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Die Parlamente wollten der angeblich despotischen Regierung allgemeine Stände im alten Sinne entgegenseßen. Um der Herrschaft derselben nicht zu verfallen, faßte die Regierung die Absicht, dieser Versammlung selbst eine modificirte Form zu geben, durch welche sie die aristokratischen Tendenzen niederhalten könne. Calonne hatte Adel und Geistlichkeit den Anforderungen der Regierung unterwerfen wollen; er war dabei in Folge des Widerstandes der Notabeln, hauptsächlich durch den Einfluß der privilegirten Stände gescheitert; sie hatten, auf das Recht der Bewilligung verzichtend, auf die Generalstände provocirt. Darauf war die Antwort Brienne's, der ebenfalls alle seine Vorschläge zurückgewiesen sah, daß er darauf Bedacht nahm, der allgemeinen Ständeversammlung, die sie forderten und die er acceptirte, eine solche Form zu geben, bei der die Herrschaft der Privilegirten nicht bestehen könne. Wenn er sich dabei auf das Volk bezog, so liegt am Tage, daß er noch eine andere Gewalt als die bisherige zur Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten herbeizuziehen gedachte. Das historische Ereigniß ist, daß der alte Staat, in dem Zustand, in welchem er sich befand, nicht mehr zur Behauptung seiner Machtstellung fähig war. In diesem Zwiespalt rief der König das Volk gleichsam zu Hülfe. In den bisherigen Formen hätte der dritte Stand keine Bedeutung gehabt. Es kam darauf an, ihm eine solche zu verschaffen, worauf er ohnehin durch seine sociale Stellung, seine Bildung und seine Reichthümer einen unleugbaren Anspruch hatte. Die Regierung wollte dem Klerus und der Aristokratie nicht geradehin unterliegen, sie suchte eine Stüße an dem dritten Stande. Wie weit das führen werde, war in tiefem Dunkel begraben. Das aber lag vor Augen, daß dem dritten Stande ein sehr ausgedehnter und durchgreifen

der Einfluß zufallen mußte. Denn alle die oppositionellen Elemente, welche in der Nation fermentirten, kamen durch ihn zum Ausdruck und gewannen Stimme in den allgemeinen Angelegenheiten.

Bei den bisherigen Bestrebungen hatte die Idee einer Nachahmung der englischen Verfassung vorgeschwebt, in ihrer damals noch vorzugsweise aristokratischen Gestaltung. Nunmehr bekamen die amerikanischen Ideen, die von dieser parlamentarisch- aristokratischen Verfassung abstrahirten und sich ihr entgegenseßten, wesentlichen Einfluß in Frankreich. Sie haben sich denselben nicht eigentlich in Widerspruch mit der Regierung erkämpft; die Regierung selbst hat sie herbeigezogen; sie bedurfte ihrer. Um nun aber hierbei auf dem Wege der Legalität zu bleiben, wandte sich die Regierung wieder an die Parlamente und berief sogar nochmals die früheren Notabeln. Ihre Vorschläge wurden von beiden abgelehnt, kaum daß sich ein und das andre Votum in ihrem Sinne aussprach; wollte die Regierung zum Ziele kommen, so mußte sie auf eigne Hand verfahren, jenseit der Form bisheriger Legalität. In derselben Zeit schlug Kaiser Joseph in den Niederlanden einen sehr ähnlichen Weg ein; um den feudalen und klerikalen Gewalten ein Gegengewicht zu schaffen, vermehrte er die städtische Repräsentation, indem er der fürstlichen Autorität zugleich eine constituirende Befugniß zuschrieb. Ich finde nicht, daß man in Frankreich dies Motiv zur Schau trug. Man folgte vielmehr der Nothwendigkeit der Sache. Allein der Grundsaß, auf den man sich stüßte, ist doch ein analoger. Daß derselbe ausgeführt wurde, ist das Werk Neckers, der, obwohl ein Protestant und Fremder in Folge des Rufes außerordentlicher Geschicklichkeit, den er sich in einer früheren hohen Stellung bei der Verwal

tung der Finanzen erworben, jezt wegen der finanziellen Unordnung, die Brienne nicht zu heben vermocht hatte, demselben nachgefolgt war. Er hatte schon damals durch die unumwundene Darstellung der finanziellen Lage, mit der er gegen alle Gewohnheit hervortrat, der Opposition Bahn ge= macht. Er gehörte der populären Richtung an, die alle Tage mehr in Evidenz trat. Von dem König selbst darf man nicht zweifeln, daß er den Gedanken der Reform von Anfang an in sich trug. Er hat später einmal gesagt, er habe denselben zuerst gefaßt 1); seine Absicht sei immer dahin gegangen, die pecuniären Exemptionen und Vorrechte der privilegirten Stände zu zerstören und der Nation das Recht zu verschaffen, ihre Contributionen selbst zu votiren; und leicht folgte die Königin dem von ihrem Bruder, der ja noch immer der vor

1) In einem späteren Entwurf zu einer Declaration sagt er (Louis XVI. au président de l'assemblée législative 3 août 1792 in lithographirtem Facsimile bei Feuillet de Conches VI. S. 244.): Je pourrais dire qu'ayant désiré la réforme du gouvernement avant que la Nation en eût même l'idée, j'ai dû plus qu'un autre respecter la Constitution qu'elle regardait comme le moyen de sa gloire et de son bonheur. Elle ne sauroit oublier que c'est moi qui le premier ai voulu la rétablir dans le droit de voter ses contributions, lui abandonner le soin de les répartir, détruire tous les priviléges pécuniaires, annuller tous les ordres arbitraires et ne reconnaître pour les places d'autre titre que le mérite et les talents; und Goltz berichtet in einer Depesche: Le roi de France ne désire pas mieux que de voir borner l'influence des ministres et de leurs agents pourvu que par l'ordre dans les différentes branches de l'administration le pays soit plus heureux et l'influence dans les affaires du hors plus considérée. Il préfère une diminution d'autorité avec une augmentation réelle des forces d'Etat à la continuation d'une volonté absolue, mais hérissée, de tout instant tant par des contradictions des réclamants que par le dérangement affreux dans les finances.

nehmste Verbündete von Frankreich war, in den Niederlanden gegebenen Beispiel. Indem man sich aber anschickte von den Wegen der bisherigen Verfassung abzuweichen, näherte man sich nothwendig jenen Ideen, in denen von Anfang an das Heilmittel gesucht worden war, von einer außerhalb der bestehenden Gewalten in der Nation selbst beruhenden Autorität. Man ergriff sie nicht eigentlich in der Theorie, aber man rief sie doch subsidiarisch an. Jenes Element, welches jenseits des Streites der constituirten Gewalten eine Wirksamkeit und Autorität, die ihnen Allen überlegen sein müsse, in Anspruch nahm, gewann Boden und Macht. Und wer könnte sich verbergen, daß es schon jezt einen Druck auf die zu fassenden Entschließungen ausübte.

Vergegenwärtigen wir uns näher, wie dies gefchehen ist. Noch in diesem Augenblick hing Alles mit den Verhältnissen des europäischen Staatensystems zusammen. Hof und Nation fanden das Uebergewicht der Tripelallianz, wie es sich in Beziehung auf Holland herausgestellt hatte, unerträglich, und noch schwebte die Eifersucht gegen England, der Machtwetteifer zwischen beiden Nationen über dem Horizont. Necker faßte den für einen Finanzminister, welcher Banquier gewesen war, sehr charakteristischen Gesichtspunkt, daß bei der Entwickelung der Streitkräfte Alles auf den Credit ankomme. Offenbar sei Frankreich an Umfang des Gebietes und innerem Reichthum England überlegen. Vor Allem komme es darauf an, einen diesen Vortheilen entsprechenden Credit zu erzielen; die gesammte Nation müsse die Schuldenlast übernehmen, dann lasse sich durch weitere Anleihen das Bedürfniß des Staates decken. Der Gedanke der Machtstellung nach Außen trieb zu der Idee der inneren Reform. Welcher Art aber sollte diese sein? In

dem dritten Stand erhob sich zuerst in einigen Provinzen, dann allenthalben die Forderung eine den beiden anderen Ständen zusammengenommen gleiche Repräsentation zu erlangen. Man hat damals gesagt, dieser Anspruch sei Necker Anfangs selbst unangenehm gewesen, weil die Berufung der Reichsstände dadurch eine Verzögerung erleiden könne. Allein am Tage lag doch, daß nur durch ernstliche Betheiligung des dritten Standes, welcher gewaltig emporgekommen war und das meiste Geld besaß, eine Erneuerung des Credits gegründet werden konnte. Dazu kam, daß ohne eine solche Theilnahme die Regierung unter die Herrschaft der beiden höheren Stände wie vor Alters ge= rathen sein würde.

In der Frage, ob dem dritten Stande eine doppelte Repräsentation zuzuerkennen sei oder nicht, lag die Zukunft von Frankreich.

Es versteht sich, daß der Gedanke den eifrigsten Widerspruch fand, wie sich bei der zweiten Versammlung der Notabeln, denen die Frage vorgelegt wurde, schon herausgestellt hatte. Wenn das erste Bureau der Notabeln dafür war, so geschah das doch bloß durch die Mehrheit einer Stimme; in allen anderen wurde die Frage verneint. Man hat die Stimmen, die dafür und dagegen waren, gezählt; im Allgemeinen waren nur 33 Stimmen dafür, 113 dagegen gewesen. In dem königlichen Rath, zunächst dem Conseil des dépêches, wurde nun die große Frage in entscheidende Erwägung gezogen, in der Methode alter Zeit. Den verneinenden Stimmen der Notabeln schloß sich der Kanzler und Siegelbewahrer Barentin an. Er bemerkte, daß die Verdoppelung des dritten Standes diesem ein unzweifelhaftes Uebergewicht geben werde, zumal da er die in dem geistlichen Stande zum ersten Mal gewählten Pfarrer auf

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