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jedoch nicht über sehr bestimmte Schranken hinausgingen. In Spanien waren sehr energische Minister doch zu vorsichtig, um mit der Vergangenheit zu brechen; große und anerkannte Mißbräuche blieben unangetastet. Und wie gewaltig sind nicht die begonnenen Reformen in Portugal reprimirt worden. Unerschüttert erhielt sich überhaupt die Hierarchie der katholischen Kirche, das Werk eines Jahrtausends. Hauptsächlich an dem Selbstgefühl derselben, das sich in dem Zusammenhange mit dem römischen Stuhl und der Ergebenheit gegen ihn manifestirte, scheiterten die Unternehmungen Josephs II. in den österreichischen Niederlanden.

Allenthalben in dem südlichen und nördlichen Europa wogten dergestalt geistliche und politische Bestrebungen einander entgegen. Der alte Streit der beiden großen Confessionen war nicht erstorben, aber auch nicht mehr maßgebend. Der Protestantismus hatte sich mit den früheren Zuständen in's Gleichgewicht gesezt. Die religiöse Bewegung fand mehr innerhalb der einzelnen Staaten und Kirchensysteme statt. Bei weitem stärker und allgemeiner war der Gegensatz der politischen Tendenzen, besonders der Widerstreit zwischen Monarchie und Aristokratie: in der lezteren war die Macht des Bestehenden vertreten, die erstere neigte sich den Reformen zu, durch die sie neue Kräfte zu gewinnen hoffte. Zugleich verbreiteten sich demokratische Gesinnungen nach amerikanischem Vorbilde. Unstreitig das größte Ereigniß dieser Epoche ist die Secession der amerikanischen Colonien von ihrem Mutterlande. Daß in den germanischen Völkern, wenngleich jenseits des Oceans, eine lebensfähige, mächtige Republik entstand, konnte nicht ohne eine gewaltige Rückwirkung auf die Regungen der Geister bleiben, welche Europa fermentirten. In welche mannichfache,

unabsehbare Bewegung gerieth da die öffentliche Meinung. Die europäische Welt war für neue Ideen empfänglich; es bildet gleichsam ihre innere Lebensfähigkeit, daß sie dazu den Raum gewährt. Bei allen Abweichungen im Einzelnen war fie, gebildeter, als jemals früher, von einem großen Gemeingefühl durchdrungen: was an dem einen Punkte geschah, empfand man an allen andern. Nochmals war dem französischen Geiste hiebei eine große Rolle zugefallen. In Frankreich hatte sich eine antiklerikale Doctrin entwickelt, die man die philosophische nannte, von starker und einheitlicher Intention und allumfassender Ausbildung hinein bis in's einzelnste, die in ganz Europa wiederhallte. An dem amerikanischen Kampfe nahmen die Franzosen einen eingreifenderen Antheil als eine andere Nation des diesseitigen Continents; sie übertrugen die allgemeinen Ideen, die dort zur Geltung kamen, nach Europa. Noch hatten die Reformbestrebungen in den europäischen Ländern nirgends einen namhaften Succeß davongetragen. Ueberall hatten sich ihnen die bestehenden Systeme mit überlegener Consistenz entgegengesetzt: denn diese beruhten nun einmal auf dem alt historischen Bildungsgange der Welt. Da geschah es nun, daß die Reformen, die man in Frankreich versuchte, zu einem Umsturz umschlugen, welcher die bisherige Regierungsweise von Grund aus vernichtete. Die Reformen wurden zur Revolution. Es leuchtet ein, welche Wirkung der natürliche Einfluß des Volkes, das bisher für die allgemeine Meinung fast den Ton angegeben hatte, nothwendig hervorbringen mußte. Alle Opposi= tionen in den einzelnen Ländern wurden wachgerufen; zugleich aber wurde auch das System der Staaten durch die Veränderung in Frankreich, welche die Staatsgewalt selbst betraf, und derselben neue Impulse nach Außen gab, erschüttert; die

Verträge, auf denen das bisherige System beruhte, wurden zweifelhaft. Die Feindseligkeiten der Staaten bekamen durch den Gegensaß der politischen Meinung Nahrung, Richtung und einen neuen Charakter. Die revolutionäre Action hat sich keineswegs allein in dem Reiche der Ideen vollzogen; sie geschah fast noch mehr durch Kampf, durch Waffen und Krieg. Der Ursprung und die ersten Stadien dieses Confliktes bilden den Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Es ist das Ereigniß, welches die Geschichte der folgenden Epochen beherrscht. Um es zu verstehen, ist es unerläßlich, sich die gegenseitige Lage der großen Mächte in dem damaligen Zeitpunkt zu vergegen= wärtigen.

Erftes Capitel.

Abwandelung der Verhältnisse Preußens zu Desterreich, Englands zu Rußland.

In den lezten Monaten des Jahres 1790 und den ersten des Jahres 1791 erfüllte der Gegensaß der Tripelallianz mit den beiden Kaiserhöfen noch immer den politischen Gesichtskreis. Dieser Gegensaß hatte nochmals dazu gedient, das allgemeine Machtverhältniß, wie es einmal bestand, aufrechtzuerhalten. Die Idee des europäischen Gleichgewichtes hatte dadurch einen unzweifelhaften Sieg davongetragen. Die Türkei, die von anderem Ursprung, als die übrigen europäischen Staaten, die Bewegungen nicht theilte, welche diese erfüllten, bildete doch für alle ein wichtiges Moment, insofern eine Unterwerfung derselben unter ihre beiden continentalen Nachbarn diesen ein undienliches, selbst gefährliches Uebergewicht über den westlichen Continent zu verschaffen drohte. Diese Gefahr war durch die Tripelallianz abgewendet, die Türkei in großer Bedrängniß durch die verbündeten Engländer und Preußen, denen Holland accedirte, gegen Desterreich und Rußland in ihrem Bestand erhalten worden. Noch aber war man zu keinem definitiven Frieden gelangt: Desterreich hatte sich in die Bedingung gefunden, welche ihm gemacht worden war: es hatte die Herstellung der Grenzen der Türkei, genau so wie sie vor dem Kriege gewesen

waren, den sogenannten Status quo stricte, bewilligt. Rußland war noch weit entfernt, sich derselben Bedingung zu unterwerfen: es wollte seine lezten Eroberungen, Dezakow, und den Distrikt zwischen Bug und Dnjestr, auf welche es den größten Werth legte, den Osmanen nicht zurückgeben. Wenn nun die Intentionen der Tripelallianz dahin gingen, Rußland mit Gewalt zur Annahme des status quo stricte zu nöthigen, so entstand die Frage, welche Haltung Desterreich alsdann einnehmen würde. Die Verbündeten hielten dafür, Desterreich sei durch die Reichenbacher Convention, namentlich den Artikel, in welchem es zusagte, an dem Krieg zwischen der Türkei und Rußland fortan weder direct noch indirect Antheil zu nehmen, verpflichtet, auch den zu einer Nöthigung Rußlands erforderlichen Offensivmaßregeln beizustimmen. Der österreichische Steatskanzler, Fürst Kauniß, der sich nur sehr ungern in die Reichenbacher Convention gefunden hatte, wies diese Auslegung mit einer Art Indignation von sich; denn er lebte und webte noch immer in der von ihm geschaffenen Allianz der beiden Kaiserhöfe, an der er jener Uebereinkunft zum Troy festhielt. Der preußische Gesandte forderte eines Tages von Desterreich die Erklärung, daß es Rußland nicht unterstüßen wolle, wenn dies von Preußen angegriffen werde, um es zur Annahme des Status quo stricte zu zwingen. Der Staatskanzler antwortete: Niemand in der Welt sei unbekannt mit den Verträgen zu gegenseitiger Vertheidigung, welche zwischen Desterreich und Rußland in Kraft seien; Desterreich habe versprochen an dem Kriege zwischen Rußland und der Türkei keinen Antheil zu nehmen; niemals aber einwilligen können, daß Rußland durch eine dritte Macht angegriffen werde. Den Einwendungen, die der preußische Gesandte hiegegen machte, lich er kein Gehör

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