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Bei dem vorstehenden Plane der vertragsmäßigen Neuordnung der Beziehung des Deutschen Reiches zu Oesterreich, gehen wir von der Voraussetzung aus, daß es der deutschen Politik unter Benutzung der Sachlage in der Donaumonarchie, auf friedlichem Wege gelingen wird, das zu erreichen, was die deutsche Nation in diesem alten deutschen Siedelungsgebiete braucht.

Sollten aber die Mittel der friedlichen Ueberredung nicht ausreichen, so muß es die Aufgabe unserer deutschen Staatsmänner sein, eine weltpolitische Konjunktur zu benutzen, um Oesterreich-Ungarn zu dem zu zwingen, was wir brauchen. In diesem Falle werden natürlich die Anforderungen höher zu stellen sein, gerade so wie dies Preußen gegenüber den süddeutschen Staaten nach 1866 getan hat, im Gegensatze zu den zahllosen Organisationsentwürfen vor 1866.

Die Staatsmänner der Donaumonarchie müssen sich stets dessen bewußt sein, daß eine geschickte deutsche Politik ein Bündnis aller Nachbarn gegen Oesterreich-Ungarn zustande bringen kann. Derartige Möglichkeiten und Pläne haben ja bereits wiederholt bestanden. Wenn Rußland Galizien; das Königreich Rumänien die Bukowina und Siebenbürgen; das Königreich Italien Welschtirol und Albanien (natürlich nicht Triest) erhalten, dann würde das Deutsche Reich in dem Reste der Donaumonarchie unbedingt freie Hand erhalten.

Auch in diesem Falle braucht es nicht zu einer Einverleibung dieser Gebiete zu kommen, die von vielen deutschen Staatsmännern aus guten oder aus unzureichenden Gründen so vielfach abgelehnt wird.

Wenn man im Falle eines siegreichen Krieges sich nicht Kriegskosten, Länder und Provinzen ausbedingt, sondern die Abtretung der Eisenbahnen, der Post, der Telegraphie und einiger tausend Quadratkilometer von privatem Grundbesitz aus dem reichen Vorrat der Latifundien von Böhmen und Ungarn, dann bedarf es eigentlich kaum noch des Abschlusses einer Militärkonvention mit dem österreichischen Kaiserstaate, um die Intereffen des deutschen Reiches und Volkes auf diesem Gebiete für alle Zeit sicher zu stellen.

Eine Aufnahme der Vertreter der Deutsch-Oesterreicher in den jetzigen deutschen Reichstag wäre unnötig, wenn aber erwünscht, eine schöne Verzierung der tatsächlichen Machtverhältnisse.

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VII. Das größere Deutschland.

pie Bestrebungen der Jahre 1848 bis 1864 hatten den Versuchen gegolten, an Stelle des „geographischen Begriffes“ Deutschland und an Stelle des verlebten Deutschen Bundes einen deutschen Staat auf großdeutscher Grundlage zu errichten, auf einer Grundlage, die in volksmäßiger Abgrenzung den forder= ungen Urndts „so weit die deutsche Zunge klingt“ gerecht werden wollte, die aber ihre Eigenart in der Meinung fand, in diesem deutschen Staate zwei nebengeordnete Großstaaten, Oesterreich und Preußen, fortleben und fortherrschen zu lassen. Den letzteren Unschauungen traten die Kleindeutschen“ im „Nationalverein" entgegen und forderten die Bildung eines reindeutschen" staatlichen Gebildes, gestützt auf die norddeutsche, evangelische Kultur unter der Führung des Königreichs Preußen. Die dadurch bedingte Ausscheidung der Deutschen OesterreichUngarns aus dem politischen Leben der deutschen Nation war nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, eine ertragene, harte Notwendigkeit.

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Uls Preußen unter Bismarcks führung diese Gedanken verwirklichte, blieb die kleindeutsche Auffassung jahrzehntelang auch in der öffentlichen Meinung und in der politischen Literatur die allein herrschende. Mit wenigen Ausnahmen1) wagte niemand eine Umgestaltung des Erreichten auf großdeutscher Grundlage zu empfehlen. Selbst die Deutschen in Oesterreich söhnten sich mit dem Ausschluß aus dem Deutschen Reiche aus.

Dazu kam, daß die bei dem deutschen Volke niemals ganz ruhende Ausdehnungsluft seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts ihre wenigstens teilweise Befriedigung in der überseeischen deutschen Kolonialpolitik fand.

So schien es, als sollte das deutsche Volk seine Kräfte in Europa in „einer 75jährigen Verteidigung“ (Moltke) des 1870 Erworbenen 1) Constantin Franz, vgl. oben I, 1, S. 3.

verbrauchen, auf eine Ausdehnung in Europa endgültig verzichten und die ausgeschlossenen, beträchtlichen Bruchteile des deutschen Volkstums dem Untergange in fremden Nationalitäten weihen oder den Versuchen widmen, außerhalb der „reindeutschen“ Nation neue halbdeutsche Nationen, etwa eine „österreichische Nation" zu bilden.

Diese letzteren Versuche mußten scheitern. Ueberall in der Welt, nicht nur in den Grenzländern und Nachbarländern, wuchs die Reibung des selbstbewußter gewordenen deutschen Volkstums mit fremden Nationen. Und da das Deutsche Reich in einer Mischung von Sättigung, Hochmut und Schwäche, und von vornehmer Zurückhaltung von der Einmischung in die Ungelegenheiten fremder Staaten, auf die Versuche verzichtete, das Deutschtum außerhalb der Reichsgrenzen und außerhalb der Reichsangehörigkeit zu schützen, wurde das Deutschtum dort überall notleidend.') Die Versuche, in der überseeischen Kolonialpolitik neue Siedelungsgebiete2) für das deutsche Volk zu finden und die deutsche Auswanderung von den Vereinigten Staaten, dem „Massengrabe des Deutschtums", nach Gebieten abzulenken, wo dem Deutschtum seine Eigenart gesichert wäre, schlugen fehl.

So erklärt es sich, daß alle Gedanken an eine Ausdehnung des Deutschtums in Europa jahrzehntelang zurücktraten, daß zunächst ein Geschlecht heranwuchs, das diese Selbstbeschränkung entweder für etwas Selbstverständliches oder für alle Zeiten für den Gipfel aller Weisheit hielt. Ebenso naturnotwendig erwuchs aber dann eine Gegenströmung, die nur Unkundige mit dem überwundenen Großdeutschtum in Verbindung brachten, die alldeutsche Bewegung im Deutschen Reiche und in Oesterreich, die nur teilweise hier vom Ulldeutschen Verbande und in ganz anderer Weise in Oesterreich von den radikalen alldeutschen Parteien getragen wird, deren Unhänger aber in ihrer Mehrzahl „unorganisiert“ sind, aber sich in steigendem Maße in der unabhängigen deutschen Presse Gehör verschafft. Jedoch nur ein Teil dieser Bewegung beschäftigte sich mit der Möglichkeit oder Notwendigkeit einer kolonisatorischen oder gar staatlichen Ausdehnung des Deutschtums in Mitteleuropa. Es ist hier nicht der Ort, die verschiedenen Richtungen inner

1) Vgl. die Schriftenreihe „Der Kampf um das Deutschtum“ im II. Anhange S. 182.

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2) Die ersten Erwerbungen in Ostafrika und in der Südsee suchten dort feineswegs Kultivationsgebiete", sondern Siedelungsgebiete. Eine von HübbeSchleiden literarisch vorbereitete, klare Anschauung über diesen Gegensatz trat wenigstens in der praktischen Politik verhältnismäßig erst spät ein.

halb der alldeutschen Bestrebungen und die verschiedenen Gebiete, denen sie ihre Tätigkeit zuwendete, klar zu legen.

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So kam es, daß die literarischen Vorschläge, welche auf ein größeres Deutschland“ abzielten, zunächst vorwiegend in dem nichtorganisierten Ulldeutschtum ihre Vertreter fanden, und daß auch heute noch die wichtigste Organisation der alldeutschen Bewegung, der Ulldeutsche Verband, noch immer keine Stellung zu dieser offenen frage genommen hat. Ich muß deshalb erneut darauf hinweisen, daß diese meine hier gemachten Darlegungen und forderungen nicht von der Verantwortlichkeit des Ulldeutschen Verbandes, sondern nur von meiner eigenen persönlichen getragen werden.

Ende des Jahres 1894 erschien unter dem Titel „Germania triumphans", Rückblick auf die weltgeschichtlichen Ereignisse der Jahre 1900-1915, eine Flugschrift von „Einem Größt-Deutschen“. Mit einer Karte in farbendruck. Berlin, U. W. Hayns Erben. Dieser Größtdeutsche war, wie man nach seinem Tode im Oktober 1903 wohl verraten darf, der bekannte Kolonialpolitiker Karl Kaerger. Der Verfasser schickt in einem Vorworte folgende Bemerkung voraus, der man ganz gewiß nur zustimmen kann:

„Verständige Menschen wissen, daß das wesentlichste Merkmal wie aller andern, so insbesondere der politischen Ideale, ihre Unerfüllbarkeit ist. Kurzsichtig aber handelte, wer aus diesem Grunde ihre Aufstellung überhaupt verdammen wollte. Sie bilden die Zielpunkte, die dem Volke die Richtung seines politischen Strebens weisen sollen, und sie haben ihre Aufgabe erfüllt, selbst wenn das Volk auf der Hälfte dieses Weges durch widrige Kräfte festgehalten werden sollte; denn jene Hälfte wäre nicht zurückgelegt worden, hätte man das Ganze nicht erreichen zu können gehofft."

Kaerger geht von der Meinung aus, Deutschland werde sich im 20. Jahrhundert in großen europäischen Kämpfen mit Rußland einerseits und mit Großbritannien andererseits auseinandersetzen müssen. In einem endgültigen Siege würde Deutschland in Europa die baltischen Ostseeprovinzen, Littauen, Polen, Wolhynien, Podolien und Südrußland mit der Krim erhalten. Die Grenze werde von der Narwa durch den Peipussee bis Pskow, von da über Witebsk bis zum Knie des Dnieper oberhalb von Mohilew und den ganzen Dnieper hinab bis Jekaterinoslaw gehen. Von da ginge die Grenze in gerader Linie bis zum Einfluß der Choper in den Don. Im Østen würde sodann

das ganze Gebiet von Saratow an der Wolga bis hinab nach Sarepta an der Wolga und Kalatsch am Don dem Deutschen Reiche einverleibt. 1)

(Mit anderen Worten, die Ausdehnung Deutschlands nach dem Often soll die wichtigsten deutschen Siedelungsgebiete in Rußland umfaffen, sowie die Siedelungsgebiete der Polen und der Kleinruffen und damit Rußland vom Schwarzen Meere abdrängen.)

Auf die umfänglichen Vorschläge Kaergers für eine neue Uufteilung des Kolonialbesitzes der europäischen Mächte in Umerika, Afrika und Usien, brauchen wir hier nicht näher einzugehen, da dieser Gedankenkreis uns hier zu fern liegt. Das für uns hier Belangreiche besteht darin, daß der Größtdeutsche in Europa an dem Besitze aller unserer Nachbarn nicht rütteln will, mit Ausnahme an dem Rußlands. für das allerdings teilweise zu germanisierende Oesterreich-Ungarn schlägt er sogar eine wesentliche Erweiterung vor, die das gesamte Balkangebiet einschließlich Griechenlands umfassen und das Adriatische Meer, das Uegäische Meer und das Schwarze Meer zu Grenzen Oesterreich-Ungarns und seiner Nebenländer machen würde. Kaerger läßt also den Dualismus zwischen Preußen und Oesterreich bestehen und will zwei große mitteleuropäische Weltmächte schaffen mit einem halb deutschen, halb slawischen Charakter. Wir brauchen nicht erst auszusprechen, daß wir uns mit diesen Phantasien nicht einverstanden erklären können, sowohl was ihren Umfang als was ihre Urt anbelangt. Immerhin war die Unregung im Sinne des eigenen Vorwortes des Verfaffers dankbar zu begrüßen. Denn unser heute lebendes Geschlecht will erst mit neuen Gedanken erfüllt werden, um aus ihnen erreichbare Hochziele herausgreifen zu können.

Das ähnliche gilt von einer im Jahre 1895 bei Thormann & Götsch in Berlin erschienenen Flugschrift „Groß- Deutschland und Mitteleuropa um das Jahr 1950 von einem Ulldeutschen". Diese Flugschrift geht von den Grundanschauungen Friedrich Lists und Paul de Lagardes aus, beschränkt sich ihrem Titel gemäß auf Mitteleuropa und schlägt ein Groß-Deutschland vor, das aus einem neuen Großdeutschen Bunde und einem Großdeutschen Zollverein bestehen soll. Der Großdeutsche Bund soll gebildet werden aus:

1) Auf einen ähnlichen Standpunkt hat sich die Zeitschrift „Heimdall“ ge= stellt, in einem Aufsatze Oestliche Zukunfts-Staatskunst Alldeutschlands" 1905, Nr. 6, unter besonderer Betonung, daß in den östlichen Völkern von Urzeiten her ein gut Teil arisch-germanischen Blutes stecke.

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