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mehr; er brach die Verhandlung mit Schroffheit ab. In dem Schreiben, in welchem er seinem Fürsten diesen Verlauf meldet, drückt er sich noch mit einer Art von hochmüthiger Wegwerfung über die preußische Politik aus1).

Noch immer stand daher ein Krieg in Aussicht, der möglicherweise ein allgemeiner werden und selbst die österreichischpreußische Pacification wieder rückgängig machen konnte. War es aber so darf man fragen - in der That der Mühe werth, über die streitigen Punkte noch einmal das Glück der Waffen zu versuchen? Niemand kann sich die Augen dagegen verschließen, welch' eine hohe Bedeutung die Erhaltung des europäischen Gleichgewichtes hatte. Die Sicherheit der einzelnen Staaten beruhte nicht mehr wie vor Alters auf dem Uebergewicht des Kaiserthums oder des Papstthums; noch auch wie später auf dem Antagonismus zweier großer Potenzen, wie Frankreich und Desterreich: diese waren vielmehr damals verbündet. Sie beruhte auf dem Gleichgewicht der Mächte unter`einander. Diesem allgemeinen Interesse entsprach es, daß die Vernichtung der Türkei verhindert worden

1) Schreiben von Kaunitz d. d. 28. Sept. 1790. (Beer, Joseph II. Leopold II. Kaunitz S. 374.) Personne n'ignoroit les engagemens de défense réciproque de l'alliance de V. M. avec l'Impératrice de Russie; que du consentement de son alliée, elle avoit pu promettre à Reichenbach de ne plus prendre aucune part à la guerre entre la Russie et la Porte, si malheureusement il arrivoit qu'elle continuât; mais qu'Elle n'avait jamais promis et auroit même d'autant moins pu promettre qu'elle lui refuseroit Son assistance au cas qu'elle fût attaquée par une autre puissance qu'on ne devoit ne (ni?) pouvoit même supposer que le cas pût en exister et qu'ainsi je ne croyois pas que V. M. pût jamais donner les mains à ce qu'on lui demandoit à cet égard.

war. Gerade hiebei aber kam auch der Mangel, der dem System anhaftete, zu Tage. Was konnte der europäischen Menschheit in ihrer Fortentwicklung so Großes daran gelegen sein, daß eben das osmanische Reich in seinem vollen durch keine Abtretung geschmälerten Bestand verblieb. Gewiß kann es nicht als das vornehmste Erforderniß des historischen Lebens betrachtet werden, nur das eben Bestehende zu behaupten. In der damals vorliegenden Frage war nun die Hauptsache geschehen: die beiden Kaiserhöfe waren in ihrem einseitigen Bestreben, den Orient umzuwandeln, überwunden worden. Die osmanische Pforte bestand; war nun aber das System des Gleichgewichts soweit auszudehnen, daß gerade alle und jede Veränderung der Grenzen ihres Gebietes vermieden und verhindert werden mußte?

Es bringt einen beengenden Eindruck hervor, wenn man den Werth des Objectes mit den Anstrengungen vergleicht, die zu der Behauptung desselben gemacht werden mußten.

Die Tripelallianz hatte eine bestimmte Form der Pacification gefordert, die aber doch aus der vorwaltenden Idee nicht mit unbedingter Nothwendigkeit entsprang; sollte man nun an dieser Form festhalten und darüber einen europäischen Krieg hervorrufen, dessen Folgen Niemand voraussehen konnte?

Die Verhandlungen, die hierüber gepflogen wurden, beschäftigten die Cabinete in unaufhörlicher Aeußerung und Rückäußerung. Die diplomatische Thätigkeit liegt gegenwärtig in den mannichfaltigsten Correspondenzen zu Tage; sie gehört wol der Geschichte an, macht sie aber nicht aus. Uns kömmt es nicht darauf an, Recht und Unrecht jederzeit abzuwägen, das Verdienst der Staatsmänner an ihrer Stelle zu würdigen,

sondern wir heben daraus nur diejenigen Momente hervor, aus denen sich der Fortgang der Begebenheiten wirklich erkennen läßt.

In dem Inneren der beiden einander gegenüberstehenden Allianzen, der österreichisch-russischen und der preußisch-englischen, entstanden Meinungsverschiedenheiten, die von höchstem Belange find. Denn die russisch - österreichische Allianz war doch zuleßt aus dem Gedanken des Fürsten Kaunit hervorgegangen, Preußen und Rußland zu trennen und getrennt zu halten. Im Lauf der Zeit war nun gerade Desterreich von der Gefahr betroffen worden, von Preußen überwältigt zu werden. Sollte nun Desterreich diese Gefahr, der es nur durch die Pacification von Reichenbach entgangen war, er= neuern wollen, um der russischen Kaiserin den Besitz von Oczakow und einiger andrer Bezirke zu verschaffen? Der Nachfolger Josephs, Leopold, theilte nicht diese Ansicht: von Anfang an war er überzeugt, daß die Politik seines Bruders nothwendig verlassen werden müsse, wenn Desterreich aus der bedenklichen Lage, in die es gerathen war, errettet und in seiner Machtstellung aufrecht erhalten werden solle. Gleich nach seinem Regierungsantritt hatte er sich im Widerspruch mit seinem Staatskanzler zu einer Annäherung an die Mächte der Tripelallianz, besonders an Preußen, entschlossen. Die Schärfe der Antipathieen seiner Mutter und seines Bruders gegen diese Macht wiederholte sich nicht in ihm. Um nicht bei jedem Schritt von der Hartnäckigkeit des Staatskanzlers ge= hindert zu werden, hatte er ein von demselben bis auf einen gewissen Grad unabhängiges politisches Cabinet geschaffen. Die Reichenbacher Convention war bei weitem mehr das Ergebniß der persönlichen Direction der kaiserlichen Politik, als der Staatskanzlei und des Fürsten Kauniß.

Dieser Wandlung der Gesichtspunkte in dem österreichischen Souverän entsprach eine ähnliche in dem preußischen. Was man auch in der Welt von der Unselbständigkeit König Friedrich Wilhelm II. sagen mochte, in seiner Politik gab es ein lebendiges Moment, das ihm eigen angehörte. Er hatte den Fürstenbund mit Feuer ergriffen; durch das Schicksal, welches seine Schwester betraf, war er bewogen worden, sich ihrer Sache energisch anzunehmen; er hatte dann ganz auf cigne Hand die Allianz mit England angenommen und zum Mittelpunkt seiner Politik gemacht. In diesem System lebte er aber nicht so ganz, daß er nicht auch andre jenseits desselben liegende Gesichtspunkte hätte fassen können. Als er im Frühjahr 1790 ins Feld rückte, sagte er dem österreichischen Gesandten: als Soldat wozu er gebildet sei, könnte er wohl den Ehrgeiz haben, seine wohlgeübte Armee ernstlich gegen Desterreich zu gebrauchen; aber als Vater seines Volkes würde er doch den Frieden vorziehen; ihm würde selbst eine mit Leopold zu treffende Abkunft höher stehen, als die Bedingung des Status quo stricte, die er in Vorschlag bringe. Wenn er auf demselben zuleht doch bestand, so geschah das, weil sich daran bei der Wendung, welche die Geschäfte nahmen, der allgemeine Frieden knüpfte. Die Combination, in welche sich der leitende, dem König zur Seite stehende, Minister Herzberg einließ, umfaßte die ganze östliche Welt; sie war auf eine Ausbreitung der preußischen Macht über einige deutsche Gebiete, die aber seit langem unter Polen standen, berechnet. Aber es zeigte sich, daß sie unter den damaligen Umständen unausführbar war, da ihr die Polen selbst widerstrebten. Ungeduldig über die Weiterungen auf allen Seiten, die den Frieden verhinderten, und auf den Grund einer Zusage von England, die preu

ßischen Forderungen in andrer Weise zu unterstüßen, hatte sich Friedrich Wilhelm entschlossen, einfach bei dem Status quo stricte zu bleiben und seinen Minister fast mehr gezwungen als überredet, die Verhandlungen in diesem Sinne zu führen und zum Abschluß zu bringen. Immer weiter ging er auf dieser Bahn. Hauptsächlich ihm verdankte Leopold II. seine Wahl zum Kaiser. Der Widerspruch des Königs von Preußen hätte sie unmöglich gemacht. Friedrich Wilhelm hat gesagt, er habe sich überzeugt, daß Leopold den Frieden liebe und ihn zu erhalten wünsche, warum solle er nicht in eine engere Verbindung mit ihm treten? Ein besonderer Anlaß zur Annäherung entsprang aus den niederländischen Verwicklungen.

Bei der Pacification Leopolds mit den Niederlanden, die nun endlich erfolgte, kam es zwischen ihm und den drei verbündeten Mächten zu einer Differenz, die eine sehr bedenkliche Gestalt annahm. Diese wünschten den Einmarsch der Desterreicher so lange verzögert zu sehen, bis unter ihrer Vermittlung die constitutionelle Frage in Belgien erledigt sei. Aber der österreichische General rückte vorher ein, ehe dieselbe durch die Vermittler in die Hand genommen werden konnte.

Friedrich Wilhelm II. erblickte Anfangs in dem Verfahren Desterreichs eine Verlegung der Convention von Reichenbach und hielt es für rathsam, sich an den Kaiser selbst zu wenden und ihn aufzufordern, den Willkürlichkeiten, die sich sein bevollmächtigter Minister erlaube, entgegenzutreten. Der Ton seines Schreibens ist in Bezug auf die Sache selbst ernst und gemessen, in Bezug auf die Gesinnung des Kaisers voll von Vertrauen.

In Wien faßte man die in dem Haag ausgebrochene Differenz in einem ganz andern Lichte auf. Man sah darin eben

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