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dass sie in der Stadtverordnetenversammlung dieselbe vom pädagogischen wie hygienischen Standpunkte aus mit Liebe und grosser Wärme vertraten.

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„Der erste Gegner der Vorlage, Dr. Gerstenberg, begann seine Opposition mit der Aufstellung des allgemeinen Satzes:,Diese Vorlage bringt Sachen in die Schule hinein, die nicht in die Schule gehören. Die Aufgabe der Schule ist doch eine doppelte, einerseits die Erziehung das wird als Hauptsache betrachtet und dann der Unterricht, und ich meine, eine wirkliche Leistung ist doch kein erziehliches Moment. Der Lehrer kann durch Wort und Beispiel ein wirken; das ist erziehlich. Aber dadurch, dass die Reinigung an den Kindern vollzogen wird, wird nicht auf sie erziehlich eingewirkt.

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Darauf ist zu erwidern: Die Schule erzieht nicht nur durch Wort und Beispiel, sondern auch durch die That, durch Gewöhnung und durch nachhaltige Forderung von Leistungen Seitens der Zöglinge. Wir erinnern z. B. an den Turnunterricht.

„Um solche Erziehung durch Gewöhnung (nämlich an regelmässige Reinigung des Körpers) handelt es sich beim Schulbaden.. Die Leistung wird den Kindern nicht als etwas Fertiges dargereicht, sondern dieselben werden angeleitet, die Arbeit des Reinigens an sich selbst in zweckmässiger Weise zu vollziehen. Wir sollten meinen, dass wir durch diese Gewöhnung an Sauberkeit, Ordnung, Decenz u. s. w. in eminenter Weise erziehlich wirken.

„Dieser Gegner der Vorlage in der Berliner Stadtverordnetenversammlung, wie auch die später nachfolgenden ereiferten sich förmlich in dem Gedanken, dass ,Etwas, was absolut der Familie gehöre, zwangsweise in die Schule hineingebracht werden solle; dass neben dem Schulzwange jetzt auch ein Badezwang eingeführt werden solle'!

„Ja, meine Herren, von einem solchen Zwange ist in Göttingen keine Rede; das Baden ist nicht obligatorisch, sondern völlig den Eltern freigelassen, ob sie ihre Kinder am Baden theilnehmen lassen wollen oder nicht. Das Schlussresultat ist nun, dass die Wenigen, die anfangs dem Bade fern blieben, jetzt auch kommen.

„Aber die falsche Voraussetzung, dass es sich um die Einführung eines Badezwanges handle, beherrschte die ganze Stimmung der Opposition in jener Stadtverordnetenversammlung von Anfang bis zu Ende.

„Der Herr Dr. Gerstenberg kommt dann auf die Kosten zu sprechen, welche die Ausführung der Badeeinrichtungen in allen Berliner Gemeindeschulen veranlassen würde, falls der vom Magistrate vorgeschlagene Versuch in drei Schulen gelingen und als segensreich sich erweisen sollte. Und dieser finanzielle Gesichtspunkt ist für eine grosse mit zahlreichen Gemeindeoder Volksschulen ausgestattete Commune allerdings von Bedeutung. Wenn aber der Herr Dr. Gerstenberg die Gesammtausgabe für sämmtliche 180 Gemeindeschulen Berlins auf 600 000 Mk. veranschlagt, nachdem der Magistrat für drei Schulen 10 000 Mk. verlangt, so muss ich nach meiner Erfahrung annehmen, dass jene Summe übertrieben hoch angenommen ist.

"In Göttingen hat die Herstellung dieser Bäder in der einen Schule 1300 Mk., in den anderen 900 Mk. Alles in Allem gekostet, nicht 2000 Mk., wie der Magistrat zu Berlin in seiner Vorlage annimmt. Der Betrieb aber

erfordert in Göttingen entfernt nicht die Summe von 1000 Mk. jährlich. Angeschlossen an die vorhandene Centralheizung, Wasserleitung und Canalisation stellen sich in Göttingen die jährlichen Kosten höchstens auf 200 Mk.

Aber, wie gesagt, der Kostenpunkt kommt für Berlin und vielleicht einzelne andere grosse Städte des Reiches in Betracht und wird, wenn ich nicht irre, wesentlich die oppositionelle Haltung der Berliner Stadtvertreter bestimmt haben!

Für alle anderen Städte aber spielt der Kostenpunkt gar keine Rolle, wenn man sich einmal wie wir in Göttungen und mit uns alle unsere Besucher sich überzeugt haben von den immensen directen und indirecten Erfolgen dieser so höchst einfachen und bescheidenen Maassregel. Der Dr. Gerstenberg sagt ferner, dass sehr viele Eltern ihre Kinder in die „Gemeindeschulen schickten, die sehr wohl in der Lage wären, die Bäder zu bezahlen. Ich glaube nicht, dass es sehr viele sein werden; sollte diese Behauptung aber richtig sein, so erhebe man doch ein mässiges Badegeld von diesen. Jedenfalls darf man aus diesem Umstande nicht folgern, dass man nun auch den Aermern die Wohlthat des Badens nicht zukommen lassen dürfe.

Endlich meint der Dr. Gerstenberg: Das geht absolut nicht, dass die Kinder ihre Handtücher mitbringen und allen möglichen Unfug damit machen. Ich bestätige Ihnen aus der Erfahrung, dass es vortrefflich geht. Jedes Kind bringt alle 14 Tage zu seinem Bade, sobald es an der Reihe ist, sein Handtuch mit und bringt es mit den Büchern wieder zurück nach Hause, ohne irgend welchen Unfug damit zu machen. Dasselbe ist von den Berliner Kindern doch auch wohl zu erwarten!

„Nächst dem Dr. Gerstenberg hat wesentlich der Stadtverordnete Spinola gegen jeden Versuch mit dem Baden in den Schulen sich principiell und in nicht sehr freundlicher Weise erklärt. Er hält die ganze Idee verfehlt und nicht für nöthig, dass, wenn man in Göttingen eine verfehlte Sache unternommen habe, in Berlin das nachzumachen.

In Göttingen hält die ganze Bürgerschaft und Universität, jeder betheiligte Vater, jede Mutter, die ganze Lehrerschaft, kurz Jedermann die Idee und ihre Ausführung für vollkommen gelungen und zwar nach 11/2jähriger Erfahrung.

„Die Herren Collegen des Stadtverordneten Spinola, Dr. Stryck und Dr. Bertram, sind mit grossem Misstrauen gegen die Idee nach Göttingen gekommen und gestehen, dass sie nach der eigenen Anschauung ihre Zweifel und Bedenken völlig haben fallen lassen. Ich spreche die feste Ueberzeugung aus, dass die Herren Spinola, Dr. Gerstenberg und Andere ihre principielle Opposition aufgeben würden, wenn sie die Einrichtungen und den ganzen Badevorgang in Göttingen angesehen hätten.

„Das Baden, sagt der Stadtverordnete Spinola, ist eine Sache, die das Haus und die Familie angeht, nicht der Schule zukommt. Es erfüllt nun aber das Haus und die Familie diese Sorge für Ordnung und Reinlichkeit so wenig und wird auch in absehbarer Zukunft diese Aufgabe so schlecht erfüllen, dass man ohne Uebertreibung die Behauptung aufstellen kann, dass an den bei Weitem grössten Theil der Jugend, abgesehen von Gesicht und Händen, Jahr aus Jahr ein während ihrer Schulzeit kein Tropfen Wasser kommt. Auf der anderen Seite aber ist gezeigt, wie die Schule,

wenn sie sich der Ordnung und Reinlichkeit ihrer Schüler annehmen will, mit Leichtigkeit und Sicherheit jene Aufgaben sofort zu erfüllen im Stande ist.

„Und da sollte man auf die Hülfe der Schule jetzt und für die Zukunft verzichten?

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Die gegnerischen Stadtverordneten behaupten, dass jedenfalls durch die Bäder der Schulunterricht gestört und beeinträchtigt werde'.

„Ja, meine Ilerren, dies,jedenfalls' ist in Göttingen auch nicht eingetroffen. Wohl sind die gleichen Bedenken auch dort gehegt, durch die Erfahrung aber völlig beseitigt. Die Störung des Unterrichtes durch das Baden ist, wie ich oben bereits ausgeführt, nicht von Bedeutung, wenn die Badezeit in geeignete Unterrichtsfächer verlegt wird, welche, wie das Lesen oder Schreiben ein Kommen und Gehen einzelner Schüler wohl gestatten. Die Befürchtung, dass die Kinder unmittelbar nach dem Baden für den Unterricht nicht disponirt seien, bestätigt sich durchaus nicht; im Gegentheil zeigen dieselben eine erheblich grössere Frische als zuvor.

In hygienischer Beziehung sollen nach dem Stadtverordneten Spinola diese Volksschulbäder Viel zu wünschen übrig lassen. Die Kinder müssen nachher über die im Winter sehr kalten Flure, Corridore und Höfe gehen und werden sich zumal bei mangelhafter Kleidung und schwächlicher Constitution viele Erkältungen zuziehen.

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Das gerade Gegentheil ist wahr. Deshalb werden ja die Kinder gerade innerhalb des Schulgebäudes und in der Schulzeit gebadet, dass sie in ihre warmen Classen zurückkehren; über Höfe brauchen die Kinder nicht zu gehen, sondern über die Corridore, welche in den Schulen zumal mit Centralfeuerungen nicht sehr kalt zu sein pflegen. Es kann in der That kaum unter hygienisch günstigeren Umständen gebadet werden als hier. Endlich meint der Stadtverordnete Spinola: ‚Die Kinder der armen Volksclassen sind häufig nur äusserlich anständig gekleidet; unter der Oberkleidung zerrissene Hemden oder gar keine; nun soll sich ein solches armes Kind vor den besser situirten Kindern decouvriren; das verletzt das Schamgefühl u. s. w.

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„Ja, meine Herren, da dachten wir ganz anders bei Errichtung unserer Bäder. Wir dachten, welchen Einfluss muss dies Baden der Kinder in den Kreisen der Eltern ausüben, welchen erziehlichen Einfluss auf die Familien in Beziehung auf Reinlichkeit und Ordnungssinn in den Häusern. Die Eltern schämen sich mit den Kindern, wenn diese zerrissenes, schmutziges Zeug decouvrirt haben und gewöhnen sich durch ihre Kinder an mehr Reinlichkeit und Ordnung. Diese indirecte Wirkung auf die Familie halten wir für fast ebenso bedeutend wie den directen Segen für das Wohl der Kinder!

„Noch auf einen Vorgang innerhalb dieser Verhandlungen in der Berliner Stadtverordnetenversammlung muss ich kommen. Zu verschiedenen Malen, wenn der Schulrath Bertram und Dr. Stryck betonten, dass unter den Berliner Lebensverhältnissen eine grosse Anzahl von Familien während des Winters keine Gelegenheit habe, für die Reinlichkeit der Kinder genügend zu sorgen, so dass viele Eltern nicht im Stande seien, für dies Lebensbedürfniss zu sorgen; dass nach durchgemachten Hautkrankheiten

der Kinder viele Leute in der grössten Verlegenheit um eine Badewanne seien u. s. w., bezeugt der stenographische Bericht aus der Versammlung, (vermuthlich Seitens der Opposition),Widerspruch und Unruhe'. Es scheinen damit die Herren der principiellen Opposition behaupten zu wollen, dass die Zustände bezüglich der Reinlichkeit und Ordnung nicht eben schlimm, dass also das Bedürfniss nach Badegelegenheiten für die Kinder in Berlin so gross nicht sei.

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Dieser Widerspruch reizt mich, der ich Berlin ganz gut kenne, dazu, gerade in Beziehung auf Berlin die Behauptung in etwas drastischer Weise dahin zu wagen, dass an den bei Weitem grössten Theil der Berliner Jugend, namentlich des weiblichen Theiles, abgesehen von Gesicht und Händen, während ihrer Schulzeit kein Tropfen Wasser kommt!

„Jener Widerspruch Berliner Stadtverordneter veranlasste mich vor einigen Tagen doch einmal, einen Blick in die sogenannten höheren Stände zu werfen. Schon seit längerer Zeit trug ich mich mit dem Gedanken, dies Volksschulbaden auch in unserer Mittelschule einzuführen, welche also von der Jugend des eigentlichen guten Bürgerstandes besucht wird. Ich richtete also an den vortrefflichen Director unseres gesammten Volksschulwesens am 9. September die folgende Anfrage:

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Es ist mehrfach in Frage gekommen, ob dieselben Badeeinrichtungen, wie wir sie in unseren Volksschulen eingeführt haben, nicht auch in der gehobenen Schule Mittelschule sich empfehlen würde. Wenn dort auch Seitens der Jugend verhältnissmässig mehr gebadet wird, als in den Volksschulen früher, so dürfte doch auch in Beziehung auf die Mittelschule anzunehmen sein, dass ein grosser Bruchtheil der Schuljugend, namentlich der weibliche Theil, insbesondere Winters entweder gar nicht oder doch viel zu selten badet. Selbstverständlich würden die Bäder dort nicht ganz unentgeltlich abzugeben sein, sondern nur gegen ein Badegeld von etwa 10 Pf. Ich würde es gern sehen, wenn ich vor meiner Abreise nach Breslau am Sonnabend Nachmittag darüber Ihre und die Ansicht der Lehrerconferenz hören könnte; und bitte ich um deren Mittheilung hierunter."" „Ich erhielt darauf eben vor meiner Abreise die folgende überraschende Antwort:

Nach Eingang obiger Zuschrift habe ich durch das Lehrercollegium der gehobenen Volksschule verschiedene Ermittelungen anstellen lassen, welche ich hier in Kürze zusammenfasse:

1. Von den 860 Kindern der gehobenen Volksschule haben im vergangenen Winter in Franz's Badeanstalt im Ganzen 10 gebadet, d. i. 1 Proc.

2. In Kübeln oder Wannen werden in der Familie gebadet insgesammt 145 Kinder 17 Proc. Dies sind vorzugsweise die kleineren Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren. Vom zehnten Lebensjahre an hört die Gesammtreinigung des Körpers im Winter fast ganz auf. 3. 493 Kinder bestellen mir von ihren Eltern, dass sie am Schulbaden theilnehmen sollten, wenn die gehobene Volksschule Douchenbäder bekäme.

Bei einem Badegelde von 5 Pf. würden diese circa 500 Kinder im Jahre 350 M. aufbringen, eine Summe, welche völlig zur Be

soldung des Wärters und zur Verzinsung und Amortisation des Anlagecapitals, sowie zu den nöthigen Reparaturen ausreichen würde. Ich empfehle deshalb 5 Pf., nicht 10 Pf. zu nehmen.

4. Obgleich das Baden auch an dieser Schule nur innerhalb der Unterrichtszeit mit Erfolg betrieben werden kann, so ist das Lehrercollegium einstimmig für die Einrichtung.

5. Wir haben hier einen ganz vortrefflichen Raum, der sich zu jedem der beiden Systeme eignen würde, und in dem Wärter und dessen Frau recht geeignete Aufseher.

"Nach diesen Ausführungen darf ich hoffen, dass Sie, hochverehrter Herr Oberbürgermeister, Ihren gewichtigen Einfluss geltend machen werden, damit die neue Schule baldigst an dem Segen Ihrer Schöpfung theilnehmen kann.""

Meine Herren, ganz ähnlich, nur noch viel bedenklicher wie in unserer kleinen Universitätsstadt sieht es in den grossen Städten aus.

„Meine Herren, ich will damit meine Mittheilungen über die neuen Bäder in den Schulen der Stadt Göttingen schliessen.

„Eingehendere Nachrichten werden Sie in der von unserem verehrlichen Vorstande gütigst besorgten kleinen Druckschrift finden, welche sogleich vertheilt werden wird. Zu ferneren Mittheilungen auf Anfragen auch später bin ich jederzeit gern bereit.

„Ich habe nur noch die Ueberzeugung auszusprechen, dass dem Bedürfnisse des Badens der Schuljugend durch Einrichtung von allgemeinen Volksbädern in keinem Maasse Rechnung getragen werden kann. Solche Bäder sind für Erwachsene, schliessen aber den Besuch von Kindern in grösserem Umfange aus naheliegenden Gründen geradezu aus.

„Darum gebe ich anheim, nehmen Sie sich durch ihre höchst wirkungsvolle Zustimmung einer hygienischen Maassregel an, von welcher Alle, welche dieselbe gesehen, und darunter sind grosse Autoritäten auch aus Ihren Kreisen, fest überzeugt sind, dass sie eine grosse Zukunft für das leibliche und geistige Wohl unseres deutschen Volkes haben werde."

Es lauten die von den beiden Herren Referenten aufgestellten

Thesen.

1. Eine Hauptaufgabe der praktischen Hygiene hat die Popularisirung der körperlichen Reinigung zu bilden.

2. Zu diesem Zweck muss die systematische Vermehrung der Badegelegenheiten Hand in Hand gehen mit durchgreifender Anregung zur Ausnutzung derselben.

3. Die aussichtsvollste Form der Lösung ist in der Gründung gemeinnütziger Erwerbsgesellschaften unter communaler Aufsicht und Begünstigung gegeben.

4. Badeeinrichtungen in den Volksschulen, wie sie in Göttingen seit Jahresfrist in Wirksamkeit sind, verdienen die weiteste Verbreitung.

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