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Was die Höhe des erhobenen Schadensersaßanspruches betreffe, so sei die im Frachtbriefe enthaltene Werth Declaration von 3228 Thlr. 17 Sgr. nicht weiter bestritten und daher der Berechnung zu Grunde zu legen, wobei jedoch ein Betrag von 117 Thlr. 2 Sgr. 6 Pfg. für vorauslegte Steuern und Lagerkosten in Abzug zu kommen habe.

Der Erlös aus dem öffentlichen Verkaufe des Tabaks betrage 2287 Thlr. 18 Sgr. 6 Pfg., somit gebühre die Differenz zwischen dieser Summe und 3111 Thlr. 14 Sgr. 6 Bfg. dem Kläger und sei demselben, ohne daß es auf die beiderseits erbotenen, theils unerheblichen, theils überflüssigen Beweise weiter ankomme, zuzusprechen. Gegen dieses Urtheil legte die Beklagte am 30. Januar 1875 Cassationsrecurs ein, indem sie als Caffationsmittel geltend machte:

1. Verlegung der Art. 391, 395, 403, 405 und 408 de H. G.-B., sowie der Art. 1134, 1234 und 1239 des B. G.-B., endlich Denatu rirung des Vertragsverhältnisses und Machtüberschreitung, indem der Appellrichter erkannt, daß der Transport vom Güterbahnhofe nach der zollamtlichen Niederlage als Fortsetzung des ursprünglichen Frachtvertrags zu betrachten sei;

II. Verlegung der Art. 317, 391, 395, 396, 421 und 427 des H.G.-B., sowie der Art. 1108 und 1134 des B. G.-B., endlich Verkennung der rechtlichen Bedeutung des Frachtbriefes, also Denaturirung des Rechtsverhältnisses der Parteien, infofern der Appellrichter bei der Unterstellung, daß ein neuer Frachtvertrag geschlossen worden sei, die Bahn in gleicher Weise haften lasse, als sei auch für den Weitertransport ein Werth declarirt worden;

III. Verletzung der Art. 395, 396 und 427 des H.-G.-B. und Mangel an Entscheidungsgründen, insofern der Appellrichter ohne Weiteres die declarirte Werthsumme zuzusprechen und, ohne Gründe anzugeben, die Beweisanträge unberücksichtigt gelassen habe.

Sie beantragte, das angefochtene Urtheil zu cassiren, in der Sache selbst aber die erstrichterlichen Urtheile wiederherzustellen und zwar auf Kosten des Klägers, eventuell auf die Berufung zu erkennen, was bei der Lage der Sache Rechtens.

Der Caffationsbeklagte ließ eine Erwiderungsschrift zustellen und hinterlegen, in welcher er beantragte, den Recurs als unbegründet zu verwerfen unter Verurtheilung der Cassationsklägerin in die Kosten.

Urtheil:

J. E. zum dritten Cassationsmittel:

Daß, was die Begründung der Höhe der zuerkannten Entschädigung anbelangt, der Appellrichter sich darauf beschränkt, zu bemerken:

1. die im Frachtbriefe enthaltene Werthdeclaration von 3228 Thlr 17 Sgr. sei nicht bestritten, was wohl heißen soll, es sei unbestritten, daß das Frachtgut am Orte der Ablieferung zur Zeit, wo es abzuliefern war, diesen Werth hatte, und

2. der Erlös aus dem öffentlichen Verkaufe des Tabaks betrage 2287 Thlr. 18/2 Sgr.

und aus dieser thatsächlichen Feststellung die Folgerung zieht, Kläger habe somit die Differenz beider Beträge als Entschädigung zu beanspruchen;

Daß jedoch jene thatsächlichen Feststellungen nicht genügen, die bezeichnete Entscheidung zu rechtfertigten, vielmehr diese auf Verkennung

der für Berechnung des vom Frachtführer im Falle der Beschädigung des Frachtguts zu leistenden Schadenersatzes maaßgebenden gesetzlichen Principien beruht;

Daß nämlich nach dem festgestellten Sachverhalt der Kläger ursprüngs lich behauptete, er sei berechtigt die Empfangnahme des Frachtgutes, weil es beschädigt sei, zu verweigern und Dem entsprechend Ersatz des vollen Werthes desselben zu verlangen, während Seitens der Beklagten geltend gemacht wurde, es feien von der ganzen Sendung von 19 Ballen im Gewicht von 29931/2 Pfund nur ein Theil der Ballen und diese nur bezüglich 145 Pfund beschädigt, also hafte sie nur wegen dieser 145 Pfund für welche sie den Normalsatz, eventuell den vollen Minderwerth zu ersehen habe;

Daß die vorbezeichneten kurzen Entscheidungsgründe des Appellrichters nur die Annahme gestatten, er habe die Behauptung des Klägers billigen wollen, hierein aber eine Verkennung der gesetzlichen Principien zu finden ist;

Daß nämlich der Destinatär eines Frachtgutes dem Frachtführer gegenüber nicht befugt ist, die Empfangnahme der Waare zu verweigern und diese zu abandoniren, weil sie auf dem Transporte ganz oder theilweise beschädigt wurde, und demgemäß Entschädigung wegen Verlustes des Frachtguts zu verlangen, wie dies dem Käufer, dem eine mangelhafte Waare angeboten wird, zusteht, (Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts, Band XI, Seite 294);

Daß er vielmehr verpflichtet ist, das Frachtgut auch im beschädigten Zustande dem Frachtführer abzunehmen, falls ihm dabei nicht etwa Verzicht auf seine Entschädigungsansprüche zugemuthet wird, Art. 408 des H.-G.-B., und daß er nach Art. 396 des H.-G.-B. nur Anspruch auf Ersatz des Minderwerths hat, den die Waare durch die Beschädigung und, soweit sie beschädigt ist, erlitten;

Daß daher im vorliegenden Falle der Kläger nur Ersatz des Minder werths beanspruchen konnte, den die als beschädigt befundenen 13 Ballen Tabak in Folge der Beschädigung erlitten hatten, es aber völlig ungerechtfertigt war, wenn die Beklagte ganz allgemein für den Mindererlös, der bei der, wie nach der thatsächlichen Feststellung anzunehmen, nur durch die ungerechtfertigte Annahmeverweigerung des Klägers veranlaßten öffent lichen Versteigerung sich ergab, haftbar gemacht wurde, so daß sie also auch dafür einzustehen hätte, daß für die völlig unversehrten 6 Ballen, welche nach der Werthdeclaration einen Werth von 1036 Thlr. haben sollten, nur 765 Thlr. 13 Sgr. erlöst wurden;

Daß jedoch selbst in der Unterstellung, es feien sämmtliche Ballen, ja der sämmtliche in ihnen enthaltene Tabak beschädigt gewesen, dennoch die Feststellung des Schadens als eine dem Gesetze entsprechende nicht erachtet werden könnte;

Daß die Bestimmung des Art. 354 des H.-G.-B., zufolge deren der Verkäufer seinen Schaden durch Verkauf der Waare ermittelt, sich nicht ohne Weiteres auf den Frachtvertrag anwenden läßt, theils weil hier das Gesetz etwas Derartiges nicht bestimmt, theils weil die Verhältnisse ganz verschieden sind, indem der Frachtführer nicht in dem Umfange für die Werthsminderung einzustehen hat, wie der Käufer, vielmehr seine Haftung fich auf diejenige Minderung des Handelswerthes beschränkt, welche durch die ihm zur Laft fallende Beschädigung auf dem Transporte am Orte und zur Zeit der Ablieferung eingetreten war;

Daß allerdings bei der großen Freiheit, welche nach Französischem Processe der Richter bei Feststellung_von Schadensbeträgen hat, der Appellrichter bei gedachter Unterstellung befugt gewesen wäre, zu erklären, er erachte bei den obwaltenden Umständen den bezeichneten Minderwerth durch den Mindererlös bei der nur 4 Wochen nach dem Ablieferungstermin erfolgten Versteigerung repräsentirt;

Daß er jedoch eine derartige thatsächliche Feststellung nicht gegeben hat und offenbar auch nicht geben wollte und konnte;

Daß daher die angefochtene Entscheidung zu vernichten ist, und der Werth der übrigen Caffationsmittel dahingestellt bleiben kann;

J. E. zur Sache:

Daß die Ansicht des Appellrichters, es sei die Beklagte zum Ersatze des vollen Minderwerths verpflichtet, zu billigen ist;

Daß dabei dahin gestellt bleiben kann, ob die Behauptung des Klägers, es sei der Transport vom Güterbahnhofe der Beklagten in das Lager am Tranfgaffenthore nur auf Grund des ursprünglichen Frachtvertrags erfolgt, oder die Behauptung der Beklagten, es sei ein neuer mündlicher Frachts vertrag abgeschlossen worden, die richtige sei, da in beiden Unterstellungen die Haftung für den vollen Minderwerth eintritt;

Daß bei ersterer Unterstellung eine Ablieferung und Empfangnahme, im Sinne des Art. 408 des H.-G.-B. nicht stattgefunden hätte, die bloße Ausstellung eines Empfangsscheines aber, da sie dem wahren Hergang nicht entspräche, bedeutungslos wäre und höchstens die Anerkennung, daß auf dem Güterbahnhofe das Frachtgut unbeschädigt war, darin gefunden werden könnte, so daß also die Beklagte auf Grund der im Frachtbriefe enthaltenen Werthversicherung haften würde;

Daß bei der zweiten Unterstellung und den obwaltenden Umständen und, da insbesondere über die Bedingungen des neuen, mündlichen Frachtvertrags nicht das Geringste vereinbart wurde, der Vertragswille dahin zu interpretiren sein würde: es solle die Weiterbeförderung des Frachtguts bis zum besagten Lagerhaus unter denselben Bedingungen stattfinden, unter denen dasselbe nach Köln befördert worden war;

Daß, wollte man dies nicht annehmen, immerhin kein Grund vorläge zu unterstellen, die Contrahenten hätten von den Bedingungen des ursprünglichen Frachtvertrags nur die der Beklagten günstigen beibehalten, die derselben ungünstigen aber beseitigen wollen, vielmehr angenommen werden müßte, man habe für den in Frage stehenden kurzen und außerordentlichen Transport nicht die Bedingungen des Betriebsreglements sondern die allgemeinen Prinzipien des Frachtvertrages wollen gelten lassen und dies zwar um so mehr, als die Bestimmungen des Betriebsreglements für die Eisenbahnen Deutschlands vom 10. Juni 1870 überall die Ausstellung eines Frachtbriefs voraussetzen, ja vorschreiben, also die Bahn, welche ausnahmsweise sich einen Frachtbrief nicht ausstellen läßt, keine Vermuthung dafür, daß sie den Transport nur unter den Bedingungen des Betriebsreglements übernommen, beanspruchen kann;

Daß schließlich die Beweise, welche Beklagte erboten hat, an dieser Auffaffung nichts zu ändern vermögen, daher nicht zu berücksichtigen sind:

J. E., was die Berechnung des Schadensersatzes anbelangt, daß nach dem Ergebnisse der Verhandlungen unbedenklich die Werthdeclaration im Frachtbriefe zu Grunde gelegt und angenommen werden kann, dieselbe habe dem wirklichen Handelswerthe, den die ganze in Frage stehende

Sendung zur Zeit, wo die Ablieferung erfolgen sollte, in Köln hatte, entsprochen;

Daß nach Maaßgabe obiger Erörterungen die Werthsminderung, welche die einzelnen beschädigten Ballen Tabak in Folge der constatirten Beschädigungen (wobei sowohl der Verderb des Tabaks an sich als die Beschädigung der Emballage in Betracht kommt) erlitten hatten, zu ermitteln ist, jedoch, da die hiezu nöthigen Anhaltspunkte nicht gegeben sind, die Sache als zur Entscheidung noch nicht reif in Gemäßheit der Allerhöchsten Cabinetsordre vom 8. Juli 1834 in die Vorinstanz zu verweisen ist;

Aus diesen Gründen

cassirt das Reichs- Oberhandelsgericht, Erster Senat, das Urtheil des Königl. Preuß. Appellationsgerichtshofes zu Köln vom 28. März 1874, verordnet die Rückgabe der hinterlegten Succumbenzstrafe, sowie die Beischreibung dieses Urtheils am Rande des caffirten und verurtheilt den Cassationsbeklagten in die Kosten der Cassationsinstanz;

verweist, zur Sache, dieselbe zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung vor den Ersten Civil-Senat des besagten Appellationsgerichtshofes.

Reichs-Oberhandelsgericht. Sitzung vom 24. September 1875.
Ref.: H. R.-Ob.-H.-G.-Rath Dr. Wernz.

Concl.: H. Appell.-G.-Rath Dr. Dreyer als Vertreter der
Staatsanwaltschaft.

Rechtsanwälte: Stegemann - Mede.

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Das dem Miteigenthümer einer gemeinschaftlichen Mauer durch Art. 656 des B. G.-B. verliehene Entsagungsrecht erleidet durch die in Art. 663 ibid. den benachbarten Eigenthümern in Städten und Vorstädten auferlegte Verpflichtung der Abgrenzung eine Beschränkung.*)

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Gegen das im 59. Bande I. Abtheilung Seite 149 abgedruckte Urtheil des III. Senats haben die Appellaten zur Zeit den Caffationsrecurs ergriffen, indem sie Verletzung der Art. 653, 656, 661, 663 und 669 des B. G.-B. behaupteten. Der Recurs wurde als unbegründet verworfen durch folgendes

*) Die nachträgliche Mittheilung dieses der Redaktion zur Berichtigung der Bemerkung auf Seite 69 Abtheilung I zugegangenen Erkennt niffes des Ober-Tribunals dürfte bei der praktischen Wichtigkeit der vom Appellationsgerichtshofe nicht gleichmäßig entschiedenen Streitfrage wohl von Interesse sein.

Urtheil:

JE., daß wenn der Art. 656 des Civilgesetzbuches bestimmt, daß jeder Miteigenthümer einer gemeinschaftlichen Mauer befugt ist, sein Miteigenthum aufzugeben, und mit dieser Aufgabe für ihn auch die Laft der Erhaltung und Wiederherstellung der Mauer aufhört, er damit nur einen natürlichen aus dem Wesen des Eigenthums, wie eines jeden Rechtes, sich ergebenden Grundsatz ausspricht, während im Gegensate hierzu der Art. 663 nicht von dem Rechte der Miteigenthümer an dem gemeinschaftlichen Objecte handelt, sondern die auf Gründen des Schutzrechtes be ruhende positive Vorschrift enthält, welche eine gewisse Klasse von Eigenthümern verpflichtet erklärt, auf Begehren des Nachbars das wechselseitige Eigenthum auf gemeinschaftliche Kosten abzuschließen;

Daß diese beiderseitigen Bestimmungen ohne Beziehung zu einander verschiedenen Gebieten angehören, so daß von einer Unterordnung der einen unter die andere uicht die Rede sein kann; daß der Miteigenthümer einer gemeinschaftlichen Mauer seinem Rechte, wo es sich nur um ein solches handelt, entsagen und damit von selbst der Nothwendigkeit, auf das Object seines Miteigenthums, als solches, Verwendungen zu machen, entledigt werden kann; daß aber diese Befugniß, möge sie noch so allgemeiner Natur und von dem Geseze in noch so allgemeinen Ausdrücken anerkannt sein, sich nicht dahin ausdehnen läßt, daß darum auch derjenige Nachbar, welchem das Gesetz in einem besonderen Falle und aus eigenthümlichen Gründen die Pflicht zur Errichtung und Unterhaltung einer Abgrenzung auferlegt, diese Pflicht ganz oder theilweise sollte unerfüllt lassen können;

Daß der Umfang der dem Nachbar nach Art. 663 obliegenden Leistung mit der Aufgabe des zu der Abscheidung etwa erforderlichen Terrainantheiles und dem Verzichte auf das Miteigenthum an der erst zu schaffenden Vorrichtung nicht erschöpft ist, da darin dasjenige, was das Gesetz dem Nachbar in Städten und Vorstädten ausnahmsweise hat gewähren wollen, nicht enthalten ist;

Daß diese Betrachtung der inneren Natur der in dem Art. 656 und dem Art. 663 enthaltenen Vorschriften dahin führt, daß die Anwendung der ersteren auf den Fall der letzteren, d. h die Annahme der Befugniß des Eigenthümers in Städten und Vorstädten sich vermöge des im Art. 656 dem Miteigenthümer gegebenen Entsagungrechtes der durch Art. 663 auferlegten Pflicht, sei es der ursprünglichen Herstellung, sei es der ferneren Unterhaltung der gefeßlich vorgeschriebenen Abgrenzung der aneinander stoßenden Höfe und Gärten zu entziehen, unzulässig erscheinen muß;

Daß wenn die Fassung und Stellung der betreffenden Bestimmungen in dem Civilgesetzbuche zu Bedenken hiergegen noch Raum gewähren möchten, solche zerfallen müssen, wenn man die entsprechenden Vorschriften der Coutume de Paris Art. 209, 210 ins Auge faßt, die nach ihrem Wortlaute und dem deutlich hervorgehobenen Gegensate zwischen Art. 209 und 210 jeden Zweifel über deren Sinn und Tragweite ausschließen, wie denn auch hierüber in der älteren Rechtsprechung und bei den Auslegern des Gewohnheitsrechtes Uebereinstimmung der Ansichten geherrscht hat.

Daß bei der Abfaffung des Civilgesetzbuches die Absicht obgewaltet hat, dem Pariser Gewohnheitsrechte in dieser Materie zu folgen, und daß im Zweifel angenommen werden muß, daß dessen Bestimmungen in dem

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