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an die Deputirtenkammer. Die am 10. Apr. begonnenen Verhandlungen brachten den Ministern Opposition von der Rechten und Linken zugleich. Die Rechte wollte zu dem Artikel, welcher Angriffe auf öffentliche Moral und gute Sitten verpónte, den Zusatz Religion. Dagegen sprach mit tiefer Bewegung am 17. Apr. Cuvier; es lag so nahe auf die „zur Ehre Gottes" geübten Verbrechen hinzuweisen, die Erwähnung der Bartholomäusnacht war wie unvermeidlich 9); man be gnügte sich,,,öffentliche und religiöse Moral" zu sehen. Die Jesuitenpartei damit nicht befriedigt, nannte das Gesetz ein atheistisches"). Wie stark die Glaubenspartei im bessern Sinne des Worts war, zeigte sich bei den Pairs, wo ein Antrag des Herzogs von Fit- James,,,Schmähung gegen die christliche Religion" (les outrages dirigés contre la religion) zu verpónen, nur mit sieben Stimmen Mehrheit verworfen wurde 100). Mit fast einstimmigem Beifall wurde dagegen das. dritte Geses, welches die periodische Presse zwar einer Caution unterwarf, aber die Censur ábstellte, angenommen. Von den drei Gesehen, welche am 17., 26. Mai und am 9. Jun. erschienen, bestimmte das erste, von Unterdrückung der durch die Presse oder eine andere Art von Veröffentlichung begangenen Verbrechen oder Vergehen, was für dergleichen angesehen werden soll 101), das zweite handelt von Verfolgung und Richtung derselben 102), das dritte von Journalen oder periodischen Schriften 103); das zweite enthielt die wichtige Bestimmung, daß Preßvergehen durch_Geschwornengericht der Assisen gerichtet werden sollen. Das lehte machte Epoche. Kraft dieses fiel die vorläufige Prüfung der Journale weg; die Eigenthümer oder Redactoren von Journalen oder periodischen Schriften mußten Caution, bis zu 10,000 Fr. Rente,

98) Seine Rede Moniteur p. 470. Beilage 13,

99) Lacretelle 2, 311.

100) Moniteur 664. Lacretelle 2, 311.

101) Duverg. 22, 147.

102) Derf. 22, 155.

103) Derf. 22, 165.

stellen. Wie eine Sturmfluth ergoß sich die Macht der bisher policeilich gezähmten Presse; leider war darin weniger das Wohlgefühl des Genusses der Freiheit, als der Muthwille, der das Maß des Geseßlichen verachtet, und selbst Böswilligkeit darin zu erkennen.

Nun hatte die Staatswaltung den Ansprüchen auf Sühne und Fortschritt so viel zugestanden, daß es schien, als könne der Gnade des Königs auch in dem, was noch gutzumachen war, vertraut werden. Es war eine Commission zur Annahme von Petitionen bestellt worden; sie hatte vollauf zu thun, sie versäumte nichts, und ihrem Bemühen entsprachen die Kammern und die Regierung. Bald zeigte sich Ungeduld und ein mehr als zuversichtlicher Ton in den Petitionen. In der zahllosen Menge eingereichter Petitionen waren viele auf Rückberufung sämmtlicher Verbannten, selbst der Bonaparte, ge= richtet. Ein Mitglied der Commission, Cotton, berichtete darüber am 17. Mai und schlug die Tagsordnung darüber vor 1o*). Dem stimmte die Rechte mit ungestümem Rufe bei. Doch als Caumartin Übergabe dieser Petitionen an den Chef des Ministeriums empfohlen hatte, trat de Serre, der Justizminister, auf und machte in einer oft durch lebhaften Beifall unterbrochenen Rede geltend, daß für die im 7. Artikel des Gesetzes vom 12. Jan. 1816 begriffenen Königsmörder nies mals Rückberufung stattfinden könne 105). Die Tagsordnung wurde beschlossen, aber damit ruhte die Sache noch nicht. Bignon gab eine Schrift heraus, in der von einem Geheimniß zu Gunsten der Verbannten die Rede war; er schien anzudeuten, daß der König mit der Convention von Paris Umnestie für Alle und Jede verbunden habe. Darüber kam es zu Erörterungen am 19. Jun. 106); nochmals trat de Serre auf und redete mit gleicher Würde und gleichem Ernste gegen die gedachten Petitionen; Chauvelin, Manuel, Courvoi fier, Lafayette und Benjamin - Constant nahmen gegen ihn das Wort; die Debatte wurde lebhaft; Royer-Collard aber

104) Moniteur p. 631.

105) Daf. p. 632.
106) Das. p. 821.

schloß sie mit einer kurzen meisterhaften Rede zu Gunsten de Serre's, und die Abstimmung wies die Petitionen zurúð "). Die Linke aber war nunmehr vollkommen im Gegensatze gegen die Minister; das Wort niemals ward zur bittersten und leidenschaftlichsten Anklage gegen de Serre.

Die Sizungen der Kammern wurden am 17. Jul. 1819 geschlossen.

Die Minister rasteten nicht, durch weise und kräftige Staatswaltung ihre echt constitutionelle Gesinnung zu bethá: tigen. Heilbringende Institute traten ins Leben, Industrieausstellung, ein Rath für Ackerbau, ein Verein zur Verbesserung der Gefängnisse, die Rechtsschule bekam neue Lehrstühle, der Seeminister Portal veranstaltete die Erdumschiffung, die Freycinet ausführte; den Gemeinden wurden ihre Güter zurückgegeben, die persönliche Freiheit hatte in dem trefflichen de Serre einen wachsamen und hochherzigen Beschüßer 108). Frankreichs Naturreichthum gab die ansehnlichste Ausbeute, das Gewerbe, mit neuer Triebkraft versehen, hatte reichlichen Lohn, die Verwüstungen des Kriegs und die schwere Belastung, die er zurückgelassen hatte, wurden täglich mehr ver schmerzt; Paris insonderheit, wohin Fremde aus allen Weltgegenden strömten, erfreute sich wachsenden Wohlstandes. Wo aber findet sich weniger die Geneigtheit, auf die Güter der Gegenwart sich zu beschränken, als bei dem politisch geimpften Theile der französischen Nation! Bei diesem war mehr Unruhe und Streben als bescheidene Zufriedenheit.

Dies zeigte sich vor Allem in der nun gänzlich entfesselten Presse. Mit dem Wegfall der königlichen Autorisation sproßte eine wahre Wuchersaat von Zeitschriften auf; das Be dürfniß zu lesen und aus Zeitschriften sich über das öffentliche Wesen zu unterrichten, das Wohlgefallen am Tadel, das Haschen nach dem Pikanten mehrte sich in gleichem Verhältnisse. Neben den officiellen Journalen, Moniteur, Journal de Paris und Journal des Maires, die sich nicht selten auf polemische Artikel einließen, nahm die Sache des Ministeriums

107) Moniteur p. 823. 824.

108) Hist. de la rest. etc. 6, 146-153. Lacretelle 2, 320 f.

der Courrier, woran Guizot, Royer-Collard und Keratry arbeiteten. Die äußerste Linke hatte zu Organen den Indépendant und die Renommée, die Bibliothèque historique und den Nouvel homme gris; minder scharf war der Constitutionnel und Censeur. Die Rechte sprach sich aus in der Quotidienne, dem Journal des débats und dem Drapeau blanc, den Martainville herausgab 109). Von beiden Seiten ward hoher Reichthum des Talents mit Macht, Búndigkeit, Feuer und Glanz des Styls geltend gemacht, und die Kühnheit der royalistischen Opposition war um nichts geringer, als die der Liberalen. Der Franzose wurde durch die hohen Leistungen der periodischen Presse mehr und mehr zum Interesse an ihren Erzeugnissen gewöhnt, und man kann es ihm nicht verargen, daß er, von der Bücherliteratur sich abwendend, bei dem Bedürfniß zu lesen und der regen Theilnahme am Staatswesen darin tägliche Befriedigung suchte. Für die Liberalen ward zur reichsten Schasgrube die Erinnerung an die Glorie des Kaiserreichs; die Blätter füllten sich mit Erzählungen von dessen Großthaten, der Napoleonismus schwelgte in lange entbehrten Genüssen. Zu der periodischen Presse kam mit wunderbar ergreifender Kraft Beranger's politisches Lied und das unübertroffene Talent der politischen Satire und Ironie in Paul Louis Courier's Pamphlets, an denen Frankreich sich seit 1818 ergößte. Daß die Presse bewegende Macht war, zeigte sich in immer zunehmender fieberhafter Unruhe der Geister. An Stillstand war nicht zu denken; das Ministerium hatte sich neuen Sturms zu gewårtigen. Einzelne Acte, als (18. Dec.) die Auflösung der Gesellschaft der Freunde der Preßfreiheit "10) (Lafayette, Manuel, Benjamin - Constant 2c.) und die Suspension Bavour's, Professors an der Rechtsschule, in dessen Vorlesungen es sehr stürmisch zugegangen war "), halfen dagegen nicht; vielmehr wurde die Partei der Liberalen dadurch nur noch mehr gereizt.

109) Hist, de la rest. etc. 6, 177 f.

110) Moniteur p. 1594. Vgl. Hist. de la rest, etc. 6, 283.
111) Moniteur p. 879. Seine Lossprechung p. 1042.

Dem leidenschaftlichen Treiben der Liberalen gegenüber sehen wir die jesuitischen Våter des Glaubens" und Missionare mehr in den Landschaften als in Paris troh allen Anfechtungen, woran es die Presse und der Pöbel nicht fehlen ließen, unverrückt in dem Geiste der römischen Kirche auf ih rer Bahn fortwandeln. Über das Concordat mit dem påpfitlichen Stuhle noch nicht übereingekommen, sorgte man, daß zunächst nur eine angemessene Vermehrung der erzbischöflichen und bischöflichen Size stattfånde: dem gemäß erfolgte die Besehung mehrer dergleichen. Diese öffentliche Concession an die römische Kirche brachte geringe Gefahr; drohend aber waren die geheimen Umtriebe der Priesterpartei. Was im Pavillon Marsan vorging, ist in Dunkel gehüllt "); an Umtrieben mangelte es nicht; gab es damals schon eine geheime Regierung, gouvernement occulte, als deren Seele Vitrolles be zeichnet wird, so hatte sie ihre Fåden sehr geheim zu spinnen und konnte nur auf Erfolge in der Zukunft rechnen. Vom Anfange der Revolution an hatten sich die Entwürfe der volks: feindlichen Partei an das Ausland geknüpft; so war es jüngst wieder mit der berüchtigten geheimen Note" der Fall gewe sen; nun schien es, als folle jenes, in frühern Jahren der Restauration so sehr auf Befestigung und Ausbildung verfaßsungsmäßiger Freiheit Frankreichs bedacht, ihnen die Hand bieten. In Deutschland hatte die Ermordung Kozebue's durch Sand und der Mordanfall Löning's auf den Pråsidenten Ibell die Cabinette in Unruhe und Sorge verseßt;' in Alexander's politischer Ansicht trat ein Wendepunct ein; die drei Ostmächte traten in die Schranken gegen den Geist demagogischer Umtriebe; der Congreß zu Carlsbad bereitete ihm Bande. Auch an das französische Ministerium, das zu Carlsbad keinen Gesandten, nur geheime Agenten gehabt hatte 113), ergingen Antråge; der östreichische und preußische Gesandte, Vincent und Golk, reichten bei Desfolles Noten ein, welche eine Änderung des politischen Systems anriethen ").

112) Von sehr zweifelhafter Gewähr ist Theod. Anne, Mémoires, souvenirs et anecdotes sur l'intérieur du palais de Charles X. Par. 1831. 113) Hist. de la rest. etc. 6, 213.

114) Daf. 2, 210, 212.

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