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wiegenden Einfluß Rußlands gegenüber zu behaupten suche. Einen eigentlichen Antheil hatte Preußen daran nicht; doch bot es insofern einen gewissen Rückhalt, als die Verbindung des umgestalteten Polens mit der Tripelallianz in Aussicht trat. In Wien kam man auf die Absicht zurück, den Kurfürsten von Sachsen zur Annahme des erblichen Königthums in Polen zu vermögen. Ein Einfluß würde dann dem anderen entgegengetreten sein. Es hätte fich eine Politik des Gleichgewichts erreichen lassen, wäre nur Rußland dafür zu gewinnen gewesen. Wohin aber dessen Absichten sich neigten, hat schon damals Fürst Potemkin unumwunden ausgesprochen1). In dem Falle, daß es zwischen Rußland und Preußen zum Kriege komme, müsse man eine Zeit lang Krieg führen, dann aber sich von Preußen zu einer neuen Theilung Polens scheinbar zwingen lassen. Die drei Mächte gingen, wie man sieht, weit auseinander. Rußland wollte sein Uebergewicht unter allen Be= dingungen aufrechterhalten oder vielmehr wiederherstellen; Dester= reich dachte auf die Errichtung eines erträglich haltbaren, wenn= gleich nicht mächtigen Polens; dafür war in diesem Augenblicke auch Preußen; es meinte Polen mit der Tripelallianz zu verbinden, immer noch unter dem Vorbehalte, das von ihm vorlängst in An= spruch genommene Danzig zu gewinnen. Sachsen und selbst Desterreich würden sich der Tripelallianz angeschlossen haben. In diesen Tendenzen, die freilich nicht alle Zeit offen zu Tage kamen, be= wegten sich die politischen Verhandlungen. Die alte Allianz zwischen Rußland und Desterreich war zwar keineswegs aufgelöst, aber doch durch die geheimen Verhandlungen mit Preußen gelockert, Polen sowie die Türkei in einer feindseligen Haltung gegen Rußland, die Tripelallianz im Vortheil und im Begriff, auch Rußland, das alsdann isolirt geblieben wäre, zur Annahme der von ihr aufge= stellten Bedingung zu zwingen. Der König von Preußen rüstete sich zu einem Einfall in Liefland, dem ein großer Angriff der Ds= manen an der Donau entsprochen haben würde; England sollte den ersten durch das Erscheinen seiner Seemacht in der Ostsee, den anderen durch ein in das schwarze Meer einlaufendes Geschwader unterstüßen. Es war das definitive Ergebniß der englisch-preußischen

1) Daß dies gleich unter dem ersten Eindrucke der aus Polen einlaufenden Nachrichten ins Auge gefaßt wurde, bezeugt ein Brief Cobenzls vom 9. Mai, von welchem Kalinka einen Auszug mitgetheilt hat. Vergl. v. Sybels Historische Zeitschrift XXX, 282.

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Allianz, die den Often und Norden denn auch Schweden rüstete sich zur Theilnahme- beherrscht haben würde. Die vornehmste Frage blieb immer die oben angedeutete, wie fich Desterreich zu dem Unternehmen gegen Rußland stellen, ob es demselben ruhig zusehen oder für Rußland Partei nehmen würde. Jene geheime An= näherung Preußens hatte noch keinen sichtbaren Einfluß ausgeübt; wenn Desterreich dabei blieb, sich unter diesen Umständen für Rußland zu erklären, so schien es von Preußen angegriffen werden zu können. Denn an dem preußischen Hofe waren bedeutende Stimmen dafür, daß man diesen Staat, der alle Vorausseßungen täuschte, die bei dem Vertrage von Reichenbach gemacht worden seien, ohne Schonung und Rücksicht bekämpfen müsse: noch sei Desterreich keineswegs erstarkt, Ungarn voll von Gährung, Belgien bereit, seine Empörung zu erneuern; noch könne man Desterreich mit der besten Aussicht auf Erfolg entgegentreten. So rieth vor Allen Herzberg, der das Militär für sich hatte, das ungern gegen Rußland, aber freudig gegen Desterreich ins Feld gerückt wäre. Aber in diesem Augenblicke trat eine Veränderung der englischen Politik ein, welche dieser ganzen Bewegung Einhalt gebot. Noch in den letzten Ver handlungen hatte England dem Könige von Preußen seine Hülfe mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt. Es hatte seine Mitwirkung zu der in Polen beabsichtigten Vergrößerung des preußischen Gebietes, der Erwerbung von Danzig, hoffen lassen, womit dann die Behauptung der polnischen Unabhängigkeit von Rußland in Verbindung stand. Nun aber geschah, daß England, wie es Ernst damit werden sollte, doch seine Mitwirkung versagte. Es war nicht die Schuld der englischen Minister, welche vielmehr an den gegebenen Zusagen festhielten; aber das Parlament und selbst die Nation waren dagegen. Denn das unterschied die englische Verfassung von dem Zustande der übrigen europäischen Mächte, daß eine spon= tane Bewegung der Nation von Zeit zu Zeit in die großen Angelegenheiten eingriff und zwar nicht selten nach entgegengeseßten Seiten hin. Die öffentliche Stimme hatte einst die Erhaltung der pragmatischen Sanction in Desterreich und darauf die Verbindung mit Preußen in einem derselben entgegenlaufenden Sinne gefordert; fie hatte in parlamentarischer Form den Krieg gegen die nordamerikanischen Colonien hervorgerufen und dann doch den König genöthigt, demselben ein Ende zu machen. Der Wechsel der Ministerien entspricht dieser inneren nationalen Bewegung, die für ihr eigenes Interesse einen sicheren Takt zu bewahren pflegt. Diese

war jest durch mannichfaltige Motive, besonders commercieller Art, gegen alle Theilnahme an einem Kriege gegen Rußland gestimmt.

In welche Lage gerieth aber hierdurch der König von Preußen! Er war eben im Begriff gewesen, die zu der beabsichtigten Unternehmung entworfene Convention zu unterzeichnen denn eigent lich von England war der Antrieb dazu ausgegangen —, als die Nachricht eintraf, daß Alles aufgegeben sei. Statt Preußen und die Türkei gegen Rußland zu unterstüßen, suchte England seinen Frieden mit Rußland zu treffen. Es gab in Bezug auf diesen Staat den status quo stricte auf. Hier zuerst gewann das Gefühl, daß die Festsetzung der alten Grenzen zwischen Rußland und der Türkei doch nicht durch einen allgemeinen Krieg, der Alles gefährden tönne, bewirkt werden dürfe, politische Bedeutung.

Die große orientalische Frage wurde damit keineswegs ge= schlichtet; sie gerieth in eine neue Phase voll von allgemeiner Ver= legenheit. Rußland war mit der Pforte in Krieg, Preußen mit den Demanen alliirt, Desterreich zwischen diesen beiden Mächten im Gedränge, keineswegs losgerissen von Rußland, aber doch in Verhandlungen über ein engeres Verständniß mit Preußen begriffen, England nicht gemeint, seine Allianz mit Preußen fallen zu lassen, aber noch weniger, die Unternehmung des Königs gegen Rußland zu unterstützen. Indem wir aller europäischen Mächte gedenken, bleibt nur eine unerwähnt: die einst vorwaltende Macht von Frankreich; diese war in einer inneren Bewegung begriffen, welche ihre äußere Action fürs erste lähmte und vielmehr eben in dieser Zeit die Gegenwirkung der europäischen Mächte auf sich zog.

Zweites Capitel.

Ansicht der französischen Revolution.

Wenn in den, auf eine gleichförmige Verfassung begründeten continentalen Staaten das monarchische Princip das Uebergewicht behauptete, so beruhte das besonders auf dem Vorbilde Frankreichs, wo es einem mächtigen Könige gelungen war, indem er sich nach außen geltend machte, zugleich in dem Inneren die Elemente des Gemeinwesens seinem Willen unterworfen zu halten. Unter Ludwig XIV. war der romanische Staat erst zu einer wirklichen Darstellung in seiner monarchischen Form gelangt. Geistlichkeit, hoher und niederer Adel, provinzielle städtische Institutionen bestanden noch; aber sie beugten sich dem fürstlichen Gebot, das über ihnen war. Der Höhepunkt der Monarchie Ludwigs XIV. fällt in die Zeiten von dem nimwegenschen Frieden bis zu dem Kriege von 1688. Allein zu einer festen und haltbaren Realisation ist die Idee der= selben doch in der That nicht gekommen. Namentlich war die Verbindung der geistlichen und weltlichen Autorität, welche die Grundlage von Allem bilden sollte, nicht durchzuführen. Indem Ludwig XIV. die gehässigsten Gewaltsamkeiten über die Reformirten ver hängte, um sie zur Unterwerfung unter den Katholicismus zu nöthigen, wurde ihm doch auch wieder von Seiten des Papstthums ein Widerstand entgegengeseßt, der die Einheit der Autorität unterbrach. Und in den großen europäischen Kämpfen, in die sich dieser Fürst eingelassen, war er weit entfernt, zu seinem Ziele zu gelangen; viel zu stark war ihm das endlich gegen ihn verbündete Europa. Glüc genug, daß er die eingenommenen Grenzlande behauptete. Doch geschah das nur unter langen, gefährlichen Kämpfen, die eine Er schöpfung der finanziellen Hülfsmittel und eine administrative Verwirrung zurückließen, welche im alten Frankreich eigentlich nie hat gehoben werden können. Man darf wohl aussprechen, daß sie fort

wirkend die revolutionäre Bewegung hervorgebracht haben. Denn in Folge des mißlungenen Vorhabens, dessen Idee alle Geister be= herrscht hatte, änderten sich die vorwaltenden Doctrinen und Tendenzen mit dem Willen oder auch wider den Willen der folgenden Regierungen. Die Literatur schlug einen entgegengesetten Ton an: fie rüttelte an allen Grundlagen des bisherigen Staates; vornehm= lich warf sie sich in Widerspruch gegen die kirchliche Verfassung. Was ihr dabei zu statten kam, war das entstehende Mißverständniß zwischen den Staatsgewalten und dem Klerus, welches darauf beruhte, daß der Staat den großen Kampf gegen England, in dem er fortwährend begriffen war, mit der Macht, die ihm ge= jezlich zustand, nicht durchzuführen vermochte. Wohl mochte das Land soviel Macht besigen, um den Nachbarn das Gegengewicht zu halten; allein durch die Verfassung, welche die Unabhängigkeit der höheren Stände sanctionirte, wurde es unmöglich, die Kräfte zu vereinigen und zu einem großen Zwecke zu verwenden. Das Meiste fam hiebei auf die Kirche an. Bisher wie von Anfang an hatte sich die geistliche Corporation als einen Theil der gesammten katholischen Kirche des Abendlandes gefühlt; sie stand mit dem Staat in einer Art von Vertrage. Wenn sie einige Lasten trug, so beruhte das auf ihrer eigenen. Bewilligung, zu deren Behufe sie ihre regelmäßigen Versammlungen hielt. In der Mitte des 18. Jahrhunderts, eben im Jahre 1750, machte nun der Staat den Anspruch, die Geistlichkeit nach dem Maße ihrer Besigthümer zu den allgemeinen Lasten des Landes herbeizuziehen. Nur ein Recht der Distribution der von der Staatsgewalt geforderten Auflagen schrieb ihr diese zu; von einer freien Bewilligung wollte sie nichts mehr hören. Nicht allein löste sich hiedurch das alte Einvernehmen zwischen Krone und Priesterschaft auf; in ihrem Zwiste erhoben sich Fragen von um= fassendster Tragweite, dem Genius des Jahrhunderts gemäß. Der Idee der allgemeinen Kirche sezte sich die Idee des Landes und der Nation, als einer großen ideellen und realen Gemeinschaft, vor welcher jedes exceptionelle Recht verschwinde, entgegen. Schon damals hat man dem Könige das Recht bestritten, Mitglieder der Staatsgemeinschaft von den Pflichten, welche dieselbe fordere, freizusprechen. Dagegen wollten die altconstituirten Corporationen ihrem Könige das Recht, sie zu belasten, nicht zugestehen. Als es während des fiebenjährigen Krieges (1761) nothwendig wurde, neue Auflagen, wie man sagte: einen dritten Vingtième, von dem auch Adel und Geistlichkeit betroffen wurden, aufzulegen, widersezte sich das

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