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auch dennoch gegen den König, inwiefern er die Usurpatoren anerkenne. Gewiß liegt viel Wahres in den Bemerkungen Mercy's; aber sie liefen dem bisher eingehaltenen, von ihm selbst empfohlenen System, auf welches die Königin alle ihre Hoffnungen gegründet, geradezu entgegen. Wenn sie sich überzeugen mußte, daß der Kaiser bei seinen ursprünglichen Intentionen nicht beharre, und daß sich für den Congreß nichts von ihm erwarten lasse, so wurde sie darum doch nicht anderen Sinnes: sie blieb dabei, daß in einem Congreß und zwar einem bewaffneten ihre Rettung liege. Denn dieses würde dem Könige das einzige Mittel darbieten, mit den Mächten sich zu verständigen und in Gemeinschaft mit ihnen zu handeln. Der Beschluß wurde gefaßt, daß sich der König selbst und unmittelbar an die verschiedenen Mächte wenden solle, um sie zu einem Congreß aufzufordern.

Ein Gedanke, der insofern im Gegensah mit der Auffassung des Fürsten Kauniß steht, als dieser die Nothwendigkeit eines Einschreitens als zukünftig bezeichnete; die Königin betrachtete sie be= reits als vorhanden. Kauniß hatte nur ein vorzubereitendes Einverständniß in Aussicht gestellt; die Königin forderte eine unverzügliche Vereinigung der europäischen Mächte zu ihren Gunsten. Ein sehr auffallender Schritt war es doch, daß der französische Hof, der sich bisher immer an die Allianz mit Desterreich gehalten, seine alte Antipathie gegen Preußen so weit überwand, daß auch diese Macht durch ein Anschreiben Ludwigs XVI. aufgefordert wurde, ihn zu unterstüßen.

In seinem Briefe knüpft derselbe daran an, daß er, durch den Marquis Dumoustier, einen Mann, der sehr in seinem Vertrauen und vor kurzem zum auswärtigen Minister bestimmt gewesen war, von dem Interesse Friedrich Wilhelms für die französischen An= gelegenheiten und für ihn selber unterrichtet, dieses jezt in An= spruch nehme. Troß seiner Annahme der neuen Constitution gehe eine Faction offen damit um, alles, was von der Monarchie in Frankreich noch übrig sei, völlig zu zerstören. Als das geeignetste Mittel, einen besseren Zustand herbeizuführen und andere Staaten vor dem Eindringen gleichartiger Gesinnungen zu bewahren, erscheine es, einen Congreß der vornehmsten Mächte von Europa zu versammeln, der sich auf eine bewaffnete Macht stüßen müsse. Unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses theilt er mit, daß er so eben auch an den Kaiser, die Kaiserin von Rußland und an die Könige von Spanien und von Schweden geschrieben habe. Als

den einzigen Mann, der darum wisse, bezeichnete er den Baron Breteuil, damals in Brüffel, durch welchen auch dieser Brief, von einem Schreiben Breteuils, welches nichts weiter enthielt, be= gleitet, an den König gelangte 1).

Die Idee des Congresses war Friedrich Wilhelm II. nicht neu. Daß sie aber von Ludwig XVI. in einem Briefe an ihn angeregt wurde, gab ihr jezt ein verdoppeltes Gewicht und forderte eine eigene Entschließung. Der König wies den Vorschlag keinesweges ganz und gar ab; aber auf den ersten Blick trat ihm auch vor Augen, was der Ausführung desselben entgegenstand. Ohne noch mit seinen Ministern conferirt zu haben, vielmehr in einem eigenhändigen, an einen derselben, den Grafen Schulenburg, gerichteten Schreiben bemerkt er: das Zustandebringen eines Congresses werde Zeit erfordern und schwierig sein; aber wenn die Sache gut eingeleitet würde, sei es möglich, daß sie Erfolg habe. Es wäre zu wünschen, Breteuil hätte sich über Zeit und Ort der Versammlung dieses Congresses näher ausgesprochen. Vornehmlich aber hob er die Schwierigkeit hervor, die aus den besonderen Verhältnissen des preußischen Staates entspringe. Ohne Rücksicht auf dieselben sich in die französischen Vorschläge einzulassen, lag ihm doch fern; seine Worte sind: „Ich werde dabei zu einer neuen Waffenrüstung schreiten müssen, was viel kosten wird, wenn die versammelten Truppen in meinen westfälischen Landen verbleiben; sollten sie aber in fremdes Gebiet vorrücken müssen, so würden sich die Unkosten verdoppeln. Es scheint mir deshalb gerecht, daß man sich über eine Entschädigung für diese Bewaffnung verständige." Unerwartet ist, daß der König, indem er Schulenburg auffordert, mit dem kaiserlichen Gesandten, Fürsten Reuß, in der Sache zu sprechen,

1) Das Schreiben ist vom 3. December 1791, nicht vom 3. December 1790, an welcher Stelle es in den Mémoires d'un homme d'état I. p. 103 erscheint. Mir ist dabei auffallend, daß auf dem Umschlage der Akten, welche dieses Schreiben enthalten, wirklich durch Versehen 1790, nicht 1791 geschrieben worden ist. Darin liegt doch, wie mir scheint, eine Andeutung, daß bei jenen Memoiren, so falsch sie im Allgemeinen sind, einige Aktenstücke vorgelegen haben, die ursprünglich aus dem preußischen Archiv stammen. Der Redakteur bemerkte nicht, daß das Schreiben, in jenes Jahr verseßt, den ganzen Zusammenhang der Dinge in Confusion bringt. Und sehr genau ist die Abschrift nicht, die er mittheilt. Wenn er den König sagen läßt: les factieux montrent ouvertement le projet de détruire le reste de la monarchie, so heißt es in dem Original noch dringender: de détruire entièrement le

reste de la monarchie.

ihn doch zugleich anweist, von dem Briefe des Königs von Frankreich zu schweigen. Wollte er bloß dem französischen Ansuchen gemäß das tiefste Geheimniß bewahren, oder liegt noch ein anderes Motiv zu Grunde?

Schulenburg acceptirte die Aeußerungen des Königs, wie er sagt, mit Bewunderung und tiefer Verehrung der Weisheit, die derselbe dabei an den Tag lege, namentlich in Bezug auf die Entschädigung für die sehr erheblichen Kosten, welche der bewaffnete Congreß herbeiführen werde. In diesem Sinne wurde der Brief Ludwigs XVI. gleich am Tage nach seinem Eintreffen beantwortet. Friedrich Wilhelm II. bestätigte das Interesse, das er an der Lage des Königs und der Königin von Frankreich nehme, und den Wunsch, ihnen nüzlich zu sein. In Folge dieser Gesinnung",

sagt er,,,bin ich sehr bereit, auf die Gesichtspunkte Eurer Majestät in Beziehung auf das Zustandekommen eines bewaffneten Congresses einzugehen; und ich werde mich darüber unverzüglich an den Kaiser wenden."

In diesem Augenblicke waren zwei voneinander sehr verschiedene Pläne einer Gegenwirkung gegen die Revolution im Werke. Rußland, Schweden und Spanien drangen auf eine förmliche Contrerevolution, die sie durch die Emigranten bewerkstelligen wollten; man müsse diese unterstüßen, ihnen auch Truppenwerbungen gestatten; von ihrem Eindringen in Frankreich, dem gleich zeitigen Anlangen einer schwedischen Escadre versprach man sich einen raschen und entscheidenden Erfolg. Der österreichische Staatskanzler war aufs eifrigste gegen einen Versuch dieser Art: denn was könne man von ein paar 1000 Emigranten und einigen Schaaren zusammengeraffter Reichsrekruten unter ihrer Führung erwarten? Er zog sogar das Recht einer Intervention in diesem Umfang in Zweifel: denn dasselbe, sagte er, gehe nicht so weit, einer freien und unabhängigen Nation bestimmte Gefeße in Bezug auf ihr Inneres vorzuschreiben; nur darauf dürfe man sein Augenmerk richten, dem Könige von Frankreich Sicherheit und der Monarchie eine haltbare und mit den europäischen Zuständen verträgliche Form zu verschaffen. Einen nicht geringen Eindruck hat es aber doch auf ihn gemacht, daß der französische Hof, ohne sein Vorwissen, sich an die anderen Mächte gewandt hatte. Er wollte es nicht auf Desterreich kommen lassen, daß es zuerst die Sturmglocke gezogen habe und dann selbst zurückgetreten sei. Indem er jezt auf eine rasche Entscheidung der übrigen Mächte drang, erklärte er die Be=

reitwilligkeit Desterreichs, ihnen mit seiner Macht beizutreten: die Aktion müsse nachdrücklich und rasch sein. Er rechnete dabei zu= gleich auf die sehr zahlreiche, selbst in der legislativen Versammlung vertretene Partei in Frankreich, welche eine constitutionelle Regierung ernstlich wünschte und eine Modification der Verfassung in einigen Punkten für nothwendig hielt, erschreckt durch die immer weiter= greifenden Bestrebungen einer destructiven Faction. Kaunit hegte die Hoffnung, daß sie auf seine Vorschläge eingehen werde.

Niemand dürfte glauben, daß der österreichische Staatskanzler insgeheim dennoch den Wunsch gehegt habe, die alte Regierung wiederherzustellen. Er verhehlte nicht, daß das dem Interesse von Desterreich entgegenlaufen werde. In einem Briefe an Merch sagt er: Frankreich wieder so mächtig werden zu lassen, daß es das alte Uebergewicht in Europa ausübe und seine frühere Rivalität gegen Desterreich zu erneuern und zu verstärken in den Stand komme, würde der größte Staatsfehler sein, dessen sich Desterreich jezt oder in Zukunft schuldig machen könne. Und schon bemerkte man auch die Möglichkeit, daß aus dem Fortschritt der Revolution eine Ver= stärkung der französischen Macht hervorgehen könne, die das europäische Staatensystem ebenfalls bedrohen würde. England dürfe es nicht dahin kommen lassen, weil es dann Alles von Frankreich zu besorgen habe. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten, gleichsam zwei verschiedenen Phasen der Welthistorie, hoffte der österreichische Hof durch eine feste und geschickte Politik hindurchzukommen; er wollte ein constitutionelles, d. h. nicht übermächtiges, vielmehr durch die unvermeidlichen Gegensäge der kämpfenden Elemente in fich selbst beschäftigtes Frankreich. Wenn die Hoffnung noch nicht aufgegeben war, daß die inneren Abwandlungen der französischen Bewegung dahin führen werden, so durfte man sich doch auch nicht verbergen, daß aus denselben die Nothwendigkeit, zu den Waffen zu greifen, hervorgehen könne. Nach beiden Seiten hin mußte man vorbereitet sein.

Fünftes Capitel.

Uebergewicht der antiroyalistischen Tendenzen in der legislativen Versammlung. Allianz zwischen Desterreich und Preußzen. Bewegungen im deutschen Reiche.

Wenn man ein Moment der Größe von Frankreich in der Gründung der bourbonischen Dynastieen im südlichen Europa sehen darf, so hat das doch, wenn ich nicht irre, eine nicht vortheilhafte Rückwirkung auf das Innere ausgeübt. Denn die Ausbreitung der Dynastie war nicht zugleich die Größe der Nation. In die auswärtige Politik traten dann noch andere Beziehungen ein, als die eigentlich nationalen; aber auf der Einheit der dynastischen Antriebe mit den nationalen beruht doch die enge Verbindung zwischen Dynastie und Nation. Noch augenscheinlicher ward das Mißverhältniß der beiden Interessen durch die Allianz von Versailles im Jahre 1756. Die Häuser Desterreich und Bourbon bildeten eine große europäische Gemeinschaft, durch welche die Nation ihren alten politischen Impulsen entfremdet wurde. Diese Allianz hatte aber seither die allgemeine Politik bestimmt. Sie war durch die Vermählung der Tochter Maria Theresia's mit Ludwig XVI. neu verkittet und befestigt worden. Nicht als ob die Königin Marie Antoinette alle Zeit das österreichische Interesse dem französischen vorgezogen hätte; aber in ihr gelangte das die beiden Häuser um= fassende Bundesverhältniß zum Ausdruck, welches dem Selbstgefühle der französischen Nation nicht entsprach und in den Frrungen der damaligen Zeit dem Hause Desterreich vornehmlich zu statten fam. Der Mittelpunkt der Politik lag mehr in Wien, als in Versailles.

Die Machtstellung, welche Joseph II. in Europa überhaupt einnahm, beruhte auf seinem Bündniß mit Frankreich, dem er das russische hinzufügte. Aber die einseitige Stärkung und Vergrößerung Desterreichs, welche er beabsichtigte, war nicht im Sinne der

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