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einer Volksbewaffnung im Großen, einer Erhebung der Masse, wie im Jahre 1793, hatte Napoleon kein Vertrauen; er wollte weder dem Feinde unordentliche Massen entgegenführen, noch die innere Ordnung einer Störung bloßstellen. Nicht einmal eine Proclamation wurde erlassen; daß aber das Volk von selbst etwas thun werde, ließ sich bei der völligen Aufgelöstheit der Nation in eine nur durch kaiserlichen Druck bewegte Maschine gar nicht erwarten. Die außerordentlichen Commissare hatten allerdings Vollmacht zu Proclamationen, Aufgeboten der Masse 2c., aber der Theil konnte nicht das Ganze bewegen 10b). Diese Besorgniß, dem Volke mit der Bewaffnung zu viel einzuräumen, zeigte sich besonders in den Anstalten zur Bewehrung des Punctes, worauf gar bald so viel ankommen sollte, der Hauptstadt. Die Pariser Nationalgarde sollte nach einem Decret vom 8. Jan. eingerichtet werden *°c), aber es blieb, wie wir unten sehen werden, bei halben Maßregeln: Paris sollte Bollwerke bekommen, aber diese waren schlecht ausgedacht hölzerne Zwinger (tambours) in die Barrieren zu rücken und es fehlte überdies an Eifer und Raschheit, fie ins Werk zu sehen. Indessen waren die Feinde bis zur Champagne vorgedrungen: Napoleon, bei dem die Soldaten von Soult's Armee noch nicht eingetroffen wa= ren, mußte ihnen dort die Spige bieten.

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Eindringen der Verbündeten ins nordöstliche Frankreich.

Die große Armee der Verbündeten begann Nachts auf den 21. Dec. den Rhein an der Schweizergrenze bei Basel, Schafhausen 2. zu überschreiten; ein Theil derselben zog über Bern nach Genf zu; ein Theil, unter Wrede, blockirte Húningen und Belfort; die Corps des Kronprinzen von Wirtem:

en habits et vestes de paysans, et sans gibernes, armés de toutes sortes de fusils. Koch 2, 233.

40) Treffende Zeichnung f. 6. Thibaud. 9, 515.

40°) Duverg. 18, 340. Vgl. Koch 1, 142 f., und von dem vorher gehaltenen Rathe Rovigo 6, 295.

berg, Barclay de Tolly's und Wittgenstein's, weiter abwärts, das leste bei Fort Vauban, und erst am 31. Dec. und in den ersten Tagen des neuen Jahres, aufs linke Ufer hinübergegangen, zogen auf die Vogesen zu. Die Garden überschritten den Rhein erst am 13. Jan.; Bubna befehte am 30. Dec. Genf, wo ihm die aristokratische Partei die Hand bot, ohne Schwertschlag; das Lichtenstein’sche Corps umzingelte Besançon; die Corps Hessen-Homburg und Colloredo zogen auf Dijon und Langres zu. Victor konnte mit seiner geringen Kriegsmacht, höchstens 17,000 M., nirgends ernstlich Widerstand leisten; er und der wackere Duhesme waren in stetem Rückzuge. Und darüber konnte Napoleon sich wundern, sich erzürnen!") Er sandte schleunigst Mortier, der auf dem Marsche nach Namur zur Deckung der belgischen Grenze war, mit Verstärkung von Rheims gen Langres; aber auch diefer mußte zurückweichen, und Ney, der in Nancy stand, konnte eben so wenig sich behaupten oder Hilfe bringen; die Vogesen hielten wol den Marsch des Feindes auf, aber wurden nicht Schauplak erbitterter Thermopylenkämpfe oder eines Volkskriegs. Die Stimmung des Volkes aber war sehr düster, von freundlicher Begrüßung der Verbündeten als Befreier nicht die Rede, die Bourbons nicht in den Gedanken und Wünschen des Volks. Am 26. Jan. 1814 war die große Armee der Feinde vorgedrungen bis Bar an der Aube und ihrer Vereinigung mit der schlesischen Armee stand wenig mehr im Wege. Frankreich war nirgends und in Nichts auf solche Invasion vorbereitet gewesen 11b).

Die schlesische Armee, von Mannheim bis Coblenz am rechten Ufer gelagert, brach auf in der Neujahrsnacht 1814. Sacken ging über bei Mannheim, York und Langeron bei Caub; Saint-Priest, nun auch unter Blücher's Befehl gestellt, bei Coblenz; ein Theil der Armee blieb zurück zur Blockade von Mainz. Das Kleist'sche Corps war noch im Anmarsche von Erfurt; es überschritt den Strom erst am 16. und 17. Jan. bei Coblenz. Marmont mit Durutte und Ricard, den

41) Koch 1, 92.

41) Damig 1, 240 f.

überlegenen Massen gegenüber, mußte thun, wie Victor und Mortier; er wich bis Meg zurück, und als Sacken Ney aus Nancy verdrångt hatte, hielt es Marmont für nothwendig, fich bis über die Maas zurückzuziehen; am 24. Jan. vereinig ten sich die drei Marschälle Victor, Marmont, Ney bei St.Dizier und Vitry *2). Blücher hatte geeilt; im Hauptquartier der verbündeten Monarchen, das der großen Armee folgte, war man besorgt, er moge zu unbedachtsam vorrücken, es möge der Volkskrieg ausbrechen 2c.; man sandte ihm einen Officier mit Mahnungen; doch dieser kam erst an, als Blůcher bei Brienne schon im Gefecht war 13). Während der Zeit war im großen Hauptquartier ein Mann angekommen, dessen Wort wesentlich zur Ermuthigung desselben beitrug; es war Laharpe, der Waadtländer, auf seiner wol nicht absichtlichen Reise von Paris in die Heimat aufgefangen, zu Alexander, vormals seinem Zöglinge, geführt und von nun an in dessen Rathe, zum General ernannt und mit dem Andreasorben beschenkt. Dieser gab die Versicherung, daß die Stimmung in Paris wider Napoleon sei und daß man der Gelegenheit zum Abfall entgegensehe **).

Die Nordarmee war zur Hälfte noch in Holstein; von der andern Hälfte, welche Holland erobert hatte, brach Winzingerode zuerst auf; er ging am 12. Jan. zwischen Kaiserswerth und Doesburg über den Rhein; Czernitschew bei Düfseldorf. Macdonald, bis Lüttich und Namur zurückgewichen, erhielt von Napoleon Befehl, rasch zur Vereinigung mit der Hauptarmee gen Chalons zu ziehen; also hatte Winzingerode freien Weg; ebenso der ihm nachrückende Bülow *5). überall

42) überhaupt Koch 1, 76-126.

43) v. Hippel 93. Blücher sagte: „Wir müssen nach Paris. Naleon hat in allen Hauptstädten von Europa seine Visite gemacht, sollen wir weniger höflich sein als er? Und endlich muß er vom Throne, auf dem er zum Wohl von Europa und unserer Monarchen nie hätte sigen sollen. Ehe er nicht davon herabgestoßen ist, können wir keine Ruhe bekommen." C. v. . 144.

44) Koch 1, 154. Hippel 110. Von Laharpe's Abschiede bei der Pariser Policei f. Rovigo 6, 291.

45) Koch 1, 129 f. Damit 1, 344 f

wurden Proclamationen der Verbündeten verbreitet 6), das Thema der Frankfurter Erklärung vom 1. Dec. vielfältig ausgebeutet; man hatte es zur Virtuofitát im Proclamationsstyl gebracht. Blücher aber sprach sich zu Nancy in einer Rede an die dortige Deputation über die Absichten der Verbündeten und über das Elend, das Napoleon über Frankreich gebracht, sehr energisch aus und verkündigte, als sei er politischer Gewalthaber, Abschaffung der verhaßten Steuer der vereinigten Gefälle (droits réunis) und der Salzsteuer“). „Weg mit den vereinigten Gefällen!" mischten nun die Bauern der Champagne mit dem „Es lebe der Kaiser!" als Napoleon bei dem Heere erschien 47b).

Die Friedensunterhandlungen waren in weitem Abskande hinter den Fortschritten der verbündeten Heere zurúdgeblieben; diese erfochten selbst einen Sieg über Napoleon, ehe die Diplomaten ihre Sizungen eröffneten. Die Schuld war, wie bei den Prager Verhandlungen, auf beiden Seiten; man hoffte mehr vom Kriege, als vom Frieden. Caulaincourt, von Napoleon zum Unterhändler erwählt und mit sehr ungefähren Weisungen versehen, überhaupt angewiesen, sich nicht auf einen entehrenden Frieden, was Napoleon in sehr weiter Ausdehnung verstand 1o), einzulassen, kam nach Luneville am 6. Jan.

46) Die erste vom 21. Dec. von Schwarzenberg s. b. Schoell, Recueil de pièces officielles etc. Par. 1814, Vol. 2, p. 1. Alexander's Proclamation an sein Heer mit Unwendung des Spruches: Liebet die euch hassen, s. b. Michail. Danilewsky 1, 14.

47) Seine Rede, worin er,,die kaiserlichen Ausdrücke mit seltsamer Laune nachahmte“ (Varnhagen v. Ense, Blücher's Leben 316), aus dem Deutschen ins Französische übersegt Schoell 2, 47. Sie wird wol etwas anders gelautet haben. Von den damaligen Abdrücken, die in Frank, reich verbreitet wurden, habe ich vergebens ein Exemplar zu bekommen gesucht.

47) Fain 51.

48) Veut-on réduire la France à ses anciennes limites! C'est l'avilir........ On se trompe si on croit que les malheurs de la guerre puissent faire désirer à la nation une telle paix.... Si la nation me seconde, l'ennemi marche à sa perte. Si la fortune me trahit, mon parti est pris, je ne tiens pas au trône. Je n'avilirai ni la na

und zeigte dies Metternich an mit der Bitte um Påsse ins Hauptquartier oder nach Mannheim; Metternich antwortete von Freiburg im Breisgau, daß zuvörderst die Ankunft Lord Castlereagh's abgewartet werde. Dieser kam am 14. Jan. im Hauptquartier an *). Caulaincourt, dem es sehr am Herzen lag, bald zu bestimmten Grundlagen für die Verhandlungen zu gelangen, erbat sich am 17. Jan. von Napoleon genauere Instructionen 5); dieser aber sandte ihm um dieselbe Zeit ein auf Östreich allein berechnetes Schreiben, das er, wenn die Umstånde dazu stimmten, Metternich übergeben folle 31), ließ ihm aber am 19. Jan. auch erklåren, daß er auf den natürlichen Grenzen Frankreichs als Grundbedingung bestehen folle 52). Das Schreiben an Metternich, welches dieser seinem Kaiser vorlegte, führte nur zu einer herben, ablehnenden Antwort vom 29. Jan., die jegliche Hoffnung Napoleon's auf Trennung Östreichs von dem Bundesinteresse håtte zerstören müssen und ihn schon darauf vorbereiten konnte, daß Östreich unter Umständen auch den Umsturz seines Thrones nicht aufhalten würde **). Chatillon an der Seine ward zum Versamm

tion, ni moi, en souscrivant à des conditions honteuses.... Dans cet état de choses, je ne puis rien vous prescrire. Bornez-vous pour le moment à tout entendre, et à me rendre compte. Nap. Mél. 2 295. (Vom 4 Janv.)

49) Nap. Mél. 2, 296. 312.

50) Koch 2, 320. Er endet: Il est pénible, Sire, de n'avoir que des sacrifices à prévoir, de n'avoir à appeler l'intention de S. M. que sur des choses qui coûteront tout à son caractère, à la fierté nationale; mais ses plus chers intérêts m'en font un dévoir . . . . Depuis dix jours un quart de la France est envahi. Dans les départements, à l'armée, on répète que c'est à V. M. personnellement qu'on fait aujourd'hui la guerre: on sépare les intérêts du monarque de ceux de son peuple. Dans de telles circonstances ma prévoyance ne saurait être prise pour de la faiblesse etc. Koch 2, 322. 51) Napol. Mél. 2, 301. 304.

52) Das. 311.

53) Daf. 315. Es heißt darin: Si un aveuglement funeste devait rendre l'empereur Napoléon sourd au voeu unanime de son peuple et de l'Europe, il (François I) déplorera le sort de sa fille, sans arrêter sa marche.

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