Page images
PDF
EPUB

und unter dem 12. September 1871 eine besondere Anweisung zur Desinfection bei Choleraerkrankungen veröffentlicht.

Im Laufe der Jahre, besonders aber nachdem durch R. Koch's Untersuchungen für hier eine anderweite Auffassung der Desinfection Bahn gebrochen war, gelangte man zu der Ueberzeugung, dass eine Umarbeitung der bestehenden Desinfectionsvorschriften geboten sei, und begann dieselbe im December 1881; im Ganzen hielt man dabei an der Desinfectionsanweisung vom 8. August 1835, an den Grundzügen und der Eintheilung des Stoffes der Desinfectionsanweisung fest, änderte aber, den neueren Erfahrungen über die Wirksamkeit der Desinfectionsmittel Rechnung tragend, wesentlich an dem Inhalte.

Es sei nur noch kurz bemerkt, dass der Sublimat in Lösung, das Chlorgas, Carbolsäurelösung und Kaliseife als Desinfectionsmittel aufgenommen und auf die Verwendung gespannten überhitzten Wasserdampfes nach Fertigstellung der erforderlichen städtischen Desinfectionsanstalten. hingewiesen wurde. Wen Einzelheiten interessiren, der findet Näheres im dritten Generalberichte über das Medicinal- und Sanitätswesen der Stadt Berlin im Jahre 1882. Unter dem 15. August 1883 wurde die nach eingehenden Berathungen im Jahre 1882 und 1883 festgestellte Anleitung zum Desinfectionsverfahren Angesichts der von Aegypten her drohenden Cholera veröffentlicht, obwohl noch keine öffentliche Anstalten zur Anwendung überhitzter Wasserdämpfe vorhanden waren und man von betheiligter Seite sich sagte, dass weitere wissenschaftliche Untersuchungen vielleicht in wenigen Jahren eine Umarbeitung der bezüglichen Vorschriften erforderlich machen würden. Hatte man doch das Chlorgas als Desinfectionsmittel für Brom nur aufgenommen, um von zwei Uebeln das kleinere zu wählen, da ja auch Chlor wegen des hohen specifischen Gewichtes im Raume sehr schwer vertheilbar ist.

Im Laufe der folgenden Jahre stellte es sich je länger um so mehr heraus, dass die Forderung der in Rede stehenden Anleitung zum Desinfectionsverfahren selbst in wohlhabenden Familien nur mit der grössten Aufmerksamkeit und Energie ausführbar sein, dass aber unter gewöhnlichen Lebensverhältnissen und gar in den Hütten der Armuth die Ausführung auf die grössten Schwierigkeiten stossen und beziehungsweise unmöglich werde. Dazu kamen die sich mehrenden Bedenken gegen Verwendung des Sublimates zur Desinfection. Schon in der erwähnten ersten Arbeit „Ueber Desinfection" hatte Robert Koch darauf aufmerksam gemacht, dass Sublimat mit Rücksicht darauf, dass derselbe mit Schwefelwasserstoff, Ammoniak und Eiweiss unlösliche Verbindungen eingehe, nur mit Vorsicht und in solcher Menge im gegebenen Falle verwendet werden könne, dass eine zur Abtödtung der vorhandenen Mikroorganismen genügende Menge in Lösung bleibe; der Sublimat eignet sich daher nicht für einen fortlaufenden Desinfectionsbedarf, welcher häufige Wiederholung in der Anwendung des Desinfectionsmittels erfordert. In den von Koch und Gaffky gemeinschaftlich in dem ersten Bande der Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte veröffentlichten Versuchen über die Desinfection des Kiel- oder Bilgeraumes der Schiffe" werden die vorerwähnten Bedenken wieder hervorgehoben.

Dass Sublimat die Tuberkelbacillen nicht unschädlich macht, hatten Schill und Fischer im zweiten Bande der Mittheilungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes nachgewiesen.

Die unter dem 14. Juli 1884 für Preussen erlassene Anweisung zur Vornahme der Desinfection bei Cholera empfahl neben der Verwendung des überhitzten Wasserdampfes lediglich Carbolsäure als Desinfectionsmittel; vom Sublimat ist keine Rede mehr.

Im Mai 1885 trat in Rom die internationale Conferenz zur Berathung von Maassregeln gegen die Verbreitung der Cholera zusammen und vereinbarte auch Grundzüge zu einem Desinfectionsverfahren, welche sich in Nr. 30 der Deutschen medicinischen Wochenschrift vom 23. Juli 1885 abgedruckt finden. Als einzige chemische Desinfectionsmittel werden dort verschiedene Verdünnungen von Carbolsäure und Chlorkalk in verschiedenen. Lösungen aufgeführt und unter Nr. 70 zur Benutzung bei allen epidemischen Krankheiten empfohlen, welche besonders auf schlechte Lebensbedingungen zurückzuführen sind.

In Anbetracht der beschränkten Wirksamkeit des Sublimates und seiner eminent giftigen Eigenschaften, sowie mit Rücksicht darauf, dass auch von anderen Seiten als den erwähnten die Wirksamkeit der Sublimatlösungen aus den von Koch geltend gemachten Gründen immer mehr in Zweifel gezogen wurde, musste es angemessen erscheinen, die Berliner Anleitung zum Desinfectionsverfahren vom 15. August 1883 um einer erneuten Prüfung zu unterziehen, als die betreffenden Vorschriften durch eine mit dem Magistrat Anfang des Jahres 1886 vereinbarte Polizeiverordnung bindend gemacht werden sollten.

so mehr

Die gegen die Verwendung des Chlorgases von jeher geltend gemachten Bedenken der ungleichmässigen Vertheilung im Raume bei einem specifischen Gewichte von 24 und der grossen Belästigung der Athmungsorgane waren bei energischer und sorgsamer Desinfection nach den Vorschriften von 1883 nur noch vermehrt worden, insbesondere, wenn es sich um kleine Wohnungen mit nur einem oder zwei Zimmern handelte. Dazu kommt noch ein Uebelstand, auf welchen, meines Wissens, selten oder gar nicht hingewiesen worden ist; nach ausgiebigen, lange dauernden Chlordesinfectionen verschwindet der Chlorgeruch ungeachtet nachhaltigen Lüftens, ungeachtet Aufstellung von Gefässen mit Ammoniak lange Zeit hindurch nicht; wenn auch die Athmungsorgane nicht belästigt werden, so macht der Geruch die Luft keineswegs angenehmer.

Für die im August 1886 im Polizei - Präsidium begonnene Revision der bis dahin geltenden Desinfectionsanleitung waren folgende Gesichtspunkte leitend:

Die Desinfection sollte den heutigen Anschauungen der Wissenschaft, und bezüglich der empfohlenen Desinfectionsmittel den gemachten Erfahrungen möglichst gerecht werden; Sublimat und Chlor waren desshalb zu streichen und als Desinfectionsmittel lediglich überhitzter Wasserdampf und Carbolsäure zuzulassen.

Die Anweisung sollte erschöpfender, aber so kurz und gemeinverständlich wie möglich sein, damit sie auch von Menschen mit geringer Bildung leicht gefasst und ausgeführt werden kann; alle Vorschriften derselben

[ocr errors]

sollten auch unter ärmlichen Verhältnissen im Allgemeinen ausführbar sein; theoretische Auseinandersetzungen thunlichst vermieden werden.

Eine wesentliche Abweichung von der 1835 er und demgemäss auch von der 1883 er Anleitung macht sich zunächst darin geltend, dass nur die ansteckenden Volkskrankheiten in der neuen Anweisung Berücksichtigung gefunden haben. Hierbei war die Erwägung maassgebend, dass die auf den Menschen übertragbaren Thierkrankheiten überhaupt nicht zu den Menschenseuchen zu zählen seien; dieselben bieten als Menschenkrankheiten niemals ein allgemein-polizeiliches Interesse in dem Sinne und Grade, wie Diphtherie, Cholera etc.

Für die Bekämpfung der übertragbaren Augenentzündung, welche in Deutschland sich doch verhältnissmässig nur selten verbreitet hat, bestehen besondere Desinfectionsvorschriften; Krätze und Syphilis lassen sich in dem angegebenen Sinne auch nicht zu den Volkskrankheiten zählen und bedürfen ganz anderer Verhütungsmaassregeln als jene; das Kindbettfieber steht mit einem ganz bestimmten physiologischen Vorgange beim weiblichen Geschlecht allein im Zusammenhange, kann daher auch nicht zu den Volkskrankheiten gerechnet werden; dasselbe hat erst in den letzten Jahrzehnten die Thätigkeit der Sanitätspolizei wachgerufen und wird am zweckmässigsten für sich behandelt, da die Maassregeln zu seiner Verhütung wesentlich von denjenigen gegen die Verbreitung von Volksseuchen abweichen.

Dagegen mussten Diphtherie und Lungenschwindsucht nach den heutigen Anschauungen berücksichtigt werden.

Bei der Eintheilung der Krankheiten in solche, welche unbedingt Desinfection erheischen, und solche, bei welchen nur auf amtliche Anordnung Desinfection stattfinden muss, wurde insbesondere darauf Rücksicht genommen, dass nur diejenigen übertragbaren Krankheiten, welche der Allgemeinheit die grösste Gefahr bringen, ausnahmslos eine Desinfection nach sich ziehen sollen. Es durfte nicht ausser Acht gelassen werden, dass eine zu weit gehende derartige bindende Verordnung leicht dazu führen könnte, die ganze Maassregel in Frage zu stellen. Der Rückfalltyphus ist in die erste. Gruppe mit aufgenommen worden, weil diese Krankheit nicht selten neben Flecktyphus zugleich vorkommt, einmal eingeschleppt meist sehr fest haftet. und unter Umständen sehr grosse Verbreitung findet.

Als vornehmstes Desinfectionsmittel oder besser Mittel zur Verhütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten ist abweichend von früheren derartigen Anweisungen peinlichste Reinlichkeit nach jeder Richtung in den Vordergrund gestellt; ohne die Beobachtung dieser Hauptbedingung, zu welcher auch häufige und ausreichende Lüftung gerechnet werden muss, versagt die Anwendung der wirksamsten chemischen Desinfectionsmittel. Als solche hat neben überhitztem Wasserdampf nur die Carbolsäure in zwei bis fünfprocentiger Lösung Aufnahme gefunden; die angegebenen Verhältnisszahlen gründen sich darauf, dass die sogenannte 100 procentige Carbolsäure nicht vollwerthig ist und mussten dem gemäss die Verhältnisszahlen für Wasser geringer genommen werden; ob Gewichts- oder Maasstheile zu Grunde gelegt werden, macht keinen wesentlichen Unterschied, da das specifische Gewicht der Carbolsäure nur 106 beträgt.

Die Kaliseife hat nur als Reinigungsmittel wieder Aufnahme gefunden, da ihre desinficirende Wirkung nach R. Koch's Untersuchungen mindestens sehr fraglich geworden ist.

Uebrigens dürften die Bestimmungen dieser lediglich für Berlin erlassenen Anweisung ohne weitere Bemerkungen klar sein.

Für Ortschaften, welche nicht im Besitze von Desinfectionseinrichtungen für die Verwendung gespannter oder wenigstens strömender Wasserdämpfe sind, werden selbstredend die bezüglichen Vorschriften wesentlich geändert werden müssen. In dieser Beziehung würden Ziffer 6 und 7 der Desinfectionsanweisung des preussischen Medicinal-Ministeriums vom 14. Juli 1884 zur Beachtung zu empfehlen seien und glaube ich besonders auf die unter 7 empfohlene dauernde Aussergebrauchstellung und die Durchlüftung der inficirten Gegenstände an einem warmen, trockenen und vor Regen geschützten Orte (unbewohnter Hausboden, Scheuer etc.) Gewicht legen zu sollen. Inficirte Federbetten wie Matratzen schüttet man, falls zuverlässige Desinfection mittelst Wasserdampf nicht möglich ist, nur zweckmässig aus, lässt die Inlette, Bezüge in kochendem Wasser eine halbe Stunde brühen und dann auswaschen, den Inhalt aber ausbreiten und tagelang durchlüften.

Hoffentlich wird es gelingen, durch Vereinfachung des Desinfectionsverfahrens bei den Laien für die Desinfection mehr Verständniss zu wecken und damit ihre Durchführung zu fördern.

Kritiken und Besprechungen.

Dr. Wiener, Sanitätsrath: Handbuch der Medicinalgesetzgebung des Deutschen Reiches und seiner Einzelstaaten. Mit Commentar. II. Band, 2. und 3. Theil. (Schluss des Werkes.) Stuttgart, Enke, 1886-1887. 580 u. 688 S. 26 M.

Der erste Band, sowie der erste Theil des zweiten Bandes dieses Handbuches der Medicinalgesetzgebung ist bereits in einem früheren Jahrgange dieser Zeitschrift von uns angezeigt und besprochen worden.

Gegenwärtig liegt der zweite und dritte Theil des zweiten Bandes dieses Werkes vor und enthält der zweite Theil die Medicinalgesetzgebung der Königreiche Bayern und Sachsen, der dritte Theil die Medicinalgesetzgebung des Königreichs Württemberg, des Grossherzogthums Hessen und des Grossherzogthums Baden.

Bereits in unserer früheren Anzeige haben wir die Ansicht ausgesprochen, dass das vorstehende Werk, sobald es vollendet sein wird, wohl geeignet sein werde, dem unleugbar vorhandenen Bedürfnisse eines Handbuches für die, welche sich rasch in der Medicinalgesetzgebung orientiren wollen, zu genügen.

An dieser Ansicht halten wir auch jetzt noch fest. Was den zweiten Theil des Handbuches betrifft, so macht der Verfasser im Vorworte darauf aufmerksam, dass die Medicinalgesetzgebung Bayerns durch Kuby und Martin, die Sachsens durch Reinhardt bereits Bearbeiter gefunden hat, dass es ihm jedoch durch die von ihm inne gehaltene, streng systematische Form der Behandlung bei Ausscheidung alles dessen, was im Laufe der Jahre antiquirt geworden ist, gelungen sei, das vorliegende Werk handlicher, übersichtlicher und auch instructiver zu machen, als jene viel weitläuftigeren Bearbeitungen sind.

Der Unterzeichnete, der als preussischer Jurist die Medicinalgesetzgebung von Bayern und Sachsen niemals zum Gegenstande seines Studiums gemacht hat, kann nun allerdings nicht über die Vollständigkeit der im vorliegenden Handbuche enthaltenen sächsischen und bayerischen Medicinalgesetzgebung aburtheilen. Sicher ist jedoch, dass auch im vorliegenden Theile die Anordnung der mitgetheilten Gesetze eine klare und übersichtliche ist.

Was die materiellen Bestimmungen der bayerischen Gesetzgebung betrifft, so scheinen uns namentlich die Bestimmungen über Aerztekammern und ärztliche Bezirksvereine, S. 27 ff., mitgetheilt und enthalten in der Königlichen Verordnung vom 10. August 1871, sowie die über Gesundheitscommissionen, im Ministerialerlass vom 15. Juni 1875 enthalten und S. 30 ff. mitgetheilt, höchst beachtenswerth zu sein und dürften namentlich die Vor

« PreviousContinue »