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Handelsgerichts zu Elberfeld vom 19. Dezember 1874 annehmen und unter Abänderung dieses Urtheils die durch Gerichtsvollzieherakt vom 18. Juni 1874 erhobene Klage als bei incompetenter Stelle angebracht abweisen, auch den Appellaten die Kosten beider Instanzen zur Last legen und die Rückgabe der in appellatorio hinterlegten Strafgelder verordnen.

Seitens der Caffationsverklagten wurde entgegnet:

Rechtlich zutreffend sei, was der Appellationsrichter über die Bedeutung des Art. 275 des H.-G.-B. ausführe, der in der That sich nur auf Verträge beziehen könne, die ein Immobile unmittelbar zum Gegenftande hätten. Auf die Ablehnung des Vorschlages wegen der Miethkontrakte, von welchem der Appellationsrichter spreche, sei offenbar der Standpunkt des Landrechts und anderer Partikular-Geseze, welche dem Miether ein wirkliches dingliches Recht zugeständen, nicht ohne Einfluß geblieben. Nach landrechtlichen Grundsätzen seien sie Verträge über Immobilien im strengsten Sinne des Worts. Es würde auch kaum eine Grenze geben, wenn man Verträge, welche nur mittelbare Beziehungen zu Immobilien hätten, der Vorschrift des bezogenen Art. 275 unterwerfen wolle. Wenn die Caffa. tionsklägerin den Versuch mache, den streitigen Vertrag als einen solchen zu qualificiren, der Immobilien direkt betreffe, so müsse dieser Versuch an der unanfechtbaren thatsächlichen Feststellung des Appellationsrichters scheitern. Daß die Unterscheidung des Appellationsrichters zutreffend sei, ergebe sich auch aus den Urtheilen des Reichsoberhandelsgerichts, Bd. IX. S. 12, Bd. XIII. S. 342 und 423. Da die Caffationsklägerin Kaufmann sei, so würde schon die Vorschrift des Art. 274 des H.-G.-B. in Verbindung mit der Thatsache, daß die Caffationsklägerin die ihr entgegenstehende Präsumtion nicht widerlegt habe, die getroffene Entscheidung rechtfertigen. Es beseitige aber auch die thatsächliche Feststellung des Appellationsrichters, daß das fragliche Geschäft als Ankauf von Gegenständen mobilarer Natur zum Zwecke des Transportbetriebes und Vergebung von Arbeiten, welche den Transportbetrieb ermöglichten, zum Betriebe des Handelsgewerbes der Caffationsklägerin gehörig sei, jeden Angriff im Wege des Caffationsrekurses.

Beantragt wird:

Den eingelegten Rekurs als unbegründet zu verwerfen und der
Caffationsklägerin die Kosten zur Laft zu legen.
Es erging hierauf folgendes

Urtheil:

J. E., daß nach Art. 47 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuche die Handelsgerichte für Rechtsstreitigkeiten über Verbindlichkeiten eines Kaufmanns aus seinen Handelsgeschäften zuständig sind, die vor. liegende Klage aus dem Verdingungsvertrage vom 10. Dezember 1864 gegen die Caffationsklägerin erhoben worden ist, und es sich daher fragt, ob letztere durch den Abschluß desselben ein Handelsgeschäft gemacht hat; Daß bei der Prüfung dieser Frage, da es sich hier von der Competenz handelt, dem Caffationsrichter die freie Beurtheilung des Thatsächlichen zusteht;

J. E., daß zufolge Art. 1 und 5 des genannten Vertrages der Caffa tionsverklagte Bauunternehmer Koch die Ausführung der zur Anlage der Verbindungsbahn zwischen Hengstet und Holzwickede auf der Strecke von Station Nr. 311,6 bis Nr. 420,2 erforderlichen in dem angehefteten Massen

und Preisverzeichnisse näher bezeichneten Erd-Planirungs- und BefestigungsArbeiten, ferner die Erbauung der auf dieser Strecke noch erforderlichen Brücken-Bauwerke und etwa nöthig werdenden Futtermauern, endlich die Ausführung der bergmännischen und der Maurer- und Steinhauer-Arbeiten zur Herstellung des Tunnels bei Ostberge unter den angehefteten allgemeinen und Spezial-Bedingungen für die nach dem Umfange der veranschlagten Massen berechnete Entreprise-Summe von 310,000 Thlr, die jedoch nach den in den Bedingungen und dem angehefteten Massen- und Preisver zeichnisse enthaltenden Vorschriften den wirklichen Leistungen entsprechend bei der Abrechnung anderweit festgesezt wird, übernimmt;

Daß es sich hier also von einem einheitlichen Vertrage handelt, der, wie das auch in dem angefochtenen Urtheile nicht verkannt wird, auf Her stellung des Bahnkörpers für die genannte Strecke, einschließlich der an gegebenen Zubehörungen, also auf die Herstellung einer unbeweglichen mit dem Grund und Boden verbundenen Anlage gerichtet war;

Daß namentlich hervorzuheben, daß der Vertrag eine Lieferung von Baumaterialien als solchen d. h. als beweglichen Sachen nicht stipulirt, dieselben vielmehr nur als Verwendungen zur Bahnanlage und deren Bestandtheile in Betracht kommen;

Daß somit der fragliche Vertrag auf Seiten der Cassationsklägerin nicht, wie der Appellationsrichter annimmt, als eine conductio operarum und Ankauf von beweglichen Sachen, sondern als eine locatio operis, die In-Berdinggabe einer unbeweglichen Anlage, zu welcher der conductor einen Theil des Materials stellt, sich charakterisirt;

Daß nun der Appellationsrichter zwischen Verträgen, deren unmittelbarer Gegenstand ein Immobile sei, und solchen die nur Bezug auf ein Immobile hätten, unterscheidet, den Vertrag vom 10. Dezember 1864 aber weil, wie er ausführt, das eigentliche und unmittelbare Objekt desselben Arbeiten und Materiallieferungen bildeten, welche erst mittelbar durch Verbindung mit einem Immöbel die Immobilar-Qualität annähmen, zu den letzteren zählen, und deshalb die Bestimmung des Art. 275 des H.-G.-B. auf denselben nicht anwenden will;

Daß es aber bei der Frage nach dem Objekte eines Verdingungsvertrages der vorliegenden Art nicht auf die einzelnen Arbeiten und Materiallieferungen, sondern auf das herzustellende und als ein Ganzes abzu liefernde Werk, für welches jene die Ausführungsmittel bilden, ankommt, und namentlich auch die Fassung des bezogenen Art. I des Vertrages, welcher von der Uebernahme der zur Anlage der Verbindungsbahu u. f. w. erforderlichen Erd-Planirungs- und Befestigungs-Arbeiten spricht es nicht rechtfertigen kann, diese Arbeiten als den unmittelbaren Gegenstand des Vertrages, die Anlage selbst aber als das entferntere Objekt, auf welches derselbe nur Bezug habe, anzusehen;

Daß es auch an jeder näheren Ausführung dafür fehlt, wie die Auffaffung des Appellationsrichters in den von den Cassationsverklagten bezogenen Urtheilen des Reichs-Oberhandelsgerichts eine Stüße finde;

F. E., daß die auf der Natur der Immobilien beruhende Vorschrift des Art. 275 des H.-G.-B., nach welcher Verträge über unbewegliche Sachen keine Handelsgeschäfte sind, ganz allgemein lautet, und daher auf alle Verträge, welche Immobilien, seien es bereits vorhandene oder erst herzustellende zum Gegenstande haben, Anwendung finden muß;

Daß für diese Auffassung des Gesetzes auch der Umstand von Be deutung ist, daß der im Art. 2 Nr. 6 des Preußischen Entwurfs zum

Handelsgesetzbuche enthaltene Sat, daß derjenige als Kaufmann anzusehen sei, der gewerbmäßig Bauten unternehme, cfr. Motive S. 8 schon bei der ersten Lesung keine Aufnahme gefunden hat, und auch in den bezüglichen Vorschlägen des Referenten zur zweiten Lesung nicht weiter vorfommt, während auf den Antrag desselben die mit dem Art. 275 cit. gleichlautende Nummer 4 des Art. 211 jenes Entwurfs unter Beseitigung der in der ersten Lesung angenommenen Beschränkung wieder hergestellt und demnächst Gesetz geworden ist;

Daß nach alle diesem anzunehmen, daß der mehrbezogene Vertrag vom 10. Dezember 1864 unter die Bestimmung des Art. 275 des H.-G.-B. fällt;

J. E., daß der vom Appellationsrichter angerufene Art. 273 cit. in seinem alinea 1 den Grundsatz ausspricht, daß alle Geschäfte eines Kaufmanns, welche zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören, als Handelsgeschäfte anzusehen sind;

Daß das alinea 2 deffelben von diesem Grundlage bezüglich der Anschaffung von Geräthen, Material und anderen beweglichen Sachen, welche bei dem Betriebe des Gewerbes unmittelbar benutzt oder verbraucht werden sollen, Anwendung macht;

Daß immerhin Verträge über Jmmobilien, die gesetzlich Art. 275 cit. von dem Kreise der Handelsgeschäfte ausgeschlossen sind, auch auf Grund der Art. 273 und 274 loco cit. als solche nicht angesehen werden können; daß hiernach von dem Appellationsrichter, wenn derselbe aus dem fraglichen Berdingungsvertrage die Zuständigkeit des Handelsgerichts in der gegenwärtigen Sache hergeleitet hat die Art. 273 und 275 des H.-G.-B. und den Art. 47 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zu demselben verlegt sind, das Urtheil desselben daher der Cassation unterliegt, zur Sache selbst aber die Jukompetenz des angerufenen Handelsgerichts auszusprechen ist;

Aus diesen Gründen

kaffirt das Königl. Ober-Tribunal, fünfter (Rheinischer) Civilsenat, das Urtheil des Königl. Appellationsgerichtshofes zu Köln vom 30. April 1875, verordnet die Beischreibung dieses Urtheils am Rande des kassirten, sowie die Rückgabe der hinterlegten Succumbenzgelder und legt den Caffationsverklagten die Kosten zur Last; weist sodann auf die Berufung der Cassationsklägerin erkennend, anter Reformation des Urtheils des Handelsgerichts zu Elberfeld vom 19. Dezember 1874, die durch Gerichtsvollzieheraft vom 18. Juni 1874 erhobene Klage als zur inkompetenten Stelle angebracht ab, und legt den Appellaten die Kosten beider Instanzen zur Laft, verordnet endlich die Rückgabe der in appellatorio hinterlegten Strafgelder.

Sizung vom 11. April 1876.

Ref.: H. G. Ob.-Trib.-Rath_Wulfert.
Concl.: H. Staats-Prokurator Hamm.
Advokaten: Dorn Mede.

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Mit der Ankunft und Stillestellung eines Eisenbahnzuges an der Endstation erreicht der durch denselben vermittelte

Betrieb im Sinne des §. 1 des Reichsgesetzes vom 7. Juni 1871 nicht nothwendig sein Ende.

Der Unfall, welchen ein Bremser nach diesem Zeitpunkte, jedoch vor dem Verlassen des Zuges in Ausübung seines Dienstes erleidet, ist als ein solcher anzusehen, welcher beim Betriebe der Eisenbahn stattgefunden hat.

Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft

Stein.

Gegen das in diesem Bande I. Abtheilung Seite 15 abgedruckte Urtheil des Appellationsgerichtshofs hat die Appellantin den Cassationsrefurs ergriffen, indem sie Verlegung des §. 1 des Reichsgesetzes vom 7. Juli 1871 behauptet, und zu deffen Begründung ausgeführt;

Der Appellationsgerichtshof verleze durch seine Argumentation den §. 1 in der Richtung, als er von der Ansicht ausgehe: es fomme_nicht darauf an, ob der Unfall des Beschädigten im ursachlichen Zusammenhange mit der dem Eisenbahnbetriebe eigenen Gefahr stehe; er dehne damit die Haftpflicht ungebührlich aus; der ursachliche Zusammenhang mit der dem Eisenbahnbetriebe eigenthümlichen Gefahr müsse als Criterium der Haftung gelten.

Es wurde beantragt:

das Urtheil zu cassiren und in revisorio unter Abänderung der erstinstanzlichen Urtheile die erhobene Klage abzuweisen.

Hierauf wurde erwidert:

"

Das Urtheil stelle ohne Rechtsirrthum fest, daß der Caffationsvers flagte beim Betriebe" verletzt worden sei, darnach hätte die Caffationsflägerin höhere Gewalt oder eigenes Verschulden des Verletzten zu begründen gehabt. Der Appellationsrichter nehme auch nicht an, daß überhaupt keine der dem Eisenbahnbetriebe eigenen Gefahren vorhanden gewesen, er lehne nur die Untersuchung ab, ob solche Gefahrer in höherem oder niederem Grade vorhanden gewesen.

Es wurde Verwerfung des Cassationsrekurses beantragt. Das Reichs-Oberhandelsgericht erkannte diesem Antrage gemäß durch folgendes

Urtheil:

3. E., daß bei richtiger Auslegung des §. 1 des Haftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 ein Unfall dann als beim Betriebe der Eisenbahn eingetreten anzusehen ist, wenn er bei der Vorbereitung, der Durchführung oder dem Abschlusse des Betriebes sich ereignet hat, und nach den Umständen mindestens ein mittelbarer Zusammenhang desselben mit der dem Eisenbahnbetriebe eigenthümlichen besonderen Gefährlichkeit sich als möglich darstellt;

Daß es dagegen eine dem Wortlaute und Sinne des Gesetzes widerstreitende Einschränkung desselben wäre, und die Eisenbahnverwaltungen von dem ihnen obliegenden Beweise der höheren Gewalt oder des eigenen Verschuldens des Verletzten befreite, wenn neben der Feststellung, daß eine Verletzung in dem angegebenen Sinne beim Betriebe entstanden, noch die weitere gefordert würde, auf welche bestimmte, mit dem Betriebe verbundene Gefahr der einzelne Unfall in höherem oder geringerem Maaße zürückzuführen sei;

Daß nun das angegriffene Urtheil_in zutreffender, keineswegs rechtsirrthümlicher Weise festgestellt hat, daß der Caffationsverklagte die Verletzung im Dienste der Cassationsklägerin vor Abschluß des Eisenbahnbetriebes und zu einer Zeit erlitten hat, in welcher die mit diesem verbundene Ge= fährlichkeit noch als wirkende Ursache unterstellt werden kann, und sodann ausführt, daß es hiernach einer weiteren Untersuchung nicht bedürfe, ob diefe eigenthümliche Gefahr in höherem oder geringerem Maaße noch vorhanden war;

Daß aber hiermit das Appellationsgericht die Bedeutung des §. 1 des Gesetzes vom 7. Juni 1871 nicht verkannt hat, das Urtheil vielmehr mit der seitherigen Rechtsprechung des Reichs-Oberhandelsgerichts im Einflange steht und daher die erhobene Rüge ungegründet erscheint;

Aus diesen Gründen

verwirft das Reichs - Oberhandelsgericht, zweiter Senat, den gegen das
Urtheil des Königl. Preußischen Appellationsgerichtshofes zu Köln vom 2.
Juni 1875 eingelegten Cassationsrecurs mit Strafe und Kosten.
Reichs-Oberhandelsgericht. Sitzung vom 17. Mai 1876.
Ref.: H. R.-Ob.-H.-Ger.-Rath Dr. Dreyer.
Concl.: H. Staatsanwalt Dr. Hambrook.
Rechtsanwälte: Jllgner Mede.

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Fenstergerechtigkeit. Erfitung.

Begründet das Bestehen einer bezüglich des Nachbars gesezwidrigen Fensteröffnung (Art. 676-680 Code civ.) in der eigenen Mauer nur den Besit der Freiheit des Eigenthums oder aber den Befiß einer Servitut?

Enthält diese Servitut das Recht, dem Nachbar solche Bauten zu verbieten, welche den Zweck der Fenster, Luft, Licht und Aussicht zu verschaffen, wesentlich beeinträchtigen, und unter welchen Voraussetzungen ist ein solches Recht anzunehmen? *)

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Hinter dem Gehöft des Schusters R. zu Zabern befindet sich ein nicht 6 Fuß breiter Zwischenraum, an welchen einerseits die Gebäulichkeiten des R., anderseits die Scheune und Stallung des Gastwirths M. angrenzen. Im Sommer 1874 erhöhte M. seine Bauten um 3 Meter, weßhalb R. Befitstörungsklage erhob, behauptend, es werde ihm durch den Neubau das Licht in seiner Werkstätte entzogen. In zwei Instanzen wurde seinem Antrage gemäß erkannt und der gegen das Urtheil zweiter Jnstanz erhobene Caffationsrecurs verworfen aus folgenden Gründen:

*) Abgedruckt aus den Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts Bd. XVIII S. 249.

Archiv 67. Bd. II. Abth.

6.

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