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sédentaires) wegräumen lasse. Wenn der König von England seine eigenen Unterthanen von der Fischerei an der Vertragsküste hätte ausschließen wollen, so hätte er diesen Ausschluß ausdrücklich hervorheben müssen, nicht bloß anordnen, daß seine Unterthanen durch ihre Konkurrenz die Fischerei der Franzosen nicht stören dürfen. Der Begriff des Störens durch die Konkurrenz ist freilich kein unzweideutiger; nach dem unzweideutigen Ausdruck der Deklaration vom 3. Sept. 1783 kann daraus aber niemals die Ausschließlichkeit der französischen Fischereirechte gefolgert werden, zumal der gemeinsame Fischfang der Engländer und Franzosen, die Konkurrenz der englischen Fischer ausdrücklich hervorgehoben sind.

Die Entscheidung über die aufgeworfene Frage dürfte daher dahin abzugeben sein, daß England kraft seiner Souveränetät über Neufundland an der Vertragsküste die Fischerei in Konkurrenz mit den Franzosen auszuüben berechtigt ist, jedoch nicht gleichberechtigt mit ihnen, da die Franzosen in der Ausübung ihrer Fischereirechte von den englischen Fischern nicht gestört werden dürfen. Der Begriff des Störens ist nur dahin auszulegen, daß die englischen Fischer keine établissements sédentaires errichten dürfen, während den Franzosen in dieser Beziehung keine Schranke gesezt ist.

Aus der strikten Interpretation der Staatsservitutverträge und der Regel, daß im völkerrechtlichen Verkehr Verzichte sich nicht vermuten lassen, ergibt sich auch die Lösung der anderen Frage, ob England dadurch, daß es den Franzosen gestattete an der Vertragsküste Fische zu trocknen und nach Bedarf Holz für die Gerüste und Fischerboote zu schneiden und versprach die beständig an Ort und Stelle verbleibenden englischen Fischereivorrichtungen wegzuräumen, sich auch verpflichtet habe, seinen Unterthanen die Errichtung von Bauten an der Küste überhaupt zu verbieten. Was unter établissements sédentaires zu verstehen sei, sagt die Deklaration nicht, aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch klar, daß nur solche Bauten zu verstehen sind, mittelst deren die Konkurrenz der französischen Fischer gestört würde, also Fischereivorrichtungen. England kann daher für seine Unterthanen nicht das Recht abgesprochen werden, an der Vertragsküste Bauten

zu errichten, die zu dem Fischereigewerbe in keiner Beziehung stehen.

Ganz bedingungslos möchten wir aber dieses Recht den Engländern nicht zusprechen, da die Engländer offenbar auch indirekt die französischen Fischer in der vollen Ausübung ihrer Rechte nicht stören" dürfen1).

Weitere Konsequenzen, die aus der strengen Auslegung der Verträge über Staatsdienstbarkeiten gezogen werden, sind folgende: Die analoge Ausdehnung des konstituierten Staatsservitutrechts ist unzulässig, da sie mit dem Wesen des beschränkenden Rechtes nicht vereinbar ist; es gibt also keinen Schluß von einem Hoheitsrechte auf ein anderes.

Dieser Grundsaß war von großer praktischer Bedeutung für die Staatsdienstbarkeitsverhältnisse unter den Einzelstaaten des alten deutschen Reiches. Hier war es nichts Seltenes, daß ländersüchtige Fürsten durch analoge Ausdehnung eines ihnen zustehenden Servitutrechts nicht nur einzelne Rechte, sondern selbst die Landeshoheit über gewisse Gebiete an sich zu reißen suchten 2).

Allein auch für die Gegenwart kann demselben die Anerkennung und praktische Wichtigkeit nicht abgesprochen werden. Das deutsche Reich hat durch den Frankfurter Frieden der Schweiz gegenüber die Servitut der Nichtbefestigung von Hüningen übernommen. Hat nun die Schweizer Eidgenossenschaft auch die Befugnis, die Beseßung der Stadt mit einer Garnison zu untersagen? Hilty sagt in dem politischen Jahrbuch der Schweizer Eidgenossenschaft): „Dagegen ist durch den Wortlaut der Klausel und die seitherige Praxis die Beseßung des entfestigten Städtchens Hüningen mit Garnison nicht ausgeschlossen. In der französischen lezten Zeit standen dort die zwei Regimenter Kürassiere, die nachmals als die „,cuirassiers de Reichshofen" befannt wurden." An diesem Zustand ist durch den Uebergang der Servitut auf das deutsche Reich nichts geändert worden. Auf Grund der Vertragsklausel kann Deutschland dieselbe Befugnis, wie sie Frankreich übte, nicht abgesprochen werden. Wenn das deutsche Reich, wie Hilty a. a. O.

1) Vergl. auch Russische Revue a. a. OD.

2) Siehe die Beispiele bei Engelbrecht a. a. O. Sect. II., membr. III. § 14-18. Darüber im allgemeinen Gönner a. a. D. § 81, Heffter a. a. D. S. 108 Note 13, H. A. Zachariä a. a. O.

3) Hilty a. a. O. S. 706 Note 3.

Clauß, Staatsdienstbarkeit.

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vermutet, eine Besezung von Hüningen mit Infanterie vornehmen würde, so könnte die Schweiz wie auch die Garantiemächte dagegen keinen Einspruch erheben.

Sind bei Staatsdienstbarkeiten mehrere Arten der Belastung oder Beschränkung möglich, so ist, wenn Zweifel darüber entstehen, welche derselben gemeint sei, immer nur die weniger schwerwiegende Belastung als gewollt anzunehmen1). Denn wenn eine Staatsgewalt eine derartige Last auf sich nimmt, so greift immer die Vermutung Plaz, daß sich dieselbe in möglichst geringem Umfang in der Ausübung ihrer Hoheitsrechte habe beschränken wollen; und der berechtigte Staat hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn der Vertrag zu seinen Ungunsten ausgelegt werden kann, da es seine Aufgabe gewesen wäre, die Rechte und Pflichten der einzelnen Kontrahenten klar zu stellen.

Auch dieser Grundsatz wurde im alten Reiche vielfach praktisch; das moderne Völkerrecht kann ihn aber auch kaum entbehren, da derartige Ungewißheiten und Zweifel auch im modernen Staatenverkehr nicht unmöglich sind.

Andererseits darf die strikte Auslegung der Verträge über Staatsservituten auch nicht in die äußersten Konsequenzen getrieben werden. Wenn man auch zugeben muß, daß ein Staat nur insoweit seiner Hoheitsrechte sich entäußern will, als er dies im Vertrag ausdrücklich zu erkennen gibt, so muß dem berechtigten Staat doch aus dem Recht zur Erreichung eines bestimmten Zweckes auch die Befugnis zu allen Mitteln zustehen die zur Realisierung jenes Zweckes unumgänglich notwendig sind 2).

Was die Art und Weise der Ausübung der Staatsdienstbarkeiten anbelangt, so wird von den meisten Schriftstellern analog dem privatrechtlichen Grundsaß, daß Servituten civiliter ausgeübt werden müssen, die Regel aufgestellt, daß Staatsservituten möglichst schonend auszuüben sind. v. Holzendorff sagt, daß der Billigkeit die Regel entspreche, daß solche wirtschaftliche Berechtigungen auf fremdem Boden schonend

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1) Gönner a. a. D. § 82. Heffter a. a. O. 108 Note 13.

2) Engelbrecht a. a. O. II., III. § 19. Gönner a. a. O. § 79 Ziffer 2.

ausgeübt werden und niemals das eigene Bedürfnis der zunächst beteiligten Grundbesißer beeinträchtigen dürfen“ 1). Heffter und Bulmerincq gehen noch weiter. Heffter lehrt: „Die Art der Ausübung kann nur eine möglichst unschädliche und eine solche sein, die mit der Verfassung des fremden Staates im Einklang steht. Eine entgegengesezte Konzession würde ungültig sein"). Bulmerincq sagt: „Die Art der Ausübung der Dienstbarkeit innerhalb des Gebietes eines fremden Staates muß den Bestimmungen der Verfassung dieses Staates nicht widersprechen und das Fortbestehen oder das gedeihliche Fortbestehen des verpflichteten Staates nicht hindern ).

So schön und wohlgemeint diese Säße sind, so hat die völkerrechtliche Praxis sich dieselben noch nicht zu eigen gemacht. So wünschenswert es vom politischen Standpunkt aus wäre, daß insbesondere die sog. wirtschaftlichen Staatsdienstbarkeiten möglichst schonend ausgeübt werden, so zeigt gerade hier die Geschichte, daß das Recht der Staatsservituten immer als ein strenges Recht behandelt wurde, daß sich die Staaten einseitig auf den Rechts, nicht auf den Billigkeitsstandpunkt gestellt haben. Ein lehrreiches Beispiel hiezu gibt die Neufundländer Fischereifrage. Als ein Postulat kann somit dieser Grundsag hingestellt werden, nicht aber als ein praktischer Rechtssaz.

Um so weniger noch können die weiteren von Heffter und Bulmerincq angeführten Säße als praktisches Recht bezeichnet werden; dieselben stehen nicht nur im Widerspruch mit der Praxis sondern auch mit dem Wesen der Staatsdienstbarkeit überhaupt. Das Verfassungsrecht entwickelt sich im Fluß der Verhältnisse, geänderte Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse erzeugen notwendig auch andere Verfassungsverhältnisse; das Staatsdienstbarkeits-Verhältnis mit seinem starren dinglichen Rechtscharakter kann diesen Aenderungen nicht folgen.

Allein auch abgesehen hievon können die genannten Säße keine rechtliche Geltung beanspruchen, da es im Wesen der Staatsdienstbarkeit liegt, daß das bezügliche Hoheitsrecht der Substanz nach aus der Herrschaftssphäre des verpflichteten Staates ausscheidet. Müßte man zu

1) v. Holzendorff a. a. O. S. 249. 2) Heffter a. a. D. S. 107. 3) Bulmerincq a. a. D. S. 289.

geben, daß die Art der Ausübung den Bestimmungen der Verfassung des belasteten Staates nicht widersprechen dürfe, so wäre die rechtliche Lage des berechtigten Staates eine ziemlich prekäre, das bezügliche Hoheitsrecht wäre dem Herrschaftswillen des belasteten Staates unterworfen, da derselbe durch Aenderungen der Verfassung einseitig über die Ausübung und damit über das Recht selbst verfügen könnte1).

§ 28. Ausübung in Kriegszeiten.

Eine besondere Beachtung verdient die Ausübung der Staatsdienstbarkeiten in Kriegszeiten.

Calvo) hält diesen Punkt für so wichtig, daß er ihn zum Einteilungsgrund für Staatsservituten macht. Dies hängt mit seiner ganzen Auffassung der Staatsservituten überhaupt zusammen. Die wichtigsten Staatsdienstbarkeiten sind ihm die servitudes de passage in den Fällen, wo ein Territorium ganz von dem andern umschlossen, oder wo ein Teil desselben im andern enklaviert ist. Diese Art von Staatsservituten können nach der Meinung Calvo's zwar durch den Krieg suspendiert werden, sie leben aber nach der Wiederherstellung des Friedens in vollem Umfang wieder auf, sofern nicht durch den Friedensschluß die wesentlichen Bedingungen für die Ausübung alteriert werden. Die andere Art von Servituten, die Gründe der Humanität oder ein gegenseitiger Vorteil auch während der Kriegsdauer bestehen lassen, sind nach Calvo z. B. celles des eaux, du libre par cours des bestiaux et des relations quotidiennes entre frontaliers.

Wenn wir uns auch der Staatsservitutentheorie Calvo's nicht anschließen können, so ist unsere obige Einteilung der Staatsservituten in wirtschaftliche und militärische im Grunde genommen auch nach diesem Gedanken erfolgt. Die wirtschaftlichen Staatsdienstbarkeitsverhältnisse sind im allgemeinen unabhängig von kriegerischen Verwicklungen, soweit nicht dieselben gerade das Streitobjekt sind; militärische werden vorzugsweise praktisch, ihre praktische Bedeutung liegt

1) Ueber diese ganze Frage siehe unten S. 221 ff., wo über die Be= deutung der clausula rebus sic stantibus gesprochen wird.

2) Calvo a. a. O.

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