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Bei dieser in der Vorstellung der Fürsten und Staatsrechtslehrer immer mehr sich Bahn brechenden Universalität der Staatsgewalt, als welche man die Territorialgewalt betrachtete, mußten die Eingriffe einer fremden Territorialgewalt in das eigene Territorium nicht nur als eine Beschränkung der Regierungsrechte überhaupt, sondern als eine überaus lästige mit jener idealen Staatsgewalt scheinbar nicht vereinbare Minderung der eigenen Regierungsgewalt empfunden werden. Und da diese Rechte in fremden Territorien vielfach - ja fast gewöhnlich nicht auf klar gefaßten Spezialverträgen, sondern auf jener berüchtigten notissima Germaniae consuetudo beruhten, so ist es nicht zu verwundern, wenn sie vielfach die Quelle von unerquicklichen Streitigkeiten und Anlaß vieler Abmachungen wurden '). Und so sehen wir daß seit Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts nicht nur die Reichsgerichte vielfach in Servitutensachen öffentlich-rechtlichen Charakters zu entscheiden hatten, sondern auch die Publizisten ihr Augenmerk eifrig auf das Studium dieser fingulären Rechtserscheinung, ihrer rechtlichen Begründung und Einführung in die Theorie richteten.

Das Verdienst, den ersten Fortschritt in der Lehre von den Staatsservituten herbeigeführt zu haben, gebührt Vitriarius. Nicht etwa deshalb, weil durch ihn die Lehre materiell gefördert wurde, sondern aus dem Grunde, weil er das Rechtsverhältnis der Servituten des öffentlichen Rechts formell, durch die juristische Form und Bezeichnung, von seinem Analogon im Privatrecht abgehoben und auch äußerlich als solches gekennzeichnet hat. Vitriarius ist der Urheber des wissenschaftlichen terminus servitus juris publici, der noch in der Gegenwart zur Bezeichnung des fraglichen Rechtsinstituts allseitig in Anwendung steht.

Seltsamerweise führt Vitriarius die Autorschaft des Terminus auf Ludolph Hugo zurück), wie es auch Hertius ) und Elwert")

1) Vergl. Joh. Jak. Moser, Nachbarliches Staatsrecht. Frankfurt 1773. Buch 3. cap. 4. 2) Vitriarius a. a. O. 1. IV. tit. 9. n. 2.

3) Joh. Nit. Hertius, Diss. de servitute naturaliter constituta Gießen 1704, sect, I. § 1; vergl. auch Hertius, Dissert. de superioritate territ. § 76.

4) Phil. Jak. Elwert, de servitutibus sive jur. in aliorum territorio quaesitis. Argentorati 1674. in Prooemio.

gethan. Vitriarius sagt nämlich in der angeführten Stelle: „Egregiam omnino hic praestitit operam saepe jam citatus Lud. Hugo in tract. de statu regionum Germaniae . . . et in specie, quando ad servitutem pervenerit, instituit quaestionem, an dentur servitutes juris publici." Hertius: In Romano-Germanico Imperio regionum Domini qui superioritate territoriali majestatis aemula gaudent, complura habent jura, quas servitutes juris publici primus scite insignavit Lud. Hugo de statu reg. Germ. c. 6. § 6.

Ein ernster Zweifel über die Priorität des Vitriarius könnte nun allerdings daraus entstehen, daß sich im Proömium der Dissertation von Elwert, die aus dem Jahre 1674 stammt, während Vitriarius seine Institutionen erst 1686 herausgab, auch schon der Ausdruck servitus juris publici findet. Allein diese Jahreszahlen besagen an sich noch nichts. Und auch Elwert beruft sich in jener Dissertation auf den Vorgang von Lud. Hugo, in dessen ganzem Werke nirgends der Ausdruck servitus juris publici verwendet ist. Vitriarius hat sich also hierin offenbar geirrt. Und dies ge= winnt an Wahrscheinlichkeit noch dadurch daß Engelbrecht1) und Neumann') dem Vitriarius die Priorität zuschreiben :

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Engelbrecht schreibt: quod sciam ante clariss. Vitriarium, Hertium et Schilterum nemo appellatione servitutum juris publici usus est"; und Neumann: „Appelatione servitutum juris publici primus superiori demum saeculo usus est Vitriarius Instit. jur. publ. 1. IV. tit. 9 § 2". Somit scheint das Richtige getroffen zu sein, wenn man mit Engelbrecht und Neumann annimmt, daß Vitriarius der Urheber des Ausdrucks servitus juris publici ist, wofür ja auch die ganze wissenschaftliche Bedeutung desselben gegenüber dem wenig bekannten Elwert sprechen dürfte.

Abgesehen von der technischen Bezeichnung des fraglichen Rechtsverhältnisses als servitus juris publici giebt uns aber Vitriarius über Begriff und Wesen der Staatsservituten wenig Aufschluß.

1) Christ. Joh. Konrad Engelbrecht. De servitutibus juris publici. Helmstadt 1715. Proleg. § 9.

2) Joh. Friedr. Wilhelm N e u mann, Commentat. Reale Principum jus. Frankfurt a. M. 1752. 1. II. t. 2. § 266.

Clauß, Staatsdienstbarkeit.

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Die Stellen, in denen Vitriarius den neugeschaffenen Terminus verwendet, find 1. III t. 19 § 66 und § 154. vgl. auch lib. IV, tit. 9 § 2. In lib. III tit. 19, wo er von dem regimen universi handelt, sagt er, nachdem er in § 65 die Rechte aufgezählt, die das jus sequelae in alterius territorio im Gefolge hat, § 66: „De quo tamen merito dubitaveris, an vi hujus juris, omnia haec in alterius territorio exerceri possit. Hae enim servitutes juris publici graviores reddi non debent." In § 154 lezter Absaß braucht er den Ausdruck servitus publica Quamvis omnia haec jura superioritati territoriali inesse soleant, et sic omnis is, qui superioritatem habet, debeat haec jura superioritatis territorialis habere: tamen interdum accidat, quod quaedam jura desint vel propter legis autoritatem, quae hujus juris exercitium denegat e. g. jus mutandi religionem, vel propter propriam nostram conventionem, ut si alicui in nostro territorio constituamus servi tutem publicam e. g. jus venandi, jus salvi conductus, exercitium meri imperii 1).

§ 6. Die erste Begründung der Lehre von den Staatsdienstbarkeiten2).

Die Form des öffentlich-rechtlichen Rechtsinstituts war nunmehr geschaffen. Wie dieselbe aber ihren privatrechtlichen Ursprung nicht verleugnen kann, so zeigen auch die ersten Erörterungen über Staatsservituten (servitutes juris publici), wie breit sich in staatsrechtlichen Abhandlungen das römische Recht machte. Troß der allgemeinen Re

1) Vergl. auch Engelbrecht a. a. D. §111 u. Pfeffinger: Vitriarius illustratus I. IV. tit. 9. § 2. IV. Band S. 706. edit. rep. 1718.

2) Phil. Jak. Elwert. De servitutibus sive juribus in aliorum territorio quaesitis. Argent. 1674. Heinrich Arto paeus, Diss. de juris publici servitutibus. Argent. 1689. Joh. Schilter (†1705). Institutionum juris publici Romano-Germanici II tomi. Argent. 1697. Joh. Heinrich Fel B. († 1750?). Diss. de juris publici servitutibus sive de juribus in alieno territorio. Argent. 1701. Vergl. auch Rhetius, Institutiones jur. publici Germ -Rom. Frankfurt 1683. 2. Aufl. 1687. Hertius. (geb. 1652 1710). Dissert. de servitute naturaliter constituta cum inter diversos populos tum inter ejusdem reipublicae cives. Gießen 1704; und Diss. de quasi possidente probante. 1698.

aktion, die sich seit Ende des 17. Jahrhunderts gegen die Doktrin des Justinianeischen Rechts in Sachen des öffentlichen Rechts erhob, war vielfach das öffentliche Recht nur ein Abklatsch des römischen Privatrechts. Wie weit man in der Analogie von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Rechtsverhältnissen ging, mit welcher Weitherzigkeit man die privatrechtlichen Rechtsnormen auf Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts übertrug, das zeigen gerade die Dissertationen über Staatsservituten dieser Zeit besonders deutlich. Wenn dieselben auch von geringer wissenschaftlicher Bedeutung für die Entwicklung der Lehre von den Staatsservituten sind, so sind sie doch eine treffliche Illustration zu dem Gesagten.

Elwert') sagt in dem Proömium zu seiner Abhandlung, daß er über Staatsservituten einen Traktat schreiben wolle ad analogiam juris privati. Die Staatsservituten — servitutes juris publici definiert er folgendermaßen: Sunt conditiones seu jura quae quis habet specialia in alterius territorio salvo ejus jure superioritatis ad patiendum, praestandum vel non faciendum aliquid constituta. Wer erinnert sich hier nicht der fast wörtlichen Definition der Servituten des Privatrechts. Neben anderen Einteilungen der servitutes jur. publ. werden auch unterschieden: personales (usus und habitatio), reales und mixtae (welch lettere als Kommodum einer Person konstituiert werden, aber auf die Successoren übergehen *); ferner negativae und affirmativae 3). Für die Entstehung und den Untergang der servitutes jur. publ. kommen wesentlich die römischrechtlichen Erwerbs- und Verlustthatsachen in Betracht *). Bei Streitigkeiten und Störungen oder Vorenthaltung des Besizes werden die römisch-rechtlichen actiones und interdicta für anwendbar erklärt 5). Die Praxis der Zeit sei es aber gewesen, sagt er, daß sich die streitenden Parteien verglichen oder Schiedsrichtern die Sache übergaben o). Artopäus) schließt sich bei der Definition der Staatsservitut nicht so eng an die privatrechtliche Ausdrucksweise an. Ihm ist sie:

1) Elwert a. a. D.
3) a. a. . thes. XIV.

5) a. a. . thes. XXI.

2) Elwert a. a. D. thes. XIII.
4) a. a. . thes. XV-XX.

6) a. a. . thes. XXII.

7) Artop äus a. a. D. § 9 in fine.

jus seu qualitas moralis, vi cujus territorium alienum extraneo utilitatem praestat, ejusque usibus inservit. Jura majestatis können nicht Gegenstand einer servitus sein'), da diese selbst naturam imperii constituunt. Wenn aber doch ein solches Majestätsrecht vom imperium losgelöst wird, so ist wie im Privatrecht eine societas vorhanden ). Gegenstand der servitutes jur. publici sind hauptsächlich nur Regalien d. h. jura fisci quae quasi ad Regem pertinent "). Das Verhältnis der servitutes jur. publici zur Landeshoheit charakterisiert er so: jura sive servitutes quae vicini principes in iis exercent omnino liberae non videntur, sed particularia ejusmodi jura superioritatem non imminuunt. In diesem Sinne find servitutum publicarum jura potissimum regalia atque jura, quae imperanti in suo territorio vi imperii competunt, quamquam et alia jura quae privatis quoque diversorum territoriorum incolis saepius in vicinis territoriis competunt veluti jus pascendi, compascuorum, aquaeductus, lignandi suo modo quoque publica ac proinde publicae servitutes dici possunt *). Bezüglich der Einteilung der serv. jur. publ. schließt er sich im allgemeinen an die privatrechtliche Theorie an, doch meint er, daß sich die Unterscheidung in personales und reales nicht halten lasse 5). Nicht unpassend jedoch hält er die Einteilung in rusticae und urbanae cum habent territoria rationem et analogiam praediorum vel rusticorum vel urbanorum 6). Im einzelnen führt er dann über serv. jur. pub. noch folgendes aus: Zur Begründung derselben sind diejenigen berechtigt, welchen das Verfügungsrecht über das Territorium zusteht ). Für die Mitwirkung des Volkes bei solchen Rechtsakten sind die leges fundamentales atque consuetudo populi maßgebend ). Die servit. publ. haften aktiv und passiv an dem Territorium. Objekt der servitus jur. publ. kann auch das Meer sein, da das Meer eigentumsfähig ist 9). Das formale Wesen der Servituten besteht darin, aus

1) S. u. S. 78 ff., Dresch und K. S. 3 a chariä a. a. D.

2) Artopäus a. a. D. § 13. 3) a. a. O. § 13. 4) a. a. O. § 17. 5) a. a. D. § 19. 6) a. a. D. § 20.

7) Das ist im patrimonialen Staat der Prinzeps, bei imperium usufructuarium das Volk. a. a. O. § 26. 8) a. a. D. § 26. 9) a. a. D. § 30.

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