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Dem Zeitalter der Revolution ging über ganz Europa hin eine Zeit von Reformbewegungen voran.

Die großen Fragen, welche den Bestand der europäischen Staaten betrafen, waren im Allgemeinen geschlichtet. Ter lette Krieg, in welchem die vornehmsten Mächte ihre Kräfte gegeneinander maßen, der siebenjährige, hatte keine nennenswerthe Territorial-Veränderung hervorgebracht. Seitdem waren die Versuche innerer Reformen in den Vordergrund getreten, allezeit aber in Bezug auf die allgemeinen politischen Verhältnisse. So erlitt die bisherige Herrschaft der Stände in Schweden unter der Einwirkung Frankreichs, das seinen Einfluß auf den Norden nicht verlieren wollte, im Jahre 1772 einen heftigen Stoß; die Monarchie ge= langte durch einen unternehmenden König zu größerem Ansehen, wiewohl noch lange nicht zur Herrschaft; vielmehr war sie jeden Augenblick in Gefahr, wieder in die ihr einmal auferlegten Beschränkungen gebannt zu werden. Ein Versuch, in dem Beamten= staate von Dänemark eine durchgreifende Veränderung zu Gunsten der Monarchie herbeizuführen, im Widerstreit mit Rußland, mißlang dagegen; die alte Regierungsweise trug zulezt den Sieg da= von. Auch in Polen standen die Tendenzen der Monarchie und Aristokratie miteinander in Gegensah und Kampf; aber die ersten waren schwächer, als irgendwo sonst; die lezten blieben in ihrem altherkömmlichen Uebergewicht, ohne jedoch den allgemeinen Er= fordernissen eines einheitlichen Staatswesens gerecht zu werden und die Wehrkraft des Reiches so weit zu verstärken, daß die mächtigen Nachbarn hätten verhindert werden können, große Provinzen, die bisher polnisch gewesen, ihren Gebieten zu annectiren: ein Ereig= niß, das dann nicht verfehlen konnte, die öffentliche Meinung in v. Rante's Werke. 1. u. 2. G.-A. XLV. Revolutionskriege.

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fortwährender Gährung zu erhalten. Welches war nun aber der Zustand dieser großen Monarchieen selbst? In Rußland war der junge Fürst, der auf durchgreifende Reformen dachte, Peter III., im Beginn seiner Thätigkeit gestürzt worden. Seine dynastischen Bestrebungen hatten die Opposition der nationalen Gesinnung gegen ihn hervorgerufen; diese wurde durch Katharina II. vertreten, deren Bedeutung eben darin liegt, daß sie einzig die nationalen 3nteressen ihres Reiches im Auge hatte und zugleich das alte Rußland, wie es einmal war, soviel möglich erhielt. Ihre Reformbestrebungen verliefen in Demonstrationen ohne allen nachhaltigen Erfolg. Aus der Mannichfaltigkeit der Landschaften, die unter preußischbrandenburgischem Scepter vereinigt waren, hatte sich eine auf die Kriegsverfassung gegründete Monarchie erhoben, vor der die Erinnerung an die alten provinziellen Autonomieen dem Blick ent= schwand, ohne jedoch vertilgt zu sein. Eben eine solche Macht ge= hörte dazu, um das deutsche Reich vor dem Uebergewicht des wieder gewaltig um sich greifenden Desterreich zu sichern. Die deutsche Bewegung, an deren Spiße sich Brandenburg-Preußen stellte, trug ein conservatives Gepräge; sie war mit der Autorität der vornehmsten Fürsten, wie Zeit und Geschichte sie gebildet hatten, verbündet. Wenn dabei doch eine allgemeine, einem unbekannten Neuen zu= strebende Regung in Deutschland die Geister erfüllte, so war sie mehr ideologischer Natur: ihr Gedankenkreis umspannte die Welt; praktisch konnte sie nur einen partiellen Einfluß gewinnen, der nirgends sehr bedeutend war. Auf das Ernstlichste hingegen war es mit den durchgreifenden Reformen gemeint, durch welche Kaiser Joseph II. die monarchische Einheit in den Erblanden seines Hauses durchzuführen unternahm. Es geschah wohl nach dem Beispiel Preußens; aber die Stellung des Kaisers war von Anfang an eine andere. Die Landschaften, die er vereinigen und unter den monarchischen Gedanken beugen wollte, waren alte Königreiche oder ihrer Unabhängigkeit schon durch ihre geographische Lage versicherte Provinzen, und in allen gab es einen widerstrebenden Klerus, der bisher absichtlich gepflegt und großgezogen worden war. In dem Kampfe mit diesen Elementen ist Joseph II., der durch denselben erst wahrhaft mächtig zu werden hoffte, in der That unterlegen; er starb in dem Momente, als sich Alles zur Rebellion und Auflösung anließ. Den josephinischen Bestrebungen war in Beziehung auf die geistliche Verfassung in der gesammten katholischen Welt eine andere Bewegung von großer Tragweite vorangegangen. Von

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dem Reiche, in welchem der Jesuitenorden, der die Einheit der katholischen Christenheit und die in Alles eingreifende Herrschaft der päpstlichen Gewalt repräsentirte, am tiefsten Wurzel geschlagen, ging ein Sturm gegen denselben aus, welchem er fürs erste erlag. Der Sturz der Jesuiten unter Papst Clemens XIV. war das ge= meinschaftliche Werk der bourbonischen Höfe, welche ihren Staaten dadurch eine größere Unabhängigkeit von der römischen Curie zu verschaffen meinten. Damit trafen in diesen Gebieten mancherlei Reformversuche zusammen, die jedoch nicht über sehr bestimmte Schranken hinausgingen. In Spanien waren sehr energische Minister doch zu vorsichtig, um mit der Vergangenheit zu brechen; große und anerkannte Mißbräuche blieben unangetastet. Und wie gewaltig sind nicht die begonnenen Reformen in Portugal reprimirt worden! Unerschüttert erhielt sich überhaupt die Hierarchie der katholischen Kirche, das Werk eines Jahrtausends. Hauptsächlich an dem Selbstgefühle derselben, das sich in dem Zusammenhange mit dem römischen Stuhle und der Ergebenheit gegen ihn manifestirte, scheiterten die Unternehmungen Josephs II. in den österreichischen Niederlanden.

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Allenthalben in dem südlichen und nördlichen Europa wogten dergestalt geistliche und politische Bestrebungen einander entgegen. Der alte Streit der beiden großen Confessionen war nicht erstorben, aber auch nicht mehr maßgebend. Der Protestantismus hatte sich mit den früheren Zuständen ins Gleichgewicht gesetzt. Die religiöse Bewegung fand mehr innerhalb der einzelnen Staaten und Kirchen= systeme statt. Bei weitem stärker und allgemeiner war der Gegen= sag der politischen Tendenzen, besonders der Widerstreit zwischen Monarchie und Aristokratie: in der letteren war die Macht des Bestehenden vertreten; die erstere neigte sich den Reformen zu, durch die sie neue Kräfte zu gewinnen hoffte. Zugleich verbreiteten sich demokratische Gesinnungen nach amerikanischem Vorbilde. Unstreitig das größte Ereigniß dieser Epoche ist die Secession der amerikanischen Colonien von ihrem Mutterlande. Daß in den germanischen Völkern, wenngleich jenseit des Oceans, eine lebensfähige, mächtige Republik entstand, konnte nicht ohne eine gewaltige Rückwirkung auf die Regungen der Geister bleiben, welche Europa fermentirten. In welche mannichfache, unabsehbare Bewegung gerieth da die öffentliche Meinung! Die europäische Welt war für neue Ideen empfänglich; es bildet gleichsam ihre innere Lebensfähigkeit, daß sie dazu den Raum gewährt. Bei allen Abweichungen im Einzelnen

war sie gleichartiger entwickelt, als jemals früher, und von einem großen Gemeingefühle durchdrungen: was an dem einen Punkte geschah, em= pfand man an allen anderen. Nochmals war dem französischen Geiste hiebei eine große Rolle zugefallen. In Frankreich hatte sich eine antiflerikale Doctrin entwickelt, die man die philosophische nannte, von starker und einheitlicher Intention und allumfassender Ausbildung bis ins Einzelste hinein, die in ganz Europa wiederhallte. An dem amerikanischen Kampfe nahmen die Franzosen einen eingreifenderen Antheil, als eine andere Nation des diesseitigen Continents; sie übertrugen die allgemeinen Ideen, die dort zur Geltung kamen, nach Europa. Noch hatten die Reformbestrebungen in den europäischen Ländern nirgends einen namhaften Erfolg davon= getragen. Ueberall hatten sich ihnen die bestehenden Einrichtungen mit überlegener Consistenz entgegengesett; denn diese beruhten nun einmal auf dem althistorischen Bildungsgange der Welt. Da geschah es nun, daß die Reformen, die man in Frankreich versuchte, zu einem Umsturze umschlugen, welcher die bisherige Regierungsweise von Grund aus vernichtete. Die Reformen wurden zur Revolution. Es leuchtet ein, welche Wirkung der natürliche Einfluß des Volkes, das bisher für die herrschende Meinung fast den Ton angegeben hatte, nothwendig hervorbringen mußte. Alle Oppositionen in den einzelnen Ländern wurden wachgerufen. Dieser Einwirkung auf die inneren ging aber auch noch eine andere auf die äußeren Angelegenheiten zur Seite, in gewissem Sinne sogar voran. Das bisherige System der Staaten wurde durch die Veränderung in Frankreich, welche die Staatsgewalt selbst betraf und derselben neue Impulse nach außen gab, erschüttert; die Verträge, auf denen das europäische System beruhte, wurden zweifelhaft. Die Feindseligteiten der Staaten befamen durch den Gegensaß der politischen Meinung Nahrung, Richtung und einen neuen Charakter. Die revolutionäre Action hat sich nicht etwa nur in dem Reiche der Ideen vollzogen; dies ist fast noch mehr durch Waffen und Krieg geschehen. In dem Kampfe selbst hat dann die revolutionäre Idee ihre bestimmte Gestalt angenommen. Der Ursprung und die ersten Stadien dieses Confliktes bilden den Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Es ist das Ereigniß, welches die Geschichte der folgenden Epochen beherrscht. Um es zu verstehen, dürfte man nicht von der Revolution in Frankreich allein ausgehen, noch auch von dem Verhältniß der europäischen Mächte allein; denn beide Momente wirken unaufhörlich aufeinander: die Veränderungen des

europäischen Staatensystems und die Entwickelung der Revolution, obwohl sie sich beide für sich selbst fortbewegen. Um nicht Alles in einander zu verwirren, will ich zuerst die Zustände des europäischen Staatensystems erörtern bis zu dem Augenblicke, wo die Rücksicht auf Frankreich die allgemeine Aufmerksamkeit erregt und das politische Interesse der Mächte gewinnt. Ich bitte den Leser, mir zunächst in das sehr complicirte Getriebe der Politik der Zeit zu folgen.

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