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(4. August 1802) wurde dem Senat sogar das Recht beigelegt, den gesetzgebenden Körper aufzulösen1).

Die Verfassung des ersten Kaiserreichs kennt das Institut der Sanktion gleichfalls nicht. Das Tribunat, welches erst im Jahre 1807 aufgehoben wurde) und der geseßgebende Körper haben dieselben Rechte wie unter der Konsularverfassung; das Recht des Senats, die Beschlüsse des geseßgebenden Körpers wegen Verfassungswidrigkeit zu annulliren, ist dagegen zu einem bloßen Vorschlagsrecht abgeschwächt 3). Dieses Vorschlagsrecht ist jedoch für den Kaiser nicht bindend; derselbe ist befugt, ein von dem Senat wegen Verfassungswidrigkeit beanstandetes Gesez troß dieser Beanstandung zu promulgiren *). Als Sanktion kann das erwähnte Recht des Kaisers nicht aufgefaßt werden. Der Kaiser kann die Beschlüsse des gesetzgebenden Körpers nicht nach freiem Ermessen bestätigen oder verwerfen; nur wenn zwischen dem gesetzgebenden Körper und dem Senat Meinungsverschiedenheiten über die Frage der Verfassungsmäßigkeit bestehen, tritt sein diskretionäres Ermessen ein.") Thatsächlich hat der Kaiser allerdings ein indirektes veto besessen, weil der Senat — dessen Mitglieder fast sämmtlich vom Kaiser ernannt wurden °) in Folge dieser Zusammensetzung stets nur ein willenloses Werkzeug in der Hand des Kaisers war; formell stand dem Kaiser jedoch ein solches veto nicht zu. Der Gesezesbefehl wird vom Kaiser bei der Promulgation erlassen. Die durch Artikel 140 der Verfassung vorgeschriebene Promulgationsformel lautet: „Napoléon par la grâce de Dieu et les constitutions de la République, empereur des Français, à tous présents et à venir, salut. Le corps législatif a rendu le ... (la date) le décret suivant, conformément à la proposition faite au nom de l'empereur, et après avoir entendu les orateurs du conseil d'Etat et des sections du tribunat le... Mandons et ordonnons que les présentes, revêtues des sceaux de l'Etat, insérées au bulletin des lois, soient adressées aux cours, aux tribunaux et aux autorités administratives, pour qu'ils les inscrivent dans leurs registres, les observent et les fassent observer; et le grand juge ministre de la justice est chargé d'en surveiller la publication".

Träger der Staatsgewalt ist weder der gesetzgebende Körper noch das Tribunat noch der Senat, sondern der mit nahezu absoluter Machtfülle ausgerüstete Kaiser, dem jedoch merkwürdiger Weise gerade das Recht der Sanktion fehlt.

In der Konstitution vom 6.-9. April 1814 erscheint das Rechtsinstitut der Sanktion wieder. Artikel 5 dieser Verfassung bestimmt: „La Sanction du roi est nécessaire pour le complément de la loi". Ebenso enthält die Charte vom 4.-14. Juni 1814 in Artikel 22 die Vorschrift: „Le roi seul sanctionne et promulgue les lois". Es fehle jeder Beweis, daß mit dem Ausdruck Sanktion" im Sinne dieser Bestimmungen der Erlaß des Gesezbefehls gemeint sein soll. Der Wortlaut des Artikels 15 der Charte: „La

"

1) Artikel 55, Ziffer 5.

Senatuskonsult vom 19. August 1807.

3) Organisches Senatuskonsult, vom 28 floreal an 12 (18. Mai 1804), Art. 71: Le sénat peut exprimer l'opinion qu'il n'y a pas lieu à promulguer la loi. 4) Art. 72 a. a. .: L'empereur, après avoir entendu le conseil d'Etat, ou déclare, par un décret son adhésion à la délibération du sénat ou fait promulguer la loi. 5) Art. 69-73 a. a. O.

6) Art. 57 a. a. D.

puissance législative s'exerce collectivement par le roi, la chambre des pairs et la chambre des députés des départements" spricht für die Auslegung, daß der Gesezgeber die drei Faktoren der Gesetzgebung als gleichwerthig angesehen hat1). Dazu kommt, daß die französische Doktrin die Unterscheidung zwischen Gesezesinhalt und Gesezesbefehl überhaupt nicht machen kann, weil sie unter Gesetz im staatsrechtlichen Sinne niemals eine materielle Rechtsnorm, sondern stets nur eine formelle Willenserklärung des Staates versteht. In allen Fällen, in denen die französischen Verfassungsurkunden eine Legaldefinition des Wortes „Geset" geben, wird dieser Ausdruck im formellen Sinne gebraucht.

In den verschiedenen Erklärungen der Menschenrechte, welche den Eingang zu den meisten Verfassungsurkunden der französischen Revolutionszeit bilden, wird das Gesez als l'expression de la volonté générale" 2) oder als „l'expression libre et solennelle de la volonté générale") oder als „la volonté générale, exprimée par la majorité des citoyens ou de leurs représentants") bezeichnet. Die Konstitution vom 3.-14. September 1791 bestimmt „Les décrets sanctionnés par le roi et ceux qui lui auront été présentés par trois législatures consécutives, ont force de loi et portent le nom et l'intitulé de lois"). Nach der Verfassung vom 24. Juni 1793 gehören zu den Gesezen zahlreiche Verwaltungsakte in Geseßesform z. B. die Feststellung der Einnahmen und Ausgaben der Republik, die Kriegserklärung und die öffentlichen Ehrenbezeigungen, welche dem Andenken großer Männer gewidmet sind.) In der Verfassung vom 5 fructidor an 3 wird folgende Definition der Geseze gegeben: Les résolutions du conseil des cinq-cents, adoptés par le conseil des anciens, s'appellent Lois 7). Träger der Staatsgewalt in der Verfassung von 1814 ist zweifellos der König, der ja auch die Charte vom 4.-14. Juni 1814 aus eigener Machtvollkommenheit erlassen hat.)

Die Verfassung vom 14.-24. August 1830 enthält in Artikel 18 gleichfalls den Sag: Le roi seul sanctionne et promulgue les lois". Bei Auslegung dieser Vorschrift kommen dieselben Gesichtspunkte in Betracht, die bereits bei der Verfassung von 1814 erörtert worden sind. Die Gleichstellung

1) Vgl. Dalloz: Répertoire de législation. Bd. 30 „Lois" N. 122, S. 70: „La sanction était, sous l'empire de la charte, le consentement donné par le roi au vote des deux chambres. Dernière condition ou complément de la loi, elle était nécessaire à cause des additions et amendements que les chambres pouvaient faire au projet de gouvernement."

Eingang der Konstitution vom 3.-14. September 1791, Artikel 6. Erklärung der Menschenrechte vom 1793, Artikel 3.

29. Mai
8. Juni

Déclaration des droits de l'homme et du citoyen vom 24. Juni 1793, Art. 4.
Eingang der Konstitution vom 5 fructidor an 3, Artikel 6.

5) Titel 3, Kapitel 3, Sektion 3, Artikel 6.

Art. 54: Sont compris sous le nom général de loi les actes de corps légis latif concernant: la législation civile et criminelle; l'administration générale des revenues et des dépenses ordinaires de la République; les domaines nationaux; la déclaration de guerre; les honneurs

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publics à la mémoire des grands hommes.

7) Artikel 92.

8) Charte constitutionelle: Nous avons volontairement, et par le libre exercice de notre autorité royale, accordé et accordons, fait concession et octroi à nos sujets, tant pour nous que pour nos successeurs et à toujours de la charte constitutionnelle qui suit.“

Annalen des Deutschen Reichs 1900.

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der drei gesetzgebenden Faktoren in Artikel 14, 15 und 17 der Verfassung läßt darauf schließen, daß der Gesetzgeber die Funktionen derselben für gleichartig angesehen hat.1) Als Träger der Souveränetät in der Julimonarchie dürfte nicht der König, sondern das Volk anzusehen sein, da die Charte vom 7. August 1830 von den Kammern gegeben und von Louis Philipp nur angenommen ist.2)

Nach der Konstitution vom 4.-10. November 1848 hat die Nationalversammlung allein die geseßgebende Gewalt ). Der Präsident der Republik hat nur das Recht, eine nochmalige Berathung zu verlangen.) Die Promulgation der Geseze erfolgt durch den Präsidenten der Republik innerhalb der vorgeschriebenen Frist.") Träger der Souveränetät ist die Gesammtheit der Staatsbürger ); die Gewalt der Nationalversammlung ist nur eine delegirte. Die Gesammtheit der Staatsbürger hat jedoch an der Gesetzgebung nur indirekten Antheil, indem sie die Mitglieder der Nationalversammlung wählt. Name und Wesen der Sanktion ist also dieser Verfassung unbekannt.

In der Konstitution vom 14.-22. Januar 1852 steht die Initiative zu Gesezentwürfen allein dem Präsidenten der Republik zu 7), der gefeßgebende Körper beschließt über dieselben); der Senat,,gardien du pacte fondamental et des libertés publiques" prüft die Verfassungsmäßigkeit); der Präsident endlich ertheilt die Sanktion und Promulgation 10). Als Träger der Staatsgewalt gilt theoretisch das Volk, dem der Präsident verantwortlich ist und an das er stets appelliren kann11.)

Nach der Verfassung der französischen Republik vom 25.-28. Februar 1875 steht die Initiative zu Gesetzentwürfen dem Präsidenten und den beiden Kammern gleichmäßig zu 12); die gesetzgebende Gewalt besigen der Senat und die Deputirtenkammer zusammen 13); die Promulgation der Geseze ist Aufgabe des Präsidenten.14) Weder der Beschluß des Senats noch derjenige der Deputirtenkammer kann als Sanktion des Gesezes angesehen werden, da bald der eine, bald der andere der spätere ist, je nachdem die Initiative von dem Senat oder von der Deputirtenkammer ausgeht. Als Träger der Staatsgewalt gilt

1) Charte constitutionelle vom 14.-24. August 1830, Art. 14: La puissance législative s'exerce collectivement par le roi, la chambre des pairs et la chambre Art. 15: La proposition des lois appartient au roi, à la chambre des pairs et à la chambre des députés." Art. 17: Si une proposition de loi a été rejetée par l'un des trois pouvoirs, elle ne pourra être représentée dans la même session." Lebon: Das Staatsrecht der französischen Republik im Marquardsen „Handbuch des öffentlichen Rechtes", Bd. IV, S. 16.

8) Artikel 20.

*) Artikel 58.

5) Artikel 57.

"

Artikel 1: La souveraineté réside dans l'universalité des citoyens français. Elle est inaliénable et imprescreptible." Artikel 18: „Tous les pouvoirs publics quelqu'ils soient émanent du peuple."

7 Artikel 8.

8) Artikel 39.

9) Artikel 25-26.

10) Artikel 10: „il (président) sanctionne et promulgue les lois et les sénatusconsultes."

11) Artikel 5: „Le président de la République est responsable devant le peuple français auquel il a toujours droit de faire appel."

12) Artikel 3.

18) Artikel 1.

14) Artikel 3.

weder die eine, noch die andere Kammer, auch nicht die aus beiden Kammern gebildete Nationalversammlung, die allein über Verfassungsänderungen zu beschließen hat1), sondern das Volk 2).

Aus vorstehenden Erörterungen ergibt sich für das französische Staatsrecht folgendes Resultat: Die Sanktion ist kein nothwendiges Erforderniß für das Zustandekommen eines Gesezes, denn dieselbe fehlt in allen republikanischen Verfassungen mit alleiniger Ausnahme der Verfassung vom 14.-22. Januar 1852. Die Sanktion ist auch kein nothwendiges Erforderniß für das Zustandekommen eines Gesezes im monarchischen Staat, denn dieselbe fehlt in der Verfassung des ersten Kaiserreichs. Die Sanktion ist ein Rechtsinstitut des französischen Staatsrechts, welches kraft positiver Vorschrift in einzelnen Verfassungen vorhanden ist, in anderen dagegen nicht. In denjenigen Verfassungen, in welchen die Sanktion kraft positiven Rechtssages begründet ist, bedeutet dieselbe niemals den Erlaß des Gesezesbefehls, sondern stets die Zustimmung des Staatsoberhauptes zu dem von der Volksvertretung genehmigten Gesetzentwurf. Der Träger der Staatsgewalt ist nur in der Charte vom 4.—14. Juni 1814 zugleich der Gesetzgeber; in allen übrigen Verfassungen sind der Träger der Staatsgewalt und die Gesetzgeber nicht identisch; die gesetzgebende Gewalt ist anderen staatlichen Organen übertragen.

Das französische Recht steht also mit der von Laband aufgestellten Theorie nicht im Einklang, sondern im direkten Widerspruch.

III.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika steht die Initiative zu Gesezentwürfen den beiden Häusern des Kongresses Repräsentantenhaus und Senat - gleichmäßig zu). Eine Bill, die von beiden Häusern des Kongresses angenommen ist, wird in der Regel durch die Bestätigung des Präsidenten zum Gesetz ). Verweigert der Präsident die Bestätigung, so ist der Kongreß verpflichtet, die Bill einer nochmaligen Erwägung zu unterziehen; dieselbe wird nur dann Gesez, wenn sie bei der zweiten Beschlußfassung in beiden Häusern von einer Zwei-Drittel-Majorität angenommen wird. Wenn der Präsident eine Bill nicht binnen 10 Tagen, nachdem sie ihm zugegangen ist, bestätigt oder mit seinen Einwendungen zurückschickt, wird sie ohne seine Zustimmung Gesez, es sei denn, daß die Vertagung des Kongresses vor Ablauf dieser Frist eingetreten ist.") Die Souveränetät ruht allein in dem Volk der Vereinigten Staaten.")

Die Bestätigung des Präsidenten ist jedenfalls keine Sanktion im juristischen Sinne, da dieselbe kein nothwendiges Erforderniß für die Entstehung eines Gesetzes ist. Die Geseze kommen auch zu Stande, wenn der Präsident überhaupt keine Erklärung abgibt. Die Beschlüsse des Repräsentantenhauses und des Senats können gleichfalls nicht als Sanktion aufgefaßt werden, da

1) Artikel 8.

Lebon a. a. O., S. 42-43: „Das Volk ist souverän, denn es ist der oberste Schiedsrichter zwischen den verschiedenen politischen Parteien, die sich um die Herrschaft streiten, und es ist immer sicher, die Männer in gesehmäßiger Weise wählen zu können, welchen es seine Geschicke anvertrauen will."

3) Dr. H. v. Holst: „Das Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nordamerika" in Marquardsen, „Handbuch des öffentlichen Rechtes,“ Band IV, erster Halbband S. 60. 4) v. Holst S. 61-62.

) v. Holst S. 62.

) v. Holst S. 29.

beide vollkommen gleichwerthig sind und eine bestimmte Reihenfolge zwischen beiden Beschlüssen nicht vorgeschrieben ist. Träger der Staatsgewalt ist weder der Senat, noch das Repäsentantenhaus, noch die Gesammtheit beider Häuser - der Kongreß — sondern das souveräne Volk, welches nach den Eingangsworten der Verfassung, der sogenannten „Präambel", die Konstitution der Vereinigten Staaten gegeben hat, mit dieser That aber nicht von der politischen Bühne abgetreten ist, vielmehr jeden Augenblick die Vertheilung der Kompetenz zwischen Bundesregierung und Staaten anders gestalten kann1).

In der Schweiz steht die Initiative zu Bundesgesehen dem Bundesrath, den Kantonen, dem Nationalrath und dem Ständerath zu 2). Die Uebeinstimmung von Nationalrath und Ständerath ist nothwendig, damit ein giltiges Bundesgesetz zu Stande fommt). Träger der Souveränetät ist das Volk. Lezteres hat über Annahme von Bundesgesehen zu beschließen, wenn 30,000 stimmberechtigte Schweizerbürger oder 8 Kantone die Entscheidung des Volkes verlangen ); desgleichen hat das Volk über Verfassungsänderungen zu beschließen, wenn Nationalrath und Ständerath über die Frage der Verfassungsänderung verschiedener Meinung sind oder wenn 50,000 stimmberechtigte Bürger die Revision der Bundesverfassung verlangen 5).

Es ist klar, daß auch hier weder der Beschluß des Ständeraths noch der Beschluß des Nationalraths als Sanktion der Bundesgeseße aufgefaßt werden kann. Die Betrachtung dieser beiden außerdeutschen Staatsverfassungen führt also gleichfalls zu dem Resultat, daß die Sanktion kein nothwendiges begriffliches Erforderniß für den Erlaß eines Gesetzes ist, sowie daß der Träger der Staatsgewalt und der Gesetzgeber keineswegs identisch sein müssen. Auch die Verfassung der Vereinigten Staaten und der Schweizer Eidgenossenschaft steht demnach mit der von Laband aufgestellten Lehre in Widerspruch.

IV.

Unter den Verfassungen der deutschen Bundesstaaten sind ebenfalls mehrere, welche das Institut der Sanktion in der Landesgesetzgebung weder dem Namen noch dem Wesen nach kennen. Nach der Verfassung der freien Stadt Hamburg steht die Initiative zu Gesezesvorschlägen sowohl dem Senat als der Bürgerschaft zu.) Senat und Bürgerschaft zusammen besigen die geseßgebende Gewalt'); in gewissen Fällen hat auch die aus Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft gebildete Entscheidungsdeputation das Recht der Gesezgebung.) Die Publikation derjenigen Geseze, welche materielle Rechtsnormen enthalten, liegt dem Senat ob.) Als Träger der Staatsgewalt gelten gemäß

1) v. Holst S. 22, 30.

Dr. Alois von Orelli: „Das Staatsrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft“ in Marquardsen, „Handbuch des öffentlichen Rechtes," Bd. IV, S. 33.

3) Orelli S. 28.

Orelli S. 80.

Orelli S. 83.

Wolfson: „Das Staatsrecht der freien und Hansestadt Hamburg" in Marquardfen: Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart," Bd. III, zweiter Halbband. Dritte Abtheilung S. 18.

7) Wolfson S. 21.

Wolfson S. 21: „Der Beschluß der Deputation und eventuell der Subdeputation hat die Kraft und Giltigkeit eines übereinstimmenden Beschlusses von Senat und Bürgerschaft. 9) Wolfson S. 22.

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