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nend, aus den angeführten Gründen die erhobene Klage ab und verurtheilt den Kläger in die Kosten der ersten Instanz.

Reichs-Oberhandelsgericht. Sitzung vom 18. Dezember 1876.
Ref.: H. R.-Ob.-H.-G.-Rath Dr. Boiffelier.

Concl.: H. A.-G.-Rath Dr. Dreyer als Vertreter der Staatsan-
waltschaft.

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Die von einem Eisenbahn-Angestellten in dem Rechercheverfahren betreffend Verlust eines Frachtguts zu Protokoll gegebene und unterschriebene Erklärung bildet kein Certifikat, welches im Sinne des Art. 283 der B. Pr.-O. einen Grund zur Reprochirung des Angestellten als Zeugen abgeben könnte.

Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft

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Fuchs.

In einem von dem Kaufmann August Fuchs gegen die BergischMärkische Eisenbahngesellschaft vor dem Handelsgerichte in Crefeld angestrengten Prozesse wegen Verlust eines Frachtgutes produzirte die verklagte Gesellschaft zur Führung des ihr nachgelassenen Beweises unter Anderen ihren Factor Theodor Schmitz als Zeugen. Kläger reprochirte denselben, weil er über die im Streit befangenen Thatsachen ein schriftliches Zeugniß ausgestellt habe. Ausweislich der vorliegenden Recherche-Akten habe nämlich Seitens des Bahncontroleurs der verklagten Eisenbahngesellschaft am 7. November 1873 zu Crefeld ein Zeugenverhör stattgefunden, und sei dabei unter Anderen auch der Zeuge Schmitz vernommen worden, der seine protocollarische Aussage unterschrieben habe. Diese schriftliche Aussage sei aber gemäß Art. 283 der B. Pr.-Ó. ein Grund zur Reproche des Zeugen.

Die Beklagte räumte die Thatsache der schriftlichen Vernehmung des Zeugen Schmit ein, bestritt jedoch, daß dieselbe im Sinne des bezogenen Artikels 283 einen Reprochegrund abgeben könne, indem sie ausführte: die beklagte Eisenbahngesellschaft sei verpflichtet, über den Verbleib eines abhanden gekommenen Frachtguts Recherchen anzustellen, die sie nur im Wege der Vernehmung ihrer Beamten, Angestellten und Arbeiter bewirken könne. Der Zeuge Schmit habe daher vernommen werden, und sich über den ihm bekannten Sachverhalt äußern müssen.

Der Art. 283 der B. Pr.-D. habe offenbar nur solche Zeugnisse (Certificate) als Reprochegrund zugelassen, welche der Zeuge aus eigenem Antriebe und selbstständig ausgestellt habe.

Durch Vorbescheid vom 29. Januar 1875 nahm das Handelsgericht die gegen den Zeugen Schmit vorgebrachte Reproche als begründet an. In den Motiven heißt es:

J. E., daß der Art. 283 der B. Pr.-D. vorschreibt, es könne der als
Zeuge verworfen werden, welcher über die auf den Prozeß bezüg-

m

lichen Thatsachen schriftliche Zeugnisse ausgestellt habe; daß die
Intention dieser Bestimmung offenbar dahin geht, daß derjenige,
welcher schriftliche Erklärungen über die auf den Prozeß bezüglichen
Thatsachen in bestimmter Weise abgegeben hat,
qui aura donné
des certificats, nicht in die Lage gebracht werden soll, mit
diesen ihn immerhin ihrer schriftlichen also feststehenden Form hal-
ber bindenden Erklärungen bei seiner eidlichen Deposition in
Widerspruch zu gerathen, oder der Gefahr ausgesetzt zu werden,
zur Vermeidung eines solchen Widerspruchs die Heiligkeit des Eides
zu verletzen;

Daß hiernach das vorliegende Seitens des Zeugen Schmit seiner vorgesetzten Behörde jedenfalls seinem Prinzipal gegenüber abgegebene, von ihm unterschriebene Protokoll über seine Wiffenschaft hinsichtlich der in Frage stehenden Thatsachen und über seine eignen, auf lettere bezüglichen Handlungen unzweifelhaft als ein Zeugniß im Sinue des Art. 283 der B. Pr.-O. anzusehen ist. Auf den von der verklagten Eisenbahngesellschaft gegen dieses Er kenntniß eingelegten Cassationsrecurs, welcher auf die Verlegung des Art. 283 der B. Pr.-D. gegründet wurde, erließ das Reichs-Oberhandelsgericht folgendes

Urtheil:

F. E, daß es zwar feststeht, daß der von der Caffationsklägerin als Zeuge vorgeschlagene Factor Theodor Schmitz in dem dem gegenwärtigen Rechtsstreite vorausgegangenen Rechercheverfahren Seitens des Controleurs der Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft über die in Streit befangenen Thatsachen vernommen worden ist und seine protocollarische Aussage unterschrieben hat;

Daß aber die Cassationsklägerin in Gemäßheit des abgeschlossenen Transportvertrags beziehungsweise des hier anwendbaren Eisenbahn-Betriebs-Reglements vom 10. Juni 1870 Lit. B. § 19 alin. 4 verpflichtet war, nach erfolgter Reclamation des Caffationsbeklagten wegen der an geblich in Verlust gerathenen Sendung Kohlen Recherchen anzustellen und dem Berechtigten actenmäßige und genaue Mittheilungen über das Ergebniß der Nachforschungen zu machen;

Daß die Caffationsklägerin mithin nur in Folge einer ihr obliegenden Verbindlichkeit die Vernehmung ihres Factors Schmit eintreten ließ, und der Lettere mit Rücksicht auf seine dienstliche Stellung zur Cassationsflägerin der protocollarischen Vernehmung und der Unterschrift des Protocolls sich nicht entziehen konnte;

-

J. E., daß ganz abgesehen von der Frage, ob die Unterzeichnung des in einem derartigen Rechercheverfahren errichteten Protocolls überhaupt als ein schriftliches Zeugniß angesehen werden kann, jedenfalls derjenige, welcher in solcher Weise zur Zeugnißablage verpflichtet ist, und dieser Verbindlichkeit in regelmäßiger Weise nachkommt, unzweifelhaft kein Certificat im Sinne des Art. 283 der B. Pr.-O. ausstellt;

Daß mithin der Vernehmung des Zeugen Schmitz in dem obschwe benden Rechtsstreite die gedachte protocollarische Erklärung nicht entgegensteht;

Daß der vorige Richter, indem er den Art. 283 der B. Pr.-D. allgemein dahin interpretirt, daß, wer immer eine schriftliche Erklärung über die auf den Prozeß bezügliche Thatsache in bestimmter Weise abgegeben

habe, als Zeuge reprochabel, und daher nach Art. 283 cit. die Vernehmung des Zeugen Schmit unstatthaft sei, die angeführte Gesetzesbestimmung verlegt hat;

Aus diesen Gründen

caffirt das Reichs-Oberhandelsgericht, zweiter Senat, in contumaciam erfennend, das Urtheil des Königlich Preußischen Handelsgerichts zu Crefeld vom 29. Januar 1875, verordnet die Beischreibung dieses Urtheils am Rande des cafsirten, sowie die Rückgabe der Succumbenzgelder und verurtheilt den Caffationsbeklagten in die Kosten dieses Verfahrens;

Sodann in der Sache selbst erkennend, verwirft es aus den obigen Gründen die wider den Zeugen Theodor Schmitz erhobene Reproche und verweist die Sache zum weiteren Verfahren zurück an das Handelsgericht zu Crefeld.

Reichs-Oberhandelsgericht. Sizung vom 5. Januar 1876.
Ref.: H. R.-Ob.-H.-G.-Rath Buff.

Concl.: H. A.-G.-Rath Dr. Dreyer, als Vertreter der Staats-
anwaltschaft.

Rechtsanwalt: Horch.

Alimentationspflicht der Kinder. - Theilbare Verbindlichkeit. - Beiladung der Mitverpflichteten. Die Verbindlichkeit mehrerer Kinder zur Alimentation ihrer Hülfsbedürftigen Eltern vertheilt sich unter dieselben nach dem Verhältnisse ihrer Leistungsfähigkeit und cefsirt gänz lich rücksichtlich derjenigen Kinder, welche nach ihren Vermögens- und Erwerbsverhältnissen zur Entrichtung eines Beitrags zu der erforderlichen Alimentenfumme außer Stande sind, so daß alsdann die übrigen leistungsfähigen Kinder den Gesammtbetrag der erforderlichen Alimente nach dem Verhältniß ihrer Leistungsfähigkeit aufzubringen haben.

Wenn das von den hülfsbedürftigen Eltern auf das Ganze der benöthigten Alimente allein belangte Kind behauptet, daß die Leistungsfähigkeit der übrigen Kinder oder einzelner derselben eine Vertheilung der Alimentationspflicht rechtfertige, und in dieser Beziehung den Beweis erbietet, so steht der Zulassung eines solchen Beweises der Umstand nicht entgegen, daß das allein in Anspruch genommene Kind die Beiladung seiner Geschwister zum Prozesse unterlassen hat.

Püt-Püt.

Der jetzige Rentner, frühere Weber Heinrich Püß zu Aachen ist der eheliche Sohn des ebendaselbst wohnenden Webers Joseph Püt. Unter Archiv, 67. Bd. II. bth. A.

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der Behauptung, daß er in Folge allgemeiner Körperschwäche und Gliederzitterns unfähig geworden sei, sein Weberhandwerk oder überhaupt Arbeiten regelmäßig zu verrichten, um mehr als 1 Thlr. per Woche zu verdienen, was zu seinem, seiner 61-jährigen Frau und seiner bei ihm wohnenden 19-jährigen Tochter Unterhalt nicht ausreichte, hat der Letztere gegen seinen Sohn Heinrich Klage mit dem Antrage erhoben,

den Verklagten kostenfällig zu verurtheilen dem Kläger wöchentlich vom Tage der Klage an eine Summe von 7 M. praenumerando zu zahlen.

In der Klage wurde bezüglich der Vermögensverhältnisse des Sohnes zugleich angeführt, daß derselbe zwei Häuser in der Felsgaffe zu Aachen befize, für welche er an täglicher Miethe, täglich vor 10 Uhr Morgens zu zahlen, 22 M. beziehe, außerdem in diesen Häusern nur der vom Verklagten gelieferte Wein verkauft werden dürfe; daß letterer ein ihm ebenfalls gehöriges Haus in der Joseph-Straße mit 13 3immern bewohne, und keine Kinder habe, so daß die Forderung des Klägers sich als eine mäßige und auf eine auch für den Verklagten nur mäßige Leistung gerichtete darstelle.

Der Verklagte wandte ein, daß sein Vater noch 8 Kinder habe, welche in der Lage seien, gleichfalls für ihn sorgen zu können, und die Klage deshalb nicht gegen ihn allein habe erhoben werden dürfen. Er bestritt sodann aber auch die Hülfsbedürftigkeit seines Vaters und die bezüglich feiner eignen Vermögensverhältnisse in der Klage aufgestellten Behaup tungen.

Das Königl. Landgericht zu Aachen ließ zunächst durch Urtheil vom 22. Januar 1874 den Kläger zum Beweise durch Zeugen und durch einen Sachverständigen über seine eigene Arbeitsunfähigkeit und die Vermögens. verhältnisse des Verklagten zu, und verurtheilte sodann, nach Aufnahme dieses Beweises durch ferneres, in contumaciam gegen den nicht mehr aufgetretenen Anwalt des Verklagten erlassenes Urtheil vom 30. Juli 1874, den Verklagten: dem Kläger wöchentlich ein Alimentations-Quantum von 7 M. praenumerando und zwar vom Tage der Klage an gerechnet zu zahlen, legte demselben auch die Kosten zur Last.

Die von dem Verklagten eingelegte, und auf das Erbieten des Be weises der Leistungsfähigkeit der übrigen Geschwister gestützte Opposition wurde von dem Königl. Landgerichte durch Urtheil vom 7. November 1874 verworfen.

Der Verklagte appellirte. Er wiederholte in zweiter Instanz den Präjudicialeinwand erster Instanz: daß die Klage nicht gegen ihn allein, sondern zugleich gegen seine 8 Geschwister habe gerichtet werden müssen, und das Beweiserbieten über die eine Betheiligung derselben an der Alimentation des Vaters gestattenden Verhältnisse seiner Geschwister.

Der Königl. Appellationsgerichtshof zu Köln hat jedoch durch sein Erkenntniß vom 10. Juni 1875 die eingelegte Berufung mit Strafe und Kosten verworfen.

Verklagter hat den Caffationsrecurs ergriffen und Verlegung der Art. 205, 208-211, 1197, 1200, 1202, 1203, 1213, 1217, 1218, 1220, 1222, 1225 B. G.-B. gerügt.

Nach der Ausführung des Cafsationsgesuchs beruhten die vom Appell richter unberücksichtigt gelaffenen Anträge auf der bereits in der ersten Instanz ausgeführten Rechtsansicht, daß der Cassationskläger bei der Existenz leistungsfähiger Geschwister nicht allein auf das Ganze belangt

werden könne, und hätte der Appellrichter durch seine Entscheidung die Natur der den Kindern den Eltern gegenüber obliegenden Alimentationsverbindlichkeit verkannt. Das Caffationsgesuch erwähnt sodann die bezüglich des Umfangs und der Bedeutung dieser Verbindlichkeit bestehenden verschiedenen Rechtsansichten und glaubt, daß der Appellrichter sich der Ansicht von Duranton angeschlossen habe, nach welcher der Vater jedes feiner Kinder in totum belangen könne, dieses aber berechtigt sein soll, die übrigen Kinder beiladen zu lassen, worauf dann die Verurtheilung pro rata erfolgen müsse. Das Caffationsgesuch sucht alsdann diese Ansicht zu widerlegen und die Ansicht derjenigen als die rechtlich zutreffende nachzuweisen, nach welcher die Verpflichtung mehrerer in gleichem Grade stes hender Verwandten zur Zahlung von Alimenten weder eine solidarische noch eine untheilbare set. Die Verbindlichkeit könne daher so wird ausgeführt auch nicht zunächst so behandelt werden, als sei sie eine solidarische und untheilbare, dies geschehe aber, wenn man dem auf das Ganze Belangten die Beiladung der übrigen Kinder überlasse.

Der Verklagte könne hierzu nicht für verpflichtet erachtet werden, dieselbe sei vielmehr eventuell die Sache des Klägers. Die Klage sei, so wird schließlich ausgeführt, nicht gehörig substanziirt, und müsse, wenn dem Caffationskläger der in zweiter Instanz erbotene Beweis auch nur zum Theil gelinge, angebrachtermaßen abgewiesen werden.

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Jedenfalls könne Caffationskläger nur im Sinne seines eventuellen Antrags Verurtheilung erleiden, welcher nach den Qualitäten des angegriffenen Urtheils dahin ging: dem Verklagten zu beurkunden, daß er bereit sei, die Hälfte des dem Kläger nach richterlichem Ermessen, aber unter dem Betrage von 7 Mark pro Woche festzuseßenden Alimentationsbetrages zu zahlen; alle weiter gehenden Anträge des Klägers abzuweisen.

Der Caffationsverklagte hat dem Cassationsgesuche widersprochen. Er führt aus: der Appellrichter habe sich so wenig wie das Landgericht über die Frage ausgesprochen, ob die mehreren Kinder für die Alimentation des derselben bedürftigen Vaters solidarisch oder nur pro rata haften, ob die Verpflichtung zur Gewährung der Alimente eine untheilbare sei oder nicht. Die Vorderrichter hätten eine Erörterung der von dem Cassationsfläger aufgestellten thatsächlichen Behauptungen vielmehr nur darum abgelehnt, weil ohne Beiladung der übrigen Kinder eine Feststellung ihrer Leistungsfähigkeit und des Maßes ihres Beitrags nicht erfolgen könne. Dieser Entscheidungsgrund werde nicht hinfällig, wenngleich die mehreren Kinder ihren Vater nur antheilig zu alimentiren hätten. Denn unter allen Umständen habe diese Verpflichtung die Eigenthümlichkeit, daß das leistungsfähige Kind die Verpflichtung ganz zu erfüllen hat, wenn die übrigen nicht leistungsfähig sind.

Die Verpflichtung könne also nicht als eine das einzelne Kind pro rata treffende behandelt werden. Da das nicht leistungsfähige Kind überhaupt keine Verpflichtung habe, so könne der Vater nicht verpflichtet sein, feine Klage gegen die seiner Ansicht nach nicht leistungsfähigen Kinder mitzurichten. Gerade auf der entgegengesetzten Annahme, daß die Verpflichtung eine von Haus aus getheilte sei, beruhe aber die gegenseitige Ausführung, insbesondere die Behauptung, daß der Vater die übrigen Kinder mitzubelangen gehabt habe. Die angefochtene Entscheidung sei daher nicht darauf zurückzuführen, daß der Appellrichter eine solidarische Verpflichtung der mehreren Kinder oder eine Untheilbarkeit ihrer Ver

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