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Elftes Capitel.

Invasion in Frankreich, Septembermorde.

Indem dies geschah, die öffentliche Gewalt in Frankreich factisch in die Hände der Partei gelangte, welche zu zerstören die deutschen Mächte von Anfang an die Absicht und die Hoffnung hegten, überschritt das Heer, das hiezu bestimmt war, die franzöfische Grenze.

Eine Aussicht für den glücklichen Erfolg des Unternehmens zeigte sich darin, daß die in Paris durchgesezte Staatsveränderung doch zunächst nicht den Beifall der Truppen hatte, die im Felde standen. Lafayette war derselben durch seine Gesinnung und den bisherigen Gang der Ereignisse entgegen. Sein erster Gedanke war, die constitutionelle Idee auch unter den veränderten Um= ständen doch noch aufrechtzuerhalten. Da das Heer laut der Verfassung einer bürgerlichen Autorität unterworfen sein mußte, so suchte er an seiner Stelle eine solche für sich zu gewinnen. Der Municipalrath von Sedan, wo er sein Hauptquartier hatte, schloß sich ihm an: denn selbst die Suspension des Königs, nicht hinreichend motivirt wie sie sei, enthalte einen Bruch der Consti= tution, welche das erbliche Königthum vorschreibe. Das Departe= ment der Ardennen, unter das sich Lafayette stellte, trat ihm bei. Er wandte sich dann an die Truppen mit dem Begehren, den Eid, den sie der Constitution, dem Gesetz und dem Könige geleistet, treulich zu halten, d. h. doch, sich zugleich mit ihm gegen die in Paris durchgegangenen Beschlüsse in Opposition zu sehen. Die Commissare, welche die legislative Versammlung gewählt hatte, um den Armeen den nunmehr eingetretenen Zustand zu erklären und sie zur Aufrechterhalturg desselben zu vereinen, wurden als unberechtigt be= trachtet und, als sie in Sedan erschienen, sogar verhaftet, gleichsam als ein Unterpfand, bis die legislative Versammlung wieder frei geworden sei. Die Versammlung selbst nahm keinen Augenblick

Anstand, bei der ersten Kunde von diesen Vorgängen fie als ebenso viele Akte der Rebellion zu bezeichnen; der vornehmste der Gegner Lafayettes, Vergniaud, führte auch jezt das Wort. Neue Commissare wurden abgeschickt, um die Autorität der Versammlung in dem Departement der Ardennen zur Geltung zu bringen. In der Versammlung wurde die ganze Schuld der Ereignisse vom 10. August auf diejenigen geworfen, welche sich der Anklage gegen Lafayette entgegengesetzt hatten. Eine neue Anklage gegen ihn, die einen ganz anderen Ausgang haben mußte, wurde jezt ins Werk gesezt. Lafayette erscheint darin als der vormalige General; wer ihm beitritt, wird mit den äußersten Strafen bedroht. Er trug sich mit der Hoffnung, die Mitglieder der Rechten, seine Freunde, und alle Constitutionellen würden Mittel finden, in das Departe= ment der Ardennen zu kommen und sich um ihn zu gruppiren. Er hatte sich auch an das Departement de l'Aisne gewendet, in welchem ein Theil seiner Truppen stand, und von welchem Manifestationen in jeinem Sinne kurz vorher ausgegangen waren. Aber gleich hier fand er Widerstand. Die Hauptstadt hatte eine bei weitem größere Anziehungskraft für das Departement de l'Aisne, als das, was in den Ardennen geschehen war. Auf die Aufforderungen des Generals antwortete die Administration des Departements mit dem Be= fehl, sich seiner zu bemächtigen, überall, wo man ihn finden werde. Die Hauptsache aber: Lafayette war seiner Truppen nicht sicher. Generall Dillon, der sich ihm ursprünglich angeschlossen hatte, widersette sich ihm jezt und schlug sich auf die Seite des Depar= tements de l'Aisne, in dem er stand. Als Lafayette am 15. August selbst mit seinem Generalstabe auf der Ebene von Sedan erschien, um den Eid für die Constitution erneuern zu lassen, ward er nicht mehr mit der Freudigkeit bewillkommnet, mit der er sonst immer begrüßt worden: wenigstens in einem Theile der Truppen gab sich kund, daß sie bei weitem mehr dem Corps legislatif auch nach der erfolgten Katastrophe ergeben waren, als ihrem General. Er mußte fürchten, daß die Verfügung des De= partements de l'Aisne und die Manifestationen seiner Feinde in Paris das Uebergewicht in seiner Armee erlangen würden. Es erhellt nicht, daß er einen Versuch gemacht habe, auf Paris zu marschiren. Sein Gedanke ging dahin, in dem Grenzgebiete von Frankreich, das er innehatte, einen Mittelpunkt für die Erhaltung der Constitution von 1791 zu bilden. Man könnte fragen, warum er sich nicht an die Verbündeten wandte, deren Sinn eben auch

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noch auf eine Constitution gerichtet war. Aber er hätte bei ihnen schwerlich Eingang gefunden; denn er wurde als einer der vornehmsten principiellen Gegner der alten Regierungsweise und als ein Verbrecher betrachtet. Er hoffte nach Holland und vielleicht nach England zu entkommen; allein bei den ersten österreichischen Vorposten, die er berührte, wurde er verhaftet (19. August). Seine Armee erkannte die in Paris eingetretene Staatsveränderung an und unterwarf sich ihr. In den revolutionären Armeen trat nun nach der Entfernung Lafayettes Dumouriez, der vornehmste Urheber der Kriegserklärung, in den Vordergrund.

Bei dem Ereigniß des 10. August hatte er, damals im Lager von Maulde, einen Augenblick geschwankt, sich aber dann gefügt. Seine frühere Entzweiung mit seinen jakobinischen Collegen war ihm nicht nachtheilig. Er wurde jezt mit dem Oberbefehl zugleich über die ganze Armee Lafayette's ausgestattet. Die ungeheuere Linie von den Grenzen des Elsasses bis Dünkirchen wurde ihm

anvertraut.

Aber nicht auf die bloße Vertheidigung war sein Absehen ge= richtet, es ging nach wie vor auf die Eroberung der österreichischen Niederlande. Auf die Behauptung der Maas-Festungen, durch welche Frankreich gedeckt wurde, legte er weniger Werth1). Er meinte, die Einnahme von Belgien überwiege den Verlust von ein paar festen Plägen, denen kein entscheidendes Gewicht zukomme, Aumal da die Armee bei ihrem Zustande nicht zu einem Vertheidigungskriege geeignet sei. Eben die Maas-Festungen bildeten das Augenmerk der heranrückenden deutschen Armeen. Der Herzog von Braunschweig hielt an dem einmal gefaßten Plane auch unter den veränderten Umständen fest.

Die Feindseligkeiten wurden am 11. August, dem Tage nach der Katastrophe in Paris, von der man jedoch keine Kunde hatte, mit der Einnahme von Sierk begonnen. Ein paar Bataillone Nationalgarden wurden ohne Mühe über den Haufen geworfen. Die Preußen batten keinen Berlust; nur zwei Husaren, die in der Stadt erschienen, fanden den Tod, indem man aus den Fenstern auf sie bok. Go þat Verwunderung erregt, daß Der Herzog die Durch Safayette's Widerstreben gegen die CommisMe der legislativen Versammlung veranlagte Unordnung nicht

er Nemigt habe. Die Antwort ist, daß er zu spät etwas davon

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erfuhr als er von den Unordnungen hörte, waren sie schon be= seitigt. Der nationale Gedanke hatte in der Armee die Herrschaft gewonnen. Ueberall, wo man auf Franzosen stieß, warf man sie nieder; doch machte es Eindruck, daß man auch von den Verwun= deten und Sterbenden die revolutionären Schlagworte: Freiheit, Gleichheit, es lebe die Nation, ausrufen hörte. Dagegen zeigte sich bei der Landbevölkerung kein ausgesprochener Widerstand: die Bauern brachten mit Vergnügen ihre Lebensmittel ins Lager, wo fie mit baarem Gelde bezahlt wurden. Auch bei den Einwohnern der Städte schien die Devise, frei zu leben oder zu sterben, noch nicht in das Herz eingegraben zu sein. Vor und in Longwy be= merkte man Spuren einer royalistischen Gesinnung. Die Verthei= gung dieser Festung, der ersten, auf die man stieß, war schwach: bei dem ersten wirklichen Erfolge des preußischen Bombardements erklärte sich der Commandant Lavergne zur Capitulation bereit. Er hat immer behauptet, er sei von der Municipalität dazu ge= zwungen worden1). Die Stadt wurde hierauf von den Verbündeten,denn auch eine österreichische Truppenabtheilung war zugegen im Namen des Königs von Frankreich besezt. Die Die abziehenden Truppen verpflichteten sich, in diesem Kriege nicht wider die Verbündeten zu dienen. Am 30. August langte die preußische Armee auf den Höhen von Verdun an; die Stadt wurde lebhaft vertheidigt, jedoch, da sie in der Tiefe liegt, ohne daß ihr Geschüß eine besondere Wirkung gehabt hätte. Auf die Aufforderung des Herzogs hatte sich die Municipalität zur Uebergabe bereit erklärt. Der Commandant Beaurepaire setzte sich jedoch mit Heftigkeit da= gegen. Er sagte wohl, wenn die Municipalität ihn zwingen wolle, so werde er von der Citadelle aus die Stadt in Grund und Boden schießen. Dagegen ließ der Herzog die Garnison und die Munici= palität wissen, daß sie auf keine Schonung rechnen könnten, wenn sie die Uebergabe länger verweigerten. Die Feldschmiede wurde herbeigeschafft, um die Kugeln glühend zu machen, mit denen man von einer dominirenden Höhe aus die Stadt zusammenschießen werde. Diese Vorbereitungen zur äußersten Gewalt entschieden die Sache. Es war am 2. September, eben als König Friedrich Wilhelm II. zu Tische gehen wollte, daß ein Mitglied der Municipalität mit einem höheren Offizier erschien, um ihm die Unterwerfung der Stadt anzubieten. Der Commandant versprach jest,

1) Mortimer-Ternaux III, 129.

mit der Garnison die Festung zu verlassen, wenn man ihr freien Abzug gewähre. Die Bedingung ward deshalb bewilligt, weil man die Nationalgarden im freien Felde nicht zu fürchten brauche, der Ort aber unentbehrlich sei für die Verbindung der Armee mit Deutschland. Noch am Abend wurden die Thore, am anderen Tage die Stadt beseßt. Den Volontären, welche den Haupttheil der Besaßung ausmachten, war gestattet worden, mit ihren Waffen abzuziehen, den wenigen Linientruppen ohne ihre Waffen. Der Commandant hat sich erschossen, wie man allgemein annimmt, in Unmuth über die Capitulation, die ihm in Mitte einer Bürgerschaft, die gerettet zu sein wünschte, von einem überlegenen, Ver= derben drohenden Feinde auferlegt ward1). So war die preu= ßische Armee an dem Ziele angekommen, das sie sich von Anfang an gesteckt hatte, mit dem Vorbehalt, alsdann nach der Lage der Umstände weitere Entschlüsse zu fassen. Der Gedanke, an den östlichen Grenzen von Frankreich eine feste Stellung zu nehmen, um von da aus einen regelmäßigen Krieg führen zu können, war keinesweges aufgegeben. Er hing wahrscheinlich mit der Absicht zusammen, einen Theil der Grenzlande als Pfand für die pecuniäre Entschädigung in Besiß zu nehmen. Das Interesse der Desterreicher, das wir kennen, bewog sie, den größten Werth darauf zu legen. Ihr Sinn wäre gewesen, sich zunächst Sedans zu bemeistern.

Aber die Nachrichten von Paris, zusammentreffend mit dem Eindrucke des unerwartet glücklichen Fortgangs des Unternehmens, bewirkten eine Aendernng in den Beschlüssen. Der Herzog erscheint dabei) immer so entschieden, wie der König selbst; wohl mag es sein, daß der König, der bei der politischen Tragweite seines Unternehmens einen unvergänglichen Ruhm für sich zu erwerben dachte, in den Discussionen die Initiative ergriffen hat; für ihn war das wirksamste Motiv, daß Ludwig XVI. in persönlicher Gefahr sei; gleichwohl hütete er sich, einen Druck auf den Herzog

1) Der Selbstmord des Commandanten Beaurepaire, an dem man gezweifelt hat, wird von Fürst Reuß bestätigt. Er giebt jedoch in seinem Berichte vom 2. September die näheren Umstände nicht an; er hoffte, sie in Verdun zu erfahren. Wiener Archiv.

2) Auch Prinz Reuß versichert die vollkommene Uebereinstimmung des Herzogs mit dem Könige. Nassau-Siegen sagt in einem Briefe an Katharina II. (Feuillet VI, 395), der König habe ihn (auf dem Rückzuge) verfichert: que l'Empereur et lui ayant mis toute leur confiance dans le duc de Brunswick, il n'avoit voulu le gêner en rien.

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