Page images
PDF
EPUB

römische Stuhl dagegen aus, und eine große Anzahl höherer und niedriger Geistlichen verweigerte den Eid zu leisten, durch welchen sie sich derselben unterwerfen sollten. Man unterschied sehr bald beeidigte und unbeeidigte Priester, und es versteht sich von selbst, daß die lezten den überzeugten Gläubigen willkommener waren, als die ersten. Aber die Bevölkerung von Paris, deren Vorfahren sich der wildesten Ausbrüche des kirchlichen Fanatismus schuldig gemacht, war jezt von einem fast nicht minder starken antikirchlichen Impulse ergriffen. Die Abreise einiger älteren Damen aus dem königlichen Hause, die, wie man sagte, ihre Messe lieber zu Rom hören wollten, als zu Paris, wurde Gegenstand allgemeiner Aufregung, und nur mit der größten Anstrengung wußte Mirabeau die Freiheit der Emigration zu retten. Da erschien in der Revolution selbst jene Duplicität, die gleichsam die Signatur der ganzen Epoche ist. Die Revolution, welche den Anlauf nahm, die individuelle Freiheit zu retten, wurde das Instrument, um sie in der heiligsten Angelegenheit zu erdrücken. Man hatte die Autonomie der Staatsgewalt gegen die bevorrechteten Classen unerschütterlich feststellen wollen und gerieth dahin, daß die schwankenden Velleitäten der Massen zur Herrschaft gelangten. In den Geistern, die den Blick über die momentanen kirchlichen und politischen Verwirrungen erhoben, entstand die Frage, wie aus diesem Zustand herauszukommen, wie die Ercesse des populären Unwesens wirkungslos zu machen und die große revolutionäre Umwandlung doch zu behaupten sei. Man kam auf den Gedanken, daß der Hof Paris verlassen und im Einverständniß mit den Provinzen eine neue Versammlung um sich berufen solle. Der bereits in den Hauptgrundzügen entworfenen, aber noch nicht vollendeten noch an

genommenen Constitution sollte dann gleichsam eine ContreConstitution entgegengeseßt werden, in welcher alle die gerügten Fehler vermieden würden, ohne jedoch die ursprünglich gefaßten Hauptabsichten zu entsagen. Wenn der König daran dachte, sich aus der Hauptstadt zu entfernen, so geschah das nicht etwa aus Furcht; er schmeichelte sich, öffentlich aus seiner Hauptstadt hinausgehen zu können, um an einem anderen Punkte des Reiches die Constitution zu rectificieren und mit den Interessen der höchsten Gewalt zu vereinbaren. Darüber ist nicht ohne Antheil Mirabeau's mit dem Befehlshaber in Meß, Marquis de Bouillé, eine geheime Unterhandlung gepflogen worden. Bouillé, selbst von constitutioneller Gesinnung, ging darauf ein, weil er zu der Energie und dem Talente Mirabeau's das Zutrauen hatte, daß er die Sache durchführen werde. Noch war Alles unbestimmt und in weitem, als ein Ereigniß eintrat, welches auch durch seine Beziehung zu der inneren Parteiung überzeugen mußte, daß es eben in den wichtigsten Angelegenheiten um die Freiheit des Königs geschehen sei. In dem Zustande, in welchem sich die Stadt Paris befand, beruhte Alles auf dem Verständniß der leitenden Männer in der Versammlung mit dem Anführer der Nationalgarde, Lafayette, auf dem Gehorsam, den diese ihrem Führer leistete, auf der Repression der populären Emotionen durch dieselbe. Bei der Abreise der Damen des königlichen Hauses hatte die Population schon Miene gemacht, sie eigenmächtig zu verhindern; damals aber hielten der Oberbefehlshaber der Nationalgarde und der Maire von Paris mit dem König zusammen; die Drohung des Maires Gewalt anzuwenden, bewog das Volk, sich zu zerstreuen. Noch einmal, als die Bevölkerung und Garde sich eigenmächtig gegen Vincennes zu

erheben den Anlauf nahm, reichte die erwähnte Combination hin, den Tumult zu stillen; die Autorität des Befehlshabers wurde zulezt respectirt. Das geschah jedoch nicht ohne eine starke Demonstration gegen den Royalismus; die zum Schuß des bedrohten Königs herbeigekommenen royalistischen Edelleute und Officiere wurden entwaffnet und zwar auf den Befehl des Königs, der diesem von Lafayette abgedrungen wurde. Der Gehorsam, und damit die öffentliche Ordnung erhielt sich auch dies Mal ungestört. Sie begründete sich eben darauf, daß Mirabeau und Lafayette einverstanden waren, was bei dem persönlichen Ansehen des Einen und der amtlichen Autorität des Anderen eine Rückwirkung auf die National - Assemblée nicht allein, sondern auch auf die populären Gesellschaften ausübte. Bei dem Ereigniß im April aber hatte sich dies Verhältniß geändert. Gerade in diesem Augenblick (2. April) starb Mirabeau, in einem Moment, wo man seiner am meisten bedurfte. Was sein Einfluß werth gewesen war, erfuhr man gleich nach seinem Tode. Als der König einen unbeeidigten Priester zu seinem Beichtvater gemacht hatte und sich nach St. Cloud (8. April) begeben wollte, um die Ostern im unbezweifelt katholischen Sinne zu begehen, erfuhr er eine Widerseglichkeit, die nicht mehr ins Gleiche zu bringen war. Das Volk wurde von der Nationalgarde nicht mehr reprimirt; diese selbst hat ihre Bajonette gegen den Wagen gerichtet, in welchem der König saß: die Befehle Lafayette's vermochten nichts dagegen. Der König mußte in seine Gemächer zurückkehren, D. h. wie er später sagte, in sein Gefängniß. Die Neise, die er vorgehabt, überschritt die Grenzen nicht, die ein ursprünglich gegen ihn gerichtetes Dekret der National - Versammlung festseßte. Für den Verdacht, er werde von St. Cloud

aus entfliehen wollen, findet sich keine Begründung; seine Gesundheit forderte die Reise, dennoch hatte man sich ihr widerseßt und ihn durch eine aller öffentlichen Ordnung widerstrebende Volksbewegung daran verhindert. Die NationalVersammlung hat der Sache ruhig zugesehen.

In der Reihe so vieler tumultuarischen Ereignisse, welche in dem Frühjahr 1791 vorkamen, pflegt man dies so hoch nicht anzuschlagen, doch war es ohne Zweifel das wichtigste. Bisher war immer noch der Gedanke festgehalten worden, daß sich in der Mitte der Ruinen, welche den Sturz des alten Systems bezeichnen, eine haltbare Verfassung bilden und daß sich die königliche Würde in ihrem Glanz und ihren Befugnissen herstellen lassen werde. Mit dieser optimistischen Erwartung aber war man zu Ende gekommen; der König wurde überzeugt, daß nur die Entfernung aus Paris es ihm möglich machen werde, die Autonomie der Krone und die Freiheit der religiösen Selbstbestimmung, die ihm das tiefste Bedürfniß war, aufrecht zu erhalten. Er wußte wohl, daß das Gemeingefühl der europäischen Fürsten hiebei auf seiner Seite stand. Indem er dies aber für sich aufrief, gerieth die revolutionäre Bewegung nicht allein in Conflict mit Europa, sondern sie schlug noch ganz andere Bahnen ein, als die bisherigen.

Drittes Capitel.

Erste Berwicklungen der revolutionären Zustände mit den allgemeinen europäischen Angelegenheiten.

Daß die französische Revolution von Anfang an die Antipathien der europäischen Mächte in hohem Grade erweckt und ihre Politik bestimmt habe, ist eine unrichtige Vorausseßung. Die Frage, welche das französische Ereigniß bei den europäischen Fürsten anregte, war vornehmlich, ob Frankreich stärker oder schwächer aus den inneren Kämpfen hervorgehen und ob es die Tractaten beobachten werde, welche die Grundlage des allgemeinen Staatensystems bildeten. Zunächst trat diese Frage in Beziehung auf das deutsche Reich hervor. Wir berührten schon, wie sehr die benachbarten deutschen Reichsfürsten von den Neuerungen, zu denen Frankreich sich entschloß, betroffen wurden. Die erste in Europa allgemein gewürdigte Reclamation ging von dem Erzbischof von Mainz aus, dessen Metropolitan - Rechte im Elsaß durch die neue Constitution vernichtet wurden. Der Erzbischof war Kurfürst und Erzkanzler des deutschen Reiches. Die Friedensschlüsse, durch welche das deutsche Reich Elsaß und Lothringen an Frankreich abgetreten hatte, schienen durch das revolutionäre Verfahren ungültig zu werden. Sehr bedeutend tritt doch das Verhältniß der von Deutschland abgerissenen Provinzen bei der Revolution

« PreviousContinue »