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Noch viel lebhafter müssen wir uns gegen Hirngespinste wenden, wie die Reimers,1) der Frankreich „unterwerfen“ und in drei Teile teilen will. Und zwar nicht nur grundsätzlich, weil wir jeden Versuch der Wiederaufrichtung des alten (internationalen) deutschen Weltreiches ablehnen, sondern auch in der vorliegenden Beschränkung dieses Gedankens auf Frankreich. Weiter unten bei der Besprechung des „größeren Deutschland" werden wir uns mit Reimer und seinen Ge= sinnungsverwandten noch gründlicher auseinanderzusehen haben.

Die von Frankreich an Deutschland abgetretenen Teile von ElsaßLothringen wurden durch Gesetz vom 28. Juni 1871 mit dem Deutschen Reiche vereint und als „Reichsland" organisiert. Wir haben schon oben I. 1. S. 51 und 55 dargelegt, daß wir es lebhaft bedauern, daß die Verfassung des Deutschen Reiches so schnell in Elsaß-Lothringen eingeführt worden ist, statt das Gebiet als „Markgrafschaft“ einzurichten und seinen Bewohnern abgestuft öffentliche Rechte einzuräumen. Wir würden an dieser Stelle auf die Frage nicht nochmals zurückkommen, wenn inzwischen nicht Jacob im dritten Kapitel seines Buches über Bismarck und die Erwerbung Elsaß-Cothringens in dankenswerter Weise manche Aufklärungen darüber gegeben hätte, wie es zur Organisation des „Reichslandes“ gekommen ist, und wenn nicht heute 1905 von Beteiligten, Politikern und Staatsrechtslehrern die frage wieder als als dringlich behandelt würde, das „Reichsland" in einen deutschen „Bundesstaat“ zu verwandeln. Bei den letzteren Erwägungen werden unseres Erachtens die Gründe der Erwerbung von Elsaß-Lothringen viel zu wenig beachtet. Die letzteren werden auch von Jacob noch nicht genügend gewürdigt, dessen ganze Beweisführung auch hier zu sehr darauf zugeschnitten ist, die Verdienste des Fürsten Bismarck an der Neuschöpfung hervorzuheben, wenn er auch zugeben muß, daß Bismarck in der Beurteilung dieser Dinge vielleicht größeren Schwankungen“ unterworfen gewesen ist, als in irgend einer anderen politischen Frage.

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Zunächst entstand die Frage, ob die abgetretenen Gebiete gemeinsam neugestaltet werden und ein gleiches staatliches Schicksal erhalten sollten. Dies war keineswegs selbstverständlich.

1) Josef Ludwig Reimer: Ein pangermanisches Deutschland. Leipzig, Luckhardt 1905. S. 166.

Jacob weist Seite 140 mit Recht darauf hin, daß diese Gebiete drei selbständig ohne ein gemeinsames Band nebeneinanderstehenden französischen Departements angehört hatten, und daß erst das im August 1870 zur vorübergehenden Verwaltung der abzutretenden Gebiete ge= schaffene Generalgouvernement eigentlich zum ersten Male ein engeres Band geschlungen habe um das, was wir heute in einem Doppelnamen „Elsaß-Lothringen“ nennen, als das bisherige allgemeine Band der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche.

Wir können hinzufügen, daß Witte1) sehr entschieden auf die Verschiedenheit der Siedelung im Elsaß und in Lothringen hinweist. Der alemannische Stamm habe in seinem westlichen Vordringen zwar manchmal den Kamm des Wasgaugebirges überflutet, über ihn hinaus die Grenzen der deutschen Sprache vorzuschieben, sei ihm aber nicht gelungen. Dazu sei das Hindernis zu gewaltig und das Romanentum durch seinen ungestörten Zusammenhang mit dem stammverwandten Lothringen zu schwer angreifbar gewesen. „So hat der Wasgau in seiner ganzen Längsausdehnung über tausend Jahre lang eine ethnographische Grenze dargestellt, nicht nur in seiner südlichen Hälfte, wo sich Deutschtum und Romanentum in ihm begegnen, sondern auch im Norden, wo seine Kammlinie noch heute Ulemannen und Franken scharf voneinander scheidet."

Elsaß und Lothringen sind nach der Gestaltung der Länder, nach Abstammung und Besiedelungsgeschichte ihrer Bevölkerungen, nach politischer Entwicklung viel gründlicher voneinander unterschieden, als irgend zwei andere benachbarte deutsche Länder im Deutschen Reiche.")

Weshalb also die innige Zusammenfassung beider Länder innerhalb des Reiches ? Bloß weil sie nach zweihundertjähriger Entfremdung gleichzeitig und gemeinsam zum Deutschen Reiche zurückgekehrt sind?

Bismarck glaubte in ihnen einen landschaftlichen Sondergeist erziehen zu sollen, um sie durch dieses Stadium zur deutschen Gesinnung hindurchzuführen. Er sagte am 25. Mai 1871 (?) im Reichstage:

„Die Elsässer haben sich in ihrer zweihundertjährigen Zugehörigkeit zu Frankreich ein tüchtiges Stück Partikularismus nach guter deutscher Art konserviert, und das ist der Baugrund, auf dem wir meines Erachtens mit dem Fundamente zu 1) Zur Geschichte des Deutschtums im Elsaß und im Vogesengebiet, von Dr. Hans Witte. Stuttgart, Engelhorn 1897. (Kirchhoffs Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. 10. 4.)

2) Auch Generalleutnant 3. D. Richard Geest in den Grenzboten vom 23. April 1903 betont dies. Er befürwortet die Auflösung der Reichslande in viele kleine autonome Gebilde unter der straffen Zentralgewalt des Reiches.

beginnen haben werden. Diesen Partikularismus zunächst zu stärken, ist jetzt unser Beruf. Je mehr sich die Bewohner als Elsäffer fühlen, um so mehr werden fie das Franzosentum abtun. fühlen sie sich erst vollständig als Elsässer, so find fie zu logisch, um sich nicht gleichzeitig als Deutsche zu fühlen.“

Wir sind der bescheidenen Meinung, daß ein Unschluß an den geschichtlich überkommenen und berechtigten Sondergeist bestehender deutscher Bundesstaaten, z. B. Baden, Bayern und Preußen, für sie gesünder gewesen wäre. Ja die Pflege einer gewissen fortsekung gegensählicher Unschauungen zwischen Elsaß und Lothringen wäre für sie vom allgemein deutschen Standpunkte aus nützlicher gewesen als ein Partikularismus, der sich wirklich bei ihnen nach der Vorhersage Bismarcks ausgebildet hat, der sie aber gemeinsam in Gegensatz gebracht hat zu den „Ultdeutschen“.

Deshalb haben wir früher auch öffentlich 1) die Meinung ver= treten, es wäre das beste gewesen, Elsaß mit Baden 2) zu einem ale= mannischen Königreich Oberrhein zu vereinigen, die fränkischen Lothringer mit den fränkischen Rheinländern der preußischen Provinz Rheinland zu vereinen und die Gebiete von Bitsch, Saarunion und Lützelstein zur bayerischen Pfalz zu schlagen. Wir freuen uns, aus Jacob zu sehen, daß nahezu gleiche Möglichkeiten in der Tat an den zuständigen Stellen erwogen worden sind.

Uber wir haben uns auch aus den Darlegungen von Jacob überzeugen müssen, daß derartige Ideen sich 1871 nicht verwirklichen ließen. Zunächst fehlte die Zustimmung des Hauptbeteiligten, des Großherzogs von Baden. Dann aber ist gegen eine derartige Entscheidung für Bismarck die Erwägung maßgebend gewesen, wie bedenklich es sein könne, durch eine Gebietsvergrößerung Bayerns in Süddeutschland einen zweiten Großstaat zu schaffen, dessen Gefahren gerade bei der Begründung des Reiches abweichend von der landläufigen Ueberlieferung

besonders deutlich in die Erscheinung getreten waren.

Somit blieb nur eine ungeteilte Ueberweisung von Elsaß-Lothringen als Provinz an Preußen oder die Schaffung eines Reichslandes“ übrig. Wenn Preußen es ablehnte, für sich diesen Anspruch zu erheben, so geschah dies wiederum, um nicht die Eifersucht Bayerns wachzurufen. Und so kam es zur Schaffung des Reichslandes eigentlich nicht aus innerer Notwendigkeit, sondern weil andere Wege nicht gangbar erschienen. Nachträglich hat man die Bildung des Reichslandes dadurch zu

1) Alldeutsche Blätter Nr. 12 v. 22. März 1902 S. 102.

2) Näheres hierüber vgl. „Königreich Baden". Allerhand Jubiläumsbetrach tungen und Jubiläumswünsche zum 18. Januar 1896. Heidelberg, Emmerling 1896.

begründen oder eigentlich zu entschuldigen gesucht, daß man sagte, was das Reich erworben, müßte dem Reiche bleiben.

Soviel steht fest, daß das Land für das Reich erworben wurde; es muß also so lange Reichsland bleiben, als nichts besseres an die die Stelle des Reichslandes“ treten kann.

Bismard hat 1871 und später 1889 gesagt:') „Wir haben Lothringen als Glacis für Süddeutschland erworben". Man pflegt alles zu tun, um die Selbständigkeit eines Glacis zugunsten der Festung zu beschränken. Auch für ein politisches Glacis empfiehlt es sich nicht, den entgegengesetzten Weg zu beschreiten.

Wie unbillig das Verlangen der Elsässer und Lothringer ist, ihr Reichsland in einen ebenbürtigen Bundesstaat zu verwandeln, das wird recht klar, wenn man Elsaß-Lothringen mit Schleswig-Holstein vergleicht.

Die Schleswig-Holsteiner hatten sich auf eigene Gefahr und unter großen Opfern gegen die dänische Fremdherrschaft erhoben. Sie waren wiederholt in schnöder Weise vom Bunde im Stiche gelassen worden. Sie hatten wohlbegründete staatsrechtliche Ansprüche auf landesherrliche Selbständigkeit unter der Dynastie der Augustenburger. Uber sie haben zum Wohle des Ganzen auf jede bundesstaatliche Selbständigkeit verzichten müssen, auch nicht etwa die Stellung eines Reichslandes erlangen können, sondern sie haben sich bescheiden müssen, die Rolle einer preußzischen Provinz zu spielen.

Die Elsaß-Lothringer, die niemals Subjekte, sondern nur Objekte2)

1) B. im Reichstag 2. Mai 1871 und bei Poschinger: B. und die Parl. III. S. 215. Vgl. auch Jacob S. 78.

2) Wir sehr diese Tatsache auch noch ein Menschenalter später, nämlich heute im Jahre 1905 in Betracht kommt, zeigt folgende Nachricht über die Elsaß-Loth= ringer im französischen Offizierkorps. Die aus Elsaß-Lothringen stammenden Offiziere der französischen Armee, die auch heute noch ein sehr starkes Kontingent stellen, scheinen mit besonderer Vorliebe den Truppenteilen an der deutschen Grenze zugeteilt zu werden. Namentlich gilt dies für die höheren Offiziere. So ist 3. B., wie wir einem vom „Gaulois“ veröffentlichten Verzeichnis entnehmen, der heutige Oberbefehlshaber des 6. Armeekorps, General Dalstein, ein Metzer; die Generale de Lardemelle, Feldmann, Chomer und Bizot stammen aus der Gegend von Metz, und ebenso find die Generale Geny und Maggiolo sowie der Gouverneur von Epinal, General Corbin, Lothringer. Aus dem Elsaß stammen u. a. die Generale ferré, Heimburger und Didio. Unter den Obersten und Oberstleutnants der im Osten stehenden 6., 7. und 20. Armeekorps gibt es etwa 30 Elsaß-Lothringer, zehn allein in Nancy und Toul. Gewisse Armeekorps, namentlich die Jägerbataillone, welche die äußerste Grenze in den Vogesen und in Meurthe-et-Moselle bewachen, haben fast ausschließlich elsaß-lothringische Offiziere.

der Befreiung von Frankreich gewesen sind, denen unverdienterweise alle öffentlichen Rechte des Deutschen Reiches eingeräumt worden sind, die man ganz unnötigerweise von der zum Wohle des Ganzen (Glacisstellung!) nötigen Diktatur befreit hatte, sollten zufrieden sein, daß man sie nicht als Provinzen an einen oder an mehrere Bundesstaaten aufgeteilt hat, sondern daß man ihnen die bevorzugte Stellung eines ungeteilten Reichslandes eingeräumt hat.

Glücklicherweise braucht man seit der ablehnenden Rede des Reichskanzlers Grafen Bülow vom 15. März 1905 der freilich andere Gründe ins Gefecht führte -nicht zu besorgen, daß die Bestrebungen der Elsässer und Lothringer auf Verwandelung des Reichslandes in einen selbständigen deutschen Bundesstaat in absehbarer Zeit von Erfolg gekrönt sein werden.

Vielleicht kommt später einmal eine Zeit, in der man Lothringen an Preußen und Elsaß an Baden geben kann, wenn sich eine Gelegenheit findet, den Ehrgeiz Bayerns auf einem Wege zu befriedigen, der die Belange des Reiches nicht verletzt. Bis dahin soll man quieta non movere. Uber man sollte auch die Vorschläge der Welfen und Rechtsparteiler, „zur Versöhnung“ (!) Elsaß-Lothringens die Reichslande zu einem selbständigen Herzogtum unter dem Szepter eines österreichischen Erzherzogs zu erheben, weil das Haus Habsburg eigentlich ein Haus Habsburg-Lothringen sei (Die Deutsche Rechtspartei 1894. Ulldeutsche Blätter Nr. 4 v. 21. Januar 1894, S. 19) mit dem gebührenden Hohne zurückweisen. Wir verdanken dem Hause Habsburg-Lothringen den Verlust dieser beiden Gaue. Sollen wir die mit deutschem Blute gewonnenen Gaue etwa dafür an das entartete Haus Lothringen zurückgeben? (Vgl. auch oben S. 24.)

Man hat unseren, in den beiden ersten Heften dieses Bandes I., 1. S. 51 bis 53 und I. 2. S. 145 ff. gemachten Vorschlägen zur besonderen Behandlung des Reichslandes den Vorwurf gemacht, daß die vorgeschlagenen Maßregeln eine Anpassung der Elsässer und Lothringer an das alte Reich eher Schwierigkeiten bereiten, als sie fördern würden. Und man wird dies auch von unseren obigen Bemerkungen sagen. Gewiß ist die Sachlage heute eine andere als vor 55 Jahren. Und es hat der gegenseitige Bevölkerungsaustausch ganz besonders zur Eindeutschung der Reichsländer beigetragen. Aber durch die Festhaltung der französ linge im Reichslande ist der Entwicklungsvorgang ganz unnötig gehemmt worden. Und auf die nachträgliche Ausscheidung der unversöhnlichen Französlinge und zwar vorwiegend aus Lothringen, weniger aus dem Elsaß, zielten unsere Vorschläge ab. Immerhin sind die nachfolgenden Zahlen über den fortgesetzten und sich, wie es scheint, immer mehr beschleunigenden Bevölkerungsaustausch aus dem alten Reiche und den Reichslanden, hoch beachtlich.

Hasse, Deutsche Politik, I. Bd., 3. H.

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