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In den von uns besprochenen Vorschlägen über die Gestaltung des größeren Deutschland ist naturgemäß oft die Rede von ganz bestimmten für dieses größere Deutschland anzustrebenden Grenzen. Wir können die Erörterungen derartiger Grenzlinien, selbst im Rahmen einer deutschen Grenzpolitik, nicht für zweckmäßig erachten. Sondern wir meinen uns auf das Grundsätzliche beschränken zu sollen. Dieses Grundsätzliche ist sehr einfach. Es besteht in der für jedes Lebewesen selbstverständlichen Forderung, einen möglichst großen Spielraum für seine Betätigung zu gewinnen. Können wir uns bei der Inanspruchnahme eines Spielraumes für die Entwickelung des größeren Deutschland auf früheren deutschen Besiedelungsbesitz berufen, um so beffer. Aber nötig ist dies nicht. Nötig ist vielmehr auch die Rücksichtnahme auf militärische Belange, die wie in der Vergangenheit, so auch in der Zukunft die Inanspruchnahme von Teilen fremden Volksbodens gebieterisch erheischen kann. Selbstverständlich ist es deshalb auch, daß wir, mit dem jugendlichen Fürsten Bismarck vom Jahre 1863, als das Mindeste die Festhaltung jeden fußbreit Landes im mitteleuropäischen deutschen Siedelungsgebiet fordern müssen. Wenn aber Siedelungsgebiet und Staatsgrenzen nicht zusammenfallen können, so gebietet es die gesunde völkische Selbstsucht, die Grenzpfähle lieber in fremdes Siedelungsgebiet zu stecken, wie wir dies in Metz getan haben, als unnötigerweise hinter den Grenzen des Siedelungsgebietes zurückzubleiben. Diese militärische Rücksichtnahme berechtigt auch zur Durchbrechung des anderen großen Grundsatzes, daß wir jedenfalls vor den Grenzen der vorhandenen oder der künftigen großen lebensfähigen und deshalb allein daseinsberechtigten Nationalstaaten Halt machen müssen. Wir wollen es nochmals hier aussprechen, daß wir als solche in Mitteleuropa nur anzuerkennen vermögen die Deutschen, Franzosen, Italiener, Südslawen, Rumänen, Ruthenen, Großruffen und Skandinavier. Alles andere ist Wachs in den Händen der Zukunftsgestaltung, natürlich nicht nur ausschließlich in unseren Händen.

Das Zuwachsgebiet für die starken und mächtigen Nationalstaaten der Zukunft in Mitteleuropa ist ein großes, wenn auch kein unbegrenztes und es enthält zahllose neue Gestaltungsmöglichkeiten. Würde doch dieses neue Kolonialland der Zukunft durch die beträchtlichen Siedelungsgebiete der Polen, Tschechen, Madjaren, Slowaken, Slowenen, Ladiner, Rhätier, Wallonen, Littauer, Ehstländer undFinnländer gebildet.

Ehe die Gebiete dieser kleineren zu Nationalstaaten ungeeigneten Völker nicht endgültig unter die großen Staaten Mitteleuropas auf

geteilt sind, kann und wird Europa niemals zur Ruhe kommen. Diese Aufteilung wird natürlich harte Kämpfe kosten, ähnlich den großen europäischen Kämpfen, die zu den völkerrechtlichen Ubmachungen im westfälischen Frieden') und dem Wiener Kongreß führten, Ubmachungen, die noch heute die Grundlagen für alle wichtigen europäischen Beziehungen bilden, mehr, als wir uns dessen bewußt sind.

Eine große Schwierigkeit für die Festlegung künftiger Grenzen besteht in dem Umstande, daß deutsche Siedelungsgebiete, wie Inseln, in fremden Siedelungsgebieten drin liegen, wie das Gebiet der Siebenbürger Sachsen in dem rumänischen Siedelungsgebiet und die schwäbischdeutschen Kolonien in südslawischen und ostslawischen Gebieten. Hier wird die Unwendung des reinen Territorialprinzips nicht ausreichen ; man wird, wie in gemischten Völkerstaaten, nationale Personengenossenschaften mit öffentlichem Recht auf den Gebieten des Staates, der Gemeinde, der Kirche und der Schule bilden können, um einerseits die völkliche Selbständigkeit, andererseits das Nebeneinanderwohnen mehrerer Nationalitäten zu ermöglichen.

Auch die Grenzen des heutigen Deutschen Reiches sind wie alle menschlichen Dinge dem Wandel unterworfen.

Uls ein Volk, das an seine Zukunft glaubt, und im Wettbewerbe der großen Kulturvölker des Erdballes fortbestehen will, dürfen wir keine Einschränkung unseres Entwickelungsraumes dulden, weder in völkischer noch in staatlicher Hinsicht.

Jede Veränderung unserer deutschen Grenzen muß deshalb mit einer Erweiterung gleichbedeutend sein.

Ehe wir ein größeres Deutschland in anderen Weltteilen suchen, müssen wir uns ein größeres Deutschland in Mitteleuropa schaffen.

Wir müssen aus der Not unserer geographischen Lage eine Tugend machen. Wir wohnen nicht wie die Ungelsachsen auf einer Insel und sind deshalb nicht gezwungen, unsere neuen Siedelungsgebiete über See zu suchen.

Vielmehr sind wir ein Festlandsvolk und wohnen in einem Festlandsstaate, wie Rußland. Dieses Gebilde sucht und findet seine Kolonial

1) Der Wortlaut des westfälischen Friedens (Instrumentum Pacis Osnabrugense Caesareo Suecicum d. d. XIV. (XXIV.) Oft. 1648 nebst Beilagen und Kommentaren befindet sich abgedruckt bei Alexander Mirus, Diplomat. Archiv I, 1 Seite 1-128.

länder auf dem Festlande, im unmittelbaren Unschluß an sein Heimatsgebiet. 1)

Wenn wir unsere Siedelungsgebiete zunächst im Anschluß an die vorhandenen Stammsite suchen, dann setzen wir die tausendjährige Arbeit unserer Urväter fort. Diese fortsetzung kann schon deshalb nichts Naturwidriges sein.

Uber heute haben wir es zugelassen, daß wir zum Siedelungsgebiete unserer Nachbarn geworden sind. Heute ist das Deutsche Reich zur Kolonie seines alten Kolonialgebietes OesterreichUngarn geworden. Heute senden uns Oesterreich und Ungarn nahezu viermal soviel Einwanderer, als wir an Uuswanderern dorthin abgeben. 2) Auch zur Kolonie der Niederlande ist das Deutsche Reich herabgesunken. Und nur die Schweiz, Frankreich und Belgien (also die westlichen [!] Nachbarn) sind noch in gewissem Sinne deutsche

1) Wir beabsichtigen, diesen Gedanken im dritten Bande dieses Werkes weiter zu vertiefen. Inzwischen möge darauf hingewiesen werden, daß auch manche andere Kolonialpolitiker das kolonisatorische Vorgehen Rußlands in Sibirien in vielen Beziehungen für nachahmenswert halten, 3.B. Johannes Vollert in der Neuen Vogtländischen Zeitung, Plauen, 7. und 8. februar 1905.

2) Bevölkerungsaustausch zwischen dem Deutschen Reiche und seinen Nachbar

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Näheres vgl. die Deutschen im Auslande und die Ausländer im Deutschen Reich. Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Ergänzungsheft zu 1905, I.

Wir werden auf diese Fragen näher eingehen in einem der nächsten Hefte dieses Werkes unter dem Gesichtspunkte der „Deutschen Wanderungspolitik“.

Siedelungsländer geblieben. Nebenbei bemerkt liegt in der riesigen deutschen Auswanderung nach der Schweiz die beste Gewähr für das fortbestehen der deutschen Urt in der Schweiz, ohne daß eine deutsche Grenzpolitik es nötig hätte, mit bewaffneter Hand diese Gewähr zu schaffen.

Uber wenn wir von der Schweiz absehn, so ist es schlecht bestellt um die Fortsetzung der alten Ausstrahlung des Deutschtums in seine Nachbargebiete. Hier muß die wirtschaftliche und militärische Macht zu Hilfe kommen.

Die Erde wird unausgesetzt neu aufgeteilt unter die Starken und die Mächtigen. Die kleinen Völker verschwinden, sie müssen in größeren Nachbargebilden aufgehen.

Wenn wir zunächst darauf verzichten, die anderen großen Völker zum Kampfe ums Dasein herauszufordern, so erfüllen wir unsere Friedensaufgabe in der allein zulässigen Unwendung des Friedensgedankens. Denn der Kampf um das Dasein ist das Naturgemäße, Vernünftige und Berechtigte.

Wir beschränken uns deshalb in unserer Ausdehnungsluft auf die Siedelungsgrenzen der großen mitteleuropäischen Völker des Festlandes. Als solche erkennen wir nur an die Skandinavier, die franzosen, die Italiener, die Südslawen (mit Uusschluß der Slowenen), die Rumänen, Ruthenen und Großrussen.

Die Gebiete aller anderen Völker betrachten wir als „Zwischenländer" zwischen den künftigen großen Nationalstaaten. In diese Zwischenländer werden sich die großen Festlandsvölker teilen. Diese Teilung kann eine kriegerische sein, muß es aber nicht sein.

Je mehr diese Zwischenländer früher Siedelungsgebiete des deutschen Volkstums waren, und je mehr sie sich dazu eignen, es wiederum zu werden, desto höhere Unrechte hat das deutsche Volk darauf, sie zu Gliedern eines künftigen Größeren Deutschland zu machen. Zur Erreichung dieses Zieles darf es Kämpfe auf Leben und Tod nicht scheuen. Diese Kämpfe sind an sich für die erforderliche Auseinandersetzung und für die Schaffung neuer staatsrechtlicher Grundlagen möglich.

Auf diesen neuen Grundlagen haben bundesstaatliche Gebilde ebensogut Plah, wie einheitsstaatliche. Wir machen in unseren Uusdehnungsbestrebungen Halt vor den Siedelungsgebieten der oben ge= nannten großen Völker unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit.

In diesem Verzicht auf die Herrschaft über andere große Völker

liegt die Abkehr von den Plänen eines Weltreiches, das wir nicht anstreben, aber auch an anderen nicht dulden.

In diesem Sinne, aber auch nur mit dieser Einschränkung dürfen wir an die Worte Kaiser Wilhelms II. in Bremen am 23. März 1905 erinnern :

„Das Weltreich, das ich mir geträumt habe, soll darin bestehen, daß vor allem das neu erschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absoluteste Vertrauen als ein ruhiger, ehrlicher, friedlicher Nachbar genießen soll und daß, wenn man dereinst vielleicht von einem Deutschen Weltreich oder einer Hohenzollernweltherrschaft in der Geschichte reden sollte, sie nicht auf Eroberungen begründet sein soll durch das Schwert, sondern durch gegenseitiges Vertrauen der nach gleichen Zielen strebenden Nationen, kurz ausgedrückt, wie ein großer Dichter sagt: Nach Außen hin begrenzt, im Innern unbegrenzt.“

Freilich darf eine solche Auffassung niemals bis zur Verneinung des berechtigten Ausdehnungsbedürfnisses des deutschen Volkes führen. Die deutschen Kaiser müssen wieder wie früher „Mehrer des Reiches" werden.

Im zweiten und dritten Bande dieses Werkes gedenken wir unsere Meinung über das Verhältnis der deutschen Weltpolitik und der deutschen Kolonialpolitik zur deutschen Heimatspolitik darzulegen. Hier möge nur ausgesprochen werden, daß die Grenzpolitik die notwendige Voraussetzung für eine Ausdehnung des größeren Deutschland über See bilden muß. Deshalb können wir in dem bekannten Aus= spruche:1)

„Das Auslandsdeutschtum ist heute noch unsere beste, stärkste und wichtigste deutsche Kolonie“

keine endgültige Lösung der Aufgabe2) erblicken „das größere Deutsche Reich fest an unser heimisches zu gliedern“.

Nein. So wichtig das Auslandsdeutschtum ist, und so recht der Auslandsdeutsche" hat, „daß es eine der lohnendsten Aufgaben der deutschen Staatskunst der Gegenwart sei, aus diesem Uuslandsdeutschtum den größtmöglichen nationalen Nutzen herauszuschlagen“ — die wichtigste und lohnendste Aufgabe der jetzigen und der künftigen deutschen

1) Die deutsche Kolonialreform" von einem Auslandsdeutschen", 2. Teil, 2. Buch, Zürich 1905, S. 1598.

*) Kaiser Wilhelm II. am 18. Januar 1896.

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