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CLXXXIX.

I. Entwurf eines von Rußland, Österreich und Preußen zu unterzeichnenden
Protokolls, von Rußland in Wien und Berlin vorgeschlagen.
Ende Januar 1854.

Der Eingang des Entwurfs zu diesem Protokoll bezeichnete als Beweggrund des beabsichtigten Übereinkommens den gemeinsamen Wunsch, die Verbindung der drei Mächte Angesichts der, den Weltfrieden bedrohenden Gefahren enger zu schließen, und als Zweck desselben die Vereinbarung der in den bevorstehenden Conjuncturen sowohl unter sich als den Westmächten gegenüber zu beobachtenden Haltung. Demgemäß sollten

1) Die beiden deutschen Mächte sich für den Fall einer activen Betheiligung Englands und Frankreichs in dem Kriege gegen Rußland förmlich verpflichten, die strengste Neutralität zu beobachten und im Falle erneuerten Drängens oder Drohungen von Seiten der Westmächte zu erklären, daß sie entschlossen seien, diese Neutralität nöthigenfalls mit den Waffen in der Hand gegen Jeden, der sie verletzen sollte, zu vertheidigen.

2) Die drei Mächte sollten jeden Angriff Frankreichs oder Englands gegen das Gebiet Österreichs, Preußens oder eines andern deutschen Staats wie einen Angriff auf ihr eigenes Gebiet betrachten und sich zur Abwehr gegenseitig nach Erforderniß der Umstände und nach weiterer Verabredung militairischer Commiffarien Beistand leisten.

3) Der Kaiser von Rußland wiederholte die Versicherung, den Krieg beendigen zu wollen, sobald es seine Würde und das wohlverstandene Interesse seines Reiches gestatten würden. In Erwägung jedoch, daß die weitere Entwicklung der Ereignisse den Zustand der Dinge in der Türkei verändern könnte, verpflich tete ich Se. Majestät, bei den diesfälligen Vereinbarungen mit den Seemächten in dieser Beziehung keinen Entschluß ohne vorgängige Verständigung mit seinen Verbündeten zu fassen.

II. Analyse der Note des Grafen Nesselrode, welche die Vorschläge zu einem Neutralitätsbündniß in Berlin und Wien begleitete.

Der Kanzler erinnert zuerst an die Tripel-Allianz der nordischen Höfe, die so lange die Hüterin Europa's gewesen sei. Angesichts des gegenwärtigen Krieges halte sich sein Souverain für verpflichtet, eine ernsthafte Einladung an seine Verbündeten ergehen zu lassen. Ihr gegenseitiges Intereffe verlange, daß die Haltung, welche sie den Ereignissen gegenüber einnehmen wollten, genau bezeichnet werde. Die Politik der Westmächte habe sich um die deutschen Interessen nicht gekümmert: dieß werde nicht das Verfahren Rußlands sein. Rußland sei entschlossen, allein die Wucht des Krieges zu tragen, und es werde von seinen Verbündeten weder Unterstüßung noch Opfer verlangen. Das Heil der beiden deutschen Mächte und des deutschen Bundes hänge von ihrer Einigung ab. Vereinigt würden sie die Entwickelung der Krisis aufhalten und vielleicht deren Lösung beschleunigen können. Herr v. Neffelrode betrachtet dann nach einander die drei möglichen Hypothesen: Allianz mit Rußland gegen die Westmächte; Allianz mit den letteren gegen Rußland; endlich strikte Neutralität. Das Petersburger Cabinet zieht selbst die erste Hypothese zurück; es verlangt keine Allianz. Die zweite (Allianz mit den Westmächten) wird als unmöglich hingestellt, die deutschen Mächte müßten denn den Drohungen der Westmächte nachgeben. Sie wür

den sich dann einer beleidigenden Nothwendigkeit fügen und einer beklagenswerthen Zukunft entgegengehen. Rußland, unangreifbar in seinem Lande, fürchte weder militärische Invasionen noch den revolutionären Geist. Wenn seine Verbündeten es verließen, so würde es Akt davon nehmen, so würde es seinen eigenen Kräften vertrauen und sich dahin einrichten, ihre Hilfe für die Zukunft entbehren zu können. Aber der Kaiser vertraue auf die bekannten Gefühle und Gesinnungen der ihm befreundeten, mit ihm verbündeten Staaten und auf die Tapferkeit ihrer Armeen, die seit so langer Zeit mit den seinigen durch die Identität der Prinzipien und die Taufe des Bluts vereinigt seien! Das Petersburger Cabinet betrachtete daher die dritte Hypothese (die Neutralität) als allein der deutschen Höfe würdig, als allein übereinstimmend mit ihren währen Interessen und zu gleicher Zeit geeignet, die Wünsche Rußlands zu realisiren, indem sie ihnen erlaube, eine Vermittlerrolle zu übernehmen. Aber diese Neutralität dürfe weder unbestimmt, noch schwankend, noch abwartend sein; die lettere würde ohne Zweifel von den kriegführenden Parteien und vorzüglich von Rußland als feindselig betrachtet werden. Die Haltung der deutschen Mächte müsse sich im Gegentheil auf die Grundsäße stüßen, die durch lange Prüfungen hin die allgemeine Ordnung und den Weltfrieden aufrecht erhalten haben. Sie müßten be reit sein, diese Politik mit den Waffen in der Hand zu unterstützen. Wenn eine der beiden Seemächte unklug genug wäre, einen Angriff auf Deutschland zu wagen, so dürfte die Politik der anderen keine entgegengesetzte sein. In jedem Fall könnte Deutschland darauf rechnen, daß Rußland ihm mit allen seinen Kräften zu Hilfe kommen würde.

CXC.

Analyse zweier Depeschen des preußischen Ministers d. a. A. an den preußischen Gesandten in Petersburg.

Vom 31. Januar 1854.

Die Regierung Sr. Majestät spricht die Ansicht aus, daß das Protocoll vom 5. December und die darauf folgenden Unterhandlungen unter den vier Mächten eine gegenseitige Verpflichtung begründen, von der sich Preußen nicht einseitig lossagen könne. Sodann sei das Resultat der, auf Grund der Wiener Conferenzberathungen nach Petersburg geschickten Propositionen abzuwarten, und in keinem Falle könne die Königliche Regierung auf das, mit den andern Mächten unternommene gemeinsame Werk verzichten und durch einen Abfall den Erfolg dieser Bestrebungen vereiteln. Jeßt eine bewaffnete Neutralität zwischen Österreich, Preußen und Rußland proclamiren, hieße sich die Hände gegenüber von Eventualitäten binden, deren Tragweite unübersehbar sei. In einer anderen Depesche von demselben Tage weist die Königliche Regierung darauf hin, daß durch den russischen Vorschlag einer Art von defensiver Triple-Allianz unsere Hülfleistung, auf die man zu verzichten behaupte, in einer anderen Form beansprucht werde. Den revolutionären Geist, den Rußland nicht zu fürchten habe, hätten wir auch bei uns ohne fremde Hülfe überwunden. Übrigens werde zwischen den deutschen Staaten Einigkeit herrschen.

CXCI.

Depesche des Grafen Westmorland an den Grafen Clarendon.

Wien, den 4. Februar 1854.

Graf Buol hat dem Gesandten Frankreichs und mir angezeigt, daß der Vorschlag des Grafen Orloff an den Kaiser von Österreich darin bestehe, daß der

Kaiser von Österreich sich zu einer strengen Neutralität bei einem Krieg zwischen der Türkei und Rußland verpflichte, wenn auch, wie vermuthet werde, Frankreich und England sich an dem Krieg betheiligen sollten. Der Kaiser von Österreich soll den Grafen Orloff gefragt haben: werde der Kaiser von Rußland seine Verpflichtungen erfüllen, die Donau nicht zu überschreiten; die Fürstenthümer nach dem Krieg zu räumen, und den allgemeinen Staatenzusammenhang der türkischen Provinzen, wie er jeßt bestehe, nicht zu stören? Graf Orloff antwortete, daß der Kaiser von Rußland keine Verbindlichkeiten auf sich nehmen könnte. Darauf erwiederte ihm der Kaiser von Österreich, daß er in diesem Falle sich auch nicht zu dem verpflichten könne, was man ihm vorgeschlagen. Er werde bei den Grundsäßen beharren, für die er sich im Einklang mit den drei Großmächten entschieden, und werde sich bei seinem Verhalten nur durch die Intereffen und die Würde seines Reiches bestimmen lassen. Sie werden, Mylord, nicht erstannen, wenn Sie von dem Ausgang der Sendung des Grafen Orloff unterrichtet werden, zu erfahren, daß die österreichische Regierung sich unmittelbar darauf entschlossen hat, ihre Grenzbewachung in Siebenbürgen um 30,000 Mann zu vermehren. Graf Buol erwartete, daß Graf Orloff morgen Wien verlassen werde, aber er erfährt zu seinem Erstaunen, daß er seinen Aufenthalt noch um einige Tage verlängern wolle.

CXCII.

Protocoll der Wiener Conferenz vom 2. Februar 1854. Anwesend: die Vertreter Österreichs, Frankreichs, Großbritanniens und Preußens.

Die Vertreter Österreichs, Frankreichs, Großbritanniens und Preußens find zur Conferenz zusammengetreten um die Mittheilung entgegenzunehmen, welche der österreichische Bevollmächtigte ihnen von den Vorschlägen des Cabinets von St. Petersburg hat machen wollen, die dieses in Erwiederung derjenigen gemacht hat, welche derselbe unter dem 13. Januar übernommen hatte dem kaiserlichen Gouvernement zugehen zu laffen, nachdem sie die Zustimmung der in der Wiener Conferenz vertretenen Mächte erhalten hatten.

Die Unterzeichneten haben, nachdem sie die besagten Vorschläge der reiflichsten Prüfung unterzogen haben, festgestellt, daß dieselben im Ganzen und Einzelnen so wesentliche Abweichungen von der Grundlage der Verhandlungen enthalten, wie sie unter dem 31. December zu Constantinopel entworfen und dem 13. Januar zu Wien gebilligt worden sind, daß sie dieselben nicht für geeignet halten, um der Regierung Sr. Majestät des Sultans zugestellt zu werden.

Es bleibt daher den Unterzeichnern nur übrig, das beifolgende Actenstück an ihre betreffenden Regierungen gelangen zu lassen und abzuwarten, daß diese ihre weitern Entschließungen fassen.

CXCIII.

Die russischen Gegenvorschläge.

(Beilage zum Conferenzprotocoll.)

In Erwiederung der Vorschläge der Pforte, welche mit dem Protocoll vom 13. Januar nach Petersburg abgesandt worden sind, hat Rußland uns wissen laffen, daß es treu den Erklärungen, welche es seit Beginn des Streits gegeben,

weder die Gefahren, denen sich die Pforte ausgesezt hat, erhöhen noch dieselbe zu einem mit ihrer Integrität und Unabhängigkeit unvereinbaren Frieden nöthigen will.

Rußland ist überzeugt, daß nie ein Vertrag leichter zu behandeln und zu gutem Abschluß zu bringen gewesen ist als der, welchen die Pforte vorschlagen würde mit dem aufrichtigen Wunsch, seine Beziehungen mit Rußland wieder auf den alten Fuß zu seßen und für immer die Ursachen des Streits, die sich jest herausgestellt haben, durch eine offene Verständigung über den Sinn und die Tragweite ihrer früheren Transactionen und der jeßigen gegenseitigen Gesinnungen zu entfernen.

Rußland findet, daß ein Unterschied zu machen ist zwischen dem Inhalt, d. i. den Bedingungen des Friedens, und der Form, d. i. dem Modus, der Verhandlung.

Was die formelle Frage betrifft, so sieht sich das Wiener Cabinet, in Gemeinschaft mit den übrigen Mitgliedern der Conferenz, autorifirt, den Boden für eine directe Unterhandlung zu schaffen, indem es die Pforte bewegt die Grundlagen welche Rußland ihm bietet, vorgängig anzunehmen. Das kaiserliche Cabinet stellt als wesentliche und unerläßliche Bedingung hin, daß die endgültigen Verhandlungen der Unterzeichnung des Friedensvertrages unmittelbar zwischen Rußland und der Pforte Statt haben, sei es im Hauptquartier, sei es zu St. Petersburg, durch einen Bevollmächtigten, welchen die Pforte nach dem einen oder andern Orte senden würde.

Das russische Cabinet bemerkt, daß für den Fall, wo diese Unterhandlungen in St. Petersburg eröffnet würden, die Vertreter der vier Mächte mit den nöthigen Instructionen versehen werden können, um den türkischen Bevollmächtigten mit ihren Rathschlägen zu leiten, zu fördern und zu unterstüßen, ohne daß es einer ostensiblen Conferenz bedürfe, und wenn diese Form vermieden werde, dürfe man sicher sein, daß die Haltung dafür nur um so entgegenkommender sein werde.

Was den Inhalt der Verhandlungen betrifft, so schlägt der Kaiser, treu feinen uneigennüßigen Gesinnungen, als Grundlagen des Friedens, soweit es möglich ist sie inmitten der täglich wechselnden Verhältnisse genau zu bestimmen, und für den Fall daß eine directe Unterhandlung zwischen Rußland und der Pforte baldigst angeknüpft würde, Folgendes vor:

1. Volle Bestätigung aller früheren zwischen Rußland und der Pforte geschlossenen Verträge, vom Vertrag von Kainardji an und den besondern Conventionen von Adrianopel, bezüglich der Donaufürstenthümer und Serbien.

2. Erklärungen, welche von den mit der Friedensverhandlung betrauten Bevollmächtigten in der Form eines Protocolls oder Additionalartikels zu zeichnen find, nach einem beiliegenden Entwurf, betreffend den Sinn und die practische Anwendung der früheren und neuerlichen Firmane des Sultans über die religiöse Freiheit und die der orthodoren Kirche des Orients gewährten Immunitäteu.

3. Schleunigste Räumung der Fürstenthümer nnd der andern zu den Staaten des Sultans gehörigen Landschaften und Städte, welche von den russischen Armeen in Folge der Kriegsereignisse beseßt sein sollten, sobald das Arrangement zu Stande gekommen ist.

4. Wiederherstellung der Ordnung der Dinge und der Regierungen der Fürstenthümer, sowie sie durch die Stipulationen von Adrianopel festgesezt sind.

5. Regelung des Asylrechts und der Bedingungen, unter denen es künftig

in den betreffenden Staaten den Agitatoren und Revolutionären gewährt werden sollte, welche, unter der Firma politischer Flüchtlinge, Schwierigkeiten und Mißverständnisse zwischen befreundeten und benachbarten Regierungen hervorrufen sollten.

Was den Vertrag vom 13. Juli 1841 betrifft, so hält die russische Regierung dafür, daß er nicht aufgehört hat in Kraft zu sein, weil er sowohl für den Frieden als für den Krieg geschloffen worden ist; dem zu Folge wäre es nicht nöthig ihn zu erneuern oder durch eine Garantie zu vervollständigen.

CXCIV.

Entwurf zu einem Protocoll.

(3u Punkt 2 der russischen Vorschläge gehörig.)

Nachdem die Unterzeichneten die Artikel des Vertrags unterzeichnet haben, der bestimmt ist den Frieden zwischen beiden Reichen wiederherzustellen und einem vorübergehenden Mißverständniß die bisher von beiden Souveränen im gegen= seitigen Interesse aufrecht erhaltenen freundschaftlichen Beziehungen wieder folgen zu laffen, haben sie sich damit beschäftigt, die ursprüngliche Ursache des Streits in besondere Erwägung zu ziehen und mit der Absicht, jede Spur davon für die Zukunft zu tilgen, beide in gegenwärtigem Protocoll die nachstehenden Versicherungen, Erklärungen und Bestimmungen unterzeichnet:

Zuvörderst hat der ottomanische Bevollmächtigte im Namen des Sultans die beständige Sorge versichert, welche diesen Souverän für die Sicherheit des Clerus, der Kirchen und der religiösen Stiftungen des griechischen Cultus des Orients beseelt, indem er zugleich das aufrichtige Bedauern ausspricht, daß sich in dieser Beziehung irgend welche Zweifel bei Sr. kaiserlichen Majestät hätten erheben können. Er hat erklärt, daß Se. Majestät der Sultan nicht einen Augenblick hat daran denken können, das allgemeine Princip aus dem Auge zu verlieren, das im Vertrag von Kainardji und denen, welche ihn bestätigen, niedergelegt ist, und daß es sein fester Entschluß war, ihm unverändert treu zu bleiben. Kraft dieses Entschluffes und zum Beweis der Absicht des Sultans, in seinen Staaten der orthodoxen Kirche des Orients die Rechte, Immunitäten und Privilegien zuzufichern, welche dem genannten Cultus und seinen Kirchen von den erhabenen Vorgängern Sr. Majestät gewährt worden sind, und selbst zu seinen Gunsten die Wirkungen seines kaiserlichen Wohlwollens auszudehnen, fand sich der ottomanische Bevollmächtigte beauftragt, officiell dem russischen Hof das allerhöchste Irade mitzutheilen, welches aus eigenem Entschluß der Sultan unter dem. . . . dem griechischen Patriarchen und Clerus gegeben hat. Die förmliche Übergabe dieser Urkunde an das kaiserliche Cabinet und noch mehr die stattgefundene öffentliche Verkündigung derselben, werden der Welt dafür zeugen, daß es der Sultan als einen Ehrenpunkt betrachtet, die von Sr. Majestät bestätigten oder neuerlich bewilligten Privilegien für alle Zeiten zu erhalten und vor jeder Kränkung jezt und in Zukunft zu sichern. Se. Majestät verspricht außerdem noch im Geist hoher Billigkeit, den griechischen Ritus an allen Vortheilen Theil haben zu lassen, welche Sie künftig den übrigen christlichen Confeffionen gewähren sollten.

In Erwiederung dieser Versicherungen hat der russische Bevollmächtigte erklärt, daß, wenu verschiedene Acte der Pforte, besonders in Betreff der heiligen Stätten, welche den Kaiser auf wenig geneigte Gesinnungen für den Cultus, zu dem er sich bekennt, hätte schließen lassen, Se. Majestät veranlaßt hätten, gleich

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