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dann von Orleans aus sandte. Ich kann nie ohne wehmüthiges Schmerz und reuiges Schamgefühl an Sie denken. So arm war ich dazumal an Geiste! Ich befand mich auf jenem fürchterlichen und schrecklichen Standpunkte der christlichen Anschauung, wo es mit mir zu einem entscheidenden und ent= schiedenen Durchbrüche kommen mußte. Entweder mußte ich meine gegenkirchliche Stellung ferner noch behaupten, und sie gegen erhaltene Angriffe rechtfertigen, wie ich es zu thun auch fest entschlossen war; oder ich mußte in den Schooß unserer heiligen Mutter, der Kirche, zurücktreten, um hier wieder in aller Demuth und Selbstentåusserung jenen · Trost und jenes Leben zu schöpfen, welches die Seele meiner Jugend war, dessen Andenken mich stets in jene glücklichen Jahre mit unfäglicher Wonne zurückverseßte. Die göttliche Vorsehung hat mich letterer Gnade gewürdigt. Der Protestantismus stritt, vermöge seiner kirchlichen und gesellschaftlichen Grundlage, wenn der Charakter der Kirchlichkeit im wahren Sinne des. Wortes noch dem Protestantismus beigelegt werden darf, zu sehr gegen meine politische, mehr noch als gegen meine religiöse Ueberzeugung, als daß ich mich für ihn hätte entscheiden können; und der materielle Indifferentismus hatte sich zu gewaltig an mir gèråcht, als daß ich sein schnödes Joch und seine höhnende Geisel noch långer håtte ertragen sollen. Man hat Unrecht, wenn man den Indifferentismus für eine gar zu leichte Sache hålt. Ich habe mich durch eine Reihe der schönsten' Jahre. meines Lebens des Gegentheils überzeugen können; - jener Jahre gerade, wo sein Gifthauch die schönsten Entwürfe des Jünglings in ihren Knospen unwiederbringlich zu tödten pflegt, falls sie nicht, unter be fonderm Wechsel des Geschicks, von unbekannter Hand begoffen werden, um spåter, unter den kräftigen und steten Strahlen der Mittagssonne, sich entfalten und zum Baume der That heranreifen zu können.

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Die Bewegungen, welche sich im Schooße der katholischen Kirche in Schlesien seit den zwanziger Jahren zeigten und ein: so gastfreundliches Echo in ganz Leutschland fanden,

durch meines Bruders und meine Bestrebungen, in Folge unserer genommenen eigenthümlichen Geistesrichtung, hervorgerufen, mußten natürlich meinen innern Zwiespalt mit der Kirche, durch falschen Studiengang einmal erzeugt, vollenden und zum vollen Ausbruche kommen lassen. Höhnische Treuund Lieblosigkeit legte sich im Augenblicke der Entscheidung ins Spiel, und die ohne Gott obschon unter seiner Firma und in reinster und unbescholtenster Wohlgemeintheit angefangene Sache wurde durch Gottes Beiwirken, wenn auch erst in Folge blinder Befangenheit der Leidenschaft, doch glücklich beigelegt, und das Ungewitter zur Zeit beschworen.

Von nun an erhoben sich gewaltige Tage der Prüfung für mich. Ich fühlte das Bedürfniß, mich vom unangenehmen Schauplahe der brüderlichen Freundes - Niederlage zurückzuziehen, und dem Horizonte der Wirklichkeit, wie ich ihn früher mir gesteckt, der sich aber an meinem Studiertische zu sehr mit der Ideenwelt vermählt hatte, etwas nåher zu treten. Ich wählte hierzu den von tief blickenden Weisen des alten Griechenlands empfohlenen Weg, das Reisen, um neben wissenschaftlichen Arbeiten in den unbekannten handschriftlichen Schäßen der alten Welt, das Gebiet meiner Erfahrungen zu erweitern, und Menschen und Sitten in reeller Vergleichung zu studieren.

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Oestreich, an welches mich noch überdieß die schönsten Erinnerungen und die heiligsten Familienbande knüpften, reißte vor allem meine Aufmerksamkeit und Sehnsucht. Ich bin noch gegenwärtig voll des Eindruckes, welchen der Anblick der St. Stephanskirche in Wien in mir zurückließ. Ich fand in ihrer typisch gemüthlichen Architektur das treue Bild des religiösen und politischen Charakters dieses braven und glücklichen Volkes in den sprechendsten Zügen ausgedrückt. So ist es doch wahr! Jedes Volk hat sich in seinen Kirchen feine Denkmale gefeßt. Des Kölner Doms kühn himmelanstrebender majestätischer Bau, das größte und vollendetste Riesenwerk gothisch-architektonischer Conception, ist durch den Zwerggeist der folgenden Zeit unvollendet geblieben, wie des

teutschen Volkes Charakter. Der Protestantismus hat seine Lems pel, wenn sie nicht alte Kirchen oder nach alten Mustern kopiert find, nie über elegante und geräumige Wohnstuben hinausges bracht; — ihre wahre, und allein nur mögliche, gesellschaftliche Bestimmung. Wie suchte ich in den Hallen des ehrwürdigen Wiener Gotteshauses mein Gemüth mit den Holdseligkeiten des alten Glaubens, von dem er so schöne Bürgschaft giebt, zu nåhren, und von neuem wiederum zu gebåren! Ich empfand hier zum erstenmale die ganze Blöße meiner Seele. Ihre Dürre war kaum mehr empfänglich für den himmlischen Thau, welcher in so segenreicher Fülle durch das gemeinsame Gebet frommer Priester und andächtiger Gläubigen vom Himmel herabstieg, um in die Herzen der auserwählten Schaar den stårkenden Balsam der Gnade zu gießen. So sehr war sie von den Brennstrahlen stolzer Vernünftelei ausgesogen!

Jene schmerzlichen und peinvollen Stunden, welche ich ohne Glauben, und doch mit heißer Sehnsucht nach Glauben, in Wien zubrachte, stehen mir noch gegenwärtig lebhaft vor meiner Seele. Troß des grausendsten Wetters und des ellentiefen Schnees, es war nåmlich tief im Winter 1829, vers säumte ich keinen Abendsegen in der St. Stephanskirche und mischte mich unter die fromme Masse, um wenigstens, angelehnt an einen Pfeiler, aus der Ferne jene himmlischen Symphonien an mir vorüber ziehen zu hören; in der frohen Erwartung, daß ihre Töne vielleicht die zerstörten Akkorde meiner Seele wieder herstellen könnten, und um eine Chråne der Reue ob dem Verluste des theuersten Kleinods des Christen, des Glaubens, im Stillen zu weinen. Wie sehr beneidete ich so manchen frommen und ehrwürdigen Greis, an dessen Seite ich mich, gleichwie in der Nähe einer erquickenden Dase, niederließ, um in seinem heitern und ruhigen Blicke die Wonne und die Seligkeit begreifen zu lernen, welche einem auf Gott vertrauenden Gemüthe vergönnt ist. Ich blieb aber zu sehr mir überlassen, als daß ich durch derartige Eindrücke mit mir håtte versöhnt werden können. Ich vermied allen Umgang mit den Dienern unserer Religion, selber auf Anrathen mei

ner Familie. Jeder schwarze Ordensrock war mir verdächtig. Zu dieser Zeit würde ich selbst einen Fenelon, hätte er sich mir zum Rathgeber angeboten, als einen Betrüger stolz zurückgewiesen haben.

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Meine Freunde, und zum Theil auch meine Familie, wenig zufrieden mit dem unerwarteten Eindrucke, welchen das religiöse Leben Oestreichs auf mich machte, riethen mir, meinen Aufenthalt hier abzukürzen und nach dem Lande der religiösen Denkfreiheit, nach England, 'zu gehen, und die nåhere, bereits berathschlagte Reise nach Italien einstweilen aufzuschieben. Ein anderer Umstand eigenthümlicher Natur bestimmte mich ihrem Rathe Gehör zu geben. Zwei meiner werthen Wiener Freunde, Männer gleich achtungswürdig durch ihr hohes Wissen wie ihre gesellschaftliche Stellung und · ihren edeln · Charakter, redeten mir mit schmeichelhafter Theilnahme meine römische Reise nach Kräften aus, indem sie mir in vollem Ernste betheuerten, daß zwei Jesuiten in die K. K. Hofbibliothek, wo ich tåglich arbeitete, sich eingeschlichen und hier auf einem mir gegenüberstehenden Studiertische mein Portrait genommen håtten, um es nach Rom einzusenden. Eine so beglaubigte Aussage konnte mich über die Wahl meiner Reise nicht mehr im Zweifel lassen. Denn dazumal wußte ich noch nicht, daß der Teufel sein höllisches Kunstwerk der Lüge so weit treiben könnte: MT. 10.

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Nirgends habe ich die Frucht der Reformation des sechszehnten Jahrhunderts in so abschreckender und warnender ·Gestalt gesehen als in England. Des Britten stolze Individualität hat das Werk des stolzen und individualisirenden Protestantismus vollendet, wie es Luther, der Patriarch der Revolution, in bittern Klagen vorausgesehen hatte. In Teutschland ist der Protestantismus nie so sehr und so schrecklich auseinandergefallen, wie hier, weil er wenigstens/im Denken ein allgemeines, wenn gleich loses Vereinigungsband fand, bis er sich endlich durch solches über alles positive Christenthum hinausseßte. In den hundert Seften der protes stantischen Kirche Englands habe ich erst den Commentar zu

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den Worten Luthers gefunden, in denen er selber am kräftigsten die Weihe seines Werkes folgender Gestalt bezeichnet: « So machten wir Sekten und Rotten, wo wir also unter « dem Pöbel in das tolle, unverstendige Volck on allen Unterschied. speien und geiffern: Gottes Wort, Gottes « Wort! Es haben viel groffer trefflicher Leute darinne gefeilet, und stoßen sich jezund viel grosser Prediger dran, wissen den Mosen nicht zu predigen, können sich nicht wol « darein schicken, sind unsinnig, tøben, rasen und wüten, plaudern ins Vold, Gottes Wort, Gottes Wort, Gottes « Wort » 1). Luther trug auch keineswegs Bedenken, sich für den Urheber dieses zerrissenen und zerworfenen kirchlichen und gesellschaftlichen Zustandes des sechszehnten Jahrhunderts auszugeben, wenn er in seiner kernhaften Buffosprache sagt2): « Aus dem Evangelio vnd göttlicher Wahrheit kommen Teuffelslügen; aus der Speis wird Vnflat; aus köstlichem Wein « vnd_Trank_wird Harn; aus Blut im Leibe wird Eyter; aus dem Luther kömpt Münzer vnd Auff«rührer, Widerteuffer, Sacramentirer, vnd andere falsche Brüder. »> Bei einem solchem Anblicke der protestantischen Kirche muß man sich unwillkürlich an die Worte des heiligen Augustins erinnern, die er den von der Mutterkirche losgerissenen Religionsgemeinden, namentlich den Donatistischen seiner Zeit, zurief3): «Ohne derjenigen Weisheit, deren Dasein in der katholischen « Kirche ihr, Donatisten! nicht glaubet, zu erwähnen, fo giebt es auch viele andere Gründe, die mich in ihrem « Schooße mit allem Rechte erhalten; es hält mich darin « die Uebereinstimmung der Völker und Nationen u. f. w.; so wie auch andere so starke und viele sehr theure Fesseln « des christlichen Namens den Menschen billig in der katholischen Kirche erhalten, obgleich wegen der Langsamkeit

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1) Luthers Werke. Th. V. S. 5 und 6. Witt. A. v. J. 1573. 2) Luthers Werke. Th. V. S. 75.

3) De symbolo c. 30.

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