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Absatz 3 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 gewährte Desterreich das Besatzungsrecht, droit de garnison, in Ferrara und Comacchio1). Neber das Besaßungsrecht der Schweiz in den Bezirken Chablais und Faucigny vergl. o. S. 8 ff., über die Besaßungsrechte in den deutschen Bundesfestungen v. S. 153 ): Die Besaßungsrechte in den deutschen Bundesfestungen sind durch die Ereignisse von 1866, wo Desterreich aus dem deutschen Bunde ausschied, und in Folge des Art. 5 der Londoner Konferenz vom 11. Mai 1867), der die Schleifung der Befestigungen Luxemburgs anordnete, vor allem aber durch die Gründung des deutschen Reiches gegenstandslos geworden.

Die Frage, ob die durch die seit 1867 von den kleineren deutschen Einzelstaaten mit Preußen abgeschlossenen Militär-Konventionen dem König von Preußen übertragenen Hoheitsrechte den Gegenstand von Staatsdienstbarkeiten bilden können, wird von Brie *) bejaht, soweit diese Konventionen unkündbar sind. Nach unserer Auffassung der Staatsservituten könnte selbstverständlich der Inhalt derselben nur soweit in Betracht kommen, als es sich um die dauernde unkündbare Uebertragung von Gebietshoheitsrechten also z. B. um die dauernde Dislokation preußischer Truppen in den Vertragsstaaten d. h. die Haltung von preußischen Garnisonen) in den Vertragsstaaten handelte. In der That kann das Rechtsverhältnis der Staatsservitut wohl Plaz greifen, da innerhalb des Rahmens der Reichsgesetzgebung den Einzelstaaten die ihnen verbliebenen Militärhoheitsrechte frei zur Verfügung stehen. Der Begriff der Staatsservitut hat aber bei diesen Rechtsverhältnissen wenig praktische Bedeutung, da über dem „zwischenstaatlichen Rechtsgeschäft“ das Rechtsverhältnis zwischen Reich und Einzelstaat sich erhebt.

1) Meyer: Staatsaften I. S. 201.

2) Martens N. R. II. 668 f. Meyer Staatsakten II. 179. Martens N. R. IV. S. 264. Meyer Staatsakten II. 191 f.

3) Staatsarchiv Band XIII. No. 2742 ff.

4) Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts herausg. von Stengel Artikel Staatsservituten" von Brie. S. 513 f.

5) Ueber den rechtlichen Charakter der Militärkonventionen vgl. Laband a. a. O. I. S. 520 ff. Hänel die vertragsmäßigen Elemente der deutschen Reichsverfassung S. 244 ff.

b) Militärische Durchzugsgerechtsame (droit d'étappe) durch fremdes Staatsgebiet. Diese Art von Staatsservituten hat im internationalen Rechtsverkehr in Folge des in unserer Zeit besonders scharf entwickelter Neutralitätsprinzips wenig praktische Bedeutung mehr.

Die Schweizer Eidgenossenschaft beansprucht von Frankreich eine Handels- und Militär-Straße durch das Gebiet von Chablais') kraft Art. 2 der Wiener Kongreßerklärung vom 29. März 1815. In großem Umfange bestanden Militärstraßen zwischen den Staaten des deutschen Bundes. Sie waren eine Folge der durch die Wiener Kongreßakte und den Frankfurter Territorialreceß vom 20. Juli 1819 geschaffenen unnatürlichen Gebietsgestaltungen.

Artikel 16 des Tilsiter Friedens vom 9. Juli 1807*) sagt: Pour les communications entre le royaume de Saxe et le duché de Varsovie Sa Majesté le Roi de Saxe aura le libre usage d'une route militaire à travers les possessions de S. M. le Roi de Prusse.

Art. 31 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 bestimmt: Sa Maj. le Roi de Prusse et S. M. le Roi du Royaume uni de la Grande Bretagne et d'Irlande, Roi d'Hanovre consentent mutuellement à ce qu'il existent trois routes militaires par leurs états respectifs3).

Durch die Artikel 6, 23 und 32 des Frankfurter Territorialrecesses vom 20. Juli 1819 wurden Bayern in badischem Gebiet, Preußen und Bayern in hessischem, Preußen in oldenburgischem Gebiet Militärstraßen stipuliert").

Eine Sammlung sämtlicher Etappenrechte und -Lasten Preußens gibt v. Rohrscheidt: Preußens Staatsverträge 5).

Der wesentliche Inhalt dieser Durchmarsch- und Etappenrechte besteht in der Befugnis des berechtigten Staats bewaffnete Truppen durch das Gebiet des verpflichteten marschieren zu lassen und der

1) Vergl. Blumer a. a. D. S. 397 ff. Politisches Jahrbuch der Schweizer Eidgenossenschaft 1887 . 704.

2) Meyer Staatsakten I. 137 ff. 3) Meyer a. a. O. I. 162 ff. 4) Meyer a. a. O. I. 299 ff.

5) Fr. Wilh. v. Rohrscheidt: Preußens Staatsverträge Berlin 1852.

Verpflichtung des lezteren, diesen Truppen gegen Entschädigung Quartier und Verpflegung zu gewähren. Die Modalitäten dieser Rechtsverhältnisse sind durch besondere Durchmarsch- und Etappenkonventionen bis ins Einzelne geregelt').

Die zwischen den Staaten des deutschen Bundes bestehenden Militärstraßen und Etappenrechte sind teils in Folge der im Jahr 1866 eingetretenen Gebietsveränderungen durch confusio untergegangen, teils sind sie durch die Gründung des deutschen Reiches, das nunmehr militärisch ein einheitlich organisiertes Gebiet darstellt, gegenstandslos geworden.

c) Das Recht eines Staates ein gemeinschaftliches Meer ausschließlich mit den eigenen Kriegsschiffen zu befahren.

Dahin ist zu rechnen das durch Art. 5 des Vertrags zwischen Rußland und Persien vom 12. Oktober 18152) Rußland eingeräumte und in Art. 8 des Friedensvertrags vom 22. Februar 1828 3) bestätigte Recht, das Kaspische Meer „ausschließlich wie bisher“ mit seinen Kriegsschiffen zu befahren. In dieselbe Kategorie gehören auch die Befugnisse Desterreich-Ungarns bezüglich der türkischen Häfen Klek und Sattorina in Dalmatien *).

2. Negative oder passive Staatsservituten.

a) Die Nichtbefestigung gewisser Grenzstriche 5). Servitutrechte dieser Art sind nicht selten im internationalen Verkehr. Im Frieden von Utrecht vom 11. April 1713 Art. 9 versprach Frankreich die Festung Dünkirchen zu schleifen und nie wieder aufzubauen ®). Kraft Art. 6 des Friedens von Luneville vom 9. Febr. 1801 übernahm das

1) Vergl. darüber die Konventionen Preußens in Rohrscheidts Sammlung z. B. S. 167-174, 183-185, 187-188, 263-269, 358-364, 389-391, 402–406 u. s. w.

2) Martens N. R. IV. 89 ff. 3) Martens N. R. VII. 564. 4) Im einzelnen siehe Martens N. R. G. II. Sér. tom III. S. 22 ff. F. v. Martens-Bergbohm a. a. D. S. 371, v. Holzendorff a. a. O. II. S. 462 f.

5) Ueber die Verhältnisse im alten deutschen Reiche s. Moser Nachbarl. Staatsrecht III. 8. Engelbrecht a. a. D. S. II. membr. II. § 27 f. 6) Martens N. R. G. X. 336; ein Beispiel aus früherer Zeit findet sich bei Ghill any a. a. D. I. S. 114 ff.

deutsche Reich Frankreich gegenüber die Verpflichtung, mehrere feste Plätze diesseits des Rheins insbesondere Philippsburg und Kehl in ihrem demolierten Zustande zu belassen1).

Ueber die Befestigungen von Hüningen vergleiche oben S. 15 f.). Weitere Staatsservituten dieser Art wurden geschaffen durch Art. 3 des Friedensvertrags von Adrianopel vom 14. Sept. 1829 3), durch die Art. 13 und 33 des Pariser Vertrags vom 30. März 1856*).

Eine ganze Reihe von Verpflichtungen dieser Art schuf endlich die Berliner Kongreßakte vom 13. Juli 1878 in Art. 11, 29, 525). b) Wüstlegung gewisser Grenzdistrikte.

Eine Stipulation dieser Art machte der Artikel 3 des Friedens von Adrianopel vom 14. Sept. 1829 zu Ungunsten der Türkei o).

c) Die Neutralisierung von Gebieten und Gebietsteilen.

Durch eine Deklaration vom 20. März 1815 bestätigt durch Art. 84 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 wurde die Schweiz für ewig neutral erklärt').

Ueber die Neutralisierung von Chablais und Faucigny vergleiche oben S. 8 ff.

Der Seperatvertrag vom 15. Nov. 1831 - Art. 7 und der Vertrag vom 19. April 1839 Art. 7 erklärten Belgien gleich

falls für ewig neutralisiert®).

Dasselbe geschah bezüglich Luxemburgs durch Art. 2 des Ver

trags vom 18. Mai 18679).

1) Ghillany a. a. D. I. 281.

2) Außerdem Meyer a. a. O. I. 224; Ghillany a. a. D. I. 386. 3) Ghillany a. a. D. II. 247 ff.

4) Martens N. R. G. XVIII. 445 vergl. auch N. R. G. XV. S. 788. 5) Das Staatsarchiv. Aegidi- Khau hold Bd. 34, 277 ff.

6) Ghillany a. a. D. II. 247 ff. Der Tert des Vertrags findet sich in Martens N. R. VIII. 143.

.

7) Martens N. R. t. II. S. 157, siehe Geffen in v. Holzendorffs Handbuch IV. Das Prinzip der Neutralität. Rettich: Zur Theorie und Geschichte des Rechts zum Kriege S. 150 ff. Retticha. a. O. S. XVIII. S. 445.

8) Geffen a. a. D.
9) Martens N. R.

Martens N. R. XI. 394.

Ueber die Neutralisierung

Als ein Beispiel gegenseitiger Neutralisierung ist zu betrachten, das oben Seite 168 angeführte Rechtsverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ').

II. Wirtschaftliche Staatsservituten. Im Gegensatz zu den ersteren können diese -Servituten des Friedens genannt werden. Troß des friedlichen Charakters dieser Rechtsverhältnisse sind es aber gerade gewisse Servituten dieser Art, die wegen der häufig vorkommenden Meinungsverschiedenheiten den diplomatischen Apparat am häufigsten in Bewegung gesezt haben.

1. Affirmative.

a) Fischereirechte. Sie sind nicht nur die wirtschaftlich wichtigsten, sondern auch rechtlich interessantesten Staatsservituten. In der Geschichte traten insbesondere folgende Fischereigerechtsame hervor: Die Fischereirechte der Franzosen an der Küste von Neufundland ®); die Fischereirechte im Behringsmeeres), als vermeintliche Rechte der Nordamerikaner; endlich die Fischereirechte der Nordamerikaner an den englischen Küsten Nordamerikas *).

b) Auch forstliche Nuzungen in Verbindung mit Hoheitsrechten darüber können zu Staatsservituten werden. Vielgenannt in der völkerrechtlichen Litteratur ist das, durch den Pariser Frieden vom 10. Februar 1763 Art. 17 den Engländern von Seiten Spaniens eingeräumte Recht auf den Küsten von Honduras Kampeche Farbholz zu schlagen "). Sehr verbreitet waren die Jagdservituten

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Krakau's und des Kongostaats siehe die angeführten Werke, ebenso bezüglich der Jonischen Inseln.

1) Ueber die zollfreic Zone längs dem Kanton Genf vergl. Blumer a. a. D. S. 400-402. Politisches Jahrbuch der Schweizer Eidgenossenschaft 1887 S. 704-706.

2) Siehe darüber o. S. 17 ff.

3) Ueber diese Frage s. Russische Revue hg. von Hammerschmidt XX. Jahrgang 2. Heft 1891, S. 215-221 und das Staatsarchiv Band 52 S. 80-180.

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4) Wheaton a. a. D. S. 244-255. Heffter Geffcken a. a. D. S. 168 f. Note 6.

5) Ghillany I. S. 170. Joh. Christoph Wilh. v. Stect Essais sur divers sujets de politique et de jurisprudence 1779. Jer essai sur le

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