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großen Völker, also auf dem Gebiete der kleinen, lebensunfähigen und namentlich zu eigenem Staatstum unfähigen Völker und hier wieder besonders da, wo durch die von uns im zweiten Hefte geschilderte frühere deutsche Siedelungstätigkeit geschichtliche Unsprüche auf deutsche staatliche Herrschaft gewonnen worden sind.

Gegen die großen Völker Europas, die so gut wie wir, ihr geschloffenes Siedelungsgebiet besitzen, kann sich die Ausdehnung des Deutschtums niemals richten. Denn die Errichtung einer Weltherrschaft nach Art des mittelalterlichen heiligen römischen Reiches deutscher Nation, das ebensowenig vor fremdem Volkstum Halt machte, wie später Napoleon I., ist mit den Zielen eines nationalen Staates unvereinbar.

„Die Nationen sind die Bollwerke gegen die Despotie des römischen Weltreichsgedankens." (H. St. Chamberlain.)

II. Die Weltgrenze.

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pas fränkische Kaiserreich umfaßte zur Zeit des Todes Karls des Großen 814 bekanntlich das heutige Deutsche Reich bis an die untere Oder und die mittlere Elbe, ganz Oesterreich und WestUngarn, die Schweiz, Norditalien, die Niederlande, ganz frankreich und die Spanische Mark bis an den oberen Ebro. Die Auseinandersetzung der deutschen, französischen und italienischen Nationalität und die Errichtung von Nationalstaaten auf der Grundlage dieser drei Nationen hat ein ganzes Jahrtausend in Anspruch genommen. Sie begann durch die Teilung nach dem Vertrage von Verdun 843 durch Ludwigs des frommen Söhne und wurde fortgesetzt durch eine neuerliche Teilung des fränkischen Reiches nach dem Vertrage von Mersen 870. Die Ausscheidung Italiens, begünstigt durch die Grenze der Alpen, ist ihre eigenen Wege gegangen. Die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich kennzeichnet sich durch die vorübergehende Zwischenlagerung eines von der Rhonemündung bis zur Rheinmündung ragenden Gebietes') der verschiedensten Ausdehnung und politischen Organisation auf der ursprünglichen Grundlage des Reiches Lothars von 843, dem unter nachstehenden Abgrenzungen die Namen Niederlande, Lothringen und Burgund (Hochburgund =Schweiz und Urelatisches Reich Burgundia cisjurana Unteres Rhonegebiet) beigelegt wurden. Die deutsch-französische Geschichte besteht in einem fortgesetzten Kampfe um dieses große Zwischengebiet, dessen Bevölkerung mehr germanisches Blut hatte als das westliche Frankreich und mehr keltisches und römisches Blut als der breite Talweg des Rheins. In dieser Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich hat sich das südliche Burgund am schnellsten auf die französische Seite geschlagen, haben sich Lothringen und die Niederlande wechselnd auf der östlichen und westlichen Seite gehalten. Bei diesem Kampfe war Frankreich schließlich im Angriff,

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1) Vgl. G. Droysens historischen Handatlas S. 21-23.

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Deutschland in der Verteidigung, sodaß Frankreich in das eigentliche deutsche Volksgebiet bis an den Rhein und vorübergehend östlich darüber hinaus vordrang, Deutschland aber erst 1870 mit der Wiedergewinnung der westlich gelegenen Teile des deutschen Volksbodens begann. Der Werdegang der Auseinandersetzung zwischen dem westlichen und dem östlichen Teile des alten fränkischen Reiches ist auch heute noch nicht zum Abschluß gelangt. Die zwischenzeitlichen Ruhepunkte der Auseinandersetzung fanden sich im Westfälischen Frieden und im Wiener frieden. Die gegenseitigen Unsprüche lassen sich im allgemeinen auf die Ergebnisse der inzwischen eingetretenen Gewinnung der Zwischengebiete für die deutsche oder die französische Nationalität zurückführen. Je weiter man zeitlich in den Unsprüchen der Wiedergewinnung zurückgeht, um so mehr kann man auf das ursprünglich deutsche Wesen der Zwischengebiete Bezug nehmen. Je mehr man dem Wandel der Zeiten Rechnung trägt, um so größer sind die Ansprüche Frankreichs, dessen Volkstum ganz entschieden im Vorschreiten gewesen ist gegenüber einem langsamen und stetigen Zurückweichen des deutschen Volkstums von 870 bis 1870.

Vom 14. bis zum 18. Jahrhundert gehörte das ganze Zwischengebiet von Calais bis zur Rhone zum Deutschen Reiche und auch der Westfälische Friede 1) beließ noch große Teile des Zwischengebietes in Abhängigkeit von der deutschen Reichsgewalt und erst von Richelieu, Mazarin und Ludwig XIV. an warf das einheitliche französische Königtum die Grenzen des zersplitterten Deutschen Reiches bis an den den Rhein zurück.

Wie Elsaß und Lothringen französisch wurden, das lese man bei Petersen 2) nach. Wir beschränken uns hier auf die Unführung folgender Merkpunkte: Im Westfälischen Frieden 1648 erhielt frankreich die Bestätigung seiner Oberherrschaft über die Bistümer und Städte Metz, Toul und Verdun und deren Gebiete, die bisherigen Rechte des Hauses Oesterreich und des Deutschen Reiches über Breisach, die Landgrafschaft Ober- und Unterelsaß, den Sundgau, die Landvogtei der

1) Vgl. v. Spruner-Menkes historischen Handatlas Bl. 45 und historische Karte von Elsaß und Lothringen, zur Uebersicht der territorialen Veränderungen im 17. und 18. Jahrhundert. Von Richard Boeckh und Heinrich Kiepert. Berlin, Reimer 1870. 15 Sgr.

Das Deutschtum in Elsaß-Lothringen, von Dr. Julius Petersen, Reichsgerichtsrat a. D., 5. Heft der flugschriftenreihe „Der Kampf um das Deutschtum", München, J. F. Lehmann 1902. Mk. 2.40.

zehn vereinigten Reichsstädte im Elsaß. Frankreichs Grenzen reichten damit zuerst bis an den längst ersehnten und als „natürliche Grenze" angesprochenen Rhein. Nach dem Frieden von Nymwegen wurden 1680 die berüchtigten „Reunionskammern“ gebildet, die feststellen sollten und auch wirklich herausfanden, daß alle im Elsaß ansässigen Reichsstände Vasallen des Königs von Frankreich seien; deren Unsprüche wurden von dem französischen Staate vollstreckt. Mitten im Frieden vergewaltigte und besetzte Ludwig XIV. 1681 Straßburg. Der Friede von Ryswyk 1697 bestätigte diesen Raub. Lothringen kam 1766 nach dem Tode des Königs Stanislaus an frankreich, wenn ihm auch bis zu dem Frieden von Lüneville 1801 Stimmrecht bei den deutschen Reichstagen vorbehalten blieb.

Mit Mainz und Ehrenbreitstein kam 1797 und 1798 der Rhein tatsächlich ganz in frankreichs Gewalt und der friede von Lüneville 1801 bestätigte die Herrschaft Frankreichs über das linke Rheinufer und über Belgien.

Die ganze Schmach des deutschen Zurückweichens vor den fran= zösischen Eroberungen zeigt der Wortlaut1) des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. februar 1803, der alle Erwerbungen Frankreichs auf dem linken Rheinufer feierlich bestätigte und den weltlichen Herren, die auf dem linken Rheinufer dadurch Verluste erlitten, in den Säkularisationen der geistlichen Herren auf dem rechten Rheinufer Ersah bot. Don einem Ersatze, den das deutsche Volk erhalten hätte, war bezeich nenderweise damals und später niemals die Rede. Auch noch bei der Abmessung dieser hoheitlichen Entschädigungen machte sich der Einfluß Frankreichs in deutlichster Weise bemerkbar, wie Miruß in seinem Kommentar zum Regensburger Hauptschluß vom 25. februar 1803 S. 213 ausdrücklich hervorhebt.

Der Verlust des linksrheinischen Deutschland wurde vom ganzen deutschen Volke auf das schmerzlichste empfunden. Und so kam es, daß man als Siegespreis für die Niederwerfung der französischen Fremdherrschaft und insbesondere für die unendlichen, in den Freiheitskriegen gebrachten Opfer die Wiedererwerbung von Elsaß, Lothringen und den Niederlanden als etwas Selbstverständliches forderte.

Um so größer war die Enttäuschung, als der Wiener Kongreß unter dem Einfluß des auf die Erstarkung Preußens und Deutschlands

1) Abgedruckt im diplomatischen Archiv für die deutschen Bundesstaaten von Alexander Miruß I. 1. Leipzig 1846. S. 157 ff.

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eifersüchtigen England und Rußland dem französischen Staate seine alten Grenzen von 1792 beließ, indem er von der fiktion ausging, die Kriege der Verbündeten hätten nur Napoleon gegolten, nicht aber dem französischen Staate, jekt vertreten in dem wieder eingesetzten Königtum.

Die Geschichte1) des Wiener Kongresses und die Beschreibungen des Lebens und Wirkens des Freiherrn von Stein ermöglichen einen Einblick in diese Machenschaften, die das deutsche Volk um den Preis unerhörter Opfer und Siege brachten, und in die Wandelungen von den ausschweifendsten Hoffnungen bis zur tiefsten Niedergeschlagenheit. Wir können an dieser Stelle nur eine ganz gedrängte Skizze dieser Vorgänge geben:

Bald nach der Schlacht von Leipzig kam E. M. Arndt nach Leipzig) und schrieb hier noch 1813 die Flugschrift „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze", eine viel genannte, aber leider wenig bekannte Schrift,3) von der Perk bemerkt, daß sie zuerst wieder die richtige Einsicht den französischen Lügen und Unmaßungen gegenüber in Deutschland zur allgemeinen Anerkennung brachte".

Arndt beginnt mit folgender geschichtlichen Darlegung:

„Der Rhein ist Frankreichs Naturgrenze“ bewies Sully im Jahre 1600 und 1610; „der Rhein ist Frankreichs Naturgrenze" rief Richelieu in den Jahren 1625 und 1635; „der Rhein ist Frankreichs Naturgrenze" erklärte der Graf d'Avaux in den Jahren 1640 zu Münster in den heiligen Orten, wo Hermann der Cherusker den Römern weiland andere Erklärungen gegeben hatte; „der Rhein ist Frankreichs Naturgrenze" klangen in den Jahren 1670 bis 1700 Louvois und Colberts Reden im Staatsrat Ludwig XIV. und sangen die Hofpoeten Boileau und Racine im Vorzimmer; der Rhein ist Frankreichs Naturgrenze" schrien die Ungeheuer an der Seine vom Jahr 1790 bis 1800. Der Beweis, den man vor zweihundert und hundert Jahren noch vergebens zu führen versucht hatte, gelang diesmal durch unser Unglück und unsere Zwietracht. Durch den traurigen Frieden zu Lüneville behielt Frankreich alles deutsche Land jenseits des Rheins mit allen Festungen und Wehren; was aber von festen Städten diesseits des Rheins lag, ward niedergeriffen und geschleift, damit Germanien, weiland der Schrecken der jenseits Wohnenden, unbeschirmt vor ihnen läge. So ändern sich die Zeiten. Den Franzosen, welche unser Glück und unsere Ehre und Freiheit immer belauert

1) Akten des Wiener Kongresses in den Jahren 1814 und 1815. Herausgegeben von Dr. Johann Ludwig Klüber. 9 Bände. Erlangen 1815-1835. Aus Steins Leben, von G. H. Pertz. Berlin 1856.

2) G. H. Pert. Aus Steins Leben. I. S. 702.

3) Als Nr. 1096 von Meyers Volksbüchern neuerdings gedruckt und für ganze zehn Pfennig mit einer Lebensbeschreibung von E. M. Arndt zu haben! Hasse, Deutsche Politik I. Bd., 3. H.

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