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Beamten. Dem Verlangen des Herrn Referenten nach einer besseren naturwissenschaftlichen Grundlage, als sie bis jetzt üblich sei, stimme er voll und ganz bei und ebenso der Ansicht, dass fast noch wichtiger als die richtige Ausführung der Untersuchung die hygienische Beurtheilung sei. Darum sei diese Seite des Unterrichts, mit der es meist noch sehr traurig aussehe, ebenfalls von der grössten Wichtigkeit und liege hierin ein neuer Hinweis, wie durchaus nothwendig es sei, dass an den Hochschulen und technischen Lehranstalten endlich der Hygiene die ihr gebührende Stelle angewiesen werde. Wenn der Herr Referent vielleicht einen besonderen Hinweis in dieser Richtung für entbehrlich halte, so beruhe dies darauf, dass eben in Bayern für den hygienischen Unterricht schon bedeutend mehr gethan sei als in Preussen, wo ausserdem auch noch nicht einmal eine eines grossen modernen Staates würdige Sanitätsorganisation bestehe, an die sich die Organisation der Nahrungsmittelämter als neues Einzelglied sicher und desshalb mit der Hoffnung grösster Leistungsfähigkeit anschliessen könne.

Als dritter Hauptgegenstand sei dann die Abgrenzung des Gebietes im Einzelnen, die Gegenstände der Untersuchung, Bestimmungen über Grenzen und Maximalzahlen zu bezeichnen. Doch seien diese Fragen wieder so umfassend und zum Theil so verschiedener Beurtheilung zugänglich, dass zu vielen definitiven Bestimmungen noch die Arbeit von Jahren erforderlich sei. Was nach dieser Richtung praktisch durchführbar sei, habe die Vereinbarung der bayerischen Chemiker in trefflicher Weise gebracht und sie habe dadurch eine vorläufig brauchbare Ausführungsbestimmung ins Leben gerufen, von der nur zu wünschen sei, dass ihr reiches Material zusammen mit dem im Gesundheitsamt gewonnenen Material bald zu allgemeinen Bestimmungen führen möchte, die den Unsicherheiten des gegenwärtigen Zustandes ein Ende machen.

Director Dr. Schmidt (Wiesbaden) erklärt sich auf Grund seiner jahrelangen praktischen Erfahrungen mit den Ausführungen und Schlusssätzen des Herrn Referenten im Wesentlichen einverstanden, wenn ihm auch immerhin Einiges zu Bedenken Anlass gebe. Im Jahre 1884 habe dasselbe Thema den Niederrheinischen Verein für öffentliche Gesundheitspflege beschäftigt und der Verein habe damals beschlossen, auf die vom Herrn Referenten aufgestellten Einzelthesen nicht einzugehen und folgende drei Sätze angenommen:

Die Versammlung erklärt es für dringend wünschenswerth:

1. dass in jedem Regierungsbezirk mindestens ein Untersuchungsamt für Lebensmittel und für physiologisch-chemische und bacteriologisch - hygienische Arbeiten gegründet wird;

2. dass die zur Leitung und Arbeit an diesen Aemtern berufenen Personen in Staatsanstalten (Universitäten, Hochschulen, Academieen) vorgebildet und staatlich für qualificirt erklärt werden müssen;

3. dass ausser diesem Bezirksamt möglichst zahlreiche örtliche Untersuchungsämter eingerichtet werden.

Mit diesen drei Sätzen sei im Wesentlichen alles das gesagt, was der Herr Referent ausgesprochen habe und wenn es desshalb, wie einzelne Herren betont, zu weit führen würde, in die Discussion der einzelnen Thesen einzutreten, so dürfe es sich vielleicht empfehlen zu beschliessen, der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege stebe auf dem Boden der vom Niederrheinischen Verein unter dem 8. November 1884 gefassten Beschlüsse und erkläre es für dringend wünschenswerth, dass seitens der Staats- und Communalbehörden diesen Folge gegeben werde.

Oberbürgermeister Bötticher (Magdeburg) stimmt dem Antrag des Herrn Director Schmidt bei. Es sei ganz unmöglich, dass der Verein sich hier über jeden einzelnen Paragraphen schlüssig mache, auf den Antrag des Herrn Director Schmidt aber könne sich die Versammlung vereinigen und dadurch erklären, dass der Verein für die Einführung solcher Untersuchungsstationen sei, die einzelnen Detailbestimmungen aber weiteren Berathungen vorbehalte.

Referent Professor Dr. Hilger: „Meine Herren, ich halte mich für verpflichtet, im Interesse der Sache, Sie auf die Grundgedanken aufmerksam zu machen, die mich bei der Bearbeitung des Referates selbst geleitet haben. Als ich von dem verehrten Ausschuss des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege den Auftrag erhielt, mich über die Frage der Errichtung von Gesundheitsanstalten zu äussern, glaubte ich Alles, was in dieser Richtung anzustreben sei, in möglichst gedrängter Form zusammen fassen zu sollen. Das ist der Grundgedanke gewesen, der mich bei der Ausarbeitung des Referats geleitet hat, und ich habe selbstverständlich niemals daran gedacht, dass wir heute an diesem Orte die einzelnen Fragen detaillirt berathen würden. Solches hat mir fern gelegen. Ich habe nur diese Schlusssätze aufgestellt, um eine möglichst vollkommene Uebersicht über das gesammte, wie wir alle wissen, ziemlich umfangreiche Gebiet zu geben, und ferner die hier noch zu erfüllenden nothwendigen Bedürfnisse zu kennzeichnen. Ich glaube, dass es in der That für die Entwickelung dieser Frage bedeutungsvoll wäre, wenn der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege sich dahin ausspricht, dass er im Wesentlichen mit meinen Intentionen in dieser Frage einverstanden ist, ohne dass er die einzelnen Paragraphen unterschreibt und sie als unfehlbar hinstellt.

Mir sind ja die Beschlüsse des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege selbstverständlich bekannt gewesen. An diesen Berathungen war ich sogar insofern auch betheiligt, als ich indirect dem betreffenden Herrn Referenten meine Erfahrungen, die ich bereits in Bayern gemacht hatte, zur Benutzung mitgetheilt habe. Ich bin ganz damit einverstanden, dass wir uns diesem Beschluss anschliessen. Aber andererseits glaube ich, dass es doch zweckmässig wäre, wenn die Versammlung in irgend einer Weise ausspricht, dass sie mit meinen 11 Schlusssätzen im Grossen und Ganzen einverstanden ist und sie zur Kenntniss genommen hat, sich aber demselben Beschluss anschliesst, den schon ein anderer Verein für öffentliche Gesundheitspflege seinerseits ausgesprochen hat.

„Meine Herren, ich bemerke dabei, dass ich von vornherein auf den §. 10 verzichte, auf den ich gar keinen Werth lege. Diesen Paragraphen habe ich nur aufgestellt, um anzudeuten, dass es auch in der angedeuteten Weise möglich ist, die Mittel zur Erhaltung der Untersuchungsanstalten zusammenzubringen. Aber ich gebe vollkommen zu, dass wir uns hier nicht über solche Fragen aussprechen können. Ebenso bemerke ich, was die regelmässige Controle betrifft, dass ich darunter selbstverständlich eine solche verstanden habe, die nicht alle vier Wochen an einem bestimmten Tage stattfindet, sondern ohne Kenntniss der Betheiligten. Ich ersuche daher die Versammlung, die von mir aufgestellten Schlusssätze in dem von mir soeben entwickelten Sinne zu beurtheilen und einen entsprechenden Beschluss zu fassen."

Nach einer kurzen Debatte zur Geschäftsordnung, an der sich die Herren Stadtrath Hendel, Sanitätsrath Dr. Spiess, Oberbürgermeister Bötticher, Sanitätsrath Dr. Hüllmann und Landesrath Fuss betheiligen, nimmt die Versammlung folgenden von den Herren Professor Dr. Hilger und Director Dr. Schmidt redigirten Antrag nahezu einstimmig an:

„Die Versammlung nimmt mit Befriedigung von den seitens des Herrn Referenten aufgestellten Schlusssätzen Kenntniss und erklärt sich im Princip mit den bezüglich der Organisation der Untersuchungsanstalten, sowie der Qualification des Personals aufgestellten Grundsätzen einverstanden.

Sie erklärt es desshalb im Anschluss an die vom Niederrheinischen Verein für öffentliche Gesundheitspflege am 10. October 1884 gefassten Beschlüsse für dringend wünschenswerth:

1. dass in jedem Regierungsbezirk mindestens ein Untersuchungsamt für Lebensmittel und für physiologisch - chemische und bacteriologisch - hygienische Arbeiten gegründet wird;

2. dass die zur Leitung und Arbeit an diesen Aemtern berufenen Personen in Staatsanstalten (Universitäten, Hochschulen, Akademieen) vorgebildet und staatlich qualificirt erklärt werden müssen;

3. dass ausser diesem Bezirksamt möglichst zahlreiche örtliche Untersuchungsämter eingerichtet werden."

12 bis 122 Uhr Pause.

Vorsitzender Oberbürgermeister Friedensburg eröffnet die Versammlung wieder und es kommt nunmehr der zweite Gegenstand der Tagesordnung zur Verhandlung:

Volks- und Schulbäder.

Referent Dr. Oscar Lassar (Berlin): Ueber Volksbäder.

„Meine Herren! Wenn ich in Ihrem Kreise dem ehrenden Auftrage unseres Ausschusses Folge leistend wage, über Volksbäder zu reden, so kann dies nicht in der Voraussetzung geschehen, Ihnen selbst die Nothwendigkeit einer Reform auf diesem Gebiete zur Ueberzeugung gestalten zu sollen. Ja, es dürfte vielleicht gerade im Verein für öffentliche Gesundheitspflege überflüssig erscheinen, über Badeeinrichtungen überhaupt sich zu verbreiten, nachdem erst vor wenigen Jahren in der Stuttgarter Versammlung die Herren Architekt Robertson und Oberingenieur F. Andreas Meyer) eine classische und nach vielfacher Richtung hin fruchtbar gewordene Darstellung des modernen Badewesens gegeben haben. Auch ist ja gelegentlich der Hygieneausstellung und durch die Monographie von J. Renk in v. Ziemssen's Handbuch der öffentlichen Gesundheitspflege den fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten mannigfaltige Rechnung getragen worden. In diesem Saale wenigstens braucht Niemandem klar gelegt zu werden, wie tiefgreifend die physiologische Förderung der Hautthätigkeit, die Ventilation, die Widerstandskraft gegen Schädlichkeiten thermischer und organischer Natur durch eine rationelle Badegymnastik berührt werden, aber ich hoffe, nicht irre zu gehen, wenn ich einen der bedeutsamsten Schwerpunkte dieses Congresses in der Aufdeckung socialgesundheitlicher Missstände und der Anregung zur Abhülfe derselben erblicke. Der Wiederhall unserer Verhandlungen findet Ohr bei allen maassgebenden Factoren, und in diesem Sinne bitte ich, meine Ausführungen entgegen zu nehmen.

„Wollen wir nach Mitteln und Wegen zur Abbülfe suchen, so muss vor Allem das Vorhandensein und die Grösse des Missstandes bestimmt werden. Die Frage lautet: Ist im Deutschen Reiche oder einzelnen Landestheilen genügende Gelegenheit vorhanden oder nicht, um einem mässigen Badebedürfniss zu entsprechen? Nun wird man wohl annehmen dürfen, dass ein warmes Reinigungsbad per Woche ungefähr das Maass desjenigen darstellt, was wir zur Popularisirung der körperlichen Reinigung erstreben dürfen und müssten, ein Gebrauch, welcher bei anderen Nationen es sei nur an Russland und die Türkei erinnert längst zur Volksgewohnheit geworden ist. Damit aber jeder Einwohner eines Bezirkes, beispielsweise von 1000 Einwohnern, wöchentlich einmal warm baden könne, müsste aus

1) Siehe Deutsche Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl., XII, 1880, Seite 180. Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1887.

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reichende und bequem erreichbare Gelegenheit gegeben sein, um jährlich 52 000 Bäder zu verabreichen. Diesem Zwecke würde eine (immerhin schon grössere) Anstalt von 10 Wannen oder Badeständen genügen können, wenn in der ganzen Zeit täglich von früh 6 Uhr bis Abends 8 Uhr und Sonntags von 6 bis 1 Uhr ununterbrochen pro Wanne und Stunde ein Bad genommen würde. Thatsächlich ist dies bekanntlich nicht durchführbar, weil erfahrungsmässig nur in den arbeitsfreien Zeiten mit natürlicher Vorliebe für Sonnabend und Sonntag gebadet wird. Selbst bei einer nur halbstündigen Badezeit und wenn keine Minute von den gedachten 90 Badestunden der Woche verloren ginge, würden für einen Kreis von 30 000 Einwohnern immerhin allermindestens 16 bis 17 Anstalten erforderlich sein. Da man aber mit imaginären Minimalziffern nicht arbeiten kann, so würde eine Durchschnittsannahme nicht fehl gehen, welche für den Zweck eines wöchentlichen Durchschnittsbades für je 1000 Einwohner eine irgendwie eingerichtete Badeanstalt verlangt. Es würden also bei einer Bevölkerung des Deutschen Reiches von etwa 44 bis 45 Millionen, um jedem Deutschen einmal wöchentlich ein warmes Bad zu gewähren, im Ganzen 44 bis 45 000 Anstalten vorhanden sein müssen.

„Literarische Angaben über die Formen der Bäder, wie dieselben im In- und Auslande am zweckdienlichsten eingerichtet sind, bestehen in Menge, aber vergeblich sucht man nach Mittheilungen, an Hand derer ein allgemeiner Nachweis von Angebot und Nachfrage, eine Uebersicht über durchschnittliche Kosten und Frequenz der Bäder zu führen wäre. Für die Beurtheilung der thatsächlichen Verhältnisse kann die Grundlage nur eine statistische Kenntniss bilden. Eine solche bestand bislang nicht. Sie musste also so weit wie möglich geschaffen werden.

„Davon ausgehend, dass bei Förderung hygienischer Interessen stets und in erster Linie auf das Entgegenkommen der medicinalbeamteten Aerzte zu rechnen ist, habe ich mir gestattet, an jeden der 1030 im BörnerGuttmann'schen Calender verzeichneten Herren Physici eine AntwortPostkarte mit der Bitte um Ausfüllung folgender Rubriken zu senden:

1. Wie viel Warmwasser - Badeanstalten befinden sich in Ihrem Kreise? 2. Wie viel in Städten über 10 000 Einwohner?

3. Wie viel in Städten unter 10 000 Einwohner?
4. Wie viel in Städten unter 3000 Einwohner?
5. Wie stellen sich i. A. die Preise?

6. Etwaige weitergehende Bemerkungen über besondere Einrichtungen?

Obgleich nun diese Belästigung keine geringe war und für viele der Herren Collegen die präcise Beantwortung eine grosse Summe von Zeit und Bemühung in Anspruch nahm, ist die Zahl der eingegangenen Antworten 1) eine namentlich in Rücksicht auf den privaten Charakter der Enquète über

1) Bemerk. während der Correctur: Seither laufen noch fortwährend Karten ein, so dass das Material über Erwarten vollständig zu werden verspricht.

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