mächtiger entwickelt hat, eine erhebliche Steigerung der Geburtsziffer, und innerhalb dieser Provinzen ragen wieder die hochindustriellen Bezirke Düsseldorf und

Arnsberg in dieser Beziehung hervor. Für ganz Preussen ergiebt sich, wenn man die drei Perioden von 1824-48, 1849-66, 1867-85 annimmt, eine ständige Steigerung der Geburtsziffer, während, wie im ersten Teile nachgewiesen, die Bevölkerungszunahme sich minderte. Es steigt aber nicht nur die Geburtsziffer, sondern, da gleichzeitig die Sterblichkeitsziffer fällt, so steigt auch dauernd die sog. natürliche Bevölkerungszunahme, d. h. der Ueberschuss der Zahl der Geborenen über die der Gestorbenen. (Vgl. Teil III.) Es steht also eine ständige Steigerung der natürlichen Bevölkerungszunahme einer Minderung der faktischen Bevölkerungszunahme gegenüber und das bedeutet: Auswander un g. - Freilich gestalten sich diese Verhältnisse innerhalb der Monarchie verschieden in örtlicher Beziehung. Während die Provinzen des Ostens und des Zentrums (hier unter Ausscheidung der Stadt Berlin) eine Mehr a us wanderung zeigen, ist für die westlichen eine Mehr e in wanderung zu konstatieren.

Der vierte Teil des Buches die Aus- und Einwanderungen« verfolgt nun, auf Grund der Zahlenergebnisse der ersten drei Teile, die Entwickelung dieser Dinge im Einzelnen. Es ergiebt sich hier, beim Eingehen auf die Provinzen, Bezirke und Kreisgruppen, viel Wichtiges und Interessantes. Wir erfahren beispielsweise, dass unter allen »alten« preussischen Provinzen, Pommern absolut wie relativ die grösste Zahl von Menschen durch Mehrauswanderung verlor, dass die Bevölkerung der Regierungsbezirke Stralsund und Köslin, auch einiger Kreise des Bezirks Marienwerder in Westpreussen, infolge von Auswanderung sogar absolut abgenommen hat. (Auch die neueste Volkszählung vom 1. Dezember 1890 zeigt wieder für Stralsund und Köslin, aber diesmal auch für ganz Ostpreussen eine Abnahme der Bevölkerung). Dagegen haben die Regierungsbezirke Arnsberg und Düsseldorf dauernd eine sehr hohe Einwanderung zu verzeichnen. Bei der Beobachtung kleinerer Zeitabschnitte, wie das im dritten Kapitel dieses Teils geschieht, lassen sich die Einflüsse einzelner für das Wirtschaftsleben wichtiger Ereignisse gut verfolgen. So sehen wir, dass in der ersten Periode von 1824 bis 1848 die grösste Mehreinwanderung nach Preussen innerhalb der Jahre des Zustandekommens des deutschen Zollvereins und unmittelbar darnach erfolgte, dass der Umschlag in Mehrauswanderung, wie ihn die zweite Periode von 1849-67 zeigt, bald nach dem Teuerungsjahre 1847 und den unruhigen Jahren 1848-49 begann, auch lässt sich der Einfluss der Jahre 1871-73 auf den Zuzug nach den westlichen Provinzen nachweisen.

So Vieles und Gutes nun auch der letzte Teil der Markow'schen Arbeit bringt, so glauben wir doch, dass derselbe, bei der grossen Wichtigkeit der Frage der Wanderungen, eine etwas weitere Ausgestaltung hätte vertragen können. Es sei schliesslich noch erwähnt, dass der Verf. in der Einleitung zu diesem vierten Teile einen Ueberblick über die ge

schichtliche Entwickelung der amtlichen Auswanderungsstatistik in Preussen giebt und gegenüber der Unzulänglichkeit der offiziellen Angaben, seine Anwendung der Berechnungsmethode Neumann's begründet. Auch diese Methode hat ja ihre Mängel, so lässt sie vor allem nur den Ueberschuss der Zahl der Weg- über die Zugezogenen und umgekehrt, also immer nur die Mehr aus- resp. Mehr einwanderungen erkennen. Trotzdem aber sind die nach dieser Methode durchgeführten Berechnungen den Ergebnissen der offiziellen Auswanderungsstatistik zweifelsohne vorzuziehen, einmal wegen der grösseren Zuverlässigkeit, dann aber auch, weil durch sie die Wanderungen innerhalb eines Staates von Provinz zu Provinz, Bezirk zu Bezirk, von Kreis zu Kreis viel genauer erfasst werden können.

Gotha.

Dr. Richard Zeyss.

Hansen, Georg, »Die drei Bevölkerungsstufen. Ein Versuch, die Ursachen für das Blühen und Altern der Völker nachzuweisen.‹ München 1889, Lindauer. 8°. V u. 407 S.S.

Im Gegensatz zu der vorstehend besprochenen Arbeit, welche sich darauf beschränkt, sorgfältig bearbeitetes statistisches Material über Bevölkerungs-Stand und Bewegung vorzuführen, haben wir es bei diesem Werke mit der Entwickelung einer neuen, höchst bedeutsamen Bevölkerungstheorie, einer Theorie der Bevölkerungsgliederung, zu thun, die sich im Laufe der Darstellung zu einem vollständigen politischen System erweitert.

Die Untersuchung knüpft an eine statistische Beobachtung der inneren Wanderungen, vornemlich des Zuzugs nach den Städten an. In jeder Stadt bildet die Zahl der Zugezogenen einen bedeutenden Bestandteil, es findet ein beständiger Ersatz städtischer durch ländliche Bevölkerung statt und zwar derart, dass die eingeborene Bevölkerung in je zwei Menschenaltern durch den Zuzug von anderwärts vollständig ersetzt wird. Diese an den bayrischen Städten und an Leipzig beobachtete Thatsache stellt der Verf. einleitend voran, und beantwortet nun die hiermit aufgeworfene Frage, warum die städtische Bevölkerung in fortwährendem Absterben begriffen ist und durch die ländliche ersetzt werden muss, durch seine Theorie in folgender Weise: Die Bevölkerung eines Landes zerfällt in drei Klassen oder Stände, die Grundbesitzer, wozu der Bauernstand und der grundbesitzende Adel gehört, den Mittelstand, umfassend die Vertreter der bürgerlichen Gewerbe, die Beamten, Gelehrten, überhaupt den besitzenden, gebildeten Teil der städtischen Bevölkerung, endlich den Stand der besitzlosen Arbeiter und Proletarier. Diese drei Klassen stehen nicht, wie man gewöhnlich annimmt, selbständig nebeneinander, sie sind nicht lediglich durch das lose Band des wirtschaftlichen Verkehrs mit einander verbunden, sondern es besteht ein innerer, ein organischer

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Zusammenhang: sie sind nur die verschiedenen Entwicklungsstufen derselben Bevölkerung. Der Stand der Grundbesitzer allein ist dauernd. Im städtischen Mittelstand findet eine ununterbrochene Erneuerung und Ersetzung aus dem Ueberschuss der ländlichen Bevölkerung statt, und die im Kampf ums Dasein erlegenen Glieder des Mittelstandes werden fortwährend in den Arbeiterstand hinübergedrängt. So entsteht ein »Bevölkerungsstrom der fortdauernd wirksam ist und sein muss, wenn sich der Volkskörper gesund erhalten soll. Den drei Bevölkerungsklassen entsprechen die drei Einkommenszweige: die Grundbesitzer beziehen ihr Einkommen vornehmlich aus den natürlichen, freiwirkenden Kräften der Natur, der Mittelstand aus der geistigen und der Arbeiterstand aus der körperlichen Arbeit. Der Mittelstand, als Träger der geistigen Arbeit, wird so zum eigentlichen Träger der Kultur, er bildet das Haupt am Volkskörper. Soll aber sein höheres geistiges Niveau gewahrt bleiben, so müssen fortwährend frische Kräfte aufgenommen und gleichzeitig die minderwertigen ausgeschieden werden, d. h. der Bevölkerungsstrom muss rasch und gleichmässig dahinfliessen.

Hansen schildert im zweiten Abschnitt (II. Buch), wie die drei Bevölkerungsstufen, die in unserer heutigen Gesellschaft neben einander stehen und fortdauernd in einander übergehen, historisch sich nach einander entwickelt haben. Der mittelalterliche Bauernstaat repräsentiert den Staat mit nur einer Bevölkerungsstufe. Hier vermag niemand auf die blosse Arbeit, sei es geistige oder körperliche, seine Existenz zu gründen. Er muss ein angeborenes oder erworbenes Recht auf den Unterhalt besitzen. Auch wenn er den Acker nicht selbst bestellt, wie der Geistliche, der Gelehrte und Künstler, der Berufskrieger und Handwerker der damaligen Zeit, knüpft ihn immer noch ein festes Band an die Scholle. Wer dieses zerreisst, fällt aus der Gesellschaft heraus, er wird rechtlos. Mit der Entstehung der Städte entwickelt sich die zweite Bevölkerungsstufe, der Mittelstand, welcher den vom Lande produzierten Menschenüberschuss, der vorher in ehelosem Stande sich zum Wohle des Ganzen verbrauchte, nunmehr aufnimmt und durch Arbeit ein selbständiges Einkommen verschafft. Der Abzugskanal für die entbehrlichen Elemente der Städte wird zunächst durch die Landsknechtheere gebildet. Je mehr dann Handel und Industrie zunehmen, desto grösser wird auch das Uebergewicht des Mittelstandes, bis schliesslich die Entstehung der dritten Bevölkerungsstufe, des Arbeiterstandes, die volle Entfaltung des Handels- und Industriestaates ermöglicht. Diese dritte Bevölkerungsstufe, die Zahl der körperlich Arbeitenden, ist ihrerseits abhängig von der geistigen Höhe des Mittelstandes, da dieser durch seine Errungenschaften auf technischem und wirtschaftlichem Gebiete, erst Raum für die Bethätigung derselben verschafft. Die körperliche Arbeit ist nur ein Appendix der geistigen, da sie von dieser geschaffen wird und ohne

dieselbe hilflos ist. Die Ausführung dieses Gedankens (S. 68 ff. und 367 ff.) gehört zu dem Besten, was je der Marx'schen Theorie, dass vor allem die körperliche Arbeit Werte erzeuge, entgegengehalten worden ist.

Die Untersuchungen des dritten Buches über das Wesen und den inneren Zusammenhang der drei Bevölkerungsstufen als Bestandteile der modernen Gesellschaft, sind ebenso wichtig und interessant, wie die dabei mit einfliessenden Betrachtungen über Erziehungswesen, über Militär- und Frauenfrage (»das Weib im Bevölkerungsstrom«). Freilich sind viele der geäusserten Ansichten durchaus nicht unanfechtbar.

Das letzte Buch endlich handelt von dem Kampf, der zwischen den drei Bevölkerungsstufen stattfindet und von den Aufgaben des Staates diesem Kampfe gegenüber. Der Mittelstand, der, wenn wir ihn unter dem Gesichtspunkt der Bevölkerungsbewegung auffassen, nur eine Uebergangsstufe von der ersten zur dritten Bevölkerungsstufe ist, hat stets das Bestreben, sich dauernd zu machen und drückt deshalb auf die übrigen Bevölkerungselemente, vor allem auf den Bauernstand. Durch Ausdehnung der Industrie und namentlich des auswärtigen Handels macht er sich unabhängig von der eigenen Landwirtschaft; durch übertriebene Steigerung der Bodenpreise, durch Einführen fremden Getreides, durch die Kreditwirtschaft und daraus folgende hypothekarische Ueberlastung des Grundbesitzes, richtet er die Landwirtschaft allmählich zu Grunde und reibt nach und nach den Bauernstand auf. Dieser Vernichtung eines kräftigen und gesunden Bauernstandes aber folgt – nach vielleicht kurzer Blüte immer und überall der Niedergang der städtischen Bevölkerung, denn die Quelle des Bevölkerungsstromes ist verstopft, der Strom stockt, das Niveau des Mittelstandes muss sich verflachen und damit das ganze Volk sinken. — Eine eingehende Betrachtung über Blüte und Verfall der italienischen Handelsrepubliken, Spaniens und der Niederlande, über Grossbritannien, die Vereinigten Staaten von Nordamerika und das heutige Deutschland unterstützt diese theoretischen Ausführungen durch die historische Illustration.

Die Aufgabe des Staates demgegenüber ist die Erzielung eines raschen, aber gleichmässigen Bevölkerungsstromes«. Das heisst aber in erster Linie: Erhaltung des Bauernstandes, als der Menschenquelle. In einem Handelsstaate ist nun ein gesunder Bauernstand nur dadurch zu erhalten, dass er durch die Gebundenheit des Grundbesitzes und die obligatorische Vererbung auf einen Nachfolger der allgemeinen Konkurrenz entrückt wird. Auch Schutzzölle und Aenderung der Hypothekargesetzgebung in der Richtung, dass eine Grenze festgesetzt wird, bis zu welcher der einzelne Hof belastet werden darf, können gute Dienste thun. Für die zweite Bevölkekerungsstufe dagegen ist das Prinzip der Bewegungsfreiheit einzuhalten, damit hier alle geistigen Kräfte zu möglichster Entfaltung

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