was uns frankreich seit Jahrhunderten schuldete, find alle irgendwie maßgebenden Personen in Deutschland von einer oft zu weitgehenden Liebenswürdigkeit gegen die franzosen beseelt. Mit Recht hat die deutsche Staatskunst seit 1871 alles aufgeboten, um das französische Mißtrauen zu beseitigen. Sie hat alle kolonialen und überseeischen Unternehmungen Frankreichs unterstützt, um es abzuhalten, „auf das Coch von Belfort zu starren“. Unders auf der anderen Seite. Dort kann man die Hoffnung auf Rache nicht aufgeben, „an die man immer denkt, auch wenn man nicht von ihr spricht“. Es ist für beide Völker lebhaft zu bedauern, daß diese Stimmung bei den Franzosen noch heute, 35 Jahre nach dem Kriege, fort= dauert. Und so haben einzelne Deutsche und Ausländer eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, um frankreich zu versöhnen". Wir würden uns mit diesen Dingen an dieser Stelle nicht zu befassen haben, wenn dabei nicht immer wieder der Vorschlag aufgetaucht wäre, die Grenzabmachungen von 1871 noch mehr, als es schon ge= schehen, zugunsten Frankreichs wieder zu ändern, insbesondere Meh wieder an frankreich auszuliefern. Das mindeste, was von französischer Seite in dieser Beziehung gefordert wird, das ist die Umgestaltung Elsaß-Lothringens zu einem neutralen Pufferstaate.1) Uuch Clemenceau2) hat sich noch im Jahre 1899 in diesem Sinne ausgesprochen. Uber nicht nur dies: er forderte, um diesen Staat lebensfähig und zu einer wirklichen Barrière gegen jeden Angriff von seiten der beiden daran angrenzenden Staaten zu machen daß Deutschland das linke Rheinufer an den neugebildeten Pufferstaat abtreten solle. Clemenceau scheint vergessen zu haben, daß frankreich zweihundert Jahre lang die Gelegenheit gehabt, aber nicht benutzt hat, aus ElsaßLothringen einen solchen Pufferstaat zu machen, und er scheint dem Irrtume zu huldigen, Frankreich habe den Krieg von 1870 gewonnen. Ein Herrr Robert Stein, Geological-Survey in Washington, der sich einen deutschen Auswanderer nach Nordamerika nennt und von sich berichtet, daß er früher acht Jahre lang Mitglied des Jesuitenordens gewesen sei, überschwemmt seit 1903 deutsche und französische 1) Gegen diesen Vorschlag sprach sich Bismarck lebhaft aus, u. a. schon am 2. Mai 1871 im Reichstag. 2) Nach Edward Dicey in der Empire Revieue 1905. Politiker und die Presse beider Länder mit Plänen aller Art, namentlich solchen, die sich auf eine Aussöhnung Frankreichs mit Deutschland, die Herstellung eines „pangermanischen“ Bündnisses zwischen Deutschland, England und Frankreich mit der Zuspihung gegen Rußland und Uehnliches beziehen. Er sagt zu unserer Frage u. a. in einem Vorschlage „Meß für französisch-Kongo" das folgende: Wir können uns mit Frankreich versöhnen ohne unser wirkliches Nationaleigentum im geringsten zu schädigen. Daß der französischredende Teil des Reichs= landes nicht aus nationalen sondern lediglich aus militärischen Gründen annektiert wurde, weiß jedermann. Den militärischen Vorteil können wir ja vorderhand noch behalten. Man halte Metz bis auf weiteres noch militärisch besetzt, übergebe aber den Franzosen die Zivilverwaltung des französischredenden Gebietes. Daß fie dafür das ganze Kongogebiet abtreten werden, ist zweifelhaft, doch werden fie etwas Ansehnliches bieten. Lemaitre sprach ja schon von Tonkin. Nichts ist wissenschaftlich besser begründet als der Satz, Vae victis !" denn das ist die Hauptbedingung des Fortschritts. Im gegenwärtigen falle aber verwandelt er sich in Vae victoribus!" denn indem man dem Besiegten auch die geringste Genugtuung versagt und so seine Feindschaft wach hält, ermöglicht man es einem dritten, sich der Beute zu bemächtigen, die des Siegers Lebensbedürfnis ist. " Hier wird ein „strammer“ Patriot einwenden: „Ja, wenn den Franzosen dieselbe Gefahr droht wie uns, warum verbünden sie sich nicht sogleich mit uns ? Wir sind ja zu jeder Zeit bereit dazu. Warum sollen wir uns ihre Bundes= genossenschaft erst erkaufen?" Antwort: Erstens ist die russische Gefahr für die Franzosen bei weitem nicht so drohend wie für uns. Zweitens foll ja das abzutretende Gebiet nicht ein Geschenk sein; im Gegenteil, Luxemburg und eine französische Kolonie wären für uns ungleich wertvoller. Drittens müssen wir nicht vergessen, daß die Franzosen tiefgekränkt sind durch eine schreckliche Niederlage und Landverlust, während wir auf ihre Kosten uns unsterblichen Ruhm und eine Provinz erworben haben. Das bedingt eine Ungleichheit, die wir wenigstens dem Namen nach ausgleichen müssen, ehe an ein Bündnis zu denken ist. Wieder entgegnet der stramme Patriot: „Das müssen sie eben verschmerzen lernen, wenn sie dem Verderben vorbeugen wollen". Antwort: Was aus den Franzosen wird, geht uns ja allenfalls nichts an; was aber aus uns werden soll, das kann uns doch unmöglich gleichgültig sein! Das Schicksal bietet uns die Wahl: Wollt ihr zugrundegehen, oder wollt ihr einem edlen, tiefgekränkten Gegner eine kleine Genugtuung leisten, die zur Befriedigung seines Nationalgefühls unerläßlich ist, während sie euer Nationalgefühl nicht im geringsten beeinträchtigt, und für die der Gegner überdies reichliche Entschädigung bietet? Lautet unsere Antwort: Wir wollen lieber zugrundegehen so müssen wir auf den Schicksalsspruch gefaßt sein: Nun dann geht zugrunde ihr habt es reichlich verdient! "Ich weiß nicht“, fällt der stramme Patriot wieder ein, ob es nicht ein Fehler ist, den Gegner „edel“ zu nennen. Es stimmt kaum mit den Gesetzen des Kampfes ums Dasein überein.“ Die Antwort darauf kann man schuldig bleiben. Robert Stein faßt seine Vorschläge in folgende Säßen zusammen: 1. Die Zeit ist reif, die Elsaß-Lothringer den übrigen Deutschen völlig gleichzustellen, um sie endgültig für Deutschland zu gewinnen, und es so den Franzosen zu erleichtern, auf das deutschredende Gebiet zu verzichten. 2. Ein hinreichender Ersatz für das französischredende Gebiet wäre eine französische Kolonie (z. B. Französisch Kongo) nebst Frankreichs Zustimmung zur Einverleibung Luxemburgs ins Deutsche Reich. 3. Bliebe Metz (und vielleicht auch andere Punkte) vorläufig noch von Deutschland militärisch besetzt, bis Oesterreichs Schicksal entschieden ist und der Zutritt französischer Truppen zu dem rückerstatteten Gebiet vorläufig untersagt, so könnte aus dem Austausch keine Gefahr für Deutschland erwachsen. Ein Schwede, Dr. Anton Nyström in Stockholm hat sich auch für berechtigt erachtet, sich über eine Frage den Kopf zu zerbrechen, die niemanden weniger berührt als Schweden, indem er 1904 ein umfangreiches Buch veröffentlicht hat: Elsaß-Lothringen und die Möglichkeit einer deutsch-französischen Allianz. Mit einem Vorwort des Abgeordneten U. Millerand-Paris. Berlin, H. Walter 1904. Millerand in seiner Vorrede legt sich möglichste Zurückhaltung auf. Er sagt möglichst wenig, auf was man ihn festlegen könnte. Nyström selbst ist so naiv, uns Deutschen vorzuschlagen, ganz Elsaß-Lothringen an frankreich zurückzugeben, wenn Frankreich geneigt wäre, in einen deutschen Zollverein einzutreten, der sie alle beide zusammen gegen den drohenden Wettbewerb Englands und der Vereinigten Staaten beschützen könnte. Nyström faselt eine Menge "soziologischen" Unsinn zusammen und versteigt sich u. a. zu folgenden Behauptungen, die keiner Widerlegung bedürfen : „Es ist Tatsache, daß Elsaß-Lothringen eine Last und eine Ursache großer wirtschaftlicher Schwächung für Deutschland ist. Es hat Deutschland Milliarden gekostet und es hat den Unterhalt gewaltiger Heere nötig gemacht, die dazu bestimmt sind, den frieden zu bewahren. Es ist nicht minder gewiß, daß die Wiederabtretung dieses Landes seitens Deutschlands gar kein Opfer bedeutet, daß sie ihm dagegen einen sicheren Gewinn verschaffen würde. Den alten nationalistischen Traditionen getren und die wirkliche Sachlage sowie die Macht der Tatsachen verkennend, tat der Reichskanzler Herr von Bülow vor dem Reichstage im Juni 1902 folgende Acußerung: „Aus historischen Gründen und um die unerschütterlichen Ansprüche der deutschen Nation zu befriedigen, haben wir von Elsaß-Lothringen Besitz ergreifen müssen, da diese das Existenzpfand des Reiches selbst bilden; wir konnten unsere Elsaß-Cothringischen Landsleute nicht aus unserer Mitte gehen lassen, ohne unsere so schwer erworbene nationale Einheit zu kompromittieren, wir werden niemals gutwillig auf eine Rückgabe dieser Länder eingehen, die früher einen Teil des Landes ausgemacht haben.“ Weiter eifert Nyström u. a.: „Es ist eine Torheit zu glauben, daß die Rückgabe des Elsaß und Lothringen an Frankreich, Deutschland der Gefahr einer Invasion seitens der Franzosen aussehen würde.“ Bedenklicher als diese Phantasien unbeteiligter fremder ist das Bestehen einer deutsch-französischen Liga in München, unter der Führung des Herrn Dr. Molenaar, die eine Teilung Lothringens nach Sprachgebieten empfiehlt, dabei aber der schwierigsten Frage aus dem Wege geht, was mit Meh geschehen solle. Die Liga bezeichnet als ihre Ziele die folgenden: 1. mit allen ehrenhaften Mitteln danach zu streben, das gute Einvernehmen zwischen Frankreich und Deutschland wieder herzustellen, zunächst dadurch, daß 2. die elsaß-lothringische Frage möglichst bald und möglichst befriedigend gelöst wird. Das „Wie" dieser Frage stellt die Liga zunächst nur zur Diskussion. Aus den Ansichten ihrer Mitglieder wird sich wohl bald ein festes Programm heraus= krystallisiert haben. Folgende Lösungen wären besonders zu erwägen (ohne daß damit andere ausgeschloffen oder die genannten aufgedrängt werden sollen): a) Anerkennung des status quo (für frankreich unannehmbar), c) Neutralisierung (für Deutschland ein Verlust, für Frankreich kein d) Teilung nach der Sprachgrenze (d. h. deutschsprechendes Gebiet an Deutschland, französischsprechendes Gebiet an frankreich) und Entschädigung Deutschlands durch Abtretung einer französischen Kolonie, Insel oder Inselgruppe an Deutschland. Die letztgenannte Lösung (d) hätte viel für sich, doch steht hierüber jedem Mitglied der Liga freie Meinungsäußerung zu; 3. fordert die Liga (auch abgesehen von der Lösung der genannten Frage), daß dem Elsaß ganz die gleichen Rechte eingeräumt werden, wie allen anderen deutschen Bundesstaaten, daß es somit nicht mehr als Reichsland zum Teil von Berlin aus regiert wird, sondern eine völlig selbständige Verwaltung erhält, ebenso wie Bayern, Württemberg u. f. m.; 4. wird die Liga bestrebt sein, nach Beseitigung der Frankreich und Deutschland heute noch trennenden Schwierigkeiten ein politisches Bündnis beider Länder, dem sich dann voraussichtlich auch andere Staaten anschließen werden, im Intereffe des allgemeinen Weltfriedens anzubahnen. in Auffälligerweise gegen den wichtigsten Teil der Vorschläge von Dr. Molenaar wendet sich Alfred H. Fried, wie es scheint gleich Robert Stein, ein amerikanischer Jude, der von sich rühmt, daß er zusammen mit einem französischen Juden Bernard Lazare bereits 1895 den Versuch gemacht habe, eine deutsch-französische Liga zu gründen einer 1904 im Verlag Continent in Berlin W. 50 erschienenen Flugschrift: Deutschland und Frankreich, ein Wort über die Notwendigkeit und Möglichkeit einer deutsch-französischen Verständigung. Wenn auch die Begründung seiner Vorschläge ebenso töricht ist, wie die Erwartung der Wirkungen, die er sich von seinen Vorschlägen verspricht, so ist der von ihm gemachte Vorschlag der Lösung wenigstens der Erörterung wert, freilich nur für denjenigen, der sich abweichend von uns, von einem Weltfriedenskongreß überhaupt irgend etwas verspricht. fried will dem nächsten Weltfriedenskongreß, der die deutsch-französische Unnäherung auf seine Tagesordnung gestellt hat, die nachfolgende Entschließung empfehlen: "In Erwägung, daß eine Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland äußerst wünschenswert sei, in Erwägung, daß diese Annäherung für eine feste Organisation und zur Aufrechterhaltung eines dauernden Friedens notwendig sei, drückt der XIII. Weltfriedenskongreß den Wunsch aus, daß die Regierungen der beiden Länder einen Vertrag schließen mögen, wonach alle zwischen ihnen fünftig entstehenden Streitigkeiten, soweit nicht vitale Fragen oder Ehrenfragen dabei berührt werden, dem Haager Schiedsgericht zu unterbreiten sind, während alle anderen Differenzen, soweit sie die Revision früherer zwischen beiden Mächten geschlossener Verträge betreffen, vor Ab. lauf einer frist von 30 Jahren vom Datum des gegenwärtig abgeschlossenen Vertrages einer Erörterung nicht unterzogen wer= den sollen." Diese Entschließung erscheint uns deshalb erwägenswert, weil sie sich nur an die Franzosen wendet. Denn in Deutschland braucht Derartiges gar nicht erst beschlossen zu werden. Bedauerlicherweise hat sich auch ein preußischer General a. D., der General von der Lippe zum Mitschuldigen dieser mehr oder weniger internationalen Weltverbesserer gemacht, und noch dazu im Figaro, indem er in diesem Pariser Blatte im Mai 1905 den Vorschlag machte, zwischen Deutschland und Frankreich einen Zollverein abzuschließen (bis hierher ist der Vorschlag zwar aussichtslos, aber erwägenswert) mit einem gemeinsamen Zollparlament, dem sich zweifellos (?) Oesterreich, Italien, Rumänien, die Schweiz, Holland und Belgien anschließen würden, und dem Rußland freundliche Gesinnungen entgegenbringen dürfte. Nach der Herstellung dieses Verhältnisses, doch nicht vorher, könne Deutschland Lothringen an frankreich wieder abtreten. Der Figaro bemerkt bezeichnenderweise zu dieser Phantasie des preußischen Generals, daß er in dem Vorschlage des Herrn von der Lippe das Versprechen vermißt, auch das Elsaß herauszugeben. Auf das Elsaß könne aber Frankreich ebensowenig verzichten, wie auf |