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Viertes Capitel.

Versuch einer constitutionellen Berfassung in Frankreich. Rückwirkung auf Europa.

Unter den Ereignissen der französischen Revolution, welche die allgemeine Aufmerksamkeit fesseln, darf man vielleicht als die bedeutendsten und nachwirkendsten von allen die Empörung vom 14. Juli 1789 und die mißlungene Flucht des Königs (20. Juni 1791) bezeichnen. Durch das erste erhob sich ein den alten Zuständen abgewandtes und entgegengesettes Frankreich mit einem Schlage aus dem längst dazu vorbereiteten Boden: in dem zweiten trat die unendliche Schwierigkeit, die neu erwachsenden Zustände mit dem Königthum alten Ursprungs zu vereinen, an den Tag. Die National-Versammlung, die eine Vereinbarung versucht hatte, sah sich einem Abgrund gegenüber, der ihr ganzes Werk zu verschlingen drohte. In ihrem Schooße bildete sich, mit allen populären Elementen verbündet, eine Faction, die der Republik zustrebte, nicht etwa, wie man heutzutage zu sagen angefangen hat, einer conservativen, sondern einer solchen, in welcher die sociale und radicale Umwälzung repräsentirt worden wäre. Sie stüßte sich hauptsächlich auf die Idee der National-Souveränetät: denn mit dem Begriff derselben stehe es offenbar in Widerspruch, wenn das Königthum eine erimirte Autorität in Anspruch nehme, die dem durch die

Repräsentanten ausgesprochenen Willen nicht jeden Augenblick unterworfen sei. Eine durchaus verschiedene Stellungnahmen die Urheber der bisherigen Beschlüsse ein, welche dabei doch immer die Vorausseßung des Königthums festgehalten hatten, nicht sowohl die Aristokraten, die alten Mitglieder der Parlamente und der Administration, die immer in der Minorität geblieben waren, als vielmehr die gemäßigten Demokraten, wie man damals sagte; wir würden sie als Liberale bezeichnen. Die Republikaner verlangten die Abschaffung des Königthums; die andern nicht allein die Beibehaltung desselben, sondern die ausdrückliche Festsetung seiner Unverleßlichkeit. Wenn jene nach der Zurückführung des Königs auf ein gerichtliches Verfahren gegen denselben antrugen, so antworteten diese, daß die National - Versammlung damit ihre Befugnisse überschreiten würde. Die ersten verseßten, man müsse dann zu dem Zweck einen National - Convent berufen, dem ein solches Recht unfehlbar zustehen würde: denn der souveränen Nation sei auch der König unterworfen. Auch in dem Jakobiner-Club, in welchem sich seit dem Jahre 1789 die Opposition gegen den alten Staat im Allgemeinen repräsentirte, war hierüber bereits eine Spaltung eingetreten: eine Fraction sprach sich für das Königthum und die Bedingungen, die es möglich machten, aus; die andere verwarf es überhaupt. Der Gegensaß der beiden Directionen trat jezt als die wichtigste Thatsache der revolutionären Bewegung hervor. In der Frage über die Inviolabilität des Königs maßen die Parteien ihre Kräfte. Die liberale hielt an derselben fest; ihre Absicht war, das Königthum nicht allein zu conserviren, sondern ihm eine noch größere Selbständigkeit zu verschaffen, als die bisherigen Beschlüsse mit fich brachten; man wollte eine executive Gewalt, die, auf

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ihren eigenen Füßen stehend, den Beschlüssen einer NationalVersammlung nicht geradezu unterworfen wäre. Unmöglich konnte man darin so weit gehen, wie Mirabeau einst in Aussicht genommen, oder der König bei seiner Flucht gefordert hatte. Die Führer der liberalen Bewegung wären dadurch mit sich selbst in Widerspruch gerathen; aber sie meinten, das Princip der National Souveränetät nicht in seiner ganzen schroffen Einseitigkeit realisiren zu müssen; sie erkannten den König neben der Versammlung als Repräsentanten der Nation an und gaben ihm selbst hiebei die erste Stelle, so daß ihm zugleich ein von der National-Versammlung unabhängiges Recht zugestanden wurde: denn davon war und blieb man durchdrungen, daß es ein erbliches Oberhaupt geben müsse, in dessen Anerkennung sich die Nation als eine Gesammtheit fühle. Aus einem Briefe Montmorin's ergiebt sich, daß eine Vereinigung zwischen den Führern der constituirenden Versammlung und den Anhängern des Hofes zu Stande gekommen war, um der Monarchie die zur Regierung nothwendige Autorität zu verschaffen. Montmorin erwartete damals eine baldige Veränderung zu Gunsten des Königs: der Hof, sagt er, habe sich mit den Führern der Versammlung zu strengen Maßregeln gegen die Männer der Faction vereinigt. Man hat damals vielfach angenommen, daß die drohende Haltung der europäischen Mächte auf die Haltung der Versammlung Einfluß ausgeübt habe. Wir wollen das nicht geradezu leugnen, und auf jeden Fall bestand eine Annäherung an Oesterreich. Noch mehr wirkte jedoch der Gegensaß gegen die Republikaner, welche die constitutionelle Partei schlechterdings nicht aufkommen lassen wollte, darauf ein. Die Mehrheit der National-Versammlung und die National-Garde hielten in dieser Richtung zusammen, während

fich die Menge des Pariser Volkes um die Republikaner schaarte. Da ist es dann zu dem ersten eigentlichen Schlachttag der Revolution gekommen. Das alte Königthum hatte doch niemals ernstlich die Feuerwaffe zu seiner Vertheidigung angewendet; die Majorität der National-Versammlung aber schritt zu diesem Mittel 1). Die auf dem Marsfeld versammelte Menge wurde mit Gewalt niedergeworfen (17. Juli 1791); und nunmehr erst konnte zu der Revision der Verfassung geschritten werden, bei der man die Errichtung eines constitutionellen Königthums im Auge behielt. Wir deuteten oben den Ursprung der Feind, seligkeit zwischen den privilegirten Ständen und dem dritten Stande, dem Adel und dem bürgerlichen, überhaupt an. Hier bemerken wir bereits den Ursprung des nicht minder bedeutenden Gegensazes zwischen Commune und Bourgeoisie. An jenem revolutionären Schlachttage wurde die Commune besiegt, an deren Spize die republikanische Fraction der Jakobiner stand; die Bourgeoisie, welche die National-Souveränetät wollte, aber in dem König zugleich den Repräsentanten der Nation sah,

1) Bei Michelet findet sich ein Artikel darüber, wer denn eigentlich das Blutvergießen veranlaßt habe. Es war doch ein Befehl vorhanden, die Volksversammlung, wenn es anders nicht gehe, mit Gewalt zu zerstreuen. Auf diesen kommt Alles an. Und höchst merkwürdig ist der Wortlaut der Petition: toutes les sections de l'empire vous demandent simultanément que Louis soit jugé. Die folgenden Worte sind gleichsam ein Programm für die nächste Zukunft: fie fordern die constituirten Repräsentanten und die Repräsentirten auf. Tout nous fait la loi de vous demander de prendre en considération que le délit de Louis XVI. est prouvé, que ce roi a abdiqué; de recevoir son abdication et de convoquer un nouveau pouvoir constitutionel pour procéder d'une manière vraiment nationale au jugement du coupable, et surtout au remplacement et à l'organisation d'un nouveau pouvoir executif.

behielt den Plaß. Die erste stand im entschiedensten Widerspruch gegen alle europäischen Zustände: von der zweiten durfte man hoffen, daß die von ihr zu treffenden Einrichtungen sich mit denselben vereinbaren lassen würden. Ein Zugeständniß von dem größten inneren Gewicht lag in der Anerkennung des Königthums, dem ursprüngliche und in seiner Idee begründete Rechte zukamen, die nicht ganz in den constitutionellen Bestimmungen aufgingen. Wir dürfen wohl sagen, daß damit die vornehmste Frage, welche das ganze folgende Jahrhundert beherrscht hat, zu Tage kam: sie besteht darin, inwiefern auf dem Boden der Revolution sich einer repräsentativen Versammlung zur Seite auch noch eine selbständige, von dieser nicht abhängige Autorität eines Oberhauptes werde bilden lassen. Man ist damals nicht weiter darauf eingegangen. Die Führer der constituirenden Versammlung verfolgten die monarchische Richtung, so sehr sie sonst als Demokraten erschienen, in der Hoffnung, auf diese Weise die Revolution zu consolidiren. Sie vermieden entscheidende Schläge gegen die Emigranten zu führen oder auch das lezte Wort gegen den Clerus auszusprechen; ihr Sinn dabei war, dem König die Annahme der Constitution möglich zu machen. Insofern unterschied sich die Revision der Verfassung in ihrer Tendenz doch sehr wesentlich von den vorangegangenen Beschlußnahmen'; man wollte das Königthum in der That in einer gewissen Macht und Unabhängigkeit herstellen, was dann den Forderungen und Wünschen der europäischen Souveräne entsprach. Indem man aber mit der Redaction der Verfassung in diesem Sinne umging, hielt man doch an der ursprünglichen revolutionären Absicht fest. Es war immer der dritte Stand, der sich conftituirte: die alten Vorrechte der beiden anderen Stände sollten

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