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Und so bezog denn Kern im Jahre 1857 zum Studium der Forstwirthschaft das eidgenössische Polytechnikum. Die Studienjahre, sagt ein Freund in einem Nekrologe *), waren für ihn nicht ein Zeitabschnitt seines Lebens, welcher einzig zu möglichst raschem Erlernen alles zum Examen Erforderlichen dienen sollte, sondern als ächter „freier Bursche" repräsentirte er den Korpsstudenten im schönsten Sinne des Wortes: zu seiner Zeit im Hörsaal und auf den Exkursionen im Walde, zu seiner Zeit aber auch in frohem Kreise, bei Gesang und Becherklang, auf dem Fechtboden wie auf der Mensur. Zeitlebens ist ihm jener feste, männliche Charakterzug eines noblen, burschikos-edlen Benehmens zu eigen geblieben, das sich später im Leben und Amt durch sicheres Auftreten, gewählte Umgangsformen und umfassende weltmännische Bildung kundgab. Ihm weniger Nahestehende mochten ihn vielleicht zuweilen als stolz taxiren; wer aber zugleich seine innige Herzensgüte und bei einmal gefasster Freundschaft seine unverbrüchliche Treue kennen gelernt hatte, der wusste, dass Kern nur jener edle Stolz innewohnte, der sich erhaben fühlt über alles Triviale, Gemeine. So war er seit seinen Studienjahren ein ganzer Mann vom Scheitel bis zur Sohle. „Kern war kein gewöhnlicher Mensch, so rief ihm sein intimster Freund tiefbewegten Herzens und in schlichten, körnigen Worten am offenen Grabe nach. „Odi profanum vulgus“ schien sein Wahlspruch zu sein. Alles Gemeine war ihm so sehr in der Seele zuwider, dass er sich hütete, in Sphären zu verkehren, deren Gebräuche und Umgangsformen den Stempel des Vulgären trugen. Er ist desshalb vielfach als stolz bezeichnet, wohl auch getadelt worden. Ja, er war stolz, aber er durfte es sein; denn sein Stolz war eben nur der Ausfluss seiner geläuterten ethischen Gesinnung und Richtung."

Doch wir stehen in der Darstellung seines Lebensganges noch in der Zeit seiner Wanderjahre. Im Herbst 1860 absolvirte er seine Studien in Zürich mit einem wohlverdienten Diplom als Zeugniss seiner Reife. Er wandte sich nun sofort nach der badischen Bezirksforstei Pforzheim, auf deren Bureau und in deren ausgedehnten Staatswaldungen zum Hagenschiess" er ein einjähriges Praktikum beging. Weitere zwei Jahre brachte er als Volontär im Sihlwald bei Zürich zu, wo er bis 1863 blieb. Inmitten jener Musterwirth

*) „Oberland“ vom 27. September 1883.

schaft ging ihm erst die rechte Begeisterung für das grüne Fach auf. Von seinem damaligen Lehrmeister und väterlichen Freunde, Forstmeister v. Orelli, sprach er stets mit wahrer Verehrung. Im Jahr 1866 erwarb er das bernische Oberförsterpatent und von 1863 an gehörte er ganz dem Kanton Bern. 1863-66 war er zuerst bei der Forststatistik beschäftigt, ein Werk, welches heute noch bei den Fachgenossen als ein mustergültiges anerkannt ist, sodann bei der Totalrevision des Wirthschaftsplanes über die freien Staatswaldungen. Ihm war speziell das engere Oberland zugewiesen, wo ihm die Freude zu Theil ward, an Herrn Oberförster Ad. v. Greyerz in Interlaken einen ebenso einsichtsvollen Führer als wohlwollenden Freund und Berufsgenossen zu finden. Nur ungern trennte sich Kern von dem ihm lieb gewordenen Oberlande mit seinen prächtigen Hochgebirgs-Waldungen, um während weiteren fünf Jahren die Stelle eines Adjunkten des Kantonsforstmeisters, Herrn Fankhauser, zu bekleiden. Daselbst bethätigte er sich an allen wichtigen und unwichtigen forstlichen Geschäften, erweiterte er seine Kenntnisse bedeutend namentlich in der Staatsforstwirthschaftslehre und erwarb jene Sicherheit und Korrektheit der Arbeit, welche ihn später in selbständiger Stellung auszeichnete. Was ihn als Adjunkt besonders qualifizirte, das war die skrupulöse Genauigkeit in der Ausführung seiner Arbeiten, welche nach Form und Inhalt vollendet waren. Le style c'est l'homme" galt vorzugsweise von unserem Kern. Wie er auf sein Aeusseres hielt, ohne pedantisch oder gar gesucht zu sein, wie er keinen Flecken an seinem Kleide oder an seinem Körper duldete: diese Sorgfalt spiegelte sich in jedem Federzuge ab, nicht nur in offiziellen Aktenstücken, sondern auch in jedem Brief und Billet, die an seine Freunde und Bekannten gerichtet waren. Selbst seine Schrift hatte etwas Aristokratisches, Scharfkantiges, Selbstbewusstes.

Er sollte sich nicht allzulange nach seinem Oberland zurücksehnen. Oberförster v. Greyerz erlag im Frühjahr 1871 als Platzkommandant der in Interlaken internirten französischen Offiziere in wenigen Tagen einer heftigen Blatternepidemie und Kern wurde die definitive Leitung des Forstamtes Oberland übertragen. Er war der rechte Mann am rechten Platze. angeführte Nekrolog, völlig in seinem Elemente: ein grosses WaldHier war er nun, sagt der gebiet und viel forstliche Arbeit zu Thal und im Gebirge. Mit unermüdlichem Fleisse und grosser Arbeitsfreudigkeit lag er seinem

Amte ob, und es galt denn auch das Forstgebiet Oberland bei den obern Behörden wie in fachmännischen Kreisen stets als ein musterhaft bewirthschaftetes. Daneben war er immer eifrig bestrebt, durch Studium, vereinigt mit der Praxis, seine Kenntnisse zu bereichern, aber auch stets bereit, von seinem reichen Wissen in populären Vorträgen und Anregungen weitern Volkskreisen mitzutheilen. Seine Vorträge wie fachmännischen Gutachten und schriftlichen Arbeiten zeichneten sich immer durch eine mustergültige und formvollendete Abfassung und Sprache aus. Kern war der Hochgebirgsförster par excellence, unermüdlich in der Initiative. Die Drahtseilriesen von Gündlischwand und Iseltwald zeugen von seinem praktischen Geschick, die ingeniöse Einbringung des Leichnams der Fräulein Buddenbrock an der unzugänglichen Felswand unter Mürren, von seinem ritterlichen Sinn sowohl, als von dem Selbstvertrauen, das er in sein Können hatte und haben durfte.

Aber seine Wirksamkeit ging über den Rahmen seines Berufes hinaus. Mit Kern's Amtsantritt in Interlaken hatte nicht nur das Amt seinen richtigen Mann gewonnen, sondern auch das gesammte ideale Leben hatte in ihm eine kostbare Acquisition gemacht. In der Vollkraft seines Mannesalters und getragen von einem edlen Streben, überall für das allgemeine Wohl sich nützlich zu machen, stand er bald mit an der Spitze, wo es galt, Gutes und Schönes zu schaffen und zu fördern. Waren auch die Anfänge zu dem umfassenden prächtigen Promenadennetze um Interlaken von seinen Vorgängern bereits gelegt, so wusste Kern als langjähriger Präsident des Verschönerungsausschusses des Interlakener gemeinnützigen Vereins doch alljährlich Neues zu schaffen und das Bestehende zum Nutzen und zur Ehre des Emporiums der Fremdenindustrie, des unvergleichlichen Bödeli, zu verschönern.

Zwei Werke von grösserem Umfange, die so recht eigentlich seinem energischen Betreiben zu verdanken sind und ihm für alle Zeiten zum bleibenden Denkmal gereichen, sind die Korrektion und vollständige Neuanlage der Höhenpromenade und diejenige des Kurgartens. Mit wie vielen Vorurtheilen und Schwierigkeiten hatte er nur zu kämpfen, und wie dankbar anerkennt heute Jedermann die so prächtig gelungenen Werke. Und mit welchem pietätsvollen Eifer hat er als Forstmann darüber gewacht, dass überall da, wo der Zahn der Zeit in die Reihen der Jahrhunderte alten Nussbäume das ureigene Interlakener Wahrzeichen - Lücken gelegt, die

selben nicht nur ersetzt, sondern noch bedeutend vermehrt wurden. Es sollte ihm leider die Freude nicht mehr vergönnt sein, unter dem dunkeln Blätterdache der neuen Alleen sich seines Werkes zu freuen; aber spätere Generationen werden es ihm für alle Zeiten danken und sich daran erinnern: das hat einst Kern für uns und unsere Gäste gethan.

Noch manches Verdienst des Mannes wäre hervorzuheben. Wir nennen seine Mitbethätigung bei Gründung der Sektion Oberland des Schweizerischen Alpenklubs, in der er jahrelang als Sekretär und Präsident die leitende Seele war. Ferner seine erfolgreichen Bestrebungen zur Hebung des für das Oberland so wichtigen Führergewerbes. Nicht sollen hier seine genussreichen Vorträge im Literarischen Verein vergessen sein. Kurz, wo Kern eingriff, da that er es immer ganz und nur wo es galt, dem Wahren, Guten und Schönen in uneigennütziger Weise zu dienen (Nekrolog). Es ist wahr, Kern kannte nicht nur die Poesie des Waldes und die Majestät der Alpenwelt, er liebte auch die Poesie des Dichterwaldes und war darin gründlich belesen, mit scharfem, kritischem Blick das Vorzügliche sondernd von dem Ephemeren, das Bleibende vom Vergänglichen, das Werthvolle vom Werthlosen. Noch mehr, er lebte selbst ein Stück Poesie, daheim in seiner trauten, freundlich eingerichteten Försterwohnung, wo seine liebenswürdige Gattin Emma geb Mees ihm eine an Geist und Gemüth und umsichtigem Sinn ebenbürtige, verständnissinnige, treue und hingebende Gehülfin und Gefährtin war, im trauten Freundeskreise unter wenigen Auserwählten, aber um so inniger geliebten, gleichgestimmten Herzen, wo sich der ganze Reichthum seines herrlichen Gemüthes erst recht aufschloss und eine Wärme verbreitete und ein inniges Wohlbehagen, das Diejenigen nie werden vergessen können, die zu seinen Vertrautesten gehörten. Da war er der herzlich gesinnte, theilnehmende, warmfühlende Mensch, da war er der Freund mit dem goldenen Herzen und der nimmer wankenden Treue, bereit, für den Freund Gut und Blut aufzuopfern, selbstsuchtlos die grössten Opfer mit Freudigkeit darbringend, wo es galt, zu helfen und zu retten, nicht gedenkend der eigenen, nicht geringen Sorgen und Kämpfe. Ja, unser Kern war ein treues und ein tapferes Herz, ein Juwel der Freundschaft.

Ein dunkler Punkt schwebte schon seit Jahren über diesem reichen, sonnenklaren Leben, ein körperliches Leiden, das sich

häufig in furchtbaren Schmerzen kundgab, welche den Felsenmann bis in das Innerste seines Lebensmarkes erschütterten und dazu angethan waren, ihm das Dasein zu verbittern und seine Arbeitslust zu zerstören. Es war ein unheilbares Magenleiden, das ihn nur selten frei liess, das mehr und mehr ihn nöthigte, seine gesellschaftlichen Beziehungen, wenn nicht völlig abzubrechen, so doch auf das bescheidenste Mass zu beschränken. Er, der sonst mitjubelte und dessen urkräftiges Organ mit Grundgewalt die Stimmen der Freunde übertönte, wenn in dem feinen Kollegium der drei Gesellen der Becher fröhlich in dem kleinen Kreise herumkreiste, oder an langer Kommerstafel die alte, fromme Weise des Landesvaters angestimmt ward, oder ein feuchtfröhliches Aufjauchzen aus freier, kräftiger Brust, er befliss sich Jahre lang der genauesten, selbst peinlichsten Diät, um seines Drängers los zu werden. Und doch übermochte er ihn nicht, aber der Dränger ihn nach langem, verzweifeltem Ringkampfe.

Eine Urlaubs- und Studienreise hatte ihn mit Fachgenossen in die Innerschweiz geführt. Zuvor hatte er noch mit hoher Befriedigung die Schweizerische Landesausstellung besucht und fröhlichen und dankbaren Herzens anerkannt, wie endlich die Schmerzen nachgelassen hätten und ihm neuer Muth und mit dem Muthe neue Arbeitsfreude zurückgekommen seien. In dem Gefühl der wiedererlangten Gesundheit schrieb er seinem Freunde in Delsberg noch vor seiner Abreise:

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Wie ganz anders ist das Leben doch, wenn keine Schmerzen „mehr verspürt werden, und wie unendlich leichter ist jede Arbeit, „wenn der Körper nicht leidet.

„Ich werde Sonntag Abend in Zürich sein und einige Tage in „der Ausstellung zubringen, um dann von dort aus nach Glarus u. s. w. „einzufallen."

Und hier sollte er fallen. Nachdem er einige Inspektionsreisen nach den Wildbach- und Lawinenverbauungen des Kantons Glarus mit seinem Freunde, Herrn Kantonsoberförster Seeli, unternommen, überraschte ihn auf's Neue am Abend des 21. September in einem Gasthofe zu Glarus der alte Erbfeind. Furchtbare Schmerzen verlängerten die Nacht zu einer Ewigkeit. Den Rath, seiner treuen Gattin Nachricht und Weisung zu geben, dass sie zu seiner Pflege herbeieile, wies er zurück, weil sie zu Hause die Pflegerin seiner

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