Nach Reimer kommt alles darauf an, daß Deutschland mit der Unterwerfung Frankreichs die unbedingte Hegemonie in Mittel- und Westeuropa erringe, unter gleichzeitiger oder unmittelbar folgender Einverleibung der deutschen Provinzen Oesterreichs in irgend einer unseren germanischen Rassenabsichten entsprechenden form. Die Rassenforschungen Reimers enthalten eine ganze Reihe auch politisch verwertbarer Gedanken, mit denen wir uns in einem späteren Hefte dieses Bandes zu beschäftigen haben werden. Wenn aber Reimer auch aus dem französischen und russischen Volke die germanischen Reste sammeln und politisch verwerten will, so steht er zwar damit auf geschichtlichem Boden, aber auf einem Boden, der durch die geschichtliche Entwickelung von mehr als tausend Jahren für heute außer Betracht gesetzt ist. Wir brauchen es deshalb wohl kaum auszusprechen, daß wir solche phantasiereiche Vorschläge, wie die Eroberung Frankreichs und von Teilen des eigentlichen Rußland, auf das gründlichste ablehnen müssen. Um Reimer gerecht zu werden, müssen wir allerdings feststellen, daß es ihm auf die völkische Abgrenzung des neuen Gebildes viel weniger ankommt, als auf den rassenmäßigen Ausbau dieses Gebildes von innen heraus. (S. 125.) Die radikalste Meinung über die Notwendigkeit der Ausdehnung des Deutschen Reiches und der Herbeiführung eines größeren Deutschland in Europa vertritt, soweit wir in der Literatur Umschau gehalten haben, der leider unbekannte Verfasser des glänzend geschriebenen, 1900 erschienenen Buches „Deutschland bei Beginn des 20. Jahrhunderts". In seinem Schlußkapitel führt er im wesentlichen das folgende aus: In dem Stehenbleiben auf dem 1871 Erreichten schreiten wir weder national, noch unitarisch, noch in der gesellschaftlichen Entwickelung merklich vor, während andere Staaten in einem scharfen Rennen um Plätze an der Sonne begriffen sind. Wir müssen uns allmählich mit dem Gedanken vertraut machen, aus unserer bescheidenen Wartestellung herauszutreten, denn nur indem ein Volk wächst, kann es sich erhalten. Ein größeres Deutschland liegt vorläufig nicht auf dem Wasser, sondern zunächst doch wohl in Europa. Halten wir diesen Gedanken fest, auch wenn noch Jahrzehnte bis zu seiner Verwirklichung hingehen sollten, lassen wir nicht ab von ihm, darin liegt unsere Zukunft. Einstweilen ist die Zeit für große Entwickelungen allerdings noch nicht da; weder die Deutschen Oesterreichs, noch die der Niederlande sind heute schon reif zum Wiederanschluß an ihre alte treue Mutter Germania. Ullein im 20. Jahrhundert wird das bald anders werden, wenigstens für Oesterreich ganz gewiß. Zwar müssen dort erst Personen sterben und verschwinden, ehe Deutschland die Hand auf die Trümmer des Habsburger Staates legen kann, aber einmal kommt der Augenblick gewiß, und wir müssen auf ihn vorbereitet sein. Bei unserer politischen Jugend und unserer Entwickelungsfähigkeit, bei unserer ganz auffallenden kriegerischen Kraft ist die Schaffung eines Hundertmillionenreichs deutscher Nation durchaus möglich. Wir können „Europa" werden und nebenbei die See beherrschen. Dies setzt freilich einen großen europäischen Kampf voraus. für uns liegt dauernd und ausgiebig der große Unlaß zu einem solchen Kriege darin, daß seit der Gründung des Reichs und dem Erstarken Deutschlands die Deutschen aller Länder und Himmelsstriche bedrängt und bedrückt worden sind. Selbst die Kaunitzsche Koalition, vor der dem greisen Bismarck bangte, wird uns in der Erreichung dieses Zieles nicht aufhalten. Eine der vielen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ausdehnungspolitik und insbesondere auch für eine Grenzpolitik des deutschen Volkstums liegt selbstverständlich auf sozialem Gebiete. Das will sagen, daß die großen Maffen der deutschen Bevölkerung, die heute einer deutschen auswärtigen Politik teilnahmlos gegenüberstehen, es begreifen lernen, daß gerade ihre Belange durch eine deutsche Grenzpolitik am lebhaftesten gefördert werden. Diese Gedanken sind so selbst= verständlich, daß es der Bemängelung unseres ersten Heftes „Das Deutsche Reich als Nationalstaat“ durch nationalsoziale Kritiker nicht bedurft hätte, um uns hierauf hinzuweisen. Wir müssen aber alle diese Beanstander auch heute noch darauf vertrösten, daß wir derartige Dinge erst in einem späteren Hefte dieses Bandes zu besprechen gedenken, was uns doch als unser gutes Recht erscheint. Immerhin wollen wir auch hier schon gern anerkennen, daß einer der Führer der Nationalsozialen, D. Friedrich Naumann,1) auch 1) Die Politik der Gegenwart. Wissenschaftliche Vorträge gehalten in Hamburg und Heidelberg von D. Friedrich Naumann. Buchverlag der „Hilfe“ BerlinSchöneberg 1995. von seinem Standpunkte aus die Notwendigkeit einer räumlichen Uusdehnung des Deutschtums anerkennt und auch die Notwendigkeit, uns diese Ausdehnung zu Wasser und zu Lande zu erkämpfen. Er sagt von denen, die von dem Gedanken einer Expansion überhaupt nichts wiffen wollen, „daß sie von dem Verständnis der Geschichte einer großen Macht von vornherein fern sind. Jeder große politische Körper muß gewiffe Ideale der Ausdehnung haben, wenn er nicht rückwärts in Stagnation, Zank und Pessimismus zerfallen soll“. Wenn wir auch ganz gewiß alles Böse von „Rom" erwarten und befürchten, so können wir doch eine Befürchtung Naumanns nicht teilen, der da meint, eine Vergrößerung Deutschlands werde von Rom gewünscht, um Deutschland desto sicherer an den Katholizismus ketten zu können, und wenn er deshalb besorgt ist, eine Zentrumsherrschaft könne mit der Aufrollung der großdeutschen Ungelegenheit zusammen-treffen. Unseres Erachtens hat Friedrich Naumann auch insofern unrecht, wenn er die heutigen Bestrebungen, ein größeres Deutschland zu schaffen, großdeutsche nennt, statt sie alldeutsche zu nennen. Uber er hat Recht, wenn er sagt, daß wir alle jeht eine Uhnung davon bekommen, „daß die kleindeutsche Lösung des deutschen Problems, die sich unter Bismarck vollzogen hat, zwar die beste Lösung für die Vergangenheit war, aber nicht die Lösung aller deutschen Fragen für die Zukunft. Uns ist eine mitteleuropäische Auseinandersetzung unter Umständen vorbehalten, um derentwillen wir vielleicht noch einmal zu Lande müssen siegen können“. Auch die Iduna1) hat recht, wenn sie sagt, daß die Deutschen sich darüber nicht täuschen dürfen, daß die Sicherstellung ihrer Heimat gegen den Einbruch fremder Rassen noch viel harte Kämpfe kosten werde. Europa werde nicht früher zur Ruhe kommen, bis nicht die natürlichen Grenzen der einzelnen Nationalstaaten dauernd sicher gestellt worden sind. Und die Iduna hat recht, wenn sie sich dagegen verwahrt, daß die Vertretung der selbstverständlichen forderung der Aufrechterhaltung des Deutschtums an den Grenzen des Deutschen Reiches mit der Bezeichnung Chauvinismus belegt wird. 1) Jduna, Monatsschrift für Volkstum und Kunst. Begründet und herausgegeben von Ernst Wachler. Mai und Juni 1905. In den von uns besprochenen Vorschlägen über die Gestaltung des größeren Deutschland ist naturgemäß oft die Rede von ganz bestimmten für dieses größere Deutschland anzustrebenden Grenzen. Wir können die Erörterungen derartiger Grenzlinien, selbst im Rahmen einer deutschen Grenzpolitik, nicht für zweckmäßig erachten. Sondern wir meinen uns auf das Grundsätzliche beschränken zu sollen. Dieses Grundsätzliche ist sehr einfach. Es besteht in der für jedes Lebewesen selbstverständlichen Forderung, einen möglichst großen Spielraum für seine Betätigung zu gewinnen. Können wir uns bei der Inanspruchnahme eines Spielraumes für die Entwickelung des größeren Deutschland auf früheren deutschen Besiedelungsbesitz berufen, um so besser. Uber nötig ist dies nicht. Nötig ist vielmehr auch die Rücksichtnahme auf militärische Belange, die wie in der Vergangenheit, so auch in der Zukunft die Inanspruchnahme von Teilen fremden Volksbodens gebieterisch erheischen kann. Selbstverständlich ist es deshalb auch, daß wir, mit dem jugendlichen Fürsten Bismarck vom Jahre 1863, als das Mindeste die Festhaltung jeden fußbreit Landes im mitteleuropäischen deutschen Siedelungsgebiet fordern müssen. Wenn aber Siedelungsgebiet und Staatsgrenzen nicht zusammenfallen können, so gebietet es die gesunde völkische Selbstsucht, die Grenzpfähle lieber in fremdes Siedelungsgebiet zu stecken, wie wir dies in Meh getan haben, als unnötigerweise hinter den Grenzen des Siedelungsgebietes zurückzubleiben. Diese militärische Rücksichtnahme berechtigt auch zur Durchbrechung des anderen großen Grundsahes, daß wir jedenfalls vor den Grenzen der vorhandenen oder der künftigen großen lebensfähigen und deshalb allein daseinsberechtigten Nationalstaaten Halt machen müssen. Wir wollen es nochmals hier aussprechen, daß wir als solche in Mitteleuropa nur anzuerkennen vermögen die Deutschen, Franzosen, Italiener, Südslawen, Rumänen, Ruthenen, Großruffen und Skandinavier. Alles andere ist Wachs in den Händen der Zukunftsgestaltung, natürlich nicht nur ausschließlich in unseren Händen. Das Zuwachsgebiet für die starken und mächtigen Nationalstaaten der Zukunft in Mitteleuropa ist ein großes, wenn auch kein unbegrenztes und es enthält zahllose neue Gestaltungsmöglichkeiten. Würde doch dieses neue Kolonialland der Zukunft durch die beträchtlichen Siedelungsgebiete der Polen, Tschechen, Madjaren, Slowaken, Slowenen, Ladiner, Rhätier, Wallonen, Littauer, Ehstländer und Finnländer gebildet. Ehe die Gebiete dieser kleineren zu Nationalstaaten ungeeigneten Völker nicht endgültig unter die großen Staaten Mitteleuropas auf geteilt sind, kann und wird Europa niemals zur Ruhe kommen. Diese Aufteilung wird natürlich harte Kämpfe kosten, ähnlich den großen europäischen Kämpfen, die zu den völkerrechtlichen Ubmachungen im westfälischen Frieden') und dem Wiener Kongreß führten, Ubmachungen, die noch heute die Grundlagen für alle wichtigen europäischen Beziehungen bilden, mehr, als wir uns dessen bewußt sind. Eine große Schwierigkeit für die Festlegung künftiger Grenzen besteht in dem Umstande, daß deutsche Siedelungsgebiete, wie Inseln, in fremden Siedelungsgebieten drin liegen, wie das Gebiet der Siebenbürger Sachsen in dem rumänischen Siedelungsgebiet und die schwäbischdeutschen Kolonien in südslawischen und ostslawischen Gebieten. Hier wird die Unwendung des reinen Territorialprinzips nicht ausreichen ; man wird, wie in gemischten Völkerstaaten, nationale Personengenossenschaften mit öffentlichem Recht auf den Gebieten des Staates, der Gemeinde, der Kirche und der Schule bilden können, um einerseits die völkliche Selbständigkeit, andererseits das Nebeneinanderwohnen mehrerer Nationalitäten zu ermöglichen. Auch die Grenzen des heutigen Deutschen Reiches sind wie alle menschlichen Dinge dem Wandel unterworfen. Uls ein Volk, das an seine Zukunft glaubt, und im Wettbewerbe der großen Kulturvölker des Erdballes fortbestehen will, dürfen wir leine Einschränkung unseres Entwickelungsraumes dulden, weder in völkischer noch in staatlicher Hinsicht. Jede Veränderung unserer deutschen Grenzen muß deshalb mit einer Erweiterung gleichbedeutend sein. Ehe wir ein größeres Deutschland in anderen Weltteilen suchen, müssen wir uns ein größeres Deutschland in Mitteleuropa schaffen. Wir müssen aus der Not unserer geographischen Lage eine Tugend machen. Wir wohnen nicht wie die Angelsachsen auf einer Insel und find deshalb nicht gezwungen, unsere neuen Siedelungsgebiete über See zu suchen. Vielmehr sind wir ein Festlandsvolk und wohnen in einem Festlandsstaate, wie Rußland. Dieses Gebilde sucht und findet seine Kolonial 1) Der Wortlaut des westfälischen Friedens (Instrumentum Pacis Osnabrugense Caesareo Suecicum d. d. XIV. (XXIV.) Oft. 1648 nebst Beilagen und Kommentaren befindet sich abgedruckt bei Alexander Mirus, Diplomat. Archiv I, 1 Seite 1-128. |