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Weiter eifert Nyström u. a.: „Es ist eine Torheit zu glauben, daß die Rückgabe des Elsaß und Lothringen an Frankreich, Deutschland der Gefahr einer Invasion seitens der Franzosen aussehen würde.“

Bedenklicher als diese Phantasien unbeteiligter fremder ist das Bestehen einer deutsch-französischen Liga in München, unter der führung des Herrn Dr. Molenaar, die eine Teilung Lothringens nach Sprachgebieten empfiehlt, dabei aber der schwierigsten Frage aus dem Wege geht, was mit Meh geschehen solle. Die Liga bezeichnet als ihre Ziele die folgenden:

1. mit allen ehrenhaften Mitteln danach zu streben, das gute Einvernehmen zwischen Frankreich und Deutschland wieder herzustellen, zunächst dadurch, daß 2. die elsaß-lothringische Frage möglichst bald und möglichst befriedigend gelöst wird.

Das Wie" dieser Frage stellt die Liga zunächst nur zur Diskussion. Aus den Ansichten ihrer Mitglieder wird sich wohl bald ein festes Programm herauskrystallisiert haben. Folgende Lösungen wären besonders zu erwägen (ohne daß damit andere ausgeschlossen oder die genannten aufgedrängt werden sollen):

a) Anerkennung des status quo (für Frankreich unannehmbar),
b) Rückgabe an frankreich (für Deutschland unannehmbar),

c) Neutralisierung (für Deutschland ein Verlust, für Frankreich kein
Gewinn),

d) Teilung nach der Sprachgrenze (d. h. deutschsprechendes Gebiet an Deutschland, französischsprechendes Gebiet an Frankreich) und Entschädigung Deutschlands durch Abtretung einer französischen Kolonie, Insel oder Inselgruppe an Deutschland.

Die letztgenannte Lösung (d) hätte viel für sich, doch steht hierüber jedem Mitglied der Liga freie Meinungsäußerung zu;

3. fordert die Liga (auch abgesehen von der Lösung der genannten Frage), daß dem Elsaß ganz die gleichen Rechte eingeräumt werden, wie allen anderen deutschen Bundesstaaten, daß es somit nicht mehr als Reichsland zum Teil von Berlin aus regiert wird, sondern eine völlig selbständige Verwaltung erhält, ebenso wie Bayern, Württemberg u. f. w.;

4. wird die Liga bestrebt sein, nach Beseitigung der Frankreich und Deutschland heute noch trennenden Schwierigkeiten ein politisches Bündnis beider Länder, dem sich dann voraussichtlich auch andere Staaten anschließen werden, im Inte reffe des allgemeinen Weltfriedens anzubahnen.

Auffälligerweise gegen den wichtigsten Teil der Vorschläge von Dr. Molenaar wendet sich Ulfred H. Fried, wie es scheint gleich Robert Stein, ein amerikanischer Jude, der von sich rühmt, daß er zusammen mit einem französischen Juden Bernard Lazare bereits 1895 den Versuch gemacht habe, eine deutsch-französische Liga zu gründen einer 1904 im Verlag Continent in Berlin W. 50 erschienenen Flugschrift: Deutschland und Frankreich, ein Wort über die Notwendigkeit

in

und Möglichkeit einer deutsch-französischen Verständigung. Wenn auch die Begründung seiner Vorschläge ebenso töricht ist, wie die Erwartung der Wirkungen, die er sich von seinen Vorschlägen verspricht, so ist der von ihm gemachte Vorschlag der Lösung wenigstens der Erörterung wert, freilich nur für denjenigen, der sich abweichend von uns, von einem Weltfriedenskongreß überhaupt irgend etwas verspricht. Fried will dem nächsten Weltfriedenskongreß, der die deutsch-französische Annäherung auf seine Tagesordnung gestellt hat, die nachfolgende Entschließung empfehlen:

"In Erwägung, daß eine Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland äußerst wünschenswert sei,

in Erwägung, daß diese Annäherung für eine feste Organisation und zur Aufrechterhaltung eines dauernden Friedens notwendig sei,

drückt der XIII. Weltfriedenskongreß den Wunsch aus, daß die Regierungen der beiden Länder einen Vertrag schließen mögen, wonach alle zwischen ihnen fünftig entstehenden Streitigkeiten, soweit nicht vitale fragen oder Ehrenfragen dabei berührt werden, dem Haager Schiedsgericht zu unterbreiten sind, während alle anderen Differenzen, soweit sie die Revision früherer zwischen beiden Mächten geschlossener Verträge betreffen, vor Ab. lauf einer frist von 30 Jahren vom Datum des gegenwärtig abgeschlossenen Vertrages einer Erörterung nicht unterzogen wer= den sollen."

Diese Entschließung erscheint uns deshalb erwägenswert, weil sie sich nur an die Franzosen wendet. Denn in Deutschland braucht Derartiges gar nicht erst beschlossen zu werden.

Bedauerlicherweise hat sich auch ein preußischer General a. D., der General von der Lippe zum Mitschuldigen dieser mehr oder weniger internationalen Weltverbesserer gemacht, und noch dazu im Figaro, indem er in diesem Pariser Blatte im Mai 1905 den Vorschlag machte, zwischen Deutschland und Frankreich einen Zollverein abzuschließen (bis hierher ist der Vorschlag zwar aussichtslos, aber erwägenswert) mit einem gemeinsamen Zollparlament, dem sich zweifellos (?) Oesterreich, Italien, Rumänien, die Schweiz, Holland und Belgien anschließen würden, und dem Rußland freundliche Ge= sinnungen entgegenbringen dürfte. Nach der Herstellung dieses Verhältnisses, doch nicht vorher, könne Deutschland Lothringen an frankreich wieder abtreten.

Der Figaro bemerkt bezeichnenderweise zu dieser Phantasie des preußischen Generals, daß er in dem Vorschlage des Herrn von der Lippe das Versprechen vermißt, auch das Elsaß herauszugeben. Auf das Elsaß könne aber Frankreich ebensowenig verzichten, wie auf

Lothringen. Und in einem Zollparlament würde Frankreich in der Minderheit sein, das Verhältnis würde aus Frankreich eine Urt Bayern machen.

Wir brauchen allen diesen mehr oder weniger gut gemeinten Vorschlägen gegenüber doch wohl kaum darauf hinzuweisen, daß es für Deutschland seit 1871 eine elsaß-lothringische Frage nicht mehr geben darf, höchstens eine Frage Belfort, daß die Franzosen gar nicht versöhnt zu sein wünschen, daß sie sich bei der Festhaltung ihrer Rachegedanken geradezu wohl fühlen, indem sie in ihnen einen gewissen patriotischen Nervenkißel finden.1)

Undererseits ist es in hohem Grade beachtlich, daß sich auch in Frankreich seit Jahren die Stimmen mehren, die unter Verzicht auf die Revancheidee und unter Verzicht auf die kriegerische Zurückgewinnung Elsaß-Lothringens ein Bündnis mit Deutschland empfehlen. Der sozialistische Abgeordnete Jaurès war einer der Ersten, die schon im Jahre 1902 den Mut besaßen, sich öffentlich zu diesen Unschauungen zu bekennen. Und der Chauvinist Millevoye sprach sich schon im März 1903 dagegen aus, frankreich durch England gegen Deutschland verhetzen zu lassen, und der ein Zusammengehen zwischen Deutschland und Frankreich auf dem Gebiete der Kolonialpolitik empfahl, wenn er auch zur Beruhigung seines Gewissens sich zu der Bemerkung verpflichtet erachtete: „Unser Herz bleibt zwar Elsaß-Cothringen ewig treu, und wir vergessen die Wunde an unserer flanke nicht, die ein 33 jähriges Warten nicht verharscht hat. Aber diese große Pflicht befreit uns nicht von anderen Pflichten. Wir haben ein afrikanisches und ein asiatisches Frankreich zu erhalten und zu verteidigen."

1) Aus der Maffe der sich jährlich wiederholenden Belege hierfür heben wir den Antrag hervor, den im November 1904 der Gemeinderat Salli mit 50 Ge= nossen im Pariser Gemeinderat angesichts des bevorstehenden Empfanges standinavischer Parlamentarier einbrachte :

"In der Erwägung, daß der Gemeinderat sich in einigen Tagen der hochherzigen Kundgebung für das Prinzip der Schiedsgerichtsverfahren unter den Völkern anschließen wird, erinnert der Gemeinderat daran, daß das hauptsächlichste Hindernis für den Triumph dieses Prinzips die Zerstückelung frantreichs im Jahre 1871 ist, und daß es im Interesse aller der Sache des Friedens aufrichtig anhängenden Völker liegt, sich zu verständigen, um für die Sache des Rechts einzutreten, das durch den Vertrag verletzt worden ist, welcher Frankreich Elsaß-Lothringen entrissen hat." Der Antrag wurde angenommen.

Es ist nicht unsere Aufgabe, an dieser Stelle zu zeigen, wie im Jahre 1905 nach der Entlassung von Delcassé im Zusammenhang mit der Marokkofrage die forderung in Frankreich immer lauter wurde, an Stelle eines Rachekrieges gegen Deutschland ein Schutzund Trußbündnis mit Deutschland abzuschließen.

Unsere Pflicht an dieser Stelle war es nur, darauf hinzuweisen, daß eine von uns und aller Welt gewünschte Verständigung mit Frankreich nicht auf der Grundlage der schwächlichen und demütigen Vorschläge der Friedensliga und ihrer Gesinnungsgenossen gesucht zu werden braucht, sondern daß eine starke, selbstbewußte und zielbewußte deutsche Politik eine solche friedliche Verständigung mit Frankreich finden kann auch unter festhaltung von Elsaß und Lothringen, von Straßburg und Mes und alles dessen, was wir 1871 den Franzosen wieder abgerungen haben.

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Die ganze Frage ist bisher teiligten Auslandes

"verlekten Ehre frankreichs"

des besiegten frankreichs beurteilt worden. Als ob der Sieger nicht auch seine Ehre zu wahren hätte! Was würden jene Menschheitsfreunde wohl für Unt= worten erhalten, wollten sie Nordamerika es zumuten, die Preise seiner Siege in Kuba oder auf den Philippinen wegen der verletzten Ehre der Spanier wieder herauszugeben, oder England auf die Burenstaaten, Japan auf Korea, oder gar Frankreich auf Nizza und Savoyen zu verzichten ?

Die Franzosen werden sich immer gegenwärtig zu halten haben, daß sie vom deutschen starken Nachbar stets mehr zu fürchten aber auch zu hoffen haben, als vom überseeischen Nachbar England oder gar vom fernen Rußland. Sie werden uns stets bereit finden zu einer Vernunftehe, die keine Liebesheirat zu sein braucht, zum Abschluß von Geschäften zum gegenseitigen Vorteil. Uber wir werden nach wie vor unser Pulver trocken halten und mit der Möglichkeit rechnen müssen, in weiteren Waffengängen mit dem unruhigen Nachbar, wenn nötig, das nachzuholen, was bei früheren Gelegenheiten an unbeglichener Rechnung übrig geblieben ist.

III. Die Nordgrenze.

(Schleswig-Holstein.)

ie politischen Schwierigkeiten, die endlich in den Jahren 1864 und 1866 ihre Lösung fanden, bestanden in der verschiedenen staatsrechtlichen Stellung Holsteins und Schleswigs zum Deutschen Reiche und in den Beziehungen der beiden Länder zu einander.

Holstein war seit den Zeiten Karls des Großen ein Teil des Deutschen Reiches und blieb ein Teil des Deutschen Bundes bis 1866.

Schleswig kann als eine deutsche Reichsmark angesprochen werden, mit schwankenden nördlichen Grenzen, vor allem mit schwankenden Beziehungen zum Deutschen Reiche (Holstein) einerseits und zu Dänemark andererseits. Für alle Zeiten kennzeichnend bleibt der Umstand, daß am 5. März 1460 zu Riffen infolge des Beschlusses des „2 Rats von Holstein" der zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein ausgerufene König von Dänemark Christian I. schwur: „Beide Lande bei ihren Rechten und Freiheiten zu erhalten, und daß Schles= wig und Holstein ewig zusammen und ungeteilt bleiben sollten".

Diese Formel ist bekanntlich zum Wahlspruch geworden in den schleswig-holsteinischen Befreiungskämpfen von 1848 bis 1864.

Als das Deutsche Reich 1806 sich auflöste, wurde Holstein als ,,ungetrennter Teil" mit der dänischen Monarchie verbunden. Auf dem Wiener Kongres wurden die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, welch letzteres Dänemark für das abgetretene Norwegen erhalten hatte, Teile des Deutschen Bundes, Schleswig aber nicht.

Als infolge des „Offenen Briefes“ vom 8. Juli 1846 die Herzogtümer Schleswig und Lauenburg für die Krone Dänemark in Unspruch genommen wurden, sie also anderem Erbrecht als Holstein folgen und mithin geteilt" werden sollten, erhob sich ein Sturm der Entrüstung,

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