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ausfallen zu lassen. Veranlassung hierzu habe in erster Linie der Wunsch gegeben, dass dem bevorstehenden Wiener Congresse der den letzten hygienischen Congressen mangelnde Charakter des „internationalen" wiedergegeben werde und zwar wesentlich durch eine möglichst rege Betheiligung des bisher stets sehr schwach vertretenen deutschen Elementes; ferner habe der Gedanke, dass ein nahezu gleichzeitiges Tagen zweier hygienischer Congresse, des Deutschen" und des Internationalen", beiden Versammlungen schaden könne und schliesslich die Mittheilung des ständigen Secretārs des Deutschen Vereins in der Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, dass der Ausschuss bereits einmal einen zweijährigen Turnus der Vereinsversammlungen besprochen habe, das Comité veranlasst, die vorerwähnte Bitte an den Verein zu richten. Redner schloss hieran eingehende Mittheilungen über die geplante Organisation des ganzen Congresses, die Thätigkeit der einzelnen Sectionen, die getroffene Auswahl der Themata und die dafür bereits gewonnenen oder aufgeforderten Referenten.

Es entspann sich über den Gegenstand eine sehr eingehende Discussion, an der sich die Herren Oberbürgermeister Bötticher (Magdeburg), Stadtrath Hendel (Dresden), Professor Hermann Cohn (Breslau), Generalarzt Prof. Dr. Roth (Dresden), Oberingenieur Andreas Meyer (Hamburg), Professor Ritter v. Gruber (Wien), Dr. Eduard Schiff (Wien), Sanitätsrath Dr. Noetzel (Colberg) und der ständige Secretär, Sanitätsrath Dr. Spiess, betheiligten und in deren Verlauf folgende Anträge eingebracht wurden:

Antrag von Stadtrath Hendel: „Die heutige Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege empfiehlt zwar seinen Mitgliedern die thunlichst zahlreiche Betheiligung an dem nächstjährigen internationalen Congresse, erachtet jedoch für zweckmässig, dass auch im nächsten Jahre der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege in der bisher üblichen Weise zusammentrete.“

Antrag von Oberingenieur Andreas Meyer: „Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege hält die von dem Ausschusse des internationalen Congresses erbetene Theilnahme des Vereins an dem nächstjährigen internationalen Hygiene - Congresse in Wien unter Absehung von einer anderswo stattfindenden Jahresversammlung mit den Zielen des Vereins vereinbar, überlässt aber die Frage, ob und in welcher Form ein solches Zusammengehen möglich und zweckmässig sei, der Entscheidung seines Ausschusses."

Antrag von Sanitätsrath Dr. Nötzel: „Die Versammlung ersucht den Ausschuss, sämmtliche Mitglieder des Deutschen Vereins über die Annahme der Einladung zu befragen."

Bei der Discussion fand die Einladung des Wiener Comités allseitig sympathische Aufnahme, man hielt es für sehr wünschenswerth, wenn das

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deutsche Element auf dem Wiener Congresse mehr, als es auf den bisherigen internationalen hygienischen Congressen der Fall war, vertreten werde und der internationale Congress einen möglichst günstigen Verlauf nehme; man war auch der Ansicht, dass das gleichzeitige oder fast gleichzeitige Tagen zweier Congresse, die nahezu dieselben Zwecke verfolgen, beiden Congressen schaden. könne, man hob den Nutzen der persönlichen Bekanntschaft mit gleichstrebenden Männern anderer Länder hervor, aber man war doch auch allseitig der Ansicht, dass es schwer sei, schon jetzt einen definitiven Beschluss zu fassen, da wohl erst genau geprüft werden müsse, in wie weit ein solches Aussetzen der Vereinsversammlungen nach den Satzungen zulässig sei und da sich jetzt noch gar nicht übersehen lasse, ob nicht im nächsten Jahre wichtige Gründe vorliegen, die Vereinsversammlung abzuhalten. Wurden doch auch von manchen Seiten schwerwiegende Gründe gegen den Wiener Antrag vorgebracht, z. B. dass wichtige hygienische Fragen, die für unsere vaterländischen Verhandlungen von grosser Bedeutung seien, sich auf internationalen Congressen nicht verhandeln lassen, dass auf diesen die Sprachenfrage ein nahezu unübersteigbares Hinderniss für eine fruchtbringende Verhandlung bilde, dass es nöthig sei, die Continuität in unseren Versammlungen zu erhalten, solle nicht das Interesse der Mitglieder an den Arbeiten des Vereins abnehmen und dieser dadurch an Bedeutung verlieren, dass auch bisher stets mancherlei verwandte Vereine im selben Jahre getagt haben, beispielsweise die hygienische Section der Naturforscherversammlung ganz gut neben dem hygienischen Congresse hergehe und dass man die Jabresversammlungen nicht aussetzen solle, wenn nicht die allerzwingendsten Gründe (wie s. Z. der Brand der Hygieneausstellung) dies forderten. Allgemein fand der Wiener internationale Congress warme Sympathie und wurde der Wunsch einer möglichst zahlreichen Betheiligung seitens der deutschen Hygieniker ausgesprochen, aber es wurde mit Recht auch die Frage aufgeworfen: wer von den Mitgliedern des Deutschen Vereins steht dem internationalen Congresse nicht nur sympathisch gegenüber, sondern wer beabsichtigt auch hinzugehen, und liegt hierin genügender Grund, die Vereinsversammlung im nächsten Jahre auszusetzen?

Bei der Abstimmung wurde der Antrag des Herrn Oberingenieur Meyer mit grosser Mehrheit angenommen, die beiden anderen Anträge gelangten daraufhin nicht zur Abstimmung.

Zum Schluss sprach Herr Dr. Schiff (Wien) den Wuusch aus, dass, wenn der Ausschuss beschliessen solle, dass der Verein als solcher nicht nach Wien gehe, er sich doch mindestens durch officielle Delegirte bei dem internationalen Congresse möge vertreten lassen.

Die Versammlung tritt hierauf in die Behandlung des letzten Gegenstandes der Tagesordnung ein:

Moderne Desinfectionstechnik mit besonderer Beziehung auf öffentliche Desinfectionsanstalten.

Referent: Professor Dr. Franz Hofmann (Leipzig):

„Meine hochgeehrten Herren!

„Der Ausschuss des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege hat Herru Bezirksphysicus Jacoby und mich beauftragt, hier ein Referat über die moderne Desinfectionstechnik mit besonderer Beziehung auf öffentliche Desinfectionsanstalten zu geben. Ich freue mich, dass das Thema in dieser Weise eng begrenzt worden ist, und zwar darum, weil es dann nicht mehr nöthig ist, auf die ganze Unzahl von verschiedenen Desinfectionsverfahren, Desinfectionsobjecten und Desinfectionsmitteln einzugehen, die die Gegenwart erfunden hat und anpreist. Der Schwerpunkt unserer Verhandlung ruht also nur auf dem Verfahren der Desinfection in den öffentlichen Desinfectionsanstalten. Sie wissen, dass in den jüngsten Jahren, namentlich seit dem Ausbruch der Cholera in Südfrankreich und in Italien, eine Reihe von Städten, auch in Deutschland, bereits jetzt Desinfectionsanstalten, sowohl für specielle Zwecke, für Hospitäler, als auch für allgemeine öffentliche Zwecke errichtet hat. Es besteht kein Zweifel, dass eine grosse Anzahl von Städten auch gegenwärtig gewissermaassen ganz nahe daran ist, solche Einrichtungen zu treffen, und ich wünsche nur, dass die heutige Versammlung recht klare und präcise Ziele nach dieser Richtung hin ergiebt.

„Die Thesen, die Ihnen hier vorliegen, stammen zum Theil von mir, zum Theil von meinem Herrn Correferenten, und dies ist der Grund, wesshalb sie sich in der einen oder anderen Fassung dem Sinne nach nahezu decken.

„Die erste der Thesen von mir lautet:

Anlagen wirksamer Desinfectionseinrichtungen erscheinen als Pflicht der Gemeinden im öffentlichen Interesse.

„Ich darf einschalten, dass ich hier die Gemeinden als Gesensatz von Privatunternehmungen auffasse, und es gänzlich dahin gestellt sein lasse, ob die Gemeinden allein oder mit Hülfe des Staats die Desinfectionsanstalten etabliren. Sie können gerade so gut den ersten Theil der zweiten These annehmen, in welchem es heisst:

"

Jede grössere Stadt bedarf einer oder mehrerer stationärer öffentlicher Desinfectionsanstalten.

Diese erste These oder den ersten Satz der zweiten These möchte ich in folgender Weise begründen. Bekanntlich besteht eine Reihe von Infectionskrankheiten, welche direct vom Körper des Erkrankten auf den Körper des Gesunden übergehen können, welche aber gleichzeitig, und

zwar in noch viel höherem Grade, dadurch Verbreitung finden, dass die Krankheitskeime von dem erkrankten Körper auf Gebrauchsgegenstände übergehen, dass sie an den Gebrauchsgegenständen haften bleiben, dieselben inficiren und so nun, nicht direct vom Körper ausgehend, sondern indirect durch die Gebrauchsgegenstände des Kranken weiter verbreitet werden. Ich hatte bereits in einem früheren Vortrage, soweit ich mich erinnere in Stuttgart, darauf hingewiesen, warum gerade Kleider, Wäsche und Betten so ausgiebig geeignet sind, Krankheitskeime in ihrem porenreichen und weitmaschigen Gewebe aufzunehmen, zu conserviren und so zu reichbeladenen Infectionsträgern zu werden. Es ist klar, dass kein Gebrauchsgegenstand des Menschen in so innige Berührung mit dem Körper kommt und so leicht die Krankheitskeime, sofern sie vom menschlichen Körper ausgehen, aufnehmen kann, wie Kleider, Wäsche und Betten, und ferner liegt es in der Natur dieser Objecte, dass sie mehr wie jeder andere Gebrauchsgegenstand von einer Hand in die andere wandern, so dass die Keime wirklich gerade durch diese Objecte die weiteste Verbreitung in der Bevölkerung erfahren. Es hängt dann nur von der Art und dem Zustande der Krankheitskeime ab, wie lange sie z. B. im lufttrockenen Zustande lebensfähig und deshalb übertragbar bleiben, ob solche Wäsche entweder auf die Dauer von Wochen oder, wie z. B. bei Tuberculose, auf die Dauer von einigen Monaten, oder, wie z. B. bei Milzbrand, bei Blattern, auf die Dauer von ein, zwei, drei Jahren infectionsfähig wirkt; kurz, der Verkehr mit solcher inficirten Wäsche erscheint in bestimmter Breite gleichwerthig mit der Verbreitung von Gift oder von explosiblen Körpern.

„Nun fragt es sich: Von wem soll die Unschädlichmachung dieser Gifte vermittelt werden? Der nächste Gedanke würde der sein, dass hierfür jenes Individuum verantwortlich zu machen ist, welches die inficirten Objecte besitzt, jene Familie, in welcher ein solcher Krankheitsfall vorkommt, durch welchen Gebrauchsobjecte inficirt werden. Die Ausführung einer wirklichen Desinfection durch solche Privatpersonen unterliegt aber den allergrössten Schwierigkeiten, ja wir können sagen, sie ist nahezu ganz unmöglich. Nehmen wir z. B. an, ein oder zwei Mitglieder einer Familie wären an einer ansteckenden Krankheit, z. B. Blattern oder Scharlach, erkrankt, das Familienhaupt hätte die Einsicht welche nicht überall vorhanden ist -, hätte ferner den ernstlichen Willen, durch eine wirksame Desinfection die Gefahr von den Seinigen und von weiteren Kreisen abzuhalten, so fehlen nun trotzdem alle Mittel und Einrichtungen, um wirklich helfend einschreiten zu können. Es fehlen ferner auch alle Kenntnisse und Erfahrungen, eine wirksame Desinfection von Seiten des Laien an seinen eigenen Objecten durchzuführen. Niemand, meine Herren, vermag die unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche einer Desinfection in Privathäusern entgegenstehen, besser zu beurtheilen, als der Arzt, wenn er sieht, wie die einfachsten Vorschläge in den besten Familien an hundert kleinen Widerständen scheitern. Ganz unmöglich aber ist die Ausführung einer erfolg reichen Desinfection in den Wohnungen der Armen, da, wo Massenquartiere bestehen, wo ganze Familien, Gesunde und Kranke, auf einen einzigen. kleinen Raum zusammengedrängt wohnen müssen. Eine vollkommene Desinfection ist also nur da zu erwarten, wo allgemein zugängliche

Desinfectionsanstalten bestehen, welche zweckmässige Einrichtungen besitzen, welche ein gewissenhaftes, geschultes Bedienungspersonal haben und unter steter sachgemässer Controle stehen. Solche Desinfectionsanstalten, die also ständig organisirt sind, die den Zweck als solchen verfolgen, können im Besitz und unter Leitung von Privatpersonen stehen, welche sie nun natürlich analog anderen geschäftlichen Unternehmungen betreiben. Wir müssen somit unterscheiden, ob in einer Stadt Privatdesinfectionsanstalten oder öffentliche Desinfectionsanstalten einzurichten sind. Bezüglich der privaten Desinfectionsanstalten muss ich hervorheben, dass eine Privatdesinfectionsanstalt naturgemäss von dem Gesichtspunkte des Geschäfts aus geleitet und betrieben werden muss, es hat also die Einnahme sowohl die Betriebs- wie die Unterhaltungskosten zu decken, und der Unternehmer darf selbstverständlich auch nicht dabei verhungern. Nun halte ich nichts. für gefährlicher, als wenn eine solche private Desinfectionsanstalt Noth leidet und ein kümmerliches, beschränktes Dasein fristet, oder sich noch mit anderen Unternehmungen befasst. Es ist klar, dass in Folge des nothleidenden Zustandes eines solchen Etablissements eine unsichere Arbeitsentwickelung sehr leicht eintreten wird, und damit wird nun sofort im Anbeginn das Wirken der ganzen Anstalt zweifelhaft. Sie wissen, dass die Handhabung der Desinfection vor Allem eine Vertrauenssache ist, insbesondere, wenn sie von fremden Händen ausgeführt und geleitet werden soll. Wir sind durch eine einfache Besichtigung der Objecte, welche der Desinfection unterworfen wurden, nicht im Stande, zu constatiren, ob sie nun wirklich desinficirt sind. Nur in seltenen Fällen wäre es auf Grund umständlicher Versuche möglich, nachzuweisen, ob die Keime wirklich getödtet sind. In sehr vielen Fällen ist das überhaupt nicht möglich, so zwar, dass wir nur dann eine Gewissheit haben, dass die Desinfection erreicht ist, wenn alle Voraussetzungen einer sachgemässen Behandlung erfüllt sind. Ein Privatunternehmen wird sich nun nicht selten auf längere Beschränkungen in den Einnahmen gefasst machen müssen. Die Statistik der Infectionskrankheiten zeigt, dass dieselben nicht etwa gleichmässig vertheilt auf das ganze Jahr vorkommen. Wir finden, dass solche Infectionskrankheiten in bestimmten Fristen fast ganz verschwinden, dann wieder massenhaft auftreten. Es ist also klar, dass ein Privatunternehmen unter Umständen vielleicht Wochen, Monate lang gar nichts zu thun hat, und dann kommen wieder Perioden, wo sehr starker Andrang stattfindet, und die Anstalt nur ein ungeübtes Personal oder nicht vollkommen ausgerüstete Einrichtungen zur Verfügung hat. Gerade diese Unsicherheit im Geschäftsumfange bringt es meiner Ueberzeugung nach auch mit sich, dass die Desinfectionsanstalten in den Händen von Privatunternehmern so ausserordentlich schwer reussiren und vielfach nach einer bestimmten Frist erlahmen und eingehen.

Theilt man also die Ueberzeugung, dass die weitgehende Benutzung von Desinfectionsanstalten wirklich Nutzen zu stiften vermag, dass der Gebrauch dieser Desinfectionsanstalten im öffentlichen Interesse liegt und zum Schutze der Ortsangehörigen aus allen Ständen dienen soll, dann kann es nur die Gemeinde sein, die solche Einrichtungen besitzt und zum Vortheil der Gemeindemitglieder auch unterhält. Die Gemeinde hat nach meiner Meinung, so weit sie es finanziell zu leisten vermag, die Verpflichtung, da Schutz und Hülfe

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