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vorzulegen. Dies geschah schon am 15. Febr. Den Depu tirten wurde der erste und dritte, den Pairs der Gesezent wurf über Censur vorgelegt. Der erste lautete auf Zuläs sigkeit außerordentlicher Verhaftungen kraft eines vom Ministerrathe ausgehenden und von mindestens drei Ministern unterzeichneten Befehls und Gültigkeit dieses Gesezes nur bis zur nächsten Sizung, wofern diese es nicht erneuere. Er fand heftigen Widerspruch bei den Deputirten und bei den Pairs. Dort redeten Foy und Benjamin-Constant; jener mit einer Gabe des Worts und einer Haltung, welche an den wackern Royalisten Cazales erinnerte "); bei den Pairs der Herzog von Broglie, Jourdan, Boissy d'Anglas, Segur, Lanjuinais, allzumal gegen den Gesetzentwurf 12); aber es bedurfte nicht einer so nachdrücklichen Hinweisung auf den rege gewor denen Geist revolutionårer Unruhe, als Herzog Fiß-James vernehmen ließ; der Eindruck, den die Mordthat hinterlassen hatte, war tief und gewaltig; die Gemäßigten waren mit der Rechten einverstanden in Billigung des Gesetzes; es wurde bei den Deputirten mit 134 Stimmen gegen 115, bei den Pairs mit 121 gegen 86 angenommen und am 28. März bekanntgemacht. Der zweite Gesehentwurf über die Zei tungen und periodischen Schriften fand bei den Pairs und darauf bei den Deputirten ebenfalls bedeutenden Wider: spruch. Dort waren vor Allen der Berichterstatter, Rochefoucauld - Liancourt, Veteran unter den Liberalen, und eine nicht geringe Zahl Pairs, worunter auch Chateaubriand, dagegen "); jedoch die „Cardinalisten" wurden für den Entwurf gewonnen, und er erlangte am 28. Febr. die Stimmenmehr: heit. So auch bei den Deputirten, wo umsonst Royer-Collard, Foy, Lafayette c. am 21-30. März dagegen ankämpften 14). Das Thema schien durch zahllose Verhandlungen, die seit Anfang der Revolution stattgefunden, vollständig erschöpft zu sein, und doch fand sich immer wieder Reichthum der Ge

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11) Moniteur 7 Mars, p. 283. 285.

12) Moniteur 23-25 Mars, p. 376 f.
13) Moniteur p. 226.

14) Das. p. 365 f.

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danken! Was Wunder! Es gehört zu denen, wo die Principien des natürlichen Rechtes und der Staatsraison" sich auf den empfindlichsten Puncten berühren, und bisher nur durch Gewalt der Kampf der Ansichten von Zeit zu Zeit unterbrochen worden war. Worüber ist unermüdlicher zu reden, als über Freiheit, worüber mehr zu schreiben, als über Preßfreiheit! Das Geseß erschien am 31. März 15). Demgemäß wurde das Erscheinen aller Journale, auch der nicht an bestimmten Tagen herauskommenden, von der Autorisation des Königs abhängig gemacht; dies sollte jedoch nur bis zu Ende der Sihung von 1820 gültig sein. Es wurden Cenforen bestellt; zum Theil wackere Männer, Auger, Mazure, RaoulRochette 2c. 16).

Das Wahlgefeß des Jahres 1820.

Der am 15. Febr. an die Deputirtenkammer gebrachte Entwurf eines neuen Wahlgesetes kam nicht zur Berhandlung; das Ministerium, von dem geringen Beifall, den derselbe gefunden, unterrichtet, brachte am 17. Apr. einen von Simeon, Pasquier und Mounier bearbeiteten neuen Entwurf an die Deputirten '7). Er war zu Gunsten der reichen Grundbesiger abgefaßt; es sollten zwei Wahlcollegien sein, das höhere, des Departements, ganz in ihre Hand kommen. Lainé erstattete am 6. Mai Bericht darüber, die Verhandlungen dauerten vom 15. Mai bis zum 12. Jun. Sie waren überaus schwungvoll; seit langer Zeit war der Ton in der parlementarischen Rede nicht so hoch gesteigert und von einer so würdigen Haltung gewesen; dazu aber gesellten sich Bewegungen in und außerhalb der Kammer, in welchen sich theils die raftlosen Umtriebe der Ultraroyalisten, theils die hohe Wichtigkeit, welche die öffentliche Meinung in der Hauptstadt an das Wahlgesetz knüpfte, kundgaben. Jene kamen am 25.

15) Duvergier 22, 409.

16) Duverg. 22, 415. 416. 418.

17) Simeon's einleitende Rede s. Moniteur p. 508. Im Folgenden läßt der Moniteur in Betreff der Vollständigkeit nichts zu wünschen.

Apr. in der Kammer zur Sprache 1). Madier v. Montjau, königl. Rath zu Nîmes, hatte von geheimen Schreiben einer der verfassungsmäßigen Staatswaltung feindlichen Partei an ihre Anhänger in Nîmes Anzeige gemacht; die Linke wollte die Enthüllung des Gouvernement occulte, von welchem jene Schreiben ausgegangen seien, konnte aber nicht durch: dringen. Die Petition Madier's wurde dem Ministerium übergeben. Als Redner über das Wahlgeset hatten sich 54 Deputirte einschreiben lassen. Es galt die Principien der Verfassung überhaupt, und in der That wurden Aristokratie und Demokratie Gegenstand der Verhandlung. Von der Linken sprachen mit Feuer und Würde St. Aulaire, Foy, RoyerCollard, Lafayette, Bignon, Benjamin - Constant 2c, der Lehtere mit hoher Auszeichnung 1), gegen die Minister; wiederum gegen Lainé den Berichterstatter, Labourdonnaye, der vehe mente Vorfechter der Feudalaristokratie. Höchst bewegt ward die Debatte, als Lafayette am 27. Mai in der Erinnerung an die Revolution der Erhebung des Volkes ihr Recht werden ließ und dabei auf die dreifarbige Cocarde hindeutete 2), dagegen aber Minister de Serre, einst Officier in Condé's Armee, doch anerkannt als wackerer Mann, mit merkbarer innerer Bewegung das Wort nahm. Jeht brachte CamilleJordan der Doctrinaire einen Vorschlag, der zur Vermittlung dienen sollte, aber sich mehr der Ansicht der Linken als der ultraroyalistischen zuneigte, nåmlich daß jedes Arrondissement einen Deputirten direct wählen solle 2). Nun wälzte sich das ganze Gewicht des Streits auf die Frage, ob zuerst über dieses Amendement oder über den Ministerialentwurf abgestimmt werden solle. Wie nun Madier's Anzeige von einem

18) Moniteur p. 549.

19) Dies die berühmte Rede, worin: Les Bourbons, rien que les Bourbons avec la charte, toute la charte sous les Bourbons. Moniteur p. 711-713.

20) — cet étendard national qui fut dans son origine, j'aime à le répéter ici, le drapeau de la liberté, de l'égalité et de l'ordre public." Moniteur p. 735.

21) Moniteur p. 752. Text des Amendements p. 708.

Gouvernement occulte der royalistischen Ultras, das vom Pavillon Marsan aus wirke, zu reden gegeben hatte, so wollte es scheinen, als wenn eine immer steigende Unruhe in der Bevölke rung von Paris, namentlich bei den Zöglingen der Medicinund Rechtsschule, von einem Verein der Liberalen, bald nach: her als Comité directeur bezeichnet, hervorgerufen würde. Acht Tage lang war drohender Lärm in der Stadt. Schon seit Anfang der Debatten, am 16. Mai, waren zahlreiche Volksgruppen vor dem Palast Bourbon gewesen; sie mehrten fich tåglich; am Ende des Monats wurden sie drohend 22). Der hochliberale Deputirte Chauvelin ließ sich, durch Krankheit am Gehen gehindert, am 31. Mai in den Sihungssaal tragen, um an der Abstimmung über Camille-Jordan's Amendement theilzunehmen; stürmischer Beifallsruf der draußen versammelten Menge empfing und begleitete ihn, als er aus der Kammer zurückkehrte. Die Bewegung stieg noch höher, als durch seine Stimme die Mehrheit für die Prioritát von Camille-Jordan's Vorschlage, 128 Stimmen gegen 127, entschied. Die Minister, der Mehrheit, wenn auch nur mit einer Stimme, verlustig, hielten Rath, die Royalisten rüsteten sich auf eigene Rechnung zur That. Gardes-du- corps in bürgerlicher Kleidung mischten am 1. und 2. Jun. in großer Zahl sich unter die Menge, die bei dem abermaligen Erscheinen Chauvelin's in tumultuarische Bewegung gerieth, es kam zu Thatlichkeiten unter dem Rufe: „Es lebe der König" und, bei dem Gegenpart, „Es lebe die Charte." Mehre Deputirte klagten über Mishandlungen, die sie zu erdulden gehabt hätten. Noch unruhiger ward es am 3. Jun., und im Getümmel ward ein Student der Rechtsschule, Lallemand, von einem Soldaten erschossen. Der Lärm setzte sich in den folgenden Tagen in immer steigendem Maße fort; er verbreis tete fich bis auf die Boulevards. Starke Abtheilungen Gendarmes und Linientruppen wurden in den Straßen aufgestellt. Das hielt aber die Menge nicht zurück; fie drångte ungestum an; Marschall Dudinot wurde am 9. Jun. vom Pferde gestürzt und verwundet. Indessen war bei den Deputirten über

22) Moniteur 6 Juin und ausführlich 21 Juin,

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diese Vorfälle neue Erhihung des Streits aufgekommen, Stimmen von der Linken sprachen mit Bezug auf die Tödtung Lallemand's von Mördern. Den Ministern war es aber gelungen, eine schwache Mehrheit wiederzugewinnen. CamilleJordan's Umendement war am 1. Jun. mit 133 Stimmen gegen 123 verworfen worden 23). Noch aber war keine Aussicht, daß der Gefeßentwurf unverändert durchgehen würde; daher war dem Ministerium eine von de Serre's Freunde Boin vorgeschlagene Veränderung willkommen, und mit dieser wurde am 9. Jun. der Geseßentwurf von 185 Stimmen gegen 66 angenommen "). Die Pairs stimmten in ungefähr eben dem Berhältniß dafür. Das am 29. Jun. erlassene Wahlgeseg") machte das aristokratische Princip in nicht geringerer Ausdehnung, als bei den Wahlen zu der Kammer von 1815 verfahren worden war, geltend. Die bedeutsamsten Bestimmungen des Gesches find: In jedem Departement gibt es ein Wahlcollegium des Departements und Wahlcollegien der Arrondissements. Das erstere besteht aus den höchstbesteuerten Wählern, an Zahl gleich dem Viertheil der Ge sammtheit der Wähler des Departements. Die Collegien des Departements ernennen 172 neue Deputirte; die bisherigen 258 Deputirten werden von den Collegien der Arrondissements erwählt. Diese bestehen aus den gesammten im Wahlbezirke der Arrondissements wohnhaften Wählern (also wählten die Höchstbesteuerten hier auch mit 26); jedes Arrondissement wählt einen Deputirten. - Die Linke konnte an dem Gesetze nichts gut finden, als daß direct gewählt, nicht aber eine Candidatur, wo einer höhern Behörde das Auswählen zugetheilt wurde, stattfinden sollte; in allen andern Puncten hatte sie von dem Wahlgefeße Schlimmes zu fürchten.

Die lange Dauer der Sizung und die Bewegtheit der Verhandlungen über obgedachte drei Geseze hatten beide Kammern ermüdet; so wie das Wahlgefeß angenommen war, eil=

23) Moniteur p. 768.

24) Daf. p. 810.

25) Duverg. 23, 13.

26) Dies das double vote.

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