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Den Engländern entgegen drangen die Fürsten, Staatsmänner und Feldherren Preußens, Oesterreichs, Bayerns, Württembergs und der Niederlande auf Abtretung der Deutschland entrissenen Grenzlande, des Elsaß mit dem verräterisch eingenommenen Straßburg, Lothringens, und der äußersten Reihe Festungen in Französisch-Flandern und Artois und auf Geldentschädigung zum besten der durch die Franzosen so unerhört ausgesogenen Völker. Man wies nach, daß sie aus Preußen allein die ungeheure Summe von 1181,228,574 Franken erpreßt hatten. Metternich, Humboldt, Hardenberg brachten in diesem Sinne Denkschriften in Umlauf, welche die Kniffe der Russen und Engländer ins hellste Licht setzten. Gagern, der niederländische Gesandte bei der Konferenz, war bemüht, nicht nur die deutschen Minister in diesen forderungen einig zu erhalten, sondern auch die Engländer zu dieser Meinung herüberzuziehen, welche sich als die Schußherren der Niederlande zu betrachten liebten.

„So standen im Unfang August 1815 zwei der vier Hauptmächte Europas im geheimen Einverständnis mit Frankreich, den beiden übrigen scharf entgegen. Rußland und England, deren Gebiete den Uebergriffen französischer Hab- und Eroberungssucht nicht unmittelbar offen standen, waren entschlossen, dem gehofften Preise der Gunst Frankreichs, die Sicherheit ihrer Verbündeten aufzuopfern; sie kümmerte es wenig, Deutschland eine feste Grenze zu verschaffen, wenn sie nur, jeder bei seinen eigenen Plänen, auf die französische Regierung rechnen durften. Preußen und Oesterreich an sich und unmittelbar waren nicht einmal in demselben Grade bei der Sache beteiligt als die kleineren deutschen Staaten, und besonders die unmittelbaren Grenznachbarn Frankreichs, deren Untertanen bei dem ersten Ausbruch eines ueuen französischen Krieges zugrunde gerichtet werden konnten. Mehrere dieser Fürsten standen dem Kaiser Ulerander persönlich nahe, andere hatten einen Einfluß auf die englische Politik, und beide versuchten es, der Stimme der Wahrheit Gehör und Beachtung zu verschaffen.

Unter ihnen waren der Großherzog von Baden zwar Frankreichs Ungriffen zunächst und ganz ohne Schuhwehr ausgesetzt, aber seine Persönlichkeit so wenig bedeutend, daß von ihm kein Erfolg zu hoffen war. Der schönste Teil des Großherzogtums, die Pfalz, war durch geheime Verträge zum Heimfall an Bayern bestimmt; diese Macht erklärte sich daher durch Wrede für die Preußisch-Oesterreichischen Unträge, selbst wenn sie für Bayern keinen unmittelbaren Gewinn bringen sollten. Württemberg und Niederland, in ähnlicher Lage wie Baden,

schienen durch ihre Kronprinzen ein Gewicht in die Wagschale legen zu können, da beide Prinzen als Feldherren und als künftige Schwäger dem Kaiser Ulexander nahe standen. Den ersten Versuch machte der Kronprinz von Württemberg. Er übergab dem Kaiser gleich nach dem Abgange der Preußischen Gutachten eine vortreffliche Denkschrift, welche er selbst ausgearbeitet und der Minister der auswärtigen Ungelegenheiten Graf Winkingerode auf Befehl unterzeichnet hatte.

Der Vorschlag, das Elsaß dem Kronprinzen von Württemberg zu geben, durchkreuzte zwar den österreichischen Plan, Elsaß und Lothringen zu einer Ausstattung des Erzherzogs Karl zu verwenden, schien aber Ulexanders Beifall leichter gewinnen zu müssen, der in dem Kronprinzen seine eigene Schwester beschenken und deren Nachkommen ein schönes Land sichern konnte; auch hatte es ja beim Wiener Kongreß nur an verfügbaren Mitteln gefehlt, um das Verdienst des Kronprinzen zu belohnen. Aber der Kaiser war gegen ihn mißgestimmt, es war ihm unangenehm, in seinen vorgefaßten Absichten gestört zu werden, und er nahm die Denkschrift nicht wohl auf. Der Kronprinz suchte die nicht weniger für Deutschland als für ihn selbst wichtige Sache in mehreren Unterredungen dem Kaiser zu empfehlen, aber ohne Erfolg: Alerander ging von dem Gedanken nicht ab, daß es hinreichen werde, die Festungen zu schleifen. Auch der Kronprinz von Bayern verfaßte eine Denkschrift in seinem Sinne und richtete sie an den Kaiser Franz; die Oesterreicher, welche noch immer nicht mit Bayern auseinandergesetzt waren, hatten nichts eiligeres zu tun, als diese Schrift den Franzosen zu zeigen, wie Gagern meint aus Eifersucht gegen die süddeutschen Fürsten.“

Um 18. August 1815 vollendete der Freiherr von Stein') ein Gutachten, das er dem Kaiser Ulexander übersandte, in dem die Gründe dargelegt waren für die Notwendigkeit einer beträchtlichen Abtretung von Land seitens Frankreichs an Belgien und Deutschland, unter Bezugs nahme auf die Kriegsgeschichte und die Schwäche der Kriegsschauplätze an der untern Maas und dem obern Rhein.

„Für Deutschland ging aus diesen Kämpfen und Verhandlungen die teuer erkaufte Lehre hervor, daß keine der großen europäischen Mächte aufrichtig sein Heil, seine Sicherheit und Kraft wünscht; daß zwar jede derselben unter allen Umständen bereit ist, mit deutschem

1) Nach Kurd von Strantz, „Nationale politische Eindrücke aus Frankreich“, in den Wartburgstimmen vom Januar 1905 Seite 451, hat der Freiherr von Stein nach den Befreiungskriegen ganz Lothringen und die gleichfalls geraubten Niederlande für Deutschland gefordert.

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Wo?

Blut und deutschen Waffen ihre Kriege zu führen, daß deutsche Mächte, die großen wie die kleinen, in der Stunde der Not gesucht und gefeiert und mit den bündigsten Versprechungen zur Hingebung ermuntert werden, daß aber, sowie deutsche Heere den Sieg errungen haben und der gemeinschaftliche Feind niedergeworfen ist, keine deutsche Macht, weder große noch kleine, auf gerechte Entschädigung und auf die notwendigen Bedingungen der Unabhängigkeit rechnen darf, sondern erwarten muß, daß die anderen Mächte sich über Deutschlands Verluste die Hände reichen. Deutschland darf seine Hoffnung so wenig auf England, als auf Rußland oder Frankreich setzen, es darf auf niemand rechnen als auf sich selbst: erst wenn kein Deutscher mehr sich zu des Fremden Schildknappen erniedrigen mag, wenn vor dem Nationalgefühl alle kleinen Leidenschaften, alle untergeordneten Rücksichten verstummen, wenn infolge einträchtiger Gesinnung ein starker Wille Deutschlands Geschicke lenkt, wird Deutschland wieder, wie in seinen früheren großen Zeiten, kräftig, stolz und gefürchtet in Europa stehen bis dahin muß es dulden und schweigen."

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Um 3. November 1815 vereinigte sich die Konferenz der Mächte in Paris über die Verteilung der französischen Landabtretungen und die dadurch bedingten Uusgleichungen in Deutschland. Das am 3. November paraphierte Protokoll wurde gleichzeitig mit der Urkunde des zweiten Pariser Friedens am 30. November 1815 in Paris unterzeichnet.1) Dieses Friedensinstrument gab im ersten Artikel Frankreich die Grenzen von 1790 wieder mit einigen Modifikationen zu Ungunsten Frankreichs, die, was Deutschland anbelangt, in der Abtretung der Gebiete 2) von Saarlouis, Saarbrücken und Landau bestanden. Im Austausch gegen österreichische Erwerbungen gelangten Saarlouis und Saarbrücken an Preußen, Landau an Bayern.

Elsaß und Lothringen blieben nach wie vor bei frankreich.

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Die Schweiz war bis zum Jahre 1803 in gewissem Sinne noch als ein Teil des Deutschen Reichs angesehen worden. Der Reichsdeputationshauptschluß von Regensburg vom 25. februar 1803 beschäftigte 3) sich im § 29 mit der Schweiz und verlieh „der helvetischen

1) Beide Urkunden im Wortlaute abgedruckt bei Miruß I. 1. S. 738 und 747. Vgl. auch Pertz II. S. 285.

2) Ein Kartogramm dieser Erwerbungen Deutschlands als Nebenkarte zu v. Spruner-Menkes historischen Handatlas Nr. 48.

3) Vgl. Miruß I. 1. S. 183.

Republik" zur Vergütung ihrer Rechte und Unsprüche auf die von ihren geistlichen Stiftungen abhängigen Besitzungen in Schwaben das Bistum Chur und die Herrschaft Trasp, erkannte die in der helvetischen Republik vorgenommenen Säkularisationen an und gestaltete die Unabhängigkeit der Republik weiter aus, indem in Zukunft jede Gerichtsbarkeit der deutschen Fürsten und Stände in der Schweiz und ebenso der Schweiz im Umfange des Deutschen Reiches aufhören sollte.

Dagegen geriet die Schweiz durch die Verträge vom 11. februar 1803 und vom 4. Juni 1803 in völlige Abhängigkeit von Frankreich. Im sechsten Artikel des ersten Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 erlangte sie ihre Unabhängigkeit wieder («La Suisse indépendante continuera par elle même»). Der Wiener Kongreß beschäftigte sich auch mit der Ausführung dieser grundsätzlichen Bestimmung und zwar vom 14. November 1814 bis zum 20. März 1815.')

Bei diesen Beratungen äußerten die Könige und Kronprinzen von Bayern und Württemberg und der Großherzog von Baden dem Ge= sandten der Schweiz den Wunsch: „die Schweiz möchte sich mehr an Deutschland, ihr Mutterland, anschließen"; Talleyrand und Dalberg zeigten sich hinsichtlich der Grenze sehr zurückhaltend, und jener versuchte die Gesandten der Schweiz zur Wiederanknüpfung der alten Kapitulation mit Frankreich zu bestimmen, wie er auch späterhin für Frankreich einen vorwiegenden Einfluß auf die Schweiz in Anspruch nahm, welchen Reinhard, einer der Schweizer Abgeordneten, mit Entschiedenheit ablehnte.

Die Schweizer Gesandten legten dar, die Schweiz betrachte sich als völlig berechtigt, sich selbst für frei und unabhängig zu erklären, sich selbst eine Verfassung zu geben, sie werde es jedoch als ein Glück und als Befestigung ihres politischen Bestandes erachten, ebenso wie im Westfälischen Frieden, ihre Freiheit und Unabhängigkeit von neuem bestimmt ausgesprochen und erklärt zu sehen.

Die Neuordnung der Verhältnisse der Schweiz erfolgte auf Grund eines Vertrages der Konferenz der acht Mächte vom 19. und 20. März 1815.

Um 27. Mai 1815 erklärte die Tagsatzung der Schweiz ihren Beitritt und die Schweiz war damit in erweiterten Grenzen als geordneter unabhängiger Staat in die Reihen der europäischen Mächte eingetreten.

Im Artikel 74 der Wiener Akte werden die 19 Kantone der Schweiz, gemäß der Konferenz vom 29. Dezember 1813, als Grundlage des helvetischen Systems anerkannt.

1) Vgl. Pertz II. S. 185 ff. und Wiener Kongreßakten Band 19. S. 230 ff.

Im Artikel 75 werden Wallis, das Gebiet von Genf und das Fürstentum Neuenburg mit der Schweiz vereinigt und als drei neue Kantone gebildet, und das Dappental wieder mit dem Kanton Waadt vereinigt.

Im Artikel 76 wird das Bistum Basel, die Stadt und das Territorium von Brienne mit der helvetischen Konföderation vereinigt und als Teil des Kanton Bern erklärt, mit Ausnahme einer Anzahl namentlich aufgeführter Ortschaften, die zu dem Kanton Basel und zu dem Kanton Neuenburg geschlagen werden.

Da das Bistum Basel bisher zum Deutschen Reiche gehört hatte, wurde also das letztere zugunsten der Schweiz geschmälert, ganz abge= sehen davon, daß die Schweiz ohne eigene Unstrengung, sondern nur durch die Deutschlands und der anderen Alliierten von der französischen Herrschaft befreit worden war, was nicht immer genügend gewürdigt wird.

Im dritten Artikel des zweiten Pariser Friedens vom 20. November 1815 wurde Frankreich die Verpflichtung auferlegt, die Basel beunruhigenden Befestigungen von Hüningen für immer zu schleifen. Auch wurde die Neutralität der Schweiz in bestimmten Grenzen ausgesprochen (vgl. auch Artikel 4 des Protokolles vom 3. November 1815 und Artikel 92 der Wiener Schlußakte).

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Gneisenau hatte am 8. Juli 1815 dem Könige von Preußen vorgestellt1), als Bürgschaft des Friedens müßten alle diejenigen Festungen und Länder, deren Flüsse sich in den Rhein, die Mosel, die Maas, die Schelde und die Lys ergießen, gefordert werden. Er forderte für Preußen Mainz, Luxemburg, Unsbach-Bayreuth und Nassau, für Bayern Entschädigung in Elsaßz-Lothringen. Dies ist die einzige Grenze Frankreichs, die Sicherheit gegen ein unruhiges, reizbares, kriegerisches und fähiges Volk gewährt". Dies hätte natürlich die Nichtwiederherstellung der Selbständigkeit der Niederlande bedingt. Bei dem Bestreben der Großmächte, Deutschland und Preußen ohnmächtig zu gestalten, war aber bei dem zweiten Pariser Frieden an derartiges nicht zu denken. Im Gegenteil: England bewirkte, um auf dem Festlande einen Stützpunkt zu haben, die Vereinigung Hollands und Belgiens zu einem Königreich der Niederlande unter dem Szepter des Hauses Oranien, wofür es zugleich einen Teil der holländischen Kolonien in Beschlag nahm. Uls Ersatz für seine nassauischen Besitzungen erhielt der neue König das Großherzogtum Luremburg, wodurch er Mitglied des Deutschen Bundes wurde.

1) Jacob S. 12.

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