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nicht selten zutreffenden Begriffsmerkmals nicht für angezeigt befunden, überhaupt über die an die Einrichtung einer Krankenanstalt zu stellenden Anforderungen spezielle Vorschriften vermieden und nur im allgemeinen die oben dargelegten Gesichtspunkte vorgezeichnet hat, innerhalb welcher die Frage, ob ein Unternehmen sich als Privatkrankenanstalt dar= stellt, bei obwaltenden Zweifeln nach der Gesamtfumme aller Verhältnisse des einzelnen Falls zu entscheiden ist.

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Im vorliegenden Falle ist festgestellt worden, daß in der für Hydrotherapie eingerichteten Naturheilanstalt des Angeklagten den Kranken nicht bloß ärztliche Behandlung, vielmehr während der ganzen Tagesdauer bis zur Schlafenszeit Aufenthalt durch Überlassung bestimmter Räume einschließlich eines Gartens sowie vollständige vegetarische Beköstigung mit Inbegriff des ersten Frühstücks und des Abendessens gewährt ist. Bei dieser Einrichtung konnte die Strafkammer die Anstalt als Krankenanstalt an= sehen, wenn schon die Kranken während der eigent lichen Nachtstunden außerhalb der Anstalt ihre Schlafstätten hatten. Es bedurfte nicht einmal des Hinweises darauf, daß nach den getroffenen Fest= stellungen, so lange die Anstalt des Angeklagten sich auf dem Grundstücke in der B.straße befand, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnende Schlafstellenvermieterin C. nach Verabredung mit dem Angeklagten für ihn und er durch sie" die Kranken des Nachts beherbergt hat, wobei die zivilrechtliche Seite des zwischen dem Angeklagten und der C. bestehenden Verhältnisses und insbesondere der von der Revision betonte Umstand, daß die C. die Schlafstellen für eigene Rechnung vermietete, ohne Bedeutung war.

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Konnte danach in objektiver Hinsicht die Anwendung des § 147 Nr. 1 nicht beanstandet werden, so irrt die Revision, wenn sie den § 59 des Strafgesetzbuches, sowie den § 266 der Strafprozeßordnung als verlegt ansieht, weil der erste Richter das rechtswidrige Bewußtsein des Angeklagten nicht ausdrücklich festgestellt habe. Der § 147 Nr. 1 verlangt kein mit dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit vorgenommenes Handeln. Es genügte der von dem Urteil unzweideutig angenommene Nachweis, daß Angeklagter bewußt diejenigen Handlungen vorgenommen hat, in welchen der That= bestand gefunden ist. Irrte er darin, daß er die Anstalt nicht als konzessionspflichtig ansah, so würde hierin ein Irrtum nicht über Thatumstände, sondern ein strafrechtlicher Irrtum enthalten sein. Insoweit gilt bezüglich der Nr. 1 des § 147 dasselbe, was betreffs der Nr. 3 daselbst in dem Urteile des

I. Straffenats Entscheidungen des Reichsgerichts Band 27 Seite 335 ausgesprochen ist.

Reichsgericht, II. Straffenat, 16. Dezember 1898. 8. Schutz eines Geschmacksmusters, wenn vor der Anmeldung und Niederlegung einzelne nach dem Muster gefertigte Erzeugnisse als Probestücke versendet worden sind.

Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen vom 11. Januar 1876, § 7.

In der Strafsache gegen den Fabrikanten A. S. zu D.-W. hat das Reichsgericht auf die Revision des Angeklagten für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der Achten Strafkammer des K. pr. Landgerichts I zu B. vom 18. Mai 1898 wird verworfen; dem Beschwerdeführer werden die Kosten des Rechtsmittels auferlegt.

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Gründe.

Unbegründet ist auch die wegen Verleßung des § 7 Absatz 2 des Musterschußgefeßes vom 11. Januar 1876 erhobene Revisionsbeschwerde. Nach den Feststellungen hat die Firma S. u. S. das Tigermuster am 1. Juni 1895 an einen Geschäftsfreund in H. gesandt, der am 5. Juni 1895 nach Brasilien abreiste und dort auf das Muster Bestellungen annehmen wollte, was er im Oktober 1895 auch gethan hat. Ferner ist das Muster am 26. Juni 1895 dem Vertreter der Firma in Paris übersandt worden, ohne daß dort im Jahre 1895 Bestellungen erfolgt sind. Ein an eine befreundete Firma in Canada abgeschicktes Muster ist dort nicht vor dem 2. Juli 1895 angelangt. Endlich hat die Firma am 28. Juni 1895 das Muster in drei den Verkaufsnummern 1624, 1626, 1627 entsprechenden Exemplaren ihrem Vertreter in Berlin überschickt; dieser hat es am 1. Juli 1895 anderen Personen vorgelegt und von zwei Personen Bestellungen entgegengenommen, die erst nach dem 2. Juli 1895 ausgeführt sind.

Der Ausspruch des ersten Richters, daß hiernach vor der am 2. Juli 1895 erfolgten Eintragung in das Musterregister nach dem Muster gefertigte Erzeugnisse nicht verbreitet worden seien, ist nicht zu beanstanden. Von der Reichsanwaltschaft wurde in der Hauptverhandlung hervorgehoben, daß nach der Bestimmung des Urhebers die zur Kenntnis anderer Personen gebrachten Exemplare nur die Bedeutung von Musterexemplaren haben sollten, und hierüber läßt die Urteilsbegründung keinen Zweifel. Zweifelhaft ist es auch nicht, daß ein Muster in mehreren Exemplaren hergestellt werden fann. Die Annahme jedoch, daß infolge jener

Zweckbestimmung des Urhebers ohne weiteres die Beschaffenheit der Exemplare als Erzeugnisse, welche nach dem Muster angefertigt sind, und ihre Verbreitung als solche ausgeschlossen sei, muß Bedenken erregen. Denn während der § 5 des Gesetzes das Verbot der Nachbildung eines Musters ohne Genehmigung des Berechtigten an eine bestimmte Absicht des Nachbildenden knüpft, spricht der § 7 Absatz 2 von einem nach dem Muster oder Modelle gefertigten Erzeugnisse, ohne zu unterscheiden, in welcher Absicht oder zu welchem Zwecke es angefertigt ist, bei der Verbreitung aber kommt es auf den Willen des Urhebers überhaupt nicht an. (Ver= gleiche Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Band 4 Seite 108.)

Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Firma S. u. S. nur Musterduplikate oder nach dem Muster gefertigte Erzeugnisse versandt hat, da in dem Urteile dargelegt wird, daß keinenfalls im Sinne des § 7 Absah 2 des Geseßes ein nach dem Muster gefertigtes Erzeugnis verbreitet worden ist.

Das Reichsgericht hat angenommen, daß eine Verbreitung im Sinne des Gesezes vorliege, wenn ein nach dem Muster gefertigtes Erzeugnis mitge= teilt oder zugänglich gemacht worden sei, ohne Unterschied, ob eine Veräußerung oder nur eine Gebrauchsgestattung stattgefunden habe. (Vergleiche Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Band 4 Seite 110).

Bei der Beratung des Gesetzes hat die Reichstags-Kommission erwogen, daß die Elsasser Industriellen gewohnt seien, ihre neuen Erzeugnisse, sobald einzelne Stücke fertig geworden, ihren Kunden zu präsentieren und erst später in das Musterregister eintragen zu lassen, und diese Geschäftsgewohnheit unmöglich werde, wenn man den Absah 2 beibehalte. Auf die Erklärung des RegierungsKommissars, daß die Zulassung der Deposition nach dem Verkaufe der Ware die größte Verwirrung hervorbringen würde, hat die Kommission indes den Absah 2 genehmigt. (Vergleiche Drucksachen des Deutschen Reichstages, 2. Legislatur-Periode, III. Session, 1875 Nr. 76 Seite 25).

In dem Reichstage selbst hat der Berichterstatter hervorgehoben, daß gegenüber den Wünschen, welche aus dem Elsaß geäußert worden, im Interesse der Rechtssicherheit darauf bestanden werden müsse, daß die Niederlegung und Eintragung erfolge, ehe die betreffenden Erzeugnisse in den Handel gekommen seien, und ist darauf Absatz 2 angenommen. (Vergleiche Verhandlungen des Deutschen Reichstages u. f. w. Seite 608).

In der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist ausgeführt, daß selbst ein einmaliger Verkauf eines nach dem Muster gefertigten Erzeugnisses an einen Geschäftsfreund den Begriff des Verbreitens regelmäßig erfülle, wenn der Käufer dadurch in den Stand gesezt werde, frei darüber zu verfügen und das Erzeugnis dem Publikum weiter zugänglich zu machen, daß aber ein Verbreiten der Erzeugnisse dann zu verneinen sei, wenn durch besondere Umstände die Charakterisierung des Überlassens der Erzeugnisse als ein Inverkehrbringen ausgeschlossen werde. (Vergl. Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen Band 6 Seite 618.).

Übereinstimmend hiermit erachtet das reichsgerichtliche Urteil vom 11. Januar 1882 (Entscheidungen in Straffachen Band 5 Seite 351) die vereinzelte Versendung an einen Geschäftsfreund, um ihn dadurch zu Bestellungen auf das nach dem Muster herzustellende Erzeugnis zu veranlassen, nicht für eine Verbreitung.

Wohnt demnach auch dem Begriffe der Verbreitung in § 7 Absatz 2 des Gesezes eine weitgehende Bedeutung bei, so kann er in dem vorliegenden Falle doch als erfüllt nicht angesehen werden, weil, wenn überhaupt vor der Anmeldung und Niederlegung des Musters Erzeugnisse nach dem Muster gefertigt und Anderen mitgeteilt sind, nur innerhalb eines beschränkten Kreises von ihnen in der Eigenschaft von Musterkopien Gebrauch ge= macht worden ist.

Nach den Feststellungen des ersten Richters sind vor dem 2. Juli 1895 Musterproben, abgesehen von der nicht in Betracht kommenden Mitteilung an Vertreter der geschädigten Firma und an einen Hamburger Geschäftsfreund, der als ihr Vertreter handeln wollte, nur in Berlin zur Kenntnis anderer Personen gebracht und dort von zwei Personen Bestellungen gemacht, die indes nicht nach dem 2. Juli 1895 ausgeführt sind. Die Musterproben selbst sind den Personen, welchen sie in Berlin vorgelegt wurden, nicht zur Verfügung gestellt, sondern in dem Gewahrsam des Vertreters der Firma, auch als Bestellungen gemacht wurden, verblieben, sie sind nur in einem beschränkten Kreise Anderen vorgezeigt, um ihnen ein Bild von den nach der Probe noch zu fertigenden Erzeugnissen zu gewähren und sie in den Stand zu sehen, sich über die Bestellung solcher Erzeugnisse schlüssig zu machen. In anderer Weise sind die Musterproben vor dem 2. Juli 1895 nicht verwendet, und es ist deshalb ohne rechtlichen Irrtum angenommen, daß sie nicht als nach dem Muster gefertigte Erzeugnisse verbreitet worden seien.

Druck von R. Oldenbourg in München.

Archiv

für

die Berufszweige nicht minder zahlreich, in denen gutes Hörvermögen verlangt wird und verlangt werden muß. Dahin gehören vornehmlich solche Thätigkeiten, bei denen neben den andern SinnesOhr

Gewerbliche Rechtspflege. organen, insbesondere den Augen, bas Dhe bazu

Herausgegeben von

Dr. Adolf Beckmann, Regierungsrat im Reichsamt des Innern.

Monatlich eine Dummer.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten des In- und Auslandes.

Preis für den Band von 12 beften Mk. 12.-. Anzeigen werden von der Verlagshandlung sowie allen soliden Annoncen Expeditionen zum Preise von 20 Pfg. für die dreigespaltene Betitzeile oder deren Raum angenommen. Bei Wiederholungen wird entsprechender Rabatt gewährt.

Beilagen werden nach Vereinbarung beigefügt.
Verlag von R. Oldenbourg in München und Leipzig.

I. Unfallversicherung.

Entscheidungen des Reichs-Versicherungsamts. 43. Einfluß einer durch einen Betriebsunfall herbeigeführten Schwerhörigkeit auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten.

Über diese Frage hat sich das Reichs-Versicherungsamt in einer gegen die Müllerei-Berufsgenossenschaft ergangenen Rekursentscheidung vom 23. März 1900 folgendermaßen ausgesprochen:

Nach den übereinstimmenden Gutachten der gehörten Ärzte besteht als einzige Folge des dem Kläger am 13. Dezember 1894 zugestoßenen Unfalls hochgradige Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr. Bei Beantwortung der Frage, ob diese einseitige Schwerhörigkeit einen nachteiligen Einfluß auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers ausübt, kommt es in erster Linie nicht darauf an, ob die Besonderheiten des vom Verlegten ausgeübten Berufes gutes Hörvermögen verlangen, sondern darauf, in welchem Maße ein derartiges Leiden die Erwerbsfähigkeit eines gewerblichen Arbeiters im allgemeinen beeinträchtigt. Denn die Ansprüche des allgemeinen Arbeitsmarktes sind maßgebend. Danach aber war eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit anzu= nehmen. Denn wenn auch zugegeben werden muß, daß in zahlreichen Berufen, namentlich für die Thätigkeit in großen industriellen Betriebsstätten, es auf vollkommenes Hörvermögen der darin beschäftigten Personen nicht wesentlich ankommt, ja daß die Arbeiter in manchen Industriezweigen, z. B. in Kessel- und Hammerschmieden, durch Schwerhörigkeit in ihrer Arbeitsfähigkeit in der Regel kaum nennenswert beeinträchtigt werden dürften, so sind doch auch Archiv für gewerbliche Rechtspflege. 1900.

beiträgt, daß Gefahren, die der Beruf für den ihn Ausübenden wie für andere mit sich bringt, rechtzeitig erkannt werden, so namentlich diejenigen Beschäftigungen, die im Verkehrsleben außerhalb fester Betriebsstätten verrichtet werden. Nicht minder

gehören hierher diejenigen Betriebe, in denen, wie in Bergwerken, Steinbrüchen und dergleichen, drohende Gefahren dem Gehör sich anzeigen oder durch Hörzeichen den Arbeitern bekannt gegeben werden. In allen diesen Berufen kann eine nicht im Besize des vollkommenen Hörvermögens befindliche Person gar keine oder nur beschränkte Verwendung finden, und insofern ist ihr Feld zur Bethätigung der sonst vorhandenen Kräfte und Fähig= feiten beschränkt.

Hierbei macht es auch keinen wesentlichen Unterschied, ob die Beeinträchtigung des Hörvermögens in teilweiser Herabseßung des Hörvermögens auf beiden Ohren oder in einseitiger, dafür aber um so erheblicherer Herabminderung besteht. Die hierdurch bedingte Beschränkung des Arbeitsfeldes ist allerdings nicht allzugroß, denn eine Anzahl von Berufsarten steht dem so Geschädigten offen; immerhin erscheint sie erheblich genug, um als ein wirtschaftlich fühlbarer Ausfall im Erwerbsleben empfun= den zu werden und deshalb unter gewöhnlichen Verhältnissen einen auf etwa 10 Prozent zu bewertende Einbuße an Erwerbsfähigkeit zu verursachen.

Der hier vertretenen Auffassung steht auch weder die Revisionsentscheidung 250 (2. Fall) (Amtliche Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts, Invaliditäts- und Altersversicherung 1893 Seite 95) noch die von der Beklagten angezogene Rekursentscheidung vom 25. Oktober 1895 entgegen, denn das erstere Urteil hatte, ganz abgesehen davon, daß es eine landwirtschaftliche Dienstmagd betraf, die Frage zum Gegenstande, ob beiderseitige Schwerhörigkeit Invali= dität im Sinne des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes vom 22. Juni 1889, also eine sehr erhebliche Einbuße der Erwerbsfähigkeit, bedinge; in der leztgenannten Entscheidung aber ist ausdrücklich wenn auch ohne nähere Begründung — gesagt, daß einseitige Schwerhörigkeit auf die „allgemeine Erwerbsfähigkeit nicht einflußlos“ sei.

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Hiernach würde dem Kläger eine Rente von etwa 10 Prozent der Vollrente zuzubilligen sein. Da er aber seither in einem Berufe thätig gewesen ist, der, wie das Reichs - Versicherungsamt in

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Übereinstimmung mit dem Schiedsgericht und dem Gutachter Mühlenmeister H. annimmt, mindestens in kleineren Betrieben gutes Gehör vorausseßt, da ferner der Kläger schon in vorgerückten Jahren steht, so erschien es angemessen, die ihm zu gewährende Rente entsprechend zu erhöhen (zu vergleichen Handbuch der Unfallversicherung Anmerkung 34 Absat 2, 37 Absatz 2 und 39 zu § 5 des Unfallversicherungsgeseßes) und eine solche von 20 Prozent der Vollrente, wie geschehen, zuzuerkennen. Jeden falls erscheint die vom Schiedsgericht gewährte Rente von 331/3 Prozent zu hoch (Rekursentscheidung 1804).

Mit einer im wesentlichen gleichen Begründung hat das Reichs-Versicherungsamt in einer Rekursentscheidung vom 11. Mai 1900 dem Rekurse eines landwirtschaftlichen Arbeiters, der infolge eines Betriebsunfalls an hoch= gradiger Schwerhörigkeit auf einem Ohre litt, stattgegeben und dem Verleßten eine Rente von 10 Prozent gewährt. In dieser lezteren Entscheidung ist hervorgehoben worden, daß der Verleßte auch bei Ausübung des landwirtschaftlichen Berufs durch die Unfalls folgen eine wirtschaftlich in Betracht kommende Einbuße erlitten habe, da er infolge der linksseitigen Schwerhörig feit Geräusche, Anrufe und Warnrufe von der linken Seite nicht mehr oder wenigstens nicht deutlich hören und des= halb ein Fuhrwerk nicht sicher leiten könne.

44. Rann eine Berufsgenossenschaft, die einem Berletzten auf Grund des § 7 des Unfallversicherungsgesetzes statt der im § 5 a. a. D. vorgeschriebenen Leistungen freie Aur und Berpflegung in einem Krankenhause gewährt, die in solchen Fällen den Angehörigen des Berletzten zu zahlende Rente für die einzelnen Tage einbehalten, an denen er aus dem Krankenhause beurlaubt war?

Diese Frage hat das Reichs-Versicherungsamt in der Rekursentscheidung vom 5. Januar 1900 mit folgender Begründung verneint:

Die Beklagte hat von der ihr nach § 7 des Unfallversicherungsgeseßes zustehenden Befugnis Gebrauch gemacht. Die Beklagte ist daher verpflichtet, dem Kläger für die ganze Zeit der Heilbehandlung in dem Krankenhause die Angehörigenrente zu zahlen. Von dieser Verpflichtung wird sie nach der ständigen. Rechtsprechung des Reichs-Versicherungsamts nur dann befreit, wenn der Verlezte ohne hinreichenden

Der

Grund die Annahme der Leistungen der Berufsgenossenschaft aus § 7 a. a. D. verweigert, oder sich durch eigenmächtiges Verlassen des Krankenhauses der ihm zugedachten Heilbehandlung grundlos ent= zieht. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Kläger ist vielmehr nur auf seine Bitte von den Anstaltsärzten für einzelne Tage beurlaubt worden. Da die Ärzte mithin gegen die jedesmal nur kurze Zeit dauernde Entfernung des Klägers aus dem Krankenhause nichts einzuwenden hatten, so kann auch nicht angenommen werden, daß auf diese Weise das Heilverfahren durch Verschulden des Klägers nachteilig beeinflußt oder unterbrochen worden wäre. Hieraus folgt die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der Angehörigenrente auch für die Urlaubstage. Abweichend hiervon würde der Fall zu beurteilen sein, daß durch die Beurlaubung des Verletzten die Heilbehandlung mit gegenseitigem Einverständnis thatsächlich eine Unterbrechung erlitten hätte. In diesem Falle würde die Beklagte allerdings den Kläger für die betreffende Zeit nicht gemäß § 7 a. a. D., wohl aber gemäß § 5 a. a. D. zu entschädigen haben. Derart liegt aber hier der Fall nicht, da, wie bereits dargelegt worden ist, eine eigentliche Unterbrechung des Heilverfahrens nicht eingetreten ist, der Kläger vielmehr nur je für kurze Zeit von der ihm zustehenden freien Verpflegung aus persönlichen Gründen keinen Gebrauch gemacht hat (Rekursentscheidung 1805).

45. Wirkung der Rechtskraft eines berufsgenossenschaftlichen Bescheides, über dessen Inhalt 3weifel bestehen.

Einem versicherten Landwirt, welcher infolge eines Betriebsunfalls eine Armverleßung und an= geblich auch einen Leistenbruch erlitten hatte, war von der Berufsgenossenschaft eine Rente von 50 Prozent der Rente für völlige Erwerbsunfähigkeit gewährt worden. Diese Rente wurde demnächst auf Grund eines ärztlichen Gutachtens, in welchem der Grad der Erwerbsunfähigkeit des Klägers infolge der Armverleßung auf 20 Prozent und derjenige infolge des Leistenbruchs auf 10 Prozent veranschlagt war, von der Berufsgenossenschaft auf 20 Prozent herabgesezt, indem die Entschädigung wegen des Leisten= bruches abgelehnt wurde.

Auf die Berufung des Klägers erhöhte das Schiedsgericht die Rente auf 30 Prozent derjenigen für völlige Erwerbsunfähigkeit, indem es auf Grund der von ihm veranlaßten Beweisaufnahme als erwiesen ansah, daß der Leistenbruch auf den Unfall ursächlich zurückzuführen sei.

Gegen dieses Urteil legte die Berufsgenossenschaft Rekurs ein, indem sie geltend machte, daß der Kläger wegen des Leistenbruches schon deshalb keine Entschädigung beanspruchen könne, weil diesem Anspruch die Rechtskraft des ersten Bescheides, welcher unter dem 31. März 1897 ergangen war, entgegenstehe.

Über diesen Einwand hat sich das ReichsVersicherungsamt in den Gründen der unter dem 21. Oktober 1898 erlassenen Rekursentscheidung, wie folgt, geäußert:

Die Frage, ob dem wegen des Leistenbruchs erhobenen Anspruche des Klägers die Rechtskraft des Bescheides vom 31. März 1897 entgegenstehe, hat das Reichs-Versicherungsamt zu Gunsten des Klägers verneint. Der Beklagten mag zugegeben werden, daß sie den Leistenbruch des Klägers nicht hat entschädigen wollen, diese Absicht ist aber dem Kläger gegenüber in der geseßlichen Form, das ist in dem förmlichen berufungsfähigen Bescheide, nicht zweifelsfrei erkennbar gemacht worden. Die Berufsgenossenschaft hat es verabsäumt, den aus dem Leistenbruch abgeleiteten Entschädigungsanspruch des Klägers in dem ersten Bescheide vom 31. März 1897, durch welchen dem Kläger wegen sonstiger Unfallfolgen eine Rente von 50 Prozent der Rente für völlige Erwerbsunfähigkeit gewährt worden war, ausdrücklich abzulehnen. Wenn auch nicht gefordert werden soll, daß die Ablehnung eines Entschädigungsanspruchs, wenn sich die Beklagte auf die Rechtskraft des Bescheides berufen will, in allen Fällen grundsäßlich mit ausdrücklichen Worten geschehen sein muß, so ist doch wenigstens daran festzuhalten, daß der Berechtigte aus sonstigen Umständen mit Sicherheit darauf schließen muß, daß sein Anspruch abgelehnt worden sei. Das ist aber in der vorliegenden Sache nicht der Fall. Allerdings ist in dem Eingange des Vorbescheides vom 15. März 1897 nur von der Handverlegung die Rede, die der Kläger bei dem Unfalle vom 9. Dezember 1896 ebenfalls erlitten hat, und am Schlusse ist bemerkt, daß die Berufsgenossenschaft die Kosten des Bruchbandes nicht übernehmen könne. Auf der anderen Seite ist dem Kläger aber in demselben Vorbescheide aufgegeben, sich von dem Dr. H. in V., der, wie der Beklagten nicht unbekannt sein konnte, das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Leistenbruch und dem Unfall annahm, weiter behandeln zu lassen, ohne daß das Heilverfahren auf die Handverletzung beschränkt wurde. Ferner ist dem Kläger in demselben Vorbescheid anheimgegeben, sich an Stelle des rechtsseitigen Bruchbandes ein doppelseitiges Bruchband zu verschaffen.

Der Kläger konnte daher sehr wohl der Meinung sein, daß ihm die Rente von 50 Prozent sowohl für die Handverleßung als auch für den Leistenbruch gewährt werde. Bestehen aber Zweifel über den Inhalt des Bescheides, so ist die Rechtslage die, daß sich der Kläger auf ein in der Erteilung des Bescheides etwa liegendes Anerkenntnis seines Entschädigungsanspruches nicht berufen kann, andererseits aber auch die Beklagte, die durch ihr Verfahren zu dem Zweifel Anlaß gegeben hat, die Rechtskraft des Bescheides zu ihren Gunsten nicht in Anspruch nehmen kann. Die Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Bruchleiden des Klägers und dem Unfall vorliegt, ist mithin noch eine offene und ist in dem gegenwärtigen Verfahren von neuem zu prüfen.

In dem darauf folgenden Teile der Rekursentscheidung wird die sachliche Prüfung des Anspruchs erörtert, welche zu einem, dem Kläger günstigen Ergebnis geführt hat (Rekursentscheidung 1756).

46. 3ur Auslegung des § 65 des Unfallversicherungsgesetzes.

Ein Maurer erlitt im Betriebe einen Bruch des linken Oberschenkels und bezog deswegen die Rente für völlige Erwerbsunfähigkeit. Als dann der behandelnde Arzt bescheinigt hatte, daß die Folgen des Bruches im wesentlichen beseitigt seien, und der Verleßte nur noch durch eine zurückgebliebene geringe Schmerzhaftigkeit der Bruchstelle um 25 Prozent in seiner Erwerbsfähigkeit beschränkt werde, sezte die Berufsgenossenschaft gemäß § 65 des Unfallversicherungsgeseßes die Rente auf 25 Prozent herab. Vor Erlaß des Bescheides war der Kläger in Geisteskrankheit verfallen, die nach dem überzeugenden Gutachten eines Jrrenarztes für eine wenigstens mittelbare Folge des Unfalls insofern erachtet werden mußte, als sie durch den Unfall erst zum Ausbruch gebracht und in ihrem zur völligen völligen Erwerbsunfähigkeit führenden Verlaufe beschleunigt worden ist. Bei dieser Sachlage hat das Reichs-Versicherungsamt in Übereinstimmung mit dem Schiedsgericht in einer Rekursentscheidung vom 25. November 1898 die Vorausseßung für die Anwendung des § 65 a. a. D. als nicht erfüllt angesehen und den Kläger zum weiteren Bezuge der Rente für völlige Erwerbsunfähigkeit für berechtigt erklärt. In den Gründen der Entscheidung wird ausgeführt:

Es kann der Beklagten zugestanden werden, daß diejenige Unfallfolge (Bruch des linken Oberschenkels), wegen deren dem Kläger früher die Rente

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