Page images
PDF
EPUB

Ueber die Frage, ob der Wald die jährliche Niederschlagsmenge beeinflusse, beziehungsweise vermehre, welche Frage Herr Bühler als nicht gelöst betrachtet, finden wir die zuverlässigsten und sorgfältigsten Zusammenstellungen des Herrn Dr. Weber in der ersten Lieferung des Handbuches der Forstwissenschaft von Dr. Lorey. Weber kommt zu dem Schlusse, dass in Bezug auf die mittlern jährlichen Niederschläge die Resultate der forstlichen Stationen (im Freien) in der norddeutschen Ebene nur sehr unbedeutend von dem aus grossen Durchschnitten abgeleiteten Mittel für das Tiefland abweichen, näm lich 8 mm = 1,25 %; allein schon in der mässigen Höhe von 100-200 m macht sich die Erhöhung der Regenmenge bemerkbar (= 14,2%), steigt dann bei 600-700 m auf 19,0%, bei 700-800 m auf 43,7% und bei 900-1000 m sogar auf 84,2% der zum Vergleiche dienenden Durchschnittszahlen. Es scheint hieraus der Einfluss, welchen der Gebirgswald auf die Kondensation der atmosphärischen Niederschläge ausübt, mit ziemlicher Deutlichkeit hervorzugehen. Dass durch das Kronendach der Waldbäume 23-26%, in einzelnen Fällen bis 50/0, ja bei Schneefall sogar bis 88% der Niederschläge zurückgehalten werden, anerkennt auch Herr Bühler, fügt dann aber sofort hinzu: „Bei Ueberschwemmungen, die ja beim plötzlichen Schmelzen des Schnees oder nach heftigen Regengüssen eintreten, kann die Bewaldung von Nutzen sein. Einmal verdunstet ein Theil des Schnees auf den Kronen der Bäume, sodann schmilzt er im Waldesschatten später, als im freien Land, es vertheilt sich also der Wasserabfluss auf längere Zeit. In einem Gebirgslande, in welchem wegen der verschiedenen Erhebungen über das Meer und der dadurch ungleich vertheilten Temperatur, sowie wegen der verschiedenen Himmelslagen das Schmelzen des Schnees nie plötzlich an allen Orten geschieht, ist diese Einwirkung des Waldes von geringerer Bedeutung als im Hügel- und Flachlande."

[ocr errors]

Dem gegenüber ist zu bemerken, dass die gefährlichsten Hochwasser erst dann entstehen, wenn in den Bergen kein Schnee fällt oder der gefallene Schnee rasch schmilzt, was häufig geschieht.

Die Hochwasser von 1868 im Kanton Graubünden wurden hauptsächlich dadurch ermöglicht, dass der Schnee in den Bergen in Folge der hohen Temperatur vom Regen rasch geschmolzen wurde. Die Hochwasser von 1882 hatten ihr Entstehen, nebst den starken Niederschlägen, ebenfalls dem raschen Schmelzen der Schneelage in den Gebirgen zu verdanken (Honsell: „Die Hochwasser am Rhein", Seite 19).

Was aber die, wegen der verschiedenen Erhebung über Meer, bezeichnete ungleiche Temperatur und demgemäss ungleichzeitige Schneeschmelze anbelangt, ist ein Faktor nicht zu übersehen, der uns die bestechende Theorie sehr rasch über den Haufen wirft; es ist der Föhn.

Es ist erstaunlich, mit welchen Schneemassen der Föhn in einigen Stunden aufzuräumen im Stande ist. Derselbe wird von kompetenter Seite geradezu als die erste wesentlichste Ursache der Wasserverheerungen" bezeichnet.

Blotnitzki, eidg. Inspektor der Rhonekorrektion (†), weist nach, dass sich bei Föhn die Temperatur bisweilen so weit abkühlt, dass die Niederschläge die Form von Hagel oder lockerem, meist aber Bogenanntem nassem Schnee annehmen.

[ocr errors]

Sinkt die Temperatur noch tiefer," sagt Blotnitzki weiter in seinem Berichte über den Föhn und dessen Einfluss, so bleiben die Schnee- und Hagelmassen liegen und häufen sich oft zu beträchtlicher Dicke an. Bevor der Föhn durch den Nordwind verdrängt wird, erfolgen, wenn sich das Wetter aufhellt, nicht selten noch eine zeitlang warme Föhnstösse. Diese sind dann jedesmal von gefährlichen, unheilbringenden Folgen, indem sie bewirken, dass jene lockern Schnee- und Hagelmassen plötzlich schmelzen und eine gewaltige Wassermenge erzeugen, die nun weit schneller, lawinenartig thalwärts stürzt und im Hauptthal eine wahre Springfluth verursacht. Die Ueberschwemmungen vom 17. August 1868 an der Saltine, Gamsen und Vispe wurden durch solche Vorgänge hervorgerufen. Durch derartige Katastrophen wird das Geschieb weit massenhafter mit fortgerissen und hinuntergeschwemmt und zwar nicht etwa nur das kleinere, sondern Steine von beträchtlicher Grösse; so wurden im Saltinethal durch Abspülung der Moränen am Kaltwassergletscher solche von 500 Kubikfuss fortgewälzt. Gerade die in dieser Weise erzeugten Wassermassen sind's hauptsächlich, welche ganze Gebirgsabhänge durchfurchen und deren Bäume entwurzeln und zerreissen, namentlich da, wo die Abhänge nur von lichten, wenig dichten Wäldern bekleidet sind oder wo die letztern stark abgeholzt wurden.“

Ueber den Einfluss des Waldes auf die nachhaltige Speisung der Quellen, beziehungsweise auf den nachhaltigen und regelmässigen Wasserstand der Flüsse, brauchen wir wohl nicht viele Worte zu verlieren. Herr Dr. Bühler wird mir als Gewährsmann seinen Mitarbeiter am „Lehrbuch der Forstwissenschaft", Herrn Dr. Weber gelten

lassen. Herr Weber sagt in der Abhandlung über die Aufgaben der Forst- und Alpwirthschaft diesfalls bezeichnend: „Anstatt die zahlreichen, aus Reisebeschreibungen oder Chroniken geschöpften Einzelberichte über vorgekommene Fälle von Temperaturveränderungen, vom Vertrocknen ganzer Landstriche, vom Versiegen der Quellen, Fehlen der Thauniederschläge und des Thaues hier zu wiederholen, verweise ich jeden sich dafür interessirenden Leser auf das Sammelwerk von Freiherr v. Löffelholz-Colberg, wo mit grösstem Fleiss ein 290 Seiten füllendes Material dieser Art aus allen Ländern zusammengestellt und mit Quellenangabe nachgewiesen ist und wo sich eine erdrückende Beweislast für das Vorhandensein eines dringenden öffentlichen Interesses an der Waldschutzfrage deponirt findet." Zur Orientirung über die bezüglichen Verhältnisse speziell in der Schweiz verdient besondere Beachtung die Schrift von Ingenieur Lauterburg: Ueber den Einfluss der Wälder auf die Quellen- und Stromverhältnisse der Schweiz." Hören wir schliesslich noch die Stimme eines Collegiums von Fachmännern. Der österreichische Ingenieur- und Architektenverein hatte zur Beurtheilung der Abhandlung von Wex ein hydrotechnisches Komite bestellt, welches in seinem Bericht vom 17. April 1875 zum Schlusse gelangt, dass die Entwaldung einen ehr nachtheiligen Einfluss auf das Regime ausgeübt habe.“

[ocr errors]
[ocr errors]

Wohl jeder Gebirgsforstmann ist einverstanden, wenn Herr Bühler sagt: Vielleicht wichtiger ist, dass durch den Waldbestand das Erdreich mechanisch durch die Wurzeln der Bäume festgehalten und durch Verminderung der Stosskraft des Wassers die Runsenbildung, das Abröckeln und die Geschiebebildung erschwert wird. Dadurch wird nicht nur die Erhöhung der Flussbette und die Verschüttung des Kulturlandes, sondern auch die Verödung des gebirgigen Terrains bis zu einem gewissen Grade verhindert. Dass diese Wirkung des Waldes in Gebirgsländern von entscheidender Bedeutung ist, lehrt die Geschichte der Ueberschwemmungen auf jedem Blatte." Es enthebt uns diese Anerkennung des Waldes der besondern Hinweise auf eine Reihe von Erfahrungen. Allein Herr Bühler setzt den Folgerungen seiner eigenen Worte sofort einen Dämpfer auf, indem er schreibt:

„Katastrophen wird auch die vollständige Bewaldung der Gebirge nicht unmöglich machen können, da die grössten Niederschläge oberhalb der Waldgrenze erfolgen und oft die von diesen Gegenden herabstürzenden Wassermassen in der Waldregion selbst Verheerungen anrichten." Es liegt in diesen Worten nicht sowohl eine Misskennung

der Stellung des Waldes, als vielmehr die Voraussetzung einer Behauptung, die wohl kein Fachmann aufstellt, um diese bekämpfen zu können. Gewiss wird die Bedeutung des Waldes immer eine mehr oder weniger lokalisirte bleiben. Er ist nicht im Stande, ein Land von den grossen kosmischen Strömungen der Winde und deren Folgen, die sich in ausserordentlichen Niederschlägen kundgeben, unabhängig zu machen.

Es kann aber mit spezieller Rücksicht auf den Nachsatz, der eben zitirten Bemerkung von Herrn Bühler, darauf hingewiesen werden, dass sehr häufig im Gebirge die grössten Regenniederschläge in der Waldregion fallen, während ob der Waldregion Schnee fällt. Allein auch

[ocr errors][merged small][graphic][subsumed][merged small][merged small][merged small]

selbst mit Rücksicht auf die Niederschläge, welche oberhalb der Waldgrenze erfolgen, kann der Wald noch von wohlthätigster Wirkung bleiben.

Sehr instruktiv sind diesfalls die Versuche, welche im Jahre 1859 von Forster in Frankreich an einem, unter 45% geneigten Hange angestellt wurden. Forster hat 1/7 der Fläche dieses Hanges abgestockt und zwar die eine Hälfte ganz, die zweite aber nur bis auf das untere Viertel. Der Rest des Hanges, also 6/7 der Fläche, blieb bewaldet. Es ergab sich nun, dass diese bewaldete, mit Buchen und Eichen bestockte Fläche I (vide Figur) gar keinen Wasserriss aufzuweisen hatte, der ganz entwaldete Theil aber deren 3, sämmtliche von oben nach unten im Querschnitt zunehmend. Die nur zum Theil entwaldete Fläche III besass vier Runsenbildungen. Die eine von diesen

verlief vollständig im Walde und die drei übrigen verengerten beim Eintritt in den Wald ihren Querschnitt.

Bei der Ausmündung verhielten sich die Querschnitte der Runsen von Fläche II und III wie 190,5 : 93,5 (Centralblatt für das gesammte Forstwesen, V. Heft 1886).

Ist es auch in die Augen springend, dass die durch Gebirgsflüsse hervorgerufenen Hochfluthen im untern Flussgebiete ihre Wucht verlieren, so ist es doch, zum wenigsten gesagt, ungenau, wenn Herr Bühler sagt: „Zur Zeit des hohen, durch Schmelzen des Schnees und Gletschereises hervorgerufenen Wasserstandes der schweizerischen Flüsse in den Monaten Juni, Juli und August haben umgekehrt alle deutschen Flüsse den niedrigsten Stand, so dass etwaige Hochfluthwellen schon bei Basel sich zu verflachen beginnen."

Der Jahresbericht des Centralbureaus für Meteorologie und Hydrographie im Grossherzogthum Baden für das Jahr 1884 sagt gegentheils Die Wasserstandsbewegung im Allgemeinen verlief in normaler Weise. Nach einer, die Monate Januar bis einschliesslich April umfassenden Periode niedriger Winter- und Frühjahrsstände trat die regelmässige, diessmal nicht beträchtliche Sommeranschwellung ein, welcher dann weit unter Normalhöhe bleibende Spätjahr- und Winterwasserstände folgten. Die niedrigen Stände der Früh- und Spätjahrperioden entsprechen den geringen, unter dem Mittel bleibenden Regenmengen dieser Monate, die Dezemberanschwellung erscheint als die Folge ausgiebiger, das Mittel überschreitender Regenfälle, während der durch den Schneeabgang in der Schweiz bedingte höhere Sommerstand nur wenig durch die im Lande niedergegangenen Regenmengen beeinflusst war." Für den Verlauf im Einzelnen erwähnt der Bericht als charakteristisch: „Der Beginn der Sommeranschwellung fällt sowohl im Bodensee als im Rhein in die ersten Tage des Monates Mai. Nach kurzer Unterbrechung setzte sich dieselbe, besonders in Folge vermehrter Wasserlieferung durch die schweizerischen Zuflüsse, unter anhaltendem, aber langsamen Ansteigen des Wassers fort. Vorübergehend unterbrochen wurde der regelmässige Verlauf der Wasserstandsbewegung in dieser Periode durch mehrere Anschwellungen, welche jedoch eine aussergewöhnliche Höhe nicht erreichten. Wie im Jahre 1883, so nahm auch in diesem Jahre die Sommeranschwellung die Zeit von Mitte Mai bis Mitte September ein. Der höchste Stand - zugleich der höchste Jahresstand fiel im Rhein an den meisten Pegelstationen auf den 20. bis 23. Juli, an einigen auf den 18. bis

« PreviousContinue »