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und Oesterreichisch-Schlesien oder Teile dieser österreichischen Kronländer dem preußischen Staate und damit dem künftigen Deutschen Reiche einzuverleiben. Kaiser Wilhelm I. und Moltke haben bekanntlich derartige Wünsche gehegt, Bismarck ist aber mit seinen gegenteiligen Unschauungen bei den Friedensverhandlungen in Nikolsburg durchgedrungen. Es wird dies seitdem und bis heute noch von kleindeutscher Seite als der Gipfel der Weisheit gepriesen. Wir können uns aber einer derartigen Auffassung nicht anschließen. Vielmehr sind wir der Meinung, daß Bismard sich 1866 auf diesen Standpunkt gestellt hat, nicht weil er der an sich richtige war, sondern weil er glaubte, mit Rücksicht auf die von Frankreich und Rußland drohenden Gefahren damals nicht mehr erreichen zu können. Es war nach unserer Meinung nichts anderes als eine erste Auflage der Haltung des fürsten Bismarck der im Jahre darauf erneut betätigten Haltung Bismards in der Luremburgschen frage. Kein Mensch wird doch behaupten wollen, daß der endgültige Verzicht Deutschlands auf Luxemburg etwas an sich richtiges [sei. Bismarc hielt eben die Zeit noch nicht für gekommen, sich mit frankreich auseinanderzusetzen, und es ist heute noch nicht völlig aufgeklärt, warum die Rücksichten Bismarcks gegen Holland im Jahre 1871 so weit gingen, den Sieg Deutschlands über Frankreich nicht zur Einbeziehung Curemburgs als Bundesstaat in das Deutsche Reich zu verwerten.

Wir beurteilen den Verzicht Bismards auf Böhmen ganz ebenso, und wir halten es deshalb für unsere Pflicht, die Entwickelung dieser frage im Jahre 1866, aber ganz besonders auch im weiteren Verlauf der Bismarckschen Politik zu erörtern.

Zunächst wollen wir hören, in welcher Weise jener Verzicht von kleindeutscher Seite begründet und gepriesen wird.

In einem leider wie üblich namenlosen Auffahe der Grenzboten vom 30. Juli 1903 über Böhmen heißt es hierüber, wie folgt:

„Die Wichtigkeit, die Böhmen für Deutschland hat, insofern es von Südoften her bis tief in die Mitte Deutschlands hineinragt, ist wohl von den sonst klugen und überklugen, lauten und überlauten Leuten, die sich als Wortführer des Deutschtums ausgeben, noch viel zu wenig, eigentlich gar nicht gewürdigt worden. Das ehemalige Kurfürstentum Böhmen ist aber dem einstigen Deutschen Kaiserreiche und dem nachmaligen Deutschen Bunde so lange einverleibt gewesen und wird von so zahlreichen Deutschen bewohnt, daß es unmöglich mehr vom deutschen Nationalintereffe losgelöst werden kann, noch ganz abgesehen von seiner geographischen Lage. Diese hat seinerzeit nach dem Friedensschluß in Nikolsburg in einigen oberflächlichen Köpfen, die nach einem flüchtigen Blick auf die Landkarte in der geographischen Abrundung des entstehenden Deutschen Reiches die Hauptsache sahen, eine kurzlebige Unzufriedenheit darüber hervorgerufen, daß nach

den großen Siegen Böhmen nicht von Oesterreich abgetreten wurde; heute ist wohl kein Mensch mehr im Zweifel darüber, daß es politisch klug war, von so wenig durchschlagenden Grundsätzen abzusehen, kein Elsaß-Lothringen im Osten samt einer unzerstörbaren Revanchelust in der österreichischen Monarchie zu schaffen, und es dieser zu überlassen, sich mit den aufstrebenden nationalen Bestrebungen des Tschechentums auseinanderzusetzen, das sich im Herzen der mitteleuropäischen Lande niedergelassen hat und nach eigener Versicherung entschlossen ist, sich nicht mit den deutschen Stämmen zu vereinigen, sondern als „Pfahl im deutschen Fleische" in bewußter feindschaft mit seinen Nachbarn weiterzuleben. Das schließt nicht aus, daß gerade die böhmischen Angelegenheiten ein dringlicher Gegenstand aller Erwägungen über die Zukunft des deutschen Volkstums bleiben. Daß Deutschland dem deutschen Einschlag in der habsburgischen Monarchie eine besondere Aufmerksamkeit zuwendet, ist natürlich, das Gegenteil würde überraschend sein. Aber etwas weiteres als den Ausdruck des Mitgefühls des deutschen Volkes mit den Schicksalen der Deutschen in Oesterreich darf man darin nicht sehen, um so mehr als für absehbare Zeit kein deutscher Vorteil zu erkennen ist, um dessentwillen man wünschen könnte, daß die österreichisch ungarische Monarchie aufhöre zu bestehen."

Wir müssen die Richtigkeit dieser Auffassung in allen ihren Teilen bestreiten. Zunächst ist es durchaus unrichtig, daß die Wichtigkeit Böhmens von den Leuten, die der Verfasser offenbar meint, viel zu wenig oder eigentlich gar nicht gewürdigt werde. Es ist zweierlei, eine Sache zu würdigen und über sie zu reden. Vor allem aber muß der anmaßende Ton zurückgewiesen werden, wonach es nur oberflächliche Köpfe gewesen seien, die den Verzicht Preußens auf Böhmen bedauert hätten. Weiß denn der Verfasser nicht, daß diese Köpfe, die er als oberflächlich zu bezeichnen wagt, Kaiser Wilhelm I. und Moltke gehört haben? Mit welchem Ernste beide für ihre Auffassung eingetreten sind, ist doch genügend bekannt. Hat doch diese Meinungsverschiedenheit zwischen dem König Wilhelm und seinem Ministerpräsidenten gerade in dieser Frage eine Schärfe der form angenommen, wie kaum vorher oder nachher.

Nach Ottokar Lorenz S. 75/76 hat König Wilhelm I. zu Bismarcks Vorschlägen, betr. den Frieden mit Øesterreich (na h Berner vom 24. ? Juli 1866), folgende Randbemerkung gemacht: „Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem feinde im Stiche läßt, und ich hier außerstande bin, ihn zu ersehen, habe ich die frage mit meinem Sohne erörtert, und da sich derselbe der Auffas sung des Ministerpräsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach so glånzenden Siegen der Armee in diesen saueren Apfel zu beißen und einen so schmachvollen frieden anzunehmen."

Es ist nicht ersichtlich, weshalb Lorenz die Richtigkeit dieser Lesart S. 76 anzweifelt, obwohl sie doch von Bismarck beglaubigt wird, und diesem die Akten zur Verfügung gestanden haben dürften. Diese Lesart wird auch von Ernst Berner in den Ende November 1905 herausgegebenen Briefen, Reden und Schriften Kaiser Wilhelms des Großen. 2. Band S. 134 beibehalten. Berner bemerkt hierzu:

Auf Veranlassung des Kronprinzen gab der König dem Bismarckschen Rate nach, gestand die Integrität Oesterreichs und Sachsens, sowie der nicht annektierten Bundesländer zu und verzichtete auf die Einnahme von Wien. Der Wortlaut ift nur nach der Erinnerung des Fürsten Bismarck bekannt.

Im Verlauf der mit den süddeutschen Staaten in Berlin geführten Friedensverhandlungen richtete Kaiser Alexander von Rußland zugunsten der ihm verwandten Höfe von Stuttgart und Darmstadt ein Schreiben an König Wilhelm, das dieser am 20. August beantwortete. Wir tragen aber Bedenken, die bekannt gewordenen Auszüge aus dieser Antwort hier mitzuteilen, da fie, soweit man sieht, nicht eigenhändig vom König, sondern amtlich im Ministerium entworfen ist.

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"In seiner ganzen Bedeutung tritt nun ein Ausspruch des Königs Wilhelm I. schon am 5. Juli hervor, wo er mit der ihm eigenen Geistesklarheit und politischen Bestimmtheit nach von Sybels Mitteilung auf die Frage was fordern wir" geantwortet habe: Unnerion von Schleswig-Holstein, deutsche Bundesreform unter preußischer Leitung, oder wie er es jetzt ausdrückte, Suprematie über ganz Deutschland. Dazu dann als einzige folge der beispiellosen Triumphe: Ersatz der Kriegskosten, Ubdikation der feindlichen Souveräne von Hannover, Kurheffen, Meiningen, Nassau zugunsten ihrer Thronfolger; Abtretung [etwa] eines böhmischen Grenzstrichs [von seiten Oesterreichs], Ostfrieslands und der Erbansprüche auf Braunschweig [von seiten Hannovers]. Oder abschlagen?" (Lorenz S. 65.)

Berner gibt diese Uufzeichnung König Wilhelms aus Horricz vom 5. Juli 1866 mit den durch [] markierten Abweichungen wieder und bemerkt dazu:

So gibt Sybel, aber wohl nicht wörtlich, die eigenen Aufzeichnungen des Königs auf den Einmischungsversuch Napoleons wieder. Bismarck läßt in den „Gedanken und „Erinnerungen“ fort die Kriegskosten und die Erbansprüche auf Braunschweig, fügt aber noch Oesterreichisch-Schlesien hinzu. In einem späteren Stadium hat der König Teile von Sachsen, Hessen und Hannover und besonders Ansbach und Bayreuth wieder erwerben wollen. Den böhmischen Grenzstrich beanspruchte der König auf Veranlassung des Prinzen Friedrich Karl aus militärischen Gründen.

Wenn Lorenz S. 660 davon spricht, Bismarck habe eine Leistung schwerster staatsmännischer Kunst vollbracht, indem er dem begehrlichen Kaiser mit entschiedener Kraft jede Abtretung deutschen Gebietes ver

sagte und ihm mit zäher Uusdauer Erwerbungen belgischer und schweizerischer Gebiete so zu erschweren wußte, daß er seinen nie großen Wagemut und die Lust dazu verlor so find diese Behauptungen zum Teil unverständlich. Ist eine Ubtretung deutschen Gebietes von Oesterreich an Preußen oder von Preußen an frankreich gemeint ? Ist mit belgischen Unnexionen ein Grenzstrich Ostfrieslands gemeint ? Und was ist überhaupt unter schweizerischem Gebiet zu verstehen ?

In Nikolsburg machte Bismarck am 19. Juli 1866 den franzöfischen Botschafter Benedetti in zwei Worten mit der Sachlage vertraut : „Der König will Troppau, Teschen, Jägerndorf, kurz Oesterreichisch-Schlesien.“

„Und das scheint Ihnen zu wenig ?" fragte Benedetti erstaunt. "Zu wenig und zuviel — war Bismards Untwort. Ich will, daß wir ganz Oesterreich bekommen Sie verstehen mich, zum Freunde in künftigen Tagen, und darum ist es gesund, das Naschen zu lassen. Ich hoffe, daß Ihr Kaiser nicht böse sein wird, wenn Sie ihm dies berichten. Vorher aber gilt es, hierin Majestät (König Wilhelm I.) umzustimmen.

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Der französische Botschafter Benedetti suchte dann Bismarɗ in Nikolsburg am 26. Juli 1866 in betreff der von Frankreich zu erhoffenden Kompensationen am Rhein auszuforschen. Bismarck verhehlte Benedetti nicht, daß es ihm schwer fallen möchte, den König nach dem Siege über Oesterreich zu bestimmen, frankreich auch nur einen fuß breit von der Rheinprovinz abzutreten.

Benedetti bat am 6. August 1866 Bismarck, seine forderung dem Könige vorzulegen, worauf er am Ubend des 7. August sich dessen Untwort abholen werde. Der Bescheid des Königs lautete: Bei der Stimmung der Nation könne nicht ein Zoll breit deutschen Landes abge= treten werden. Hieran knüpfte sich eine nochmalige mehrstündige Verhandlung zwischen Bismarck und Benedetti, in deren Verlauf Bismarck u. a. sagte: „Wenn Sie auf Ihren forderungen bestehen, so rufen wir die deutsche Nation in ihrer Gesamtheit auf, machen sofort Frieden mit Oesterreich auf jede Bedingung, überlassen ihm ganz Süddeutschland, und lassen uns selbst den Bundestag wieder gefallen. Uber dann gehen wir auch vereinigt mit 800 000 Mann über den Rhein und nehmen Ihnen das Elsaß ab; unsere beiden Urmeen sind mobil, die Jhrige ist es nicht, die Konsequenzen denken Sie sich selbst“. (Poschinger, Bismarck und die Dipl. S. 213, 218, 221.)

Wenn Bismarck zur Rechtfertigung seiner Mäßigung bei dem Prager frieden immer wieder darauf Bezug nahm, daß er freundschaftliche

Beziehungen zu Oesterreich damit anbahnen wolle, so hat Lorenz S. 74, 90 und 91 entschieden recht, wenn er behauptet, daß Bismarck sich mindestens für die nächsten vier Jahre getäuscht habe, da Oesterreichs Machenschaften mit Frankreich gegen Preußen vielleicht auch nicht hätten größer sein können, wenn es 1866 Teile von Mähren und Böhmen an Preußen hätte abtreten müssen.

Wir können hinzufügen, daß die Geneigtheit Oesterreichs zum Zweibunde mit dem Deutschen Reiche auch nachträglich vielleicht mehr mit der Mäßigung Bismarcks von 1866 verziert worden ist, tatsächlich aber in der Besorgnis Oesterreichs vor einer Verständigung zwischen Deutschland und Rußland über die Zukunft des südöstlichen Besiķes Oesterreich-Ungarns begründet war.

Busch II S. 566 berichtet1) unter dem 9. März 1880 über eine Unterredung, die er mit Bismard gehabt, und in deren Verlauf er über den Friedensschluß 2) von 1866 Betrachtungen angestellt habe:

„Ich war damals in großer Angst wegen Rußland und dachte, es würde zwischen dem und Oesterreich zu einem Bündnisse kommen, wo die franzosen auch dabei gewesen wären . . . . . Um unserer Selbsterhaltung willen warfen wir Oesterreich 1866 zur Tür hinaus und verständigten uns mit den anderen auf billige Bedingungen. Dann dachte ich wieder daran, mich mit ihnen zu vertragen, z. B. 1870, aber mit Beust war nichts anzufangen, und so blieben vorbereitende Schritte ohne Erfolg. Andrassy schien geneigter. Mein alter Gedanke mußte jetzt nach den veränderten Verhältnissen eine andere form bekommen. Ich wollte ein öffentliches verfassungsmäßiges Bündnis gegen eine Koalition, unauflöslich, nur aufzulösen bei uns durch Kaiser, Bundesrat und Reichstag, bei ihnen durch Kaiser, Trans und Cis. So kam der türkische Krieg heran, der Berliner Kongreß und die Ausführung dessen, was da ausgemacht worden war .... Andrassy war ganz mit mir einverstanden, und der Kaiser in Wien war fast noch mehr dafür. Aber unserer nicht. Der machte Einwendungen, obwohl die Russen so perfid und unverschämt wie nur möglich gewesen waren." (folgt Schilderung, wie es Bismard gelang, Kaiser Wilhelm I. umzustimmen.)

1) Dieser Bericht findet seine Bestätigung durch den im Jahre 1905 erschienenen zweiten Band der Erinnerungen des württembergischen Ministerpräsidenten a. D. Frhr. von Mittnacht an Bismarck. (Cottascher Verlag.)

1) Der Wortlaut der Konvention von Nikolsburg vom 26. Juli 1866 und der Wortlaut des Prager Friedens vom 23. August 1866 findet sich abgedruckt bei Martens, Samwer und Hopf, Band XVIII (1873), Seite 319 und 344. Ein beiMartens und Samwer, Band XX, Seite 301 abgedruckter Vertrag zwischen Oesterreich und Preußen von Wien, 9. februar 1869, ratifiziert 9. Mai 1869, betr. genaue Feststellung der Grenze zwischen Böhmen einerseits und Preußisch-Schlesien und Oberlausitz andererseits, behandelt lediglich die Ermittelung und feststellung der Landesgrenze, wie dieselbe nach urkundlichen Beweisen im Jahre 1 742 lag. Es fand hierbei nur ein unbedeutender Gebietsaustausch statt, im wesentlichen als Ergebnis der Landesvermessung.

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