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Observanzen die Entscheidung für die einzelnen Fälle an die Hand geben, folgende 3 Grundsäße auf ') :

1) Diejenigen Staatsrechtsdienstbarkeiten, welche noch jest kaiserliche ausschließliche Reservate sind, sind der Landeshoheit an und vor sich und als Staatsrechtsservituten betrachtet nicht subordiniert, z. B. die Zollgerechtsame.

2) Eben dasselbe gilt von denen Gerechtsamen, welche ehmals allein dem Kaiser zugestanden, einem Reichsstande aber an dessen Stelle in einem fremden Lande und Gebiete verliehen worden und auf diese Art, jedoch als eigene Rechte, von demselben bis jezt hergebracht worden sind.

3) Diejenigen Gerechtsame aber, welche von jeher reichsständische Rechte und in der Landeshoheit begriffen gewesen (z. B. die Gerichtsbarkeit) sind dem Landesherrn des Landes, insofern noch eine Subordination dabei statt hat, allerdings untergeordnet, sie mögen in kaiserlichen Konzessionen aus den Zeiten, worin dem Kaiser noch eine konkurrierende Gewalt mit den Landesherrn in den Territorien zugestanden, oder in landesherrlichen Verleihungen ihren Ursprung haben."

Die Art der Entstehung dürfte nun freilich für die Frage der Subordination der Staatsservituten unter die Landeshoheit nicht maßgebend sein. Eine andere Frage ist es aber, ob der Begriff der Staatsservitut überhaupt ein Oberaufsichtsrecht des belasteten Staates über die Ausübung der Staatsservitut zuläßt.

Römer) erklärt es für sehr unrichtig, wenn man außerhalb Landes auszuübende Hoheitsrechte Staatsrechtsdienstbarkeiten (servitutes jur. publici) zu nennen pflegt. Zutreffender ist nach seiner Meinung vielmehr die Bezeichnung Völkerdienstbarkeiten oder Völkerrechtsdienstbarkeiten. Denn es sind Hoheitsrechte, die ein Regent eines freien Volkes in den Landen eines andern Regenten und Volks rechtsmäßiger Weise auszuüben hat. Völkerdienstbarkeiten können nach Römer weder auf Verjährung noch auf ein unverbindliches Herkommen gegründet werden, sondern beruhen nur auf ausdrücklichen oder stillschweigenden Verträgen als dem einzigen Wege, auf dem sich Völker wechselseitig verbindlich 1) Schnaubert a. a. D. § 113. 2) Römer a. a. O.

machen können. Demgemäß verweist er das Rechtsverhältnis der Staatsservituten aus dem Staatsrecht in das Völkerrecht, nach dessen Grundsägen dasselbe lediglich zu beurteilen ist. Ueber ihre Behandlung lassen sich nach der Meinung Römer's keine allgemeinen Grundsäge des positiven Völkerrechts aufstellen, weil sie einzig und allein nach den über eine jede insbesondere vorhandenen Verträgen beurteilt werden müssen.

§ 12. Die Lehre von den Staatsdienstbarkeiten bei Gönner ').

Als Gönner seine Monographie über die Entwicklung des Begriffs und der rechtlichen Verhältnisse deutscher Staatsrechtsdienstbarkeiten schrieb, war die Entwicklung der deutschen Landeshoheit zu wirklicher Staatsgewalt thatsächlich abgeschlossen, wenn sie auch bis zur Auflösung des Reichsverbandes zur Reichsgewalt im Verhältnis staatsrechtlicher Unterthanschaft verblieb. Thatsächlich betrachteten sich die Landesherrn als Souveraine, unabhängig von Kaiser und Reich, und ihre Staaten wurden von den auswärtigen Staaten als unabhängige ihnen gleichberechtigte anerkannt.

Auch für die Staatsrechtstheorien war eine neue Zeit angebrochen. Unter dem Einfluß nicht nur des philosophischen Staatsrechts, sondern auch und insbesondere infolge der Rezeption der englisch-französischen Staatsrechtstheorien rang das deutsche Staatsrecht das mittelalterlichfeudale Gewand vollends abzustreifen und auf neuer Grundlage den modernen Staat juristisch zu betrachten. Gönner steht mitten in diesem Prozeß. Aber er schaut noch mit Bewunderung auf die „glückliche Verfassung" des ehrwürdigen alten Reiches deutscher Nation zurück; und von Gesichtspunkten des Rechts, nicht der Thatsachen ausgehend, handelt er über deutsche Staatsrechtsdienstbarkeiten.

Gönner's Theorie von den Staatsrechtsdienstbarkeiten charakterisiert sich durch das zielbewußte Streben, das Rechtsinstitut der serv. jur. publ. auf öffentlich staatsrechtliche Grundlage zu stellen. Daraus erklärt sich seine starke Abneigung gegen das bei den damaligen Schriftstellern über öffentliches Recht vielfach eingeschlagene Ver

1) Gönner a. a. O.

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fahren, die Grundsäge römisch-rechtlicher Rechtsinstitute auf staatsrechtliche zu übertragen und durch Analogien aus jenem zu erklären und zu erläutern 1). Allein nicht nur von den Servituten des Privatrechts, sondern auch von denen des Völkerrechts sind nach Gönner die Staatsrechtsservituten wohl zu unterscheiden. Völkerrechtsdienstbarkeiten sind lediglich nach den Grundsäßen des Völkerrechts zu behandeln. Anders ist es bei Staatsrechtsdienstbarkeiten. Diese sind eine Eigentümlichkeit der deutschen Staatsverfassung und sind nach den Grundsäßen derselben d. h. nach staatsrechtlichen Prinzipien zu beurteilen. Im Reiche nämlich stehen die einzelnen Staaten in manchen Beziehungen im Verhältnis völkerrechtlicher Unabhängigkeit, alle aber sind als Teile eines großen Staatskörpers der obersten Reichsgewalt unterworfen). Die Staatsrechtsdienstbarkeiten3), wie diese Rechtsverhältnisse nach seiner Meinung am besten bezeichnet werden, stehen somit in gewissem Sinn in der Mitte zwischen Privatservituten und Völkerrechtsdienstbarkeiten *). Von den Völkerrechtsdienstbarkeiten unterscheiden sie sich dadurch, daß sie nach den in Deutschland geltenden Geseßen, und nur wo diese es gestatten nach den Grundsäßen des Völkerrechts beurteilt werden und daß bei jenen kein höherer Richter vorhanden ist, während bei Streitigkeiten über Staatsrechtsservituten die reichsverfassungsmäßigen Gerichte für die Entscheidung zuständig sind. Von den Privatdienstbarkeiten unterscheiden sie sich sowohl bezüglich der Personen als der Gegenstände, welche sie betreffen. Gemeinsam mit ihnen ist nur, daß fie auch ein dingliches Recht auf einer fremden Sache" find 5).

Nach Gönner ist eine Staatsrechtsdienstbarkeit „das besondere Recht eines deutschen unmittelbaren Gebiets auf das andere unmittelbare Gebiet, als Staat gegen Staat, vermöge dessen die landesherrlichen Rechte des einen so beschränkt werden,

1) Gönner a. a. D. § 11. 2) a. a. D. § 7.

3) Gegen Römer, welcher das Rechtsinstitut der Staatsdienstbarkeit überhaupt in das Völkerrecht verweist. Vergl. o. S. 88 f. Denselben Terminus hat auch Schnaubert vorgeschlagen. Vergl. v. S. 87 f.

4) Gönner a. a. D. § 7, S. 19.

5) a. a. D. § 10.

daß es zum Besten des andern etwas zu thun, zu dulden oder zu unterlassen verbunden ist."

Zum Begriff einer deutschen Staatsrechtsdienstbarkeit fordert Gönner also 5 Merkmale:

1. Ein Recht in fremdem Gebiet.

2. Ein besonderes Recht.

3. Zum Besten eines andern.

4. Unmittelbarkeit beider Gebiete.

5. Beschränkung der landesherrlichen Gewalt durch Hoheitsrechte des andern in fremdem Gebiete 1).

Aus diesen fünf allgemeinen Grundsägen zieht dann Gönner folgende Konsequenzen :

I. Allgemeines Erfordernis für eine Staatsrechtsdienstbarkeit ist, daß durch dieselbe ein wirkliches vollkommene 3 Recht eingeräumt wird; ein bloßes precarium fann nie Staatsrechtsdienstbarkeit sein 2).

Da ferner zum Begriff der Servitut überhaupt gehört, also auch zum Begriff der Staatsrechtsservitut, daß eine fremde Sache - ein fremdes Gebiet dienstbar ist, so sind nicht zu den Staatsrechtsdienstbarkeiten zu zählen diejenigen Einschränkungen der Landeshoheit, die aus dem Vorhandensein der obersten Reichsgewalt entspringen. Denn hier steht nicht ein Staat dem andern Staat als fremder gegenüber, sondern hier tritt die Reichsgewalt selbst in Thätigkeit, fie wirkt in ihrem eigenen Staatsbezirk, nicht in einem fremden Territorium; sie handelt kraft eigenen Rechts auf Reichsboden 3). Außerdem find diese Rechte nicht Ausflüsse der Landeshoheit, sondern sie stehen den Reichsständen als solchen, nicht in ihrer Eigenschaft als Landesherrn zu. Es fällt somit die Rücksicht von Staat zu Staat weg,

1) Gönner § a. a. D. 9.

2) Gegen J. J. Moser o. S. 85, welcher lehrt, daß gewisse Staatsdienstbarkeiten nur ein precarium seien.

3) Gegen J. J. Moser, der in seinem Nachbarlichen Staatsrecht S. 242 die Rechte des kurfürstlichen Kollegiums in der Wahlstadt bei Wahlund Krönungstagen der deutschen Kaiser und die Gerechtsamen des Reichserbmarschalls bei Reichstagen zu den Staatsdienstbarkeiten rechnet.

auf die allein die Möglichkeit von Staatsrechtsdienstbarkeiten gegründet werden kann 1).

Zu den Staatsrechtsdienstbarkeiten gehören aus demselben Grunde nicht das Kondominat und die geteilte Landeshoheit, weil in diesen beiden Fällen jeder Landesherr kraft eigenen Rechts Rechte auf eigenem Gebiete ausübt; ferner die vormundschaftliche Regierung, da hiebei keine Rechte in eigenem Namen kraft eigenen Rechts geübt werden; ebensowenig selbstverständlich die ganze Landeshoheit; auch übt der Landesherr in seinem Lande über alle seine Unterthanen alle Hoheitsrechte kraft der ihm zukommenden obersten Gewalt keineswegs vermöge einer Staatsrechtsdienstbarkeit aus *). Endlich ist es durchaus unzulässig, die Rechte mancher privilegierter Unterthanen ) als Staatsrechtsdienstbarkeiten anzusehen. Denn troß der weitgehendsten Freiheiten bleiben fie Unterthanen und üben keine Rechte in fremdem Territorium aus, ganz abgesehen davon, daß zum Begriff der Staatsrechtsservitut Unmittelbarkeit der Parteien gehört *).

II. Da jede Staatsrechtsdienstbarkeit ein besonderes Recht ist, so können die allgemeinen aus der Unterwerfung der einzelnen deutschen Staaten unter die Reichsgewalt fließenden Beschränkungen der landesherrlichen Gewalt wie z. B. das Recht der Nachteile 5), der freie Durchgang zu Wasser und zu Land, freie Schiffahrt, Zollfreiheit der Reichsstände und ihrer Gesandten u. s. w. nicht als

1) Gönner, a. a. D. § 14.

2) Gönner sagt a. a. D. S. 43, er hätte diese Bemerkung nicht angeführt, wenn es nicht unleugbare Wahrheit wäre, daß manche privilegierte Korporationen von Immediatätsschwindel hingerissen behaupteten uud in kostspieligen Prozessen verfochten, daß der Landesherr über ihre Güter einzelne Hoheitsrechte nur als Staatsrechtsdienstbarkeit habe.

3) Landstände, Domkapitel, Adel, Geistlichkeit.

4) Gönner a. a. D. § 18. Eine Staatsrechtsdienstbarkeit ist auch nicht vorhanden bei paktierter Landeshoheit. Gegen Pütter der eine Landeshoheit ex pacto speciali per modum servitutis juris publici annimmt: Pütter, Rechtsfälle. Band I. S. 343.

5) D. h. Verfolgung flüchtiger Landesfriedensbrecher, Mörder und Räuber auf frischer That.

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