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fahr, die die ungeschickten Unterhandlungen mit Rom herbeigeführt hatten “7).

Das Rekrutirungsgesek, von dem wackern und einfichtsvollen St. Cyr bearbeitet, der zweiten Kammer am 29. Nov. vorgelegt, kam zur Verhandlung am 14. Jan., bei den Pairs am 27. Febr. 1818; es rief in beiden Kammern lebs hafte Debatten hervor. Die darin enthaltenen drei Hauptpuncte Conscription (appel) junger Mannschaft, Aufgebot vormaliger Soldaten (vétérans), Avancement ohne Rücksicht auf Geburt gaben den Liberalen der äußersten Linken allerdings wenig zu erinnern, und diese ließen es auch bei leichs ten Angriffen bewenden; ernstlich aber kämpften die royalistischen Ultras dagegen. Bei diesen war nicht sowohl die Erneuerung einer Art Conscription, als die Wiederbewaffnung vormals Bonapartistischer Soldaten und ein Avancement, wo der Adel nicht hoffen durfte, die Officiersstellen durch Privilegien für sich zu behalten, anstößig, ja das Lehte eine polis tische Gewissenssache. Daher die Opposition Labourdonnaye's, Villèle's, Corbière's, Cardonnel's, Salaberry's, und bei den Pairs des Herzogs von Fit-James, Chateaubriand's 2c. eine aus voller Überzeugung hervorgehende und sehr nachdrückliche. Aber wenn in irgend etwas, so hatten hier die Minister den Nationalcharakter für sich; mit ihnen sprach die Stimme der Erinnerungen an den Ruhm der französischen Heere in der Revolutions und der Kaiserzeit; ihr Geseh war unleugbar national. Die Reden St. Cyr's bei den Deputirten 48) und Macdonald's, Desfolles', Maison's, Victor's bei den Pairs, von Männern unbefleckter Ehre und hohen Verdienstes gespro chen, waren ganz geeignet, die Gegner zum Schweigen zu bringen. Dennoch war die Stimmenmehrheit für Annahme

47) Grégoire: Essai historique sur les libertés de l'église Gallicane. Par. 1818. Lanjuinais: Appréciation du projet de loi relatif aux trois concordats in mehren Auflagen, Par. 1818. Auch Herr de Pradt ließ sich mit einem dreibändigen Buche: Les quatre concordats, Par. 1818, vernehmen. Wir übergehen eine Menge anderer Schriften. S. darüber Augem. Zeitg. 1818, Beil. 10. 11. 12. 13.

48) S. besonders sein herrliches Wort über die Veteranen Moniteur 1818, p. 148; ein Bruchstück bei Lacretelle 2, 190.

des Gesetzes bei den Deputirten nicht bedeutend, 147 gegen 92, und bei den Pairs bedenklich gering, 96 gegen 74. Das Gesetz über die Recrutirung der Armee" wurde am 10. März 1818 bekannt gemacht "). Demnach sollte 1) hinfort freiwilliger Eintritt in das Heer, und wenn dieser nicht ausreichte, Aufgebot (appel) stattfinden; 2) die Armee im Frieden aus 240,000 Mann bestehen, das Aufgebot (appel) jährlich nicht die Zahl von 40,000 M. übersteigen, in außerordentlichen Fällen ein Gesetz über Vermehrung des Appels erlassen wer den; 3) ausgediente Unterofficiere und Soldaten in Kriegszeit, unter dem Namen Veteranen, zu sechsjährigem „Ter: ritorialdienste" verpflichtet sein; 4) Niemand Unterofficier wer den, der nicht mindestens zwei Jahre gedient habe, Niemand Officier, der nicht zwei Jahre als Unterofficier gedient oder ebenso lange Zeit an den Lehr- und Übungsstunden der militärischen Specialschulen theilgenommen und die Prüfungen daselbst bestanden habe. Ein Drittheil der Unterlieutenantstellen folle an Unterofficiere kommen. Zwei Drittheile der Officiersstellen vom Lieutenant aufwärts bis zum Oberstlieutenant sollten nach Anciennetåt befeht werden. Kein Officier folle zu einem höhern Grade gelangen, wenn er nicht vier Jahre in dem unmittelbar vorhergehenden niedern gedient habe. Ausnahmen würden nur im Kriege bei außerordentlichem Bedürfniß oder ausgezeichneten Handlungen, die der Armee be kannt gemacht werden sollten (mises à l'ordre du jour de l'armée) stattfinden. Eine große Zahl bald nachher gefolgter Verordnungen 5) zeugt von der Sorgfalt, das Aufge bot mit der möglichsten Schonung und Rücksicht zu verbin den und die gehässigen Vorstellungen von der vormaligen Conscription zu beseitigen. Was aber das Gesch über das Avancement enthielt, war ermunternd für den Soldaten; es konnte wieder heißen, ein jeder trage in seiner Patrontasche den Marschallsstab.

Den Verhandlungen über das Budget, welches am 15. Dec. der zweiten Kammer vorgelegt wurde, ging voraus

49) Duverg. 21, 283 ff.

50) Derf. 21, 411. 453 ff.

das angestrengteste Bemühen Richelieu's, mit den Verbündeten einen billigen Vertrag über die schon mehrmals erwähnten an Frankreich gerichteten Schuldforderungen von Individuen oder untergeordneten Behörden des Auslandes 31) ́ zu Stande zu bringen. Die Verhandlungen über das Budget ruhten bis dahin. Schon seit drei Jahren war eine Commission mit jener Sache beschäftigt. Die Ansprüche der Verbündeten, namentlich der deutschen Fürsten, waren während der Verhandlungen bis auf 1300 Mill. Fr. gesteigert worden. Richelieu wandte sich im Anfange des J. 1818 an Alexander mit der Bitte um Vermittlung 2). Dieser war nicht spröde; das Interesse der deutschen Fürsten kam so wenig in Betracht als bei dem ersten und zweiten Pariser Frieden. Er wünschte, daß Wellington an den Verhandlungen theilnehmen möge. Dieser unterzog sich dem Geschäfte, und fein Wort erledigte manchen schwierigen Punct. Die Geschicklichkeit des französischen Commissars that das Ihrige. Dies war Baron Mounier, Sohn des im Anfange der Revolution ausgezeichneten Deputirten der Dauphiné. Der Vertrag, welcher am 25. Apr. zwischen Richelieu, Vincent, Pozzo di Borgo, Stuart und Gols unter Theilnahme Wellington's abgeschlossen wurde, brachte die Sache aufs Reine; am 6. Mai ward er der Kammer vorgelegt und am 15. Jun. unterzeichnet "). Frankreich fand sich ab mit einer immerwährenden Rente von 12,040,000 Fr., die, zu einem Capital von 320,800,000 Fr. berechnet, in das große Buch eingetragen werden sollte. Außerdem kamen durch einen besondern Vertrag des 15. Jun. 3 Millionen Renten an England **).

51) S. oben Buch 11, Cap. 3, Note 48. Buch 12, Cap. 2, Note 36. Koch-Schoell 11, 596 f.

52) Hist. de la rest. etc. 5, 153.

53) Duverg. 21, 380. Martens N. R. 7, 417. S. daselbst die Vertheilung an die einzelnen Staaten. Das Meiste bekam Preußen, 2,600,000 Fr., die Niederlande 1,650,000 Fr., Östreich und Sardinien jedes 1,250,000 Fr., Hamburg 1,000,000 Fr.; das Wenigste Meinun gen, 1000 Fr.

54) Martens a. a. D. 7, 430.

Die Stimmung in den Kammern war kaum in irgend etwas den Ministern so anerkennend entgegengekommen, als bei der Mittheilung dieses Ausgangs der Verhandlungen über die Schuldliquidation; die Eintragung von 16,040,000 Fr. immerwährender Renten in das große Buch ") fand so gut wie gar keinen Widerspruch. Das Budget wurde genehmigt und am 15. Mai bekannt gemacht "). Die ordentlichen Ausgaben des J. 1818 wurden zu 616,112,271 Fr., die außerordentlichen zu 301,468,082 Fr. bestimmt. Zum Behufe der leh: tern ward dem Ministerium der Finanzen gestattet, eine Anleihe bis zu 16 Millionen fünfprocentiger Renten zu eröffnen. Durch ganz Frankreich zeigte sich die freudigste Bereitwilligkeit, dem Ministerium Gelder darzubieten und volles Vertrauen zu dem Staatshaushalte; die Renten stiegen bis zum Ende Augusts von 54 auf 80.

Die Gesetzgebung dieser Situng hatte Frankreich manchesHeil gebracht; zu ihrem Ruhme gehört auch ein Gesetz gegen den Negersklavenhandel. In dem Anhange zum Pariser Frieden vom 20. Nov. 1815 hatten die betheiligten Mächte gelobt, zu der gänzlichen Abstellung des Negersklavenhandels zusammenwirken zu wollen. Eine königl. Verordnung vom 8. Jan. 1817 drohte darauf Confiscation jedes Sklavenschiffs, das nach einer französischen Colonie bestimmt sei “7), und Entsehung des Capitáns; dies ward durch ein den Kammern vorgelegtes und am 15. Apr. 1818 verkündigtes Geset bestätigt 5); die Situngen der Kammern wurden am 16. Mai 1818 geschlossen.

Regierung und Volk.

St.

Die Wackerheit und Thätigkeit Lainé's, Decazes', Cyr's, Corvetto's, Pasquier's und Molé's ließ in der innern Verwaltung wenig zu wünschen übrig; fie entsprach dem Be

55) Duverg. 21, 321.
56) Ders. 21, 335.
57) Ders. 21, 79.

58) Derf. 21, 305.

mühen Richelieu's, Frankreichs Verbindlichkeiten gegen das Ausland zu ermäßigen. Die Prevotalhöfe hörten mit Anfange des J. 1818 auf; in dem Laufe des ganzen lehten Jahres waren nicht über fünf Personen kraft des Ausnahmegesetzes vom 29. Oct. 1815 verhaftet worden. Cambacérés und 16 andere Verbannte erhielten am 25. Aug. Erlaubniß zur Rückkehr. Ein hohes Verdienst erwarb sich Lainé dadurch, daß er die blutbefleckte Nationalgarde von Nîmes aufhob und den König vermochte, dem Grafen Artois die Nationalgarde - zu entziehen und wieder unter Befehl des Ministeriums zu stellen (30. Sept. 1818) 59). Die Bildung der Armee ging unter der kräftigen und geschickten Hand St. Cyr's trefflich von statten. Die Presse unter Aufsicht Villemain's ward nicht bis zur Entmuthigung niedergehalten; es durfte manches freimüthige Wort veröffentlicht werden.

Angriffe auf die Minister geschahen wie in den Kammern so durch die Presse von zwei Seiten her. Die Journale der Ultras, die Quotidienne und nunmehr, seit October 1818, der Conservateur, woran Chateaubriand, de la Mennays, Bonald, Castelbajac, Salaberry, Villèle, Fiévée zc. arbeiteten, waren in ihrer Polemik ungemein kühn und wegen der hohen Macht der Rede mehre derselben von großem Einfluß. Von den Journalen der Liberalen kam zu Ansehen die seit dem Februar 1818 erschienene Minerva, entstanden aus einem verunglückten Versuche, den Mercure Français zu verjüngen; daran arbeiteten Etienne, Jay, Jouy, Benjamin-Constant, Karl Lacretelle, Tissot, Pagès 2c.6°), ferner die Bibliothèque historique, redigirt von Chevalier, Cauchois-Lemaire 2c., seit 1. Dec. 1817, welche sichs besonders angelegen sein ließ, Misbräuche der Beamten zu veröffentlichen; der Indépendant, seit 1. Mai 1815 Eins mit dem Journal du commerce, spåter in den Constitutionnel umgewandelt 1), ferner mit gleich ungeschwächtem Muthe und Eifer (bis 1819) der Censeur, woran Dau

59) Ders. 22, 12.

60) (Deschiens) Bibliographie des Journaux, Par. 1829, p. 364. 61) Die verschiedenen Titel (Le Constitutionnel schon 29. Oct. 1815, aber stehend erst 2. Mai 1819) f. bei Deschiens 177.

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