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gültigste Naturgrenze macht die Sprache". Die Verschiedenheit der Sprachen hat Gott gesetzt, damit nicht ein großer, fauler und nichtswürdiger Sklavenhaufe auf Erden wäre. Die verschiedenen Sprachen machen die natürliche Scheidewand der Völker und Länder, sie machen die großen innerlichen Verschiedenheiten der Völker, damit der Reiz und der Kampf lebendiger Kräfte und Triebe entstehe, wodurch die Geister in Lebendigkeit erhalten werden; denn für die Uebung der Geister ist das menschliche Geschlecht hier erschaffen. Nach den Sprachen haben sich auch die Völker und Länder gewöhnlich in ihre Bestandteile abgesetzt und geschieden und waren gegen den Ausgang des Mittelalters mit ihren Gebieten glücklich genug abgemarkt, bis seit drei Jahrhunderten Eroberungswut angefangen hat, Gottes Naturgang zu stören und alles Fremdeste und Ungleichste zusammen zu schütten und zu mischen. . .

Nächst der Sprache machen nach der Erfahrung der Zeiten, worauf man bei der Lösung unserer Frage am besten und sichersten fußzet, Gebirge und Meere Naturgrenzen, nicht an ihnen selbst, sondern weil sie Sprachgrenzen sind und also die Völker durch Verschiedenheit und Ungleichheit, ferner auch durch daraus entspringende Ubneigung und Haß absondern . . Die Alpen sind die Sprachgrenzen der Italiener und Deutschen und der Italiener und Franzosen. Der Ardennerwald, der Vogesus und Jura trennen die deutsche und französische Sprache; doch nur so, daß Mischungen an den Grenzen hin, hie und da auch wohl über die Grenze hinaus laufen. Durch das Meer ist die schwedische, dänische, norwegische und isländische Sprache von der jetzigen deutschen Sprache viel verschiedener geworden, als sie sein würde, wenn man aus Mecklenburg und Pommern zu Fuß nach Seeland und Schweden gehen könnte..... Wie also Berge und Grenzen Naturgrenzen werden, so werden es auch große Wüsten und Sümpfe, weil sie die Verbindung des einen Landes mit dem andern erschweren. Aber Ströme sind nie Naturgrenzen gewesen und können es auch nie werden."

Wenn wir uns diese Auffassung Urndts aneignen, so hat das heutige Deutsche Reich nur teilweise natürliche Grenzen, insofern das Reich im Norden bis an die Nordsee und an die Ostsee reicht, und nur die schmale schleswig-jütländische Halbinsel eine staatliche Grenze zeigt, die sich an eine Landmarke in keiner Weise an= lehnt. Unsere Grenze mit Holland und mit Belgien hat in alle Wege nichts natürliches. Die Grenze des Deutschen Reiches gegen frankreich hat erst im Jahre 1871 eine natürliche Unlehnung an den

Wasgenwald gefunden. Unsere Südgrenze gegen die Schweiz lehnt sich an den Rheinstrom an, ist also keineswegs eine natürliche. Die Südgrenze Bayerns liegt zwar auf einer hohen gebirgigen Erhebung, deckt sich aber keineswegs immer mit einer Wasserscheide oder einem Ge-. birgskamm. Dagegen bilden der Böhmerwald, das Erzgebirge und das Riesengebirge ausgesprochene Grenzwälle des Deutschen Reiches. Die ganze Östgrenze dagegen entbehrt auch heute noch, wie seit einem Jahrtausend einer Unlehnung an ein großes geographisches Verkehrshindernis.

Wenn wir dann im Gegensatz zu den staatlichen Grenzen unseres Reichs die Grenzen der Siedelung des deutschen Volkstums betrachten, so fallen diese bekanntlich nur teilweise mit den heutigen Reichsgrenzen zusammen und genießen auch nur insoweit die Anlehnung an die deutschen Meere und an die deutschen Grenzgebirge. Wenn man als die Grenze des deutschen Siedelungsgebietes die deutschen Alpen bezeichnet, so ist diese Bezeichnung eine viel zu unbestimmte. Man darf hier vielleicht vom Jura, vom Montblanc und Monte Rosa sprechen, von der Dreisprachenspike, vom Stilfser Joch und vom Gotthard reden, aber man darf in alle Wege den Brenner und die weiter östlich gelegenen deutschen Ulpen nicht als Grenzen des deutschen Siedelungsgebietes gegen das italienische Volkstum anerkennen. Und noch schwieriger liegen die Dinge an der unteren Donau, wo nur in beschränktem Maße die Karpathen als Ubgrenzungen größerer deutscher Siedelungsinseln nach Süden anerkannt werden dürfen. Auch inbezug auf das deutsche Volkstum sind die Grenzen nach dem Osten völlig offen, insofern jenseits der Erhebungen, die Ungarn von Galizien trennen, in der Bukowina, in Galizien und in dem ganzen südwestlichen, mittleren und nordwestlichen Rußland sich große Gebiete deutscher Siedelung vorfinden.

Erfreulicherweise wird aber selbst von einem so hervorragenden Geographen wie Friedrich Rahel die Bedeutung der sogenannten natürlichen Grenzen für Staatstum, Volkstum und Politik durchaus nicht überschätzt. Rahel warnt sogar davor, in diesen natürlichen Grenzen einen wirksamen Schutz der Staatsgrenzen zu erblicken und wir befinden uns durchaus in Uebereinstimmung mit Rahel, wenn er die Bedeutung der natürlichen Grenzen eigentlich mehr in der Entwickelungsrichtung als in dem Beharrungszustande erblickt, insofern er bei ausdehnungsluftigen und ausdehnungsbedürftigen Völkern in den natürlichen Grenzen jenseits des bisherigen Staatsgebietes die leicht erkennbaren und von der Phantasie leicht erfaßbaren Marksteine für künftige Grenzfestsetzungen erblickt.

Friedrich Ratzel hat sich über diese Dinge, wenn auch nicht als Selbstzweck wissenschaftlicher Untersuchung, so doch als Beispiel und Beleg für allgemeine geographische wissenschaftliche Unschauungen in einer wenig gekannten Abhandlung') ausgesprochen, deren Gedankengänge, soweit sie sich eben mit Deutschland und mit dem Deutschen Reiche beschäftigen, wir im nachstehenden kurz wiedergeben wollen.

Kein europäischer Staat hat im Laufe des 19. Jahrhunderts die gleichen Grenzen zu bewahren vermocht, außer Großbritannien, weil es auf allen Seiten vom Meere umflossen ist. Noch mehr als die staatlichen Grenzen sind die Völkergrenzen beständiger Veränderung unterworfen. So spottet der natürliche Wechsel der Dinge auf unserer Erde einer jeden für immer gemeinten Begrenzung. Die Grenzziehung hat in der Natur wie im Völkerleben eine Berech= tigung nur für zeitweilige Stillstände. Die Enge unseres Gesichtskreises läßt uns vielfach eine Wagerechte, als Ausdruck der Ruhe und des Gleichgewichtes, sehen, obgleich bereits eine leichte Neigung oder Erhebung als Uusdruck der Ubwärts- oder Aufwärtsbewegung eingetreten ist. Freilich, je mehr die Natur der grenzziehenden Tätigkeit entgegenkommt, um so früher erreicht diese ihr Ziel. Länder mit natürlichen Grenzen können die der Aufsuchung neuer Grenzen gewidmete Kraft der inneren Kultur widmen. Man kann hier von einer Ersparung äußerer Arbeit zugunsten der inneren reden.

Die Verzögerungen und Hemmungen in der politischen und kulturlichen Entwickelung Deutschlands sind sicherlich nur zum Teil in dem geringeren Schutz seiner Grenzen und in seiner weniger günstigen Lage zu suchen; die Schwierigkeit, in der äußeren Arbeit der Grenzbildung einen Abschluß zu finden, der es gestattete, sich ganz nach innen zu wenden, hat daran ihren gehörigen Teil. Die bewegte Geschichte eines zerfallenen und jüngst wieder aufgerichteten Reiches spricht noch immer in dem vielgewundenen Verlauf und in zahlreichen einzelnen Unvollkommenheiten unserer Grenzen sich aus. Was innen zerklüftet, bröckelt außen ab. Als das Haus des Deutschen Reiches schadhaft wurde, zerfielen zuerst seine Mauern. Und diese Mauern waren ohnehin schon lange schwach, denn zu den organischen Fehlern des alten Reiches gehörte die Bildung schwacher Staaten an den wichtigsten Grenzlinien. Die Risse, Sprünge und Löcher in Deutschlands westlicher Mauer, die zahllosen Enklaven und Erklaven im Grenzgebiet erleichterten den Franzosen das Eindringen ins Elsaß und die Gewinnung des Rheins, der seit Odoaker ein deutscher Strom gewesen. Der Verlust von Metz und Straßburg hätte das Reich lehren können, was es heißt, den Grenzschutz an gefährdetster Stelle Bischöfen und freien Reichs

1) Ueber allgemeine Eigenschaften der geographischen Grenzen und über die politische Grenze. Von Friedrich Ratzel. Sonderabdruck aus den Berichten der K. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften [zu Leipzig), Sitzung vom 6. februar 1892.

städten anzuvertrauen. Preußen allerdings hat in den Friedensverhandlungen nach den Befreiungskriegen mit Zähigkeit den Gedanken verfochten, daß die Kleinstaaten von der bedrohten Westgrenze ferngehalten und diese von Preußen und Oesterreich verteidigt werden sollte. Das ist gesunde geographische Vorstellung, der 1814 Jakob Grimm in einem Briefe aus Troyes Worte gab: Das Elsaß an Oesterreich, das übrige Linksrheinische an Preußen, weil „daran liegt, daß Starke an der Grenze find". Auch Hardenberg hatte die Erwerbung des Elsaß für Oesterreich bei jenem Plane vorausgesetzt. Und außerdem würde in dem historischen Trümmerwerk im Grenzgebiet durch einen Bund mit Holland und der Schweiz aufgeräumt worden sein. In diesen von einem zurückgehenden Lande abgebröckelten kleinen Staaten liegt eine Schwierigkeit des Ausreifens der Grenze, unter der gerade Deutschland litt, das wie ein alter Bau aus eigenen Trümmern hervorragt. Jegliches Land umgibt sich einmal mit einer geschichtlichen Trümmerstätte, aber sie soll keine dauernde Einrichtung bleiben. Deutschlands Grenzen erinnern wie die Oesterreichs noch heute daran, daß es in einem, beiden gemeinsamen geschicht= lichen Prozeß von Westen her zurückgedrängt worden ist. Die Niederlande, Luxem= burg, die Schweiz teilen mit beiden Eigentümlichkeiten der Grenze, die in alter Gemeinsamkeit der Geschichte begründet sind, und liegen auch auf der Karte wie Bruchstücke, denen man es ansieht, daß sie nicht immer unser Land von den Quellen und der Mündung des Rheins trennten. Deutschland hat die Vogesengrenze wieder gewonnen, als es sich das Spätestverlorene dieser Bruchstücke zurückeroberte.

Aber es liegt auch in seiner Ost- und Südgrenze die Geschichte einer hinund herschwankenden und vielfach zurückgehaltenen, daher unfertigen Entwickelung ausgesprochen. Bei einem vergleichenden Ueberblick der Grenzen des Deutschen Reiches erkennt man sofort, daß die Ostgrenze von Passau bis Memel die weitaus ungünstigste der deutschen Grenzlinien ist. In ihrem Verlauf bezeugt der nördliche Teil die Entwickelung aus der noch ungünstigeren Grenze vor der zweiten polnischen Teilung. Zwei mächtige Einbuchtungen dringen gegen das Innere. Deutschlands vor: Böhmen und Polen, die eine das obere Elb-, die andere das mittlere Weichselgebiet umfassend, beide mit Millionen slawischer Völker angefüllt. Jusammen mit der Südgrenze bewirken sie, daß Deutschland nach Osten dreifach ausgezackt ist, drei Striche wie Landzungen in das Meer der slawischen Völker hineinragen, welche seine Ostgrenze umwohnen und von dessen Brandung, die das Bild eines mächtigen Ringens ausprägende Sprachgrenze zwischen Ostsee und Adria Zeugnis gibt. Passau, Ratibor und Tilsit bezeichnen die Spitzen dieser politischen Halbinseln, die festen von Königstein und Thorn liegen an den tiefsten Stellen der zwischen ihnen eingreifenden Buchten. Von der Landgrenze des Deutschen Reiches kommen auf diese Ostgrenze von der Donau bis zur Memel mehr als auf die ganze übrige Süd-, West- und Nordgrenze.

Die belgische Südgrenze, welche im allgemeinen ein Bild der Abbröckelung wie wenig andere gewährt, zeigt im Maastale eine der willkürlichsten Einbuchtungen, deren, man möchte sagen, gewaltsames Einbohren in das belgische Gebiet nur noch übertroffen wird von dem phantastischen, geschwollenen Keil durch den die Niederlande in dem Winkel zwischen Maas und Röhr Deutschland und Belgien voneinander trennen. Auch nach Westen zu ist die belgische Nordgrenze sehr uneben gezeichnet; ihre form an und für sich, ohne daß man den Einfluß der Boden- und Wasserlinien in Betracht zieht, gibt vom geschichtlichen Schicksal

Rechenschaft. Vor der jetzigen, wesentlich auf den Eroberungen Ludwigs XIV. beruhenden Grenze zog die Linie zwischen den spanischen Niederlanden und' frankreich in wenig gebuchteter Linie von Lothringen bis ungefähr in den Meridian von Amiens, wo dann wie ein Vorbote späterer Ausbreitung ein französischer Küstengrenzsaum sich nach Calais hinaufzog."

Ein kräftiges Staatenwachstum umfaßt die politischen Vorteile oder zeigt das energische Bestreben, sich ihnen zu nähern. Vor allem will jeder Staat ans Meer, und wenn er es erreicht hat, will er sich möglichst breit an ihm entwickeln. Ungarns Vordringen nach fiume ist lehrreich für die erste, Deutschlands Grenzbild im Nordosten, Rußlands in Bessarabien, Oesterreichs in Dalmatien für die zweite Stufe.

Frankreich hat heute auf den Vogesen eine bessere Grenze als Deutschland im Erzgebirge und den Alpen, wo Oesterreich nicht selten das Quellgebiet mit den obersten Tälern von Flüssen besitzt, die über den deutschen Ubhang hinrinnen, was auch verkehrspolitisch ein Unding ist, wie es militärisch gefährlich werden könnte.

Daß die schmale Stelle des Reichsleibes zwischen Uvricourt und Taus mit der größten Verschmälerung des deutschen Sprachgebietes zwischen Franzosen und Tschechen zusammenfällt, verleiht hier jedem Kilometer deutschen Bodens, sei es staatlichen oder Sprachgebietes, einen ganz besonderen Wert. Wir wünschen auch an anderen Stellen nichts einzubüßzen, aber es wird gut sein, sich die Wichtigkeit gerade dieser Stelle samt ihrer Umgebung klar zu machen. Der Sprachkampf am nördlichen Böhmerwald hat für die Gesamtheit der Deutschen eine erhöhte Bedeutung, weil er gerade diese empfindliche Stelle berührt.

Wenn Friedrich Rahel darauf hinweist, daß nur die staatliche Grenze die form einer Linie haben kann, und auch nur bei modernen Staaten, daß aber bei den Staaten früherer Zeiten und bei allen Völkergrenzen nicht eine Linie, sondern ein Saum die Grenze bildet, so hätte er auf die deutschen Marken nach der Zeit der Völkerwanderung hinweisen können, die zunächst gewollte Einöden waren, später nach ihrer Aufteilung die Schauplätze neuer Besiedelungen bilden konnten. Wir werden später finden, daß diese Grenzsäume noch heute und erst recht in der Zukunft eine politische Bedeutung haben, insofern Gebiete, die wir „Zwischenländer“ nennen wollen, den Spielraum abgeben für die Entwickelung mächtiger Völker zu großen Nationalstaaten auf Kosten der zwischen ihnen liegenden, klein gebliebenen Völker oder der Trümmer älterer, größerer Staats- und Volks= gebilde.

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