Lothringen. Und in einem Zollparlament würde Frankreich in der Minderheit sein, das Verhältnis würde aus Frankreich eine Urt Bayern machen. Wir brauchen allen diesen mehr oder weniger gut gemeinten Vorschlägen gegenüber doch wohl kaum darauf hinzuweisen, daß es für Deutschland seit 1871 eine elsaßz-lothringische Frage nicht mehr geben darf, höchstens eine Frage Belfort, daß die Franzosen gar nicht versöhnt zu sein wünschen, daß sie sich bei der Festhaltung ihrer Rachegedanken geradezu wohl fühlen, indem sie in ihnen einen gewissen patriotischen Nervenkißel finden.1) Andererseits ist es in hohem Grade beachtlich, daß sich auch in Frankreich seit Jahren die Stimmen mehren, die unter Verzicht auf die Revancheidee und unter Verzicht auf die kriegerische Zurückgewinnung Elsaß-Cothringens ein Bündnis mit Deutschland empfehlen. Der sozialistische Abgeordnete Jaurès war einer der Ersten, die schon im Jahre 1902 den Mut besaßen, sich öffentlich zu diesen Unschauungen zu bekennen. Und der Chauvinist Millevoye sprach sich schon im März 1903 dagegen aus, frankreich durch England gegen Deutschland verhetzen zu lassen, und der ein Zusammengehen zwischen Deutschland und Frankreich auf dem Gebiete der Kolonialpolitik empfahl, wenn er auch zur Beruhigung seines Gewissens sich zu der Bemerkung verpflichtet erachtete: „Unser Herz bleibt zwar Elsaßz-Lothringen ewig treu, und wir vergessen die Wunde an unserer flanke nicht, die ein 33 jähriges Warten nicht verharscht hat. Aber diese große Pflicht befreit uns nicht von anderen Pflichten. Wir haben ein afrikanisches und ein asiatisches frankreich zu erhalten und zu verteidigen." 1) Aus der Masse der sich jährlich wiederholenden Belege hierfür heben wir den Antrag hervor, den im November 1904 der Gemeinderat Salli mit 50 Ge= noffen im Pariser Gemeinderat angesichts des bevorstehenden Empfanges standinavischer Parlamentarier einbrachte: "In der Erwägung, daß der Gemeinderat sich in einigen Tagen der hochherzigen Kundgebung für das Prinzip der Schiedsgerichtsverfahren unter den. Völkern anschließen wird, erinnert der Gemeinderat daran, daß das hauptsächlichste Hindernis für den Triumph dieses Prinzips die Zerstückelung frankreichs im Jahre 1871 ist, und daß es im Interesse aller der Sache des Friedens aufrichtig anhängenden Völker liegt, sich zu verständigen, um für die Sache des Rechts einzutreten, das durch den Vertrag verletzt worden ist, welcher Frankreich Elsaß-Lothringen entrissen hat." Der Antrag wurde angenommen. Es ist nicht unsere Aufgabe, an dieser Stelle zu zeigen, wie im Jahre 1905 nach der Entlassung von Delcassé im Zusammenhang mit der Marokkofrage die forderung in frankreich immer lauter wurde, an Stelle eines Rachekrieges gegen Deutschland ein Schuhund Trußbündnis mit Deutschland abzuschließen. Unsere Pflicht an dieser Stelle war es nur, darauf hinzuweisen, daß eine von uns und aller Welt gewünschte Verständigung mit Frankreich nicht auf der Grundlage der schwächlichen und demütigen Vorschläge der Friedensliga und ihrer Gesinnungsgenossen gesucht zu werden braucht, sondern daß eine starke, selbstbewußte und zielbewußte deutsche Politik eine solche friedliche Verständigung mit Frankreich finden kann auch unter festhaltung von Elsaß und Lothringen, von Straßburg und Meh und alles dessen, was wir 1871 den Franzosen wieder abgerungen haben. " Die ganze Frage ist bisher auch namentlich seitens des unbeteiligten Auslandes immer nur unter dem Gesichtspunkte der verletzten Ehre Frankreichs" des besiegten Frankreichs - beurteilt worden. Als ob der Sieger nicht auch seine Ehre zu wahren hätte! Was würden jene Menschheitsfreunde wohl für Untworten erhalten, wollten sie Nordamerika es zumuten, die Preise seiner Siege in Kuba oder auf den Philippinen wegen der verletzten Ehre der Spanier wieder herauszugeben, oder England auf die Burenstaaten, Japan auf Korea, oder gar Frankreich auf Nizza und Savoyen zu verzichten ? Die Franzosen werden sich immer gegenwärtig zu halten haben, daß sie vom deutschen starken Nachbar stets mehr zu fürchten aber auch zu hoffen haben, als vom überseeischen Nachbar England oder gar vom fernen Rußland. Sie werden uns stets bereit finden zu einer Vernunftehe, die keine Liebesheirat zu sein braucht, zum Abschluß von Geschäften zum gegenseitigen Vorteil. Uber wir werden nach wie vor unser Pulver trocken halten und mit der Möglichkeit rechnen müssen, in weiteren Waffengängen mit dem unruhigen Nachbar, wenn nötig, das nachzuholen, was bei früheren Gelegenheiten an unbeglichener Rechnung übrig geblieben ist. III. Die Nordgrenze. (Schleswig-Holstein.) Fie politischen Schwierigkeiten, die endlich in den Jahren 1864 und 1866 ihre Lösung fanden, bestanden in der verschiedenen staatsrechtlichen Stellung Holsteins und Schleswigs zum Deutschen Reiche und in den Beziehungen der beiden Länder zu einander. Holstein war seit den Zeiten Karls des Großen ein Teil des Deutschen Reiches und blieb ein Teil des Deutschen Bundes bis 1866. Schleswig kann als eine deutsche Reichsmark angesprochen werden, mit schwankenden nördlichen Grenzen, vor allem mit schwankenden Beziehungen zum Deutschen Reiche (Holstein) einerseits und zu Dänemark andererseits. Für alle Zeiten kennzeichnend bleibt der Umstand, daß am 5. März 1460 zu Rissen infolge des Beschlusses des „Rats von Holstein" der zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein ausgerufene König von Dänemark Christian I. schwur: „Beide Lande bei ihren Rechten und Freiheiten zu erhalten, und daß Schleswig und Holstein ewig zusammen und ungeteilt bleiben sollten". Diese Formel ist bekanntlich zum Wahlspruch geworden in den schleswig-holsteinischen Befreiungskämpfen von 1848 bis 1864. Als das Deutsche Reich 1806 sich auflöste, wurde Holstein als ,,ungetrennter Teil" mit der dänischen Monarchie verbunden. Auf dem Wiener Kongreß wurden die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, welch letzteres Dänemark für das abgetretene Norwegen erhalten hatte, Teile des Deutschen Bundes, Schleswig aber nicht. Als infolge des „Offenen Briefes“ vom 8. Juli 1846 die Herzogtümer Schleswig und Lauenburg für die Krone Dänemark in Unspruch genommen wurden, sie also anderem Erbrecht als Holstein folgen und mithin geteilt" werden sollten, erhob sich ein Sturm der Entrüstung, der in dem Liede „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“ Uusdruck fand. 1) Uls König Friedrich VII. am 20. Januar 1848 den Thron bestieg und am 28. Januar die Wahl von gemeinsamen Ständen Dänemarks und der Herzogtümer anordnete, erfolgte die Erhebung der SchleswigHolsteiner, anfangs unterstützt durch den Deutschen Bund. Im Frieden2) vom 2. Juli 1850 wurden aber die Herzogtümer von Preußen und dem Deutschen Bunde im Stiche gelassen. Das Londoner Protokoll 3) vom 8. Mai 1852 lieferte die Herzogtümer an die dänische Herrschaft wieder aus. Es ist lehrreich, daß auch an diesem Teile seiner Grenzen Deutschland nicht etwa vor dem unmittelbaren Nachbarn, also von Dänemark, zurückwich, sondern vor dem Einfluß eigentlich unbeteiligter Großmächte, wie immer vor England, in diesem Falle aber auch vor Rußland. Nach dem Tode des Königs Friedrich VII., 15. November 1863, erhoben sich die Herzogtümer von neuem gegen die dänische Herrschaft, diesmal vom Bunde unterstützt (Oesterreich, Preußen, Hannover, Sachsen). Der deutsch-dänische Krieg befreite diesmal die Herzogtümer endgültig von der dänischen Herrschaft durch den Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864 und gab Deutschland eine neue Nordgrenze. Freilich erfolgte die Abtretung von Schleswig, von Holstein und Lauenburg zu freier Verfügung gemeinsam an Preußen und Oesterreich, sodaß in diesem „Kondominium" neue Schwierigkeiten entstanden, die im Gasteiner Vertrag und im Prager Frieden ihre Lösung fanden. In dem Wiener Frieden1) vom 30. Oktober 1864 zwischen Oesterreich und Preußen einerseits und Dänemark andererseits wurde über die Abtretung der Herzogtümer das folgende bestimmt: Artikel 3. Seine Majestät der König von Dänemark verzichtet auf alle feine Rechte über die Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lauenburg zugunsten Ihrer Majestäten des Königs von Preußen und des Kaisers von Oesterreich, indem er sich verpflichtet, die Verfügungen anzuerkennen, die die genannten Majestäten über diese Herzogtümer treffen werden. 1) Nach einem Liede von K. fr. Straß (1842) gedichtet von M. F. Chemnitz (1844), mit Singweise von K. S. Bettmann (1844). 2) Wortlaut der Verträge vom 17. und 20. Januar 1850, vom 2. und 6. Juli 1850 bei Martens XV. S. 327-358. 3) Wortlaut der Protokolle vom 28. April 1852 und 2. Juli, 2. und 23. August 1852 bei Martens XVII. S. 303–313. *) Wortlaut in französischer Sprache bei Martens und Samwer XVII. II S. 474 ff. Artikel 4. Die Abtretung des Herzogtums Schleswig umfaßt ebenso alle Inseln, die zu diesem Herzogtum gehören, ebenso wie das auf dem Festlande ge= legene Gebiet. Um die Abgrenzung zu vereinfachen und um die Unbequemlichkeiten zu beseitigen, welche sich aus der Lage jütländischer Gebietsteile in Schles= wig ergeben, tritt Seine Majestät der König von Dänemark an Ihre Majestäten den König von Preußen und Kaiser von Oesterreich die jütländischen Besitzungen ab, die südlich der Südgrenze des Amtes Ribe liegen; ebenso das jütländische Gebiet moegeltondern, die Insel Amrum, die jütländischen Teile der Inseln foehr, Sylt und Romoe u. s. w. Andererseits sind Ihre Majestäten der König von Preußen und Kaiser von Oesterreich damit einverstanden, daß ein gleichwertiges Stück von Schleswig, und zwar außer der Insel Aeroe gewiffe Gebiete, die dazu dienen, die Verbindung des genannten Amtes Ribe mit dem Reste von Jütland und Schleswig herzustellen und die Grenzlinie zwischen Jütland auf der Seite von Kolding herzustellen, vom Herzogtum Schleswig abgezweigt und dem Königreich Dänemark einverleibt werden. [Artikel 5 enthält eine genaue Beschreibung der neuen Grenze zwischen dem Königreich Dänemark und dem Herzogtum Schleswig.] Die Herzogtümer gelangten also mit einigen wenigen Ausnahmen „ungeteilt“ an die verbündeten Preußen und Oesterreich und der König von Dänemark erkannte im voraus die Anordnungen Preußens und Oesterreichs an, mochten diese nun etwas beschließen, wie den Gasteiner Vertrag vom 14. August 1865, den Artikel 5 des Prager Friedens oder die Wiederaufhebung des letzteren. Im ersten Artikel des Gasteiner Vertrages) wurde folgendes bestimmt: „Die Ausübung der von den hohen vertragschließenden Teilen durch den Artikel 3 des Wiener Friedenstraktates vom 30. Oktober 1864 gemeinsam erworbenen Rechte wird, unbeschadet der fortdauer dieser Rechte beider Mächte an der Gesamtheit beider Herzogtümer, in bezug auf das Herzogtum Schleswig auf Seine Majestät den König von Preußen, in bezug auf das Herzogtum Holstein auf Seine Majestät den Kaiser von Oesterreich übergehen.“ In ihren weiteren Bestimmungen behandelte die Gasteiner „Kon= vention" die Herstellung einer deutschen flotte, die Errichtung eines Kriegshafens in Kiel, einer Bundesfestung in Rendsburg, den Beitritt der Herzogtümer zum Zollverein, die Unlegung eines Nordostseekanals. Im Artikel 9 trat Oesterreich an Preußen die erworbenen Rechte auf das Herzogtum Lauenburg ab gegen Zahlung von 22 Millionen dänischen Talern. Der Rest der von Oesterreich in Schleswig-Holstein erworbenen Rechte ging dann infolge des deutschen Krieges von 1866 ebenfalls an Preußen über. Leider machte sich bei dem diese Frage betreffenden Artikel 5 des Prager Friedens der Einfluß Napoleons zugunsten er= 1) Wortlaut bei Martens und Samwer XVIII. S. 3. |