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Sinne der Regeln über die Revision bilde, was mit demselben Recht jeder anderen Vorschrift des Invalidenversicherungsgeseßes hätte beigefügt werden können. Auch findet die entwickelte Auffassung ihre volle Bestätigung durch den Bericht der Reichstagskommission zu § 158 a des Entwurfes, woselbst es bezüglich der Anfügung des Sazes 2 heißt: „Es soll hierdurch ermöglicht werden, daß das ReichsVersicherungsamt bei Entscheidung über Revisionen gegen Schiedsgerichtsurteile, die noch unter der Herrschaft des alten Gesezes ergangen sind, seinerseits die günstigeren Bestimmungen der Novelle auch dann zur Anwendung bringen kann, wenn sich die Vorentscheidung nach dem bisherigen Recht als zutreffend erweist und deshalb ein Revisionsgrund nach § 80 Absatz 3 nicht vorliegen würde" (zu vergleichen Drucksachen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, I. Session 1898/99 Nr. 270 Seite 180).

In materieller Hinsicht fragt es sich, wie sich das neue Recht bei schwebenden Ansprüchen inhalt= lich geltend macht, und hierbei vor allem, inwieweit dem an sich erst mit dem 1. Januar 1900 be= stehendes Recht gewordenen Invalidenversicherungsgesetz (zu vergleichen § 194 daselbst) rückwirkende Kraft innewohnt. Obwohl eine ausdrückliche Bestimmung über die Rückwirkung auf ältere Thatbestände fehlt, ist doch schon aus der Vorschrift des § 193 zu schließen, daß eine Rückwirkung in weitem Umfange beabsichtigt ist. Denn bei den schweben= den Streitigkeiten liegen selbstverständlich die zur Begründung eines Anspruchs in Betracht kommenden Thatsachen, wie der Versicherungsfall und die zur Erwerbung der Anwartschaft erforderlichen Vorgänge, mehr oder weniger vollständig in der Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen Gesezes. Eine Anwendung des letteren ist daher regelmäßig nur denkbar, wenn es zurückwirkt. Dies entspricht aber auch dem Wesen des neuen Gesezes, das in der Hauptsache nur ein ausbauendes, erläuterndes und fortbildendes Ergänzungsgeset ist. Dazu kommt, daß es überwiegend große Vorteile für die Berechtigten mit sich bringt, und daß eine möglichst weitgehende und möglichst baldige Einführung der Erleichterungen der wohlwollenden Absicht des Gesezgebers, wie übrigens auch aus den amtlichen Vorarbeiten und Verhandlungsberichten erhellt (zu vergleichen die Begründung zu § 158 a des Entwurfs, Drucksachen Nr. 93 Seite 364, Kommissionsbericht a. a. D. Seite 179), am besten gerecht wird. In der Begründung der Vorlage ist ausdrücklich ausgesprochen, daß nur rechtskräftig und endgültig erledigte Ansprüche der Einwirkung des Invalidenversicherungsgesezes entzogen sein sollen. Nur bei

dieser Auffassung erklärt sich auch der Mangel an Übergangsbestimmungen. Würden die Erleichte= rungen und sonstigen Änderungen des Invalidenversicherungsgeseßes erst vom 1. Januar 1900 ab wirksam werden, so wäre die Rechtsanwendung vor unlösbare Aufgaben gestellt, z. B. im Wege der Auslegung zu bestimmen, wie sich die Wartezeit berechnet, wenn sie teils unter dem alten, teils unter dem neuen Gesez zurückgelegt ist, und dergleichen mehr. Der bei Gefeßesänderungen auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts vorherrschende Gesichtspunkt, daß wohlerworbene Rechte nicht beeinträchtigt werden dürfen, und daß eine Rückwirkung im allgemeinen nicht vermutet wird, kann auf dem Gebiete der dem öffentlichen Rechte angehörenden Arbeiterversicherung eine ebenso maßgebende Bedeutung nicht beanspruchen. Immerhin bleibt es einer sorgfältigen Prüfung der Tragweite der einzelnen Vorschriften des Invalidenversicherungsgeseßes, insbesondere solcher, die sich im Vergleich mit dem bisherigen Recht als die strengeren erweisen, vorbehalten, zu entscheiden, ob die Regel der Rückwirkung in ge= wissen Beziehungen vermöge des bereits bestehenden Rechtsverhältnissen gebührenden Schußes oder aus anderen Gründen einer Einschränkung unterliegt.

Die Anwendbarkeit des neuen Gesezes ist durch den § 193 a. a. D. an eine Bedingung geknüpft worden, die in den Worten sofern letteres für die Berechtigten günstiger ist" Ausdruck gefunden hat. In dieser Fassung, die bemerkenswerterweise durch die Reichstagskommission an die Stelle der Worte des Entwurfes sofern lettere für die Berechtigten günstiger sind gesezt wurde, spricht sich unver= kennbar der Gedanke aus, daß die Rechtslage nach dem Invalidenversicherungsgesetz, im ganzen ge= nommen, verglichen werden soll, nicht die einzelne Vorschrift des einen mit der entsprechenden des anderen Gesetzes. Damit ist zugleich gesagt, daß, wenn einmaldas RechtdesInvalidenversicherungsgesezes Plaz greift, es auch in allen seinen Teilen zur Durchführung gelangt, selbst insoweit, als es im einzelnen ungünstiger wirkt. Mit anderen Worten: es soll nicht ein beson= deres, aus den vorteilhafteren Bestimmungen. des einen und des anderen Gefeßes zusammengeseztes Ausnahmerecht für schwebende An= sprüche geschaffen, sondern es soll lediglich, wie dies auch billig, denjenigen Personen, deren Streitigkeiten am 1. Januar 1900 noch nicht endgültig abgeurteilt waren, dieselbe Rechtsstellung zu teil werden, welche sich für die erst nach jenem Zeitpunkt ihren Anspruch Anmeldenden aus der allgemeinen

Anwendung des Invalidenversicherungsgesezes von selbst ergibt. Keine Ausnahme, sondern nur eine Ausführung dieses Grundsaßes ist es daher, wenn auch bei schwebenden Streitigkeiten eine Rückwirkung des Invalidenversicherungsgesetzes in solchen Punkten verneint wird, in denen dem Invaliden= versicherungsgeseß selbst bei neuen, nicht Übergangssachen eine rückwirkende Kraft nicht zukommen würde.

Prüft man den vorliegenden Altersrentenanspruch nach den dargelegten allgemeinen Gesichtspunkten, so ergibt sich folgendes: Wenn die Klägerin, wie fie behauptet, von 1888 bis 1890 jährlich sieben Monate lang als Torfarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, so hat sic, wenn nicht schon nach § 190 des Invalidenversicherungsgeseßes, so doch jedenfalls bei Zuhülfenahme der Vergünstigung des § 191 Absa 2 Ziffer 2 des Invalidenversicherungsgeseßes die vorgeseßliche Zeit

erfüllt.

Was sodann die gesetzliche Wartezeit anlangt, so bemißt sie sich nunmehr nach § 190 des Invalidenversicherungsgeseßes auf nur noch 280Wochen, es würde demgemäß der Klägerin die Altersrente von dem Beginn der auf die 280. Woche folgenden Woche ab gewährt werden können, auch wenn dieser Zeitpunkt vor das Inkrafttreten des Invalidenversicherungsgesetzes fällt, und zwar auch für die Zeit bis dahin nach dem vom Invalidenversicherungsgesez vorgeschriebe= nen Betrage (§§ 37, 192).

Zum Zweck weiterer Anfklärung des Sachverhaltes nach der Richtung, ob die Wartezeit hinreichend belegt sei, wurde schließlich die Sache an das Schiedsgericht zurückverwiesen (Revisionsentscheidung 790).

2. Von denselben Grundsäßen ausgehend hat ferner das Reichs - Versicherungsamt in einer am 1. Januar 1900 schwebenden Invalidenrentensache, in welcher der am 22. März 1898 bei dem zuständigen Landratsamt angemeldete Anspruch des seit 1896 dauernd erwerbsunfähigen Klägers vom Schiedsgericht abgewiesen worden war, weil nur 149 Wochen durch Beitragsmarken dritter Lohnklasse und 52 Wochen durch Krankheitsnachweise belegt seien, unter Aufhebung des seiner Zeit zutreffend ergangenen Schiedsgerichtsurteils dahin erkannt, daß die Invalidenrente nach dem Invalidenversicherungsgeseß, daher gemäß § 41 Absaß 3 daselbst erst vom 22. März 1897 ab und zu dem aus § 36 daselbst sich ergebenden Betrage zu gewähren. sei. Der Betrag der Rente wurde, wie folgt, be= rechnet:

Archiv für gewerbliche Rechtspflege. 1900.

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3. Durch die Vorschrift des § 146 des Invalidenversicherungsgeseßes wird die Gültigkeit solcher Beitragsmarken, die vor dem 1. Januar 1900 erst nachträglich wirksam verwendet worden sind, und ebenso durch die Vorschrift des § 46 des Invalidenversicherungsgesetzes eine bis zum 31. Dezember 1899 erhaltene Anwartschaft selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn in einer am 1. Januar 1900 schwebenden Sache das Invaliden

versicherungsgesetz gemäß § 193 daselbst zur Anwendung kommt.

In einer am 1. Januar 1900 in der Revisionsinstanz schwebenden Altersrentensache, in der gemäß § 193 des Invalidenversicherungsgeseßes die Anwendung dieses Gesetzes schon deshalb geboten war, weil nur dann die vorgeseßliche Zeit als erfüllt gelten konnte, handelte es sich im übrigen um die Frage, inwieweit der Klägerin die durchweg erst im Dezember 1897 verwendeten, für Arbeiten aus den Jahren von 1891 ab nachgebrachten Beitragsmarken anzurechnen seien. Hierüber führt das Revisionsurteil vom 8. Januar 1900 im Anschluß an allgemeine Erwägungen über die Auslegung des § 193 a. a. D., welche der vorstehenden Revisionsentscheidung 790 (Archiv II, 1) entsprechen, nachstehendes aus:

Nach § 146 des Invalidenversicherungsgeseßes ist die nachträgliche Entrichtung von Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach Ablauf von zwei Jahren, sofern aber die Beitragsleistung wegen verspäteter Feststellung einer streitigen Versicherungspflicht oder aus anderen Gründen ohne Verschulden der Beteiligten unterblieben ist, nach Ablauf von vier Jahren seit der Fälligkeit unzulässig. Würde man mit dem Invalidenversicherungsgeset auch diese Bestimmung als rückwirkend auf die Klägerin anwenden, so würden mindestens die Beiträge für die Jahre 1891, 1892, 1893, das heißt über 90 Stück, unwirksam verwendet sein, und es wäre ihr damit die Belegung der Wartezeit für jezt unmöglich. Indessen kann nicht vorausgesetzt werden,

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daß früber verwendete Toppelmerken nunmehr feine gültige Beitragsleitung mehr daritellten, weil diese Markenart abgeichcft ist. Auch wäre es selbitverstandlich, daß die Verücherungšanstalten zur Herauszahlung des Geldwertes aller mit dem 1. Januar 1900 nachträglich unwirksam gewordenen Beitragsmarken gehalten wären.

Beeinträchtigt aber hiernach der § 146 des Invalidenverücherungsgeießes die Rechtsgültigkeit der vor dem 1. Januar 1900 wirfiam nachgebrachten Marken überhaupt nicht mehr, so muß dasselbe nach dem Grundsaß der einheitlichen Anwendung des ge= samten Invalidenversicherungsgeießes (zu vergleichen die vorstehende Revisionsentscheidung 790, Archiv Nr.1) auch bei schwebenden Sachen, und zwar selbst dann gelten, wenn an sich das Invalidenverücherungsgeseß als das günstigere Geseß zur Anwendung gelangt.

Dieselben Erwägungen nötigen ferner auch dazu, eine nach dem alten Recht erhaltene Anwartschaft selbst dann für das Recht des Invaliden= versicherungsgeicßes als fortwirkend anzuerkennen, wenn sie nach § 46 des Invalidenversicherungsgeießes untergegangen gewesen sein würde. Es erübrigt sich damit eine nähere Untersuchung, ob der § 46 a. a. D. für den vorliegenden Fall der Klägerin etwa entgegenstehen würde Revisionsentscheidung

daß dem § 146 eine derartige Hüdwirkung zukommen
foll. Sicht man zunächst von den Fallen eines am
1. Januar 1900 schwebenden Feitstellungsverfahrens
ab, io múñen ñich naturgemäß lange Jahre hindurch
zahlreiche Rentenansprüche, auch wenn der Ver-
ficherungsfall erit unter der Herrschaft des Invaliden=
verücherungsgeießes eingetreten ist, mit auf solche
Beiträge füßen, die vor dem 1. Januar 1900 ver=
wendet worden find. Nach dem Invaliditäts- und
Altersversicherungsgeieß zu vergleichen die Revisions
enticheidungen 331, 4791,, 500, Amtliche Nachrichten
des Reichs-Versicherungsamts, Invaliditäts- und
Altersverücherung 1894 Seite 79, 1896 Seite 152,
269) fonnten Beiträge für verücherungspflichtige
Beichäftigung ohne zeitliche Begrenzung itets gültig
nachentrichtet werden. Sie dienten zur Erfüllung
eines – wenn auch vielleicht nicht mehr beitreib-
baren Anspruchs der Versicherungsanstalt und
erzeugten eine Anwartschaft ebensosehr wie rechtzeitig
geleistete Beiträge, auch wenn bereits 2 oder sogar
4 Jahre verflossen waren. Eine nachträgliche Un-
gültigkeitserklärung, wie sie die Rückanwendung des
146 des Invalidenversicherungsgeseßes mit sich
brächte, würde einen schweren und unbilligen Ein-
griff in geseßlich entstandene Rechtsverhältnisse
bedeuten, der um so weniger unterstellt werden
darf, als, wie oben ausgeführt, eine klare und
zweifelsfreie Vorschrift über die rückwirkende Kraft_792).
des Invalidenversicherungsgeseßes überhaupt nicht
vorhanden ist. Man kann augenscheinlich von den
Arbeitgebern und Versicherten nicht mehr verlangen,
als daß sie den jeweilig bezüglich der Beitrags-
entrichtung und der Erwerbung einer Anwartschaft
bestehenden Vorschriften genügen. Ist dies geschehen,
so muß den Versicherten der Schuß des Gesetzes
dauernd zu teil werden, selbst wenn die Anforde=
rungen sich später geändert haben. Man darf hier-
gegen nicht etwa einwenden, daß auch das In-
validitäts- und Altersversicherungsgeset in § 109
die Markenverwendung bei der Lohnzahlung vor-
geschrieben habe; denn immerhin konnten und sollten
doch auch rückständig gebliebene Beiträge noch wirk-
sam nachgebracht werden. Die nachträgliche An-
wendung des § 146 des Invalidenversicherungsgesetzes
würde zudem selbst solche Beiträge treffen, die von
der Versicherungsanstalt kurz vor Ablauf der bis-
herigen vierjährigen Verjährungsfrist zwangsweise
beigetrieben worden sind. Gerade auf dem Gebiet
der Beitragsentrichtung ist eine volle Rückwirkung
des Invalidenversicherungsgeseßes undenkbar. Sie
würde in letter Folge unter anderem dazu führen,

1) Siehe Archiv Nr. 3.

Der Berlust der Anwartschaft auf Renten tritt nicht mehr ein, wenn alle Voraussetzungen für den Erwerb der Rente erfüllt sind.

Diesen Grundsay hat das Reichs-Versicherungsamt sowohl für Invalidenrenten als auch für Altersrenten durch die beiden folgenden Entscheidungen ausgesprochen.

4. Mit einem erst im Jahre 1898 gestellten Invalidenrentenantrage wurde die leßte, bereits Anfang 1893 ausgestellte Quittungskarte 3 eingereicht. eingereicht. Nachdem das Schiedsgericht die Invalidenrente vom 1. Juli 1893 ab bewilligt hatte, legte der Vorstand der Versicherungsanstalt die Revision ein und machte geltend, daß die Quittungskarte 3 nach § 104 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgeseßes verfallen, und die Anwartschaft des Klägers, da in jener Karte bis zum 1. Juli 1893 nicht mehr 47 gültige Beitragsmarken hätten verwendet werden können, nach § 32 a. a. C. er= loschen sei. Dieser Auffassung ist das Reichs-Versicherungsamt in dem die Revision zurückweisenden Urteil vom 8. Februar 1899 mit folgenden Ausführungen entgegengetreten :

Zunächst kann, wie in der Revisionsentscheidung 479 (Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts 1896 Seite 152) erörtert ist, ein Verfall der Karte nach § 104 a. a. D. nur Plaß greifen, wenn die Anwartschaft gemäß § 32 a. a. D. erloschen ist. Von einer Anwartschaft im Sinne des § 32 aber ist nicht mehr die Rede, sobald der Versicherungsfall eingetreten, und damit der Rentenanspruch erworben ist. Vor und nach dem Eintritt des Versicherungsfalles ist die Rechtslage eine durchaus verschiedene. Die laufende Versicherung äußert sich auf Seiten des Versicherten in der bloßen Aussicht auf Erlangung einer Rente für den Fall des Verlustes der Erwerbsfähigkeit, auf Seiten des Versicherungsträgers in der bloßen Möglichkeit einer Belastung, in der Über nahme einer wirtschaftlichen Gefahr. Nur von diesem Stande des Rechtsverhältnisses handelt der § 32, indem er ohne ein gewisses Mindestmaß der Beteiligung des Versicherten die bis dahin entstandenen Rechte und Pflichten untergehen läßt. Von einem invalide gewordenen bisherigen Versicherten kann aber weder versicherungspflichtige Arbeit verrichtet, noch ein gültiger Beitrag geleistet werden. Dem= gemäß kann sich auch seine Rechtslage durch die Unterlassung der Arbeit, der Beitragsleistung und des Umtausches der Quittungskarte nicht mehr ändern. Die Anwendung des § 32 oder des ledig= lich zur Überwachung der Wirkung des § 32 eingeführten § 104 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgeseßes auf einen Fall der vorliegenden Art würde mit der Schaffung einer Verjährung des erworbenen Rentenanspruchs gleichbedeutend sein. Wie aber bereits in der Revisionsentscheidung 560 (a. a. D. 1897 Seite 287) dargelegt worden ist, hat das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz einen Verlust des erworbenen Rentenanspruchs durch Zeitablauf nicht vorgesehen. Demgemäß ist auch in der Revisionsentscheidung 700 (a. a. D. 1899 Seite 160) ausgesprochen worden, daß der im Jahre 1891 mit dem Eintritt in die Versicherung erworbene Altersrentenanspruch eines bereits vor dem 1. Januar 1891 siebenzig Jahre alten Versicherten nicht mehr nach Maßgabe des § 32 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgeseßes er= löschen könne. Hiernach ist weder die Quittungskarte 3 noch eine der beiden anderen Luittungsfarten ungültig geworden (Revisionsentsch. 779).

SS des Invalidenversicherungsgesetzes: § 137 f. § 168; § 157 f. 190; § 32 f. § 46.

Die angeführten Entscheidungen des Reichs-Versicherungsamts betreffen folgendes:

Nr. 479. Ein Versicherter, der zwar in vier aufeinanderfolgenden Kalenderjahren während

47 Wochen versicherungspflichtige Lohnarbeit verrichtet hat, für welchen jedoch aus irgend einem Grunde die geschuldeten Beiträge nicht innerhalb des gleichen Zeitraumes ordnungsmäßig entrichtet worden sind, kann dieserhalb nicht ohne Weiteres seiner Anwartschaft auf Rente gemäß § 32 des Gesezes verlustig gehen; vielmehr muß es ihm in solchen Fällen freistehen, die rückständigen Beiträge noch nachträglich selbst zu entrichten. (S$ 46, 146 des Invalidenversicherungsgeseßes seßen die gedachte Frist für Zeiten nach dem 1. Januar 1900 auf 2 Jahre fest. Siehe auch dieses Archiv II, 3).

560. Verjährung des Anspruchs auf Invalidenrente tritt nach dem Invaliditäts- und Altersversicherungsgeseße nicht ein. (§ 41 Abs. 3 des Invalidenversicherungsgeseßes schließt indessen die Gewährung der Renten für Zeiten, die beim Eingange des Antrags länger als ein Jahr zurückliegen, aus.)

5. In einer Altersrentensa che hatte die im Jahre 1820 geborene Klägerin alle die vorgesezliche Zeit betreffenden Voraussetzungen erfüllt und auch nach dem 1. Januar 1891 — und zwar seit dem 13. Juni 1891 versicherungspflichtige Lohnarbeit verrichtet, Beitragsmarken jedoch nicht verwendet. Während seitens des Schiedsgerichtes. der Rentenanspruch für begründet erachtet, und nur der Beginn der Rente im Hinblick auf die Verjährung eines rückständigen Teiles derselben gemäß § 137 des Juvaliditäts- und Altersversicherungsgesezes hinausgeschoben war, hatte die beklagte Versicherungsanstalt Verlegung des § 32 a. a. D. gerügt und die Aufhebung der schiedsgerichtlichen Entscheidung beantragt. Diesen Antrag hat das ReichsVersicherungsamt mittelst Revisionsentscheidung vom 6. November 1897 aus folgenden Gründen zurückgewiesen:

Der Nachweis der vorgeseßlichen 141 Wochen. und einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem 1. Januar 1891 genügt, da die Klägerin bei dem Inkrafttreten des Invaliditäts- und Altersversicherungsgeseßes das 70. Lebensjahr bereits voll= endet hatte, für die Erfüllung der Vorschriften des § 157 a. a. D., und es bedarf vor allem, wie das Reichs-Versicherungsamt in ständiger Rechtsprechung angenommen hat (zu vergleichen Revisionsentscheidung 611, Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts 1897 Seite 518), nicht mehr des Nachweises der Beitragsverwendung für die verrichtete Lohnarbeit. Vielmehr war der Anspruch auf Altersrente nach den in der Revisionsentscheidung 155 (Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamtes, Invaliditäts- und Altersversicherung 1892 Seite 107, zu

vergleichen auch Revisionsentscheidung 289, a. a. D. 1893 Seite 142) aufgestellten Grundsäßen unge= achtet der verspäteten Antragstellung schon mit dem 13. Juni 1891 erworben. Geht man aber hiervon aus, so kann weder von einem Verlust noch von einem späteren Entstehen dieses Anspruchs infolge mangelnder oder ungenügender Beitragsentrichtung nach diesem Zeitpunkt die Rede sein. Insbesondere läßt sich eine dahingehende Feststellung nicht auf Grund des § 32 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgeseßes treffen. Denn diese Gesegesvorschrift besagt nur, daß die Anwartschaft auf eine zukünftige Rente 2c. unter Umständen erlischt, beabsichtigt aber keineswegs, Rechtsnachteile für solche Versicherte anzudrohen, deren Anwartschaft auf Rente bereits verwirklicht war, bevor die Bestimmung des § 32 a. a. D. in Wirksamkeit treten konnte.

Ebenso hat das Schiedsgericht im Hinblick auf die Grundsäße der Revisionsentscheidung 560 (Amt= liche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts 1897 Seite 287) die Verjährung eines Teiles der Rente zu Unrecht angenommen; eine Abänderung der schiedsgerichtlichen Entscheidung zu Gunsten der Klägerin konnte jedoch nicht in Frage kommen, weil die Klägerin ihrerseits keine Revision eingelegt

hatte.

SS des Invalidenversicherungsgeseßes: § 137 f. § 168; § 157 f. § 190; § 32 f. § 46.

Die angeführten Entscheidungen des Reichsversicherungsamts betreffen folgendes:

Nr. 611. Das Erfordernis der Markenverwendung fällt weg, wenn die die Altersrente beanspruchende Person zu der Zeit, als die Versicherungspflicht für ihren Berufszweig in Kraft trat, das 70. Lebensjahr vollendet hatte.

Nr. 155. Nach dem Invaliditäts- und Altersver= sicherungsgesetz entsteht der Anspruch auf Altersrente, bei Erfüllung der sonstigen gesetzlichen Voraussehungen im allgemeinen bereits mit dem ersten Tage des 71. Lebensjahres und nicht mit dem etwaigen späteren Zeitpunkte der Anmeldung des Anspruchs (siehe jedoch den Hinweis auf §§ 46, 146 des Invalidenversicherungsgeseßes bei II, 4 dieses Archivs).

Nr. 289. Hat der Berechtigte indessen bei Lebzeiten den Anspruch auf Rente nicht geltend gemacht, so steht den Erben des Versicherten ein Recht, die Rente zu beanspruchen, nicht zu.

6. Das Ruhen der Rente (§ 34 3iffer 1 oder 2 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes) wird nicht begründet durch den Bezug einer Haftpflichtrente, auch dann nicht, wenn der Staat sie leistet.

In einem Urteil vom 15. März 1899, durch welches die aus anderen Gründen von der beklagten Versicherungsanstalt eingelegte Revision zurückgewiesen wurde, hat sich das Reichs-Versiche= rungsamt darüber, ob etwa der Umstand, daß der Kläger wegen eines im Jahre 1884 im Staatseisenbahnbetriebe erlittenen Unfalls eine Haftpflichtrente von jährlich 576 M bezog, das Ruhen seiner Invalidenrente nach sich ziehe, in folgender Weise ausgesprochen:

"

Nach der Natur des in Frage stehenden Bezuges ist weder die Vorschrift des § 34 Ziffer 1 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgeseßes noch die des § 34 Ziffer 2 anwendbar. Die Ziffer 1 sept eine Rente voraus, die auf Grund der reichsgeseßlichen Bestimmungen über Unfallversicherung" gewährt wird. Wie die vom Kläger vorgelegte Ver= fügung des Kgl. Regierungspräsidenten vom 2. Mai 1896 ersehen läßt, übrigens auch schon aus dem Zeitpunkt des Unfalls hervorgeht, handelt es sich nicht um eine Unfallrente im Sinne der reichsgesezlichen Unfallversicherung, sondern um eine auf Grund des Haftpflichtgeseßes vom 7. Juni 1871 (ReichsGefeßblatt Seite 207) von dem Fiskus als dem Unternehmer des Eisenbahnbetriebes, in dem der Kläger zu Schaden gekommen ist, gewährte Entschädigung. Die Vorschrift des § 34 Ziffer 1 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes auf Haftpflichtentschädigungen zu übertragen, ist schon nach dem Wortlaut des Gesezes nicht angängig. Ez sprechen aber auch innere Gründe insofern gegen eine solche Gleichstellung von Haftpflichtrenten und Unfallrenten, als nur die leßteren, nicht auch die ersteren dieselbe Sicherheit genießen, mit der die Renten aus dem Invaliditäts- und Altersversiche= rungsgesetz ausgestattet sind. Während die Lasten der Unfallversicherung leistungsfähigen öffentlichrechtlichen Verbänden auferlegt sind und äußerstenfalls von den Bundesstaaten oder dem Reiche getragen werden müssen (§§ 33, 92 des Unfallversicherungsgeseyes), sind die Ansprüche aus dem Gesetz vom 7. Juni 1871 lediglich civilrechtlicher Art, Schuldner ist nur der einzelne Betriebsunternehmer, dessen Zahlungsunfähigkeit den Rentenanspruch wertlos machen kann. Eine Unterscheidung aber, je nachdem ob der Schuldner der Haftpflichtrente im gegebenen Falle durch seine persönlichen Eigenschaften und seine wirtschaftliche Lage die Sicherheit der

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