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Bweites Capitel.

Ansicht der französischen Revolution.

Wenn in den, auf eine gleichförmige Verfassung begründeten continentalen Staaten das monarchische Princip das Uebergewicht behauptete, so beruhte das besonders auf dem Vorbilde Frankreichs, wo es einem mächtigen König gelungen war, indem er sich nach Außen geltend machte, zugleich in dem Innern die Elemente des Gemeinwesens seinem Willen unterworfen zu halten. Unter Ludwig XIV. war der romanische Staat erst zu einer wirklichen Darstellung in seiner monarchischen Form gelangt. Geistlichkeit, hoher und niederer Adel, provinzielle städtische Institutionen bestanden noch, aber sie beugten sich dem fürstlichen Gebot, das über ihnen war. Der Höhepunkt der Monarchie Ludwig XIV. fällt in die Zeiten von dem nimwegenschen Frieden bis zu dem Kriege von 1688. Allein zu einer festen und haltbaren Realisation ist die Idee derselben doch in der That nicht gekommen. Namentlich war die Verbindung der geistlichen und weltlichen Autorität, welche die Grundlage von Allem bilden sollte, nicht durchzuführen. Indem Ludwig XIV. die gehässigsten Gewaltsamkeiten über die Reformirten verhing, um sie zur Unterwerfung unter die katholischen Formen zu nöthigen, wurde ihm doch auch wieder von

Seiten des Papftthums ein Widerstand entgegengeseßt, der die Einheit der Autorität unterbrach. Und in den großen europäischen Kämpfen, in die sich dieser Fürst eingelassen, war er weit entfernt, zu seinem Ziele zu gelangen; viel zu stark war ihm das endlich gegen ihn verbündete Europa. Glück genug, daß er die eingenommenen Grenzlande behauptete. Doch geschah das nur unter langen, gefährlichen Kämpfen, die eine Erschöpfung der finanziellen Hülfsmittel und eine administrative Verwirrung zurückließen, welche im alten Frankreich eigentlich nie hat gehoben werden können. Man darf wohl aussprechen, daß sie fortwirkend die revolutionäre Bewegung hervorgebracht haben. Denn in Folge des mißlungenen Vorhabens, dessen. Idee alle Geister beherrscht hatte, änderten sich die vorwaltenden Doctrinen und Tendenzen, mit dem Willen oder auch wider den Willen der folgenden Regierungen. Die Literatur schlug einen entgegengeseßten Ton an, sie rüttelte an allen Grundlagen des bisherigen Staates; vornehmlich warf sie sich in Widerspruch gegen die kirchliche Verfassung. Was ihr dabei zu Statten kam, war das entstehende Mißverständniß zwischen den Staatsgewalten und dem Clerus, welches darauf beruhte, daß der Staat den großen Kampf gegen England, in dem er fortwährend begriffen war, mit der Macht, die ihm geseßlich zustand, nicht durchzuführen vermochte. Wohl mochte das Land soviel Macht besigen, um den Nachbarn das Gegengewicht zu halten; allein durch die Verfassung, welche die Unabhängigkeit der höhern Stände sanctionirte, wurde es unmöglich, die Kräfte zu vereinigen und zu einem großen Zwecke zu verwenden. Das Meiste kam hiebei auf die Kirche an. Bisher wie von Anfang an hatte sich die geistliche Corporation als einen Theil der gesammten katholischen Kirche des Abendlandes gefühlt; fie stand mit dem

Staat in einer Art von Vertrag. Wenn sie einige Lasten trug, so beruhte das auf ihrer eigenen Bewilligung, zu deren Behuf fie ihre regelmäßigen Versammlungen hielt. In der Mitte des 18. Jahrhunderts, eben im Jahre 1750, machte nun der Staat den Anspruch, die Geistlichkeit nach dem Maaße ihrer Besißthümer zu den allgemeinen Lasten des Landes herbeizuziehen. Nur ein Recht der Distribution der von der Staatsgewalt geforderten Auflagen schrieb ihr diese zu; von einer freien Bewilligung wollte sie Nichts mehr hören. Nicht allein löste sich hiedurch das alte Einvernehmen zwischen Krone und Priesterschaft auf: in ihrem Zwiste erhoben sich Fragen von umfassendster Tragweite, dem Genius des Jahrhunderts gemäß. Der Jdee der allgemeinen Kirche seßte sich die Idee des Landes und der Nation, als einer großen ideellen und realen Gemeinschaft, vor welcher jedes exceptionelle Recht verschwinde, entgegen. Schon damals hat man dem König das Recht bestritten, Mitglieder der Staatsgemeinschaft von den Pflichten, welche dieselbe fordere, freizusprechen. Dagegen wollten die altconstituirten Corporationen ihrem König das Recht, sie zu belasten, nicht zugestehen. Als es während des Siebenjährigen Krieges (1761) nothwendig wurde, neue Auflagen, wie man sagte, einen dritten Vingtième, von dem auch Adel und Geistlichkeit betroffen wurden, aufzulegen, widerseßte sich das Pariser Parlament der Registrirung des Edictes 1); dieselbe wurde nur durch ein lit de justice d. h. durch unmittelbare königliche Einwirkung ermöglicht. Man begreift es, wenn der König die Theorien der Physiokraten, welche den großen Corporationen entgegenliefen, seinerseits begünstigte.

1) Thackeray, Lord Chatam II, 569.

Dadurch aber geschah nun, daß sich die Parlamente zu einer systematischen Opposition gegen die Regierung vereinigten. Sie betrachteten sich als die Vorfechter der Privilegien, der alten Institutionen überhaupt, die ohne ihre Zustimmung nicht verändert werden dürften. Ludwig XV. unternahm es zu einer durchgreifenden Veränderung zu schreiten, durch welche die gerichtlichen Befugnisse, die den Parlamenten zukamen, jeder Beimischung politischer Gerechtsamer entkleidet werden sollten. Ein Minister von entschlossener Rücksichtslosigkeit schuf eine Institution, bei welcher die Krone freie Hand, zu Reformen zu schreiten, behalten hätte. Die Einrichtung wurde getroffen und schien sich zu behaupten zu können, als Ludwig XV. starb. Inmitten dieser großen Krisis bestieg Ludwig XVI., der noch im jugendlichsten Alter stand, den Thron. Er gehörte, wenn wir so sagen dürfen, beiden Ideenkreisen an, welche die Welt umfaßten und Frankreich zerseßten. Wohlwollend von Natur und in Folge einer Erziehung, die auf die Grundsäße Fenelons zurückging, war er den Reformen geneigt; aber die Erinnerung an seinen Vater, der ein Freund der Parlamente gewesen war, der Glanz dieser alten Institution, die Gewaltsamkeiten selbst, die sie zuleßt erfahren, wirkten bei ihm zu deren Gunsten ein. Der erste Act seiner Regierung war, daß er die Parlamente in alle ihre Rechte wiederherstellte. Zugleich aber nahm er auch Männer der Reform in sein Ministerium auf, welche die hergebrachten Vorrechte bekämpften: Turgot wurde sein Controleur - General. Man kann die Schriften Turgots nicht aufschlagen, ohne den Hauch eines neuen Zeitalters einzuathmen. Wir finden bei ihm Entwürfe über die Ablösung der auf dem Lande liegenden Lasten, Gewerbefreiheit, Handelsfreiheit, Gleichheit der Abgaben ohne Rücksicht auf die

Standesunterschiede; über die Entfernung des Einflusses der Geistlichkeit auf die Geseßgebung, eine Umbildung der Municipalitäten, die zu einer neuen Repräsentation in der Nation führen konnten; und bald legte er Hand an, die eine und die andere seiner Ideen zu realisiren. Nach einiger Zeit erschienen zwei Verordnungen über die Aufhebung der Zünfte, die in Frankreich sehr ausgebildet waren, und die Abschaffung der Frohnden: durch jene wurde die Verfassung der Städte, durch diese die des Landes von Grund aus umgestaltet.

Das Eine und das Andere fand bei den Parlamenten. so heftigen Widerstand, daß der König sich zu einem persönlichen Eingreifen, einem lit de justice, entschließen mußte, um ihnen Gesezeskraft zu verschaffen. Aber dagegen erhob sich ein solcher Sturm von Remonstrationen und Protestationen, daß ein festerer Regent dazu gehört hätte, als Ludwig XVI. war, um fie zu behaupten. Im April 1776 hat er Turgot aufgefordert fortzufahren, sein Volk glücklich zu machen: im Mai desselben Jahres entließ er ihn aus seinem Dienst. Im August erschienen dann zwei Verordnungen, durch welche die beiden Geseze wirkungslos gemacht wurden. Die Parlamente verdoppelten nach glücklich bestandenem Kampfe ihre Ansprüche; sie schienen nach einer Stellung zurückzustreben, wie sie sie zur Zeit der Fronde inne gehabt hatten. Ihre antireformistische Haltung fiel der Regierung besonders dadurch beschwerlich, daß dieselbe in steigende Geldverlegenheiten gerieth, aus denen ohne eine durchgreifende Reform nicht herauszukommen war. Indem die französische Regierung, fortwährend in ihrem alten Gegensaß gegen England, mit allen ihren pecuniären und militärischen Kräften die amerikanischen Colonien unterstüßte und nicht wenig dazu beitrug, die Unabhängigkeit derselben zu retten,

v. Ranke, Revolutionskriege.

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