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Preussen,

No. 3976. Hannover und Hessen - Nassau ist in Uebereinstimmung mit den Wünschen 12. Febr. der Provinzial - Vertretungen neu geregelt worden. ག Durch die Gesetze

1870.

über die Rheinschifffahrt und über die Schonzeit des Wildes, sowie durch eine Reihe anderer Gesetze wird allseitig erkannten Bedürfnissen abgeholfen. Dagegen sind die wichtigen Vorlagen, durch welche umfassende Reformen auf dem Gebiete der inneren Verwaltung, der Rechtspflege und des Unterrichtswesens angebahnt werden sollen, nicht zum Abschlusse, zum Theil noch nicht zur Erledigung in einem der beiden Häuser gelangt. Die Regierung Seiner Majestät hatte bei der frühzeitigen Vorlegung der betreffenden Entwürfe auf einen günstigeren Verlauf der Berathungen um so mehr rechnen zu dürfen geglaubt, als sie ihrerseits bestrebt gewesen war, in den vorgelegten Entwürfen die Grundlagen für einen befriedigenden Ausgleich der verschiedenen Interessen und Auffassungen darzubieten. Die bisherige Berathung der Kreisordnung hat in wesentlichen Theilen des vorgelegten Entwurfes Abweichungen der Ansichten des Hauses der Abgeordneten von denen der Königlichen Regierung constatirt. Demungeachtet giebt die Königliche Regierung die Hoffnung nicht auf, dass auf den Grundlagen des 'Entwurfs eine allseitige Verständigung erreichbar sei, und dass die weitere Berathung in beiden Häusern wenn nicht zu einer endgültigen Vereinbarung, doch zu einer erwünschten Klärung der Auffassungen führen und hierdurch die künftige Lösung der Aufgabe erleichtert werde. Die Königliche Regierung ist ferner von der Ansicht durchdrungen, dass die beabsichtigte Reform des Hypothekenwesens einem dringenden Bedürfnisse, besonders des Grundbesitzes, entspricht. In dieser Ueberzeugung hatte die Königliche Regierung im Hinblick auf die bevorstehende Session des Reichstages des Norddeutschen Bundes eine einstweilige Vertagung des Landtages und die Wiederaufnahme der begonnenen wichtigen Arbeiten nach einigen Monaten für angemessen erachtet. Sie wurde hierbei einerseits durch die gebotene Rücksicht auf die grössere nationale Gemeinschaft, zugleich aber von der Hoffnung geleitet, dass die Zeit der Vertagung der Vorbereitung einer weiteren Verständigung über die wichtigen Reformgesetze förderlich sein werde. Nachdem der Antrag auf Vertagung von dem einen der beiden Häuser abgelehnt worden ist, liegt es in der Absicht der Regierung Seiner Majestät, durch eine ausserordentliche Session dem Landtage zur Sicherstellung wenigstens eines Theils der Ergebnisse der bisherigen Berathungen Gelegenheit zu geben. Die gegenwärtige Session der beiden Häuser des Landtages erkläre ich im Allerhöchsten Auftrage Seiner Majestät des Königs hiermit für geschlossen.

SACHSEN.

No. 3977.

-

Aus der Sitzung der Ersten Kammer vom 7. Januar 1870. Bericht der ersten Deputation und Debatte über die Anträge des Prof. Dr. Heinze, Abg. Petri und Grafen v. Hohenthal, betr. den Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund.

[Aus dem officiellen Dresdner Journal".]

Die Anträge lauten:

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1) des Prof. Dr. Heinze: ,die erste Kammer wolle im Verein mit der Zweiten Kammer bei der hohen Staatsregierung darauf antragen, die Staatsregierung möge im Norddeutschen Bundesrathe dahin wirken, dass der gegenwärtig vorliegende amtliche Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund dem Reichstage zur endgiltigen Beschlussfassung nicht vorgelegt werde, bevor den Deutschen Fachmännern die zur gewissenhaften Prüfung und Beurtheilung dieses Entwurfs unentbehrliche Zeitfrist gegeben worden ist."

2) des Abg. Petri: „im Vereine mit der Ersten Kammer, oder nach Befinden auf Grund § 131 der Verfassungsurkunde allein, bei der Regierung zu beantragen, es möge dieselbe beim Bundesrathe, resp. bei den Berathungen im Reichstage sowohl, wie auch durch das in die Commission für Prüfung des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund durch den Bundeskanzler einberufene Mitglied des Königreichs Sachsen mit allen Kräften dahin zu wirken suchen, dass

a) die in §§ 67, 80 Abs. 1 und 185 des gedachten Entwurfs noch bei-
behaltene Todesstrafe in dem Gesetze selbst keine Aufnahme finde und
b) in § 26 desselben Entwurfs die Worte: „, sowie den Verlust des
Adels" beseitigt werden."

3) des Grafen v. Hohenthal: „Die Erste Kammer wolle im Vereine mit der Zweiten Kammer bei der hohen Staatsregierung beantragen, es möge dieselbe im Bundesrathe dahin wirken, dass diejenigen Bestimmungen, welche sich in dem Entwurfe eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund auf das gemeine Polizeistrafrecht beziehen und somit nach Massgabe des Art. 4 der Bundesverfassung der Bundesgesetzgebung nicht unterliegen, im Gesetze selbst keine Aufnahme finden."

Der Bericht sagt im Wesentlichen: Eine durch die Bundesgesetzgebung herbeizuführende Gleichheit der Strafbestimmungen kann man nicht als ein so dringendes Bedürfniss ansehen, dass man die Beschleunigung des Erlasses eines allgemeinen Strafgesetzbuchs auf Kosten der Gründlichkeit der gesetzgeberischen Arbeit und somit auf Unkosten der Gerechtigkeit für gerechtfertigt erachten möchte. Auch hält die Deputation dafür, dass es bei Schaffung eines neuen Strafgesetzbuchs nicht sowohl auf die grössere oder geringere Leichtigkeit der Herstellungsarbeit oder darauf ankommen kann, ob dasselbe durch Anschluss an bisher Gewohntes sich leichter in die Praxis einführen werde, sondern darauf, aus dem Vorhandenen das Gute aufzu

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Sachsen,

7. Januar 1870.

No. 3977. nehmen, ohne Rücksicht darauf, wo es sich findet, und Gutes da zu schaffen, WO das Vorhandene den Ansprüchen der Wissenschaft und den Bedürfnissen der Praxis keine Genüge leistet. Bereits haben eine Mehrzahl Sachkundiger ihre Ansichten über den Werth des Werkes veröffentlicht. Obwohl von ihnen insgesammt die Zweckmässigkeit mancher Bestimmung anerkannt wird, herrscht doch darin unter ihnen Uebereinstimmung, dass der Entwurf dem gegenwärtigen Stande der Strafrechtswissenschaft und dem praktischen Bedürfnisse keineswegs Genüge leistet. Will man sich auch der Hoffnung hingeben, dass dies durch die vom Bundespräsidium berufene Commission in vielen Punkten geschehen sei, so würde es doch sehr gewagt sein, anzunehmen, dass nunmehr das erreichbar Vollkommenste schon wirklich erreicht sei. Von einer Kritik durch den Reichstag, dessen Zusammensetzung erklärlicherweise eine wissenschaftliche Prüfung nicht beanspruchen lässt, ist irgend ein erspriessliches Resultat nicht zu erwarten. Die unterzeichnete Deputation glaubt von der Aufstellung specieller Bedenken nach gegenwärtiger Sachlage absehen zu sollen und beschränkt sich daher auf Besprechung derjenigen Punkte, welche in den Anträgen des Abg. Petri und des Grafen v. Hohenthal hervorgehoben worden sind. Der Bericht erinnert zu dem Petri'schen Antrage sub a daran, dass das Urtheil über die Angemessenheit einer Strafe wesentlich mit der Bildungsstufe des Volkes zusammenhängt, und sagt weiter: Ein allmählicher Uebergang von der Todesstrafe zu den Freiheitsstrafen ist im gewissen Sinne unmöglich und die Substituirung der letztern an Stelle der erstern wird also immerhin als ein Sprung erscheinen. Die Sächsische Gesetzgebung hat diesen Sprung gewagt, und zwar, so weit sich dies bis jetzt übersehen lässt, mit glücklichem Erfolge, so dass also von dem Sächsischen Volke wenigstens behauptet werden kann, dass die Stufe der Bildung, auf welcher es im Allgemeinen steht, die Abschaffung der Todesstrafe zu tragen vermocht hat, und dass die Rückkehr derselben als ein Rückschritt schmerzlich empfunden werden würde. Man kann sich kein Urtheil darüber erlauben, ob die Stufe der Gesittung bei allen übrigen Stämmen des Norddeutschen Bundes die nämliche sei, hat aber auch keinen Grund, dies zu bezweifeln. Sollte man sich aber auch hierin getäuscht haben, so würde daraus doch nicht folgen, dass die Gesetzgebung Sachsen zu einem offenbaren Rückschritte zu nöthigen gezwungen sei. So viel den zweiten Theil des Petri'schen Antrags betrifft, so wird die Bestimmung, dass durch Zuchthausstrafe der Adel verloren gehe, als ungerecht, überflüssig, ungleich wirkend, und in Widerspruch mit der der Gestattung von Vorrechten abgeneigten Richtung der Zeit genannt. Dass die Einführung einer solchen Folge der Zuchthausstrafe in Sachsen, wo sie bisher unbekannt war, als ein Rückschritt beklagt werden würde, bedürfe keines Beweises. Zu dem Antrage des Grafen v. Hohenthal bemerkt der Bericht: Die Aufgaben der Rechtspflege und der Polizei sind von einander verschieden. Dass die Scheidung zwischen eigentlich strafrechtlichen und polizeilich strafbaren Handlungen durchführbar sei, erkennt, ungeachtet des dagegen in den Motiven zu dem Entwurfe für das Norddeutsche Strafgesetzbuch ausgesprochenen Zweifels, der

Sachsen,

1870.

Entwurf selbst dadurch an, dass er den Uebertretungen einen besonderen No. 3977. Abschnitt, den dritten Theil, widmet. Das Bedürfniss der Gleichheit der 7. Januar Polizeistrafgesetze im Bereiche des Norddeutschen Bundes ist überhaupt unzweifelhaft ein weit geringeres, als das der Gleichheit der eigentlichen Strafgesetze; im Gegentheile sind die Verhältnisse in den einzelnen Territorien des Norddeutschen Bundes so verschiedenartige, dass eine Gleichheit der Polizeistrafgesetzgebung im ganzen Bundesgebiete kaum durchführbar, mindestens nicht zweckmässig sein dürfte. Polizeiliche Gebote oder Verbote beruhen häufig nur auf localen oder momentanen Bedürfnissen, und können daher auch nicht füglich zum Gegenstande allgemeiner Bundesgesetzgebung gemacht werden, ohne entweder zu übertriebener Casuistik zu führen, oder allzu allgemeine Bestimmungen zu erfordern. Schon aus diesen allgemeinen Gründen kann man die Erlassung von Vorschriften über polizeiliche Uebertretungen und Strafen in der gemeinschaftlichen Gesetzgebung des Bundes nicht für zweckmässig halten und bedarf es daher weder der Ausführung der Gründe, welche für die restrictive Auslegung des Wortes Strafrecht im vierten Artikel der Bundesverfassung, wonach das Polizeistrafrecht nicht unter die Bestimmungen des Artikels 4 der Bundesverfassung zu subsumiren sein würde, noch einer Widerlegung dieser Gründe, welche gegen diese restrictive Auslegung sich geltend machen lassen, beziehentlich gebraucht worden sind. Die Deputation beantragt schliesslich:

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Es wolle die Kammer beziehentlich im Vereine mit der Zweiten
Kammer in Berücksichtigung der Anträge des Prof. Dr. Heinze, des Abg.
Petri und des Grafen v. Hohenthal an die Regierung das Ersuchen richten:
dass dieselbe im Bundesrathe dahin wirken möge,

a) dass der gegenwärtig vorliegende amtliche Entwurf eines Strafgesetz-
buchs für den Norddeutschen Bund einschliesslich der durch die zu
seiner Prüfung einberufene Commission etwa vorgenommenen Abände-
rungen dem Reichstage zur endgiltigen Beschlussfassung nicht vorgelegt
werde, bevor den Deutschen Fachmännern die zur gewissenhaften
Prüfung und Beurtheilung dieses Entwurfs unentbehrliche Zeitfrist
gegeben gewesen ist,

b) dass die Bestimmungen, welche sich in den §§ 67, 80 und 185
des Entwurfs auf die Todesstrafe und in § 26 auf den Verlust des
Adels beziehen, sowie die polizeistrafrechtlichen Bestimmungen, welche
der Entwurf vorzüglich in seinem dritten Theile enthält, in dem
Gesetze selbst keine Aufnahme finden."

Referent: Präsident Dr. Sickel. Gegen den Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund seien verschiedene Exceptionen gemacht worden, deren eine, diejenige des Prof. Dr. Heinze, dilatorischer Art sei und die er daher voraus zu nehmen vorschlage. Zwischen den verschiedenen Zweigen des Rechts, welche Art. 4 der Bundesverfassung der Bundesgesetzgebung vorbehalte, bestehe ein nicht unbedeutender Unterschied. Obligationen-, Handels-, Wechselrecht pflegten sich in ihren Wirkungen häufig auf so verschiedene Punkte zu erstrecken, dass ihre gemeinsame Fest

XVIII. 1870.

9*

Sachsen,

No. 3977. stellung für das Bundesgebiet allerdings wünschenswerth sei. Anders mit Dies müsse allerdings insofern jedenfalls ein gleiches sein,

7. Januar dem Strafrechte.

1870.

als es sich auf Verbrechen gegen die Existenz des Norddeutschen Bundes beziehe, im Uebrigen aber sei das Bedürfniss nach Ausgleichung wegen der localen Natur der Verbrechen nur ein locales. Es sei nicht die Rede davon, aus diesen Gründen gegen ein allgemeines Norddeutsches Strafrecht zu argumentiren, sie sprächen aber gegen übermässige Beschleunigung seiner Herstellung.

Wirkl. Geh. Rath Graf v. Hohenthal: Als er vor mehreren Wochen seinen Antrag begründet habe, habe er sich darauf beschränkt, auszuführen, wie nach seiner Ansicht durch den Wortlaut des Art. 4 nur das eigentliche Strafrecht der Bundesgesetzgebung überwiesen worden, das Polizeistrafrecht hingegen der Autonomie der Einzelstaaten überlassen geblieben sei. Er habe es damals unterlassen, sachliche Bedenken gegen die Aufnahme des Polizeistrafrechts in den Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund geltend zu machen, er habe der noch näher liegenden Aufforderung widerstanden, auf die politischen Erwägungen hinzuweisen, welche für die Verfasser des Entwurfs bestimmend gewesen zu sein schienen, obgleich er dazu vielleicht um so mehr Veranlassung gehabt haben würde, als gerade zwischen diesem politischen Standpunkte der Verfasser des Entwurfs und der Hineinbeziehung des Polizeistrafrechts in denselben ein gewisser Causalzusammenhang unverkennbar zu bestehen scheine. Es habe ihm damals hauptsächlich daran gelegen, die Aufmerksamkeit des Landtags auf die Competenzfrage hinzulenken. Heute sei es anders, und es werde ihm wohl erlaubt sein, auf das politische Moment zurückzukommen. Er habe es selbstverständlich nur mit dem Entwurfe zu thun. Die Revisionscommission habe zwar ihre Arbeiten beendigt, die Ergebnisse derselben seien jedoch nur erst in so mangelhafter und unverbürgter Weise in's Publicum gedrungen, dass er nicht auf dieselben Rücksicht nehmen zu dürfen glaube. Es würde ihm indess zur lebhaftesten Befriedigung gereichen, wenn durch dieselben die nachfolgenden Bemerkungen gegenstandslos gemacht worden sein sollten. Er glaube, die Verfasser des Entwurfs selbst würden es nicht als einen ungerechten Angriff erachten, sondern als zutreffende Behauptung ansehen, wenn er die Tendenz des Entwurfs als eine streng unificirende, ja nivellirende bezeichne. Er bekenne, dass er gleich den ersten Paragraphen nicht ohne einige Ueberraschung gelesen habe. Derselbe laute : ¶ „Eine Handlung, welche die Bundesgesetze mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Einschliessung von mehr als 5 Jahren bedrohen, ist ein Verbrechen. Eine Handlung, welche die Bundesgesetze mit Einschliessung bis zu 5 Jahren, mit Gefängniss oder mit Geldbusse von mehr als 50 Thlr. bedrohen, ist ein Vergehen. Eine Handlung, welche die Bundesgesetze mit Haft oder mit Geldbusse bis zu 50 Thlr. bedrohen, ist eine Uebertretung." ་ Es müsse, da der Bundesgesetzgebung die Androhung von Strafen für Verbrechen und Vergehen vindicirt sei, geschlossen werden, dass den Einzelstaaten nur noch das Recht einer Strafandrohung bis zu 6 Wochen Gefängniss oder 50 Thaler Geld

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