neuter dänischer Unsprüche und zugunsten des von ihm befürworteten „Plebiszites" geltend. Der vielbesprochene und wenig gekannte Artikel 5 des Prager Friedens1) vom 23. August 1866 hat folgenden Wortlaut: „Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich überträgt auf Seine Majestät den König von Preußen alle Seine im Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864 erworbenen Rechte auf die Herzogtümer Holstein und Schleswig mit der Maßgabe, daß die Bevölkerungen der nördlichen Distrikte von Schleswig, wenn sie durch freie Abstimmung den Wunsch zu erkennen geben, mit Dänemark vereinigt zu werden, an Dänemark abgetreten werden sollen." Auf Grund des Gesetzes vom 24. Dezember 1866 und des königlichen Patentes vom 12. Januar 1867 ward die Einverleibung SchleswigHolsteins in Preußen am 24. Januar 1867 vollzogen, und damit nicht nur Holstein und Lauenburg, sondern auch Schleswig in den Norddeutschen Bund und später in das Deutsche Reich aufgenommen und dadurch die Nordgrenze Deutschlands wesentlich nach Norden vorgeschoben und militärisch gesichert. Zur Ausführung der Bestimmungen des fünften Artikels des Prager Friedens fanden 1867 zwischen Preußen und Dänemark Verhandlungen statt, bei denen Preußen, mit Rücksicht auf die in den Jahren 1850 bis 1863 gemachten Erfahrungen, besondere Bürgschaften zum Schutze der etwa an Dänemark wieder abzutretenden deutschen Nordschleswiger forderte. Dänemark dagegen machte in dieser Beziehung nur unbedeutende Einräumungen und weigerte sich schließlich 1868 bestimmt, auf Garantien einzugehen. Da brach Preußen die Verhandlungen endgültig ab. Zwischen dem 6. und 10. April 1870 erhielt Busch 2) von Bis marck den Auftrag, für die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ und die „Spenersche Zeitung“ zwei Aufsätze zu schreiben zur Erläuterung des Artikels 5 des Prager Friedens mit folgendem, wie es scheint von Bismarck diktiertem Inhalt: „Es ist ein falsum, wenn behauptet wird, daß nach dem Laute des Prager Friedens die Bevölkerung Nordschleswigs über die Ziehung der Grenze zu be= stimmen habe. Nur Preußen und niemand anderes ist dazu befugt. Ferner: im Prager Frieden ist von „Nordschleswig“ nicht die Rede, sondern nur ganz unbestimmt von nördlichen Distrikten Schleswigs, was etwas ganz anderes ist. Die vertragschließenden Teile haben gar keine Veranlassung und, wie die gewählte Fassung beweist, auch gar nicht die Absicht gehabt, sich mit dem Begriffe Nord 1) Wortlaut bei Martens und Samwer XVIII. S. 344 ff. 9) Aus Moritz Busch, „Tagebuchblätter“, drei Bände, Leipzig, Grunow, 1899. schleswig zu beschäftigen, fie haben sich des Ausdrucks Nordschleswig gar nicht bedient. Aber Dänen und Dänenfreunde haben sich so lange und so hartnäckig bemüht, der Welt weiszumachen, daß der Artikel 5 die Abtretung Nordschleswigs stipuliere, daß sie's selbst glauben. Ueber die Ausdehnung jener Distrikte hat nur Preußen zu befinden. Jedes politische Interesse fällt für letzteres weg, wenn Dänemark mit dem, was jenes gewähren will, nicht zufrieden ist. Endlich hat nur Oesterreich ein Recht, zu verlangen, daß die Sache irgendwie geordnet werde... Wenn Preußen und Oesterreich - so schloß der Minister seine Information sich heute einigen, vielleicht auf Grund anderweiter Zugeständnisse des ersteren, den betreffenden Paragraphen des Prager Friedens zu streichen, so hat niemand ein Recht, dagegen Widerspruch zu erheben." Wenn auch Bismarck immer die Meinung vertreten hat, die Bestimmung des Artikels 5 des Prager Friedens sei eine nur die Vertragsmächte Preußen und Oesterreich angehende Ungelegenheit, und weder Dänemark noch die Bewohner von Nordschleswig hätten ein Recht, auf der Verwirklichung des Artikels 5 zu bestehen, so hat er merkwürdigerweise doch dem dänisch gesinnten Reichstagsabgeordneten Krüger am 21. Juni 1873 der an diesem Tage Bismards Gast bei der parlamentarischen Abendgesellschaft Hoffnungen gemacht, seine Sache zu erledigen“, eine Bemerkung, die von den Dänen dahin ausgelegt worden ist, in einer späteren Zeit könnten vielleicht die Wünsche der dänisch gesinnten Bevölkerung von Nordschleswig eine Verwirklichung finden. Er sagte hierüber nach Poschinger, Bismarck und die Parlamentarier I S. 60 u. a.: war "1 „Ich spreche hier offen und ehrlich aus, daß zur Zeit keine Aussicht vorhanden ist, daß Ihre Sache erledigt werden kann. Dieses dürfen Sie nicht so verstehen, als ob keine Möglichkeit dafür vorhanden sei, daß die Frage später geordnet werden könne, aber wann und wie bin ich nicht imstande Ihnen zu sagen. Selbst mit dem besten Willen ist es mir nicht möglich, diese Sache jetzt aus der Welt zu schaffen. Hinter mir stehen 41 Millionen, auf deren Wünsche ich ebenfalls genötigt bin, Rücksichten zu nehmen. Sie dürfen auch nicht vergessen, daß auch die Polen mit nationalen forderungen kommen." Uls dann der Berliner Kongreß im Jahre 1878 tagte, benutzte Bismarck den günstigen Zeitpunkt, um durch Vertrag1) zwischen Oesterreich und Preußen vom 11. Oktober 1878 die Abänderung des Artikels 5 des Prager Friedens herbeizuführen. In diesem Vertrage heißt es: 1) Ratifikationen ausgetauscht 11. februar 1879. "Deutschen Reichsanzeiger" vom 4. februar 1879 und II. Serie, tome III, 1878-79, P. 529. Wortlaut abgedruckt im in Samwer und Hopf, „Nachdem die im Artikel 5 des zwischen Seiner Majestät dem deutschen Kaiser und König von Preußen und Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich, König von Böhmen und apostolischer König von Ungarn am 23. August 1866 zu Prag abgeschlossenen Friedens enthaltenen Bestimmungen in Betreff der Modalität einer Retrozession der nördlichen Distrikte Schleswigs an Dänemark, zur vertragsmäßigen Durchführung nicht gelangt sind; nachdem Seine Majestät der deutsche Kaiser und König von Preußen den Wert zu erkennen gegeben hat, welchen Er auf die Beseitigung dieser Modalität des friedens legen würde; andererseits Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn die Schwierigkeiten würdigt, welche sich der Durchführung des in jenem Artikel niedergelegten Prinzipes entgegenstellen; nachdem endlich Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn einen Beweis Seines Wunsches zu geben gewillt ist, die zwischen den beiden Mächten bestehenden freundschaftlichen Bande noch enger zu schließen: so haben. Artikel 1. Die in dem zwischen Seiner Majestät dem König von Preußen, Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich, König von Böhmen und apostolischer König von Ungarn am 23. August 1866 zu Prag abgeschlossenen Friedensvertrage niedergelegte Vereinbarung, wonach der Uebertragung der Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich durch den Wiener Friedensvertrag vom 30. Oktober 1864 erworbenen Rechte auf die Herzogtümer Holstein und Schleswig an Seine Majestät den König von Preußen eine Modalität hinzugefügt ist, wird hierdurch aufgehoben, sodaß die Worte im Artikel 5 des genannten Vertrages vom 23. August 1866: "mit der Maßgabe, daß die Bevölkerungen der nördlichen Distrikte von Schleswig, wenn sie durch die freie Abstimmung den Wunsch zu erkennen geben, mit Dänemark vereinigt zu werden, an Dänemark abgetreten werden sollen."" außer Gültigkeit gesetzt werden." Es war somit die nordschleswigsche Frage für die einzig berechtigten Vertragschließenden Preußen und Oesterreich und damit für das Völkerrecht endgültig erledigt. Denn wenn neuerdings dem Artikel 19 des Wiener Friedens über die Behandlung der Optanten eine nicht nur Preußen und Oesterreich angehende völkerrechtliche Bedeutung dänischerseits') beigelegt wird, so find die Gründe für diese Uuffassung doch kaum stichhaltiger, als die für ein angebliches völkerrechtliches Weiterbestehen des Artikels 5 des Prager Friedens. Wenn nun auch die rechtlichen Erörterungen über die Endgültigkeit der deutschen Grenze gegen Dänemark als abgeschlossen gelten können, so ist dies für die politischen Erwägungen über die Nüßlichkeit 1) Die nordschleswigsche Optantenfrage von Professor Dr. Henning Matzen. Kopenhagen 1904. einer etwaigen Uenderung keineswegs der fall. Und diese Seite der Sache ist natürlich von besonderer Wichtigkeit für den Standpunkt, den wir bei der Beurteilung dieser Dinge einnehmen. Da darf nun im voraus festgestellt werden, daß unseres Wissens von keiner irgendwie in Betracht kommenden deutschen Seite die forderung gestellt worden ist, die deutsche Grenze noch weiter nördlich, also zu Ungunsten Dänemarks zu verschieben. Zu einer derartigen forderung würden auch weder geographische, noch militärische, noch politische Gründe vorliegen. Geographische Gründe lassen sich nicht geltend machen, weil es niemals gelingen würde, zwischen Schleswig und Jütland eine wirkliche „natürliche“ Grenze zu finden. Militärische Gründe könnten höchstens in dem Abstande zwischen dem zu verteidigenden Nordostseekanal und der Reichsgrenze gefunden werden. Über unseres Wissens erscheint der vorhandene Abstand den militärischen Sachverständigen genügend, während diese allerdings eine Verminderung dieses Abstandes durch Wiederabtretung nordschleswigschen Gebietes an Dänemark nur bei Gewinnung anderweiter Bürgschaften erträglich finden würden. Und was die politischen Gründe anbelangt, so könnte es sich eigentlich nur um Gründe für das Gegenteil handeln. Denn niemand in Deutschland hat den Wunsch, Dänemark weiter zu demütigen oder zu schwächen. In der Tat hat es sich stets nur um politische Erwägungen nach der entgegengesetzten Richtung gehandelt. In eine solche politische Erwägung soll nach dänischer Auffassung, wie wir oben sahen, Bismarck am 21. Juni 1873 eingetreten sein. Und seitdem find solche Erwägungen, wenigstens in der Presse, mehrfach wiederholt worden. Oft in Verbindung mit dem Vorschlage, Dänemark möge seine einzigen kolonialen Besitzungen, die in Westindien gelegenen kleinen Inseln St. Croix, St. Thomas und St. John an Preußen bezw. an Deutschland tauschweise abtreten. Derartige Vorschläge sind jetzt gegenüber der Monroe-Doktrin der Vereinigten Staaten von Nordamerika aussichtslos. Wir glauben, daß man die Möglichkeit einer Ausführung des Artikels 5 des Prager Friedens wenigstens offen halten sollte. freilich selbstverständlich nicht als einen Rechtsanspruch Dänemarks oder auch nur der dänischen Nordschleswiger, sondern nur als einen Gegenstand freier Vertragsverständigung zwischen Deutschland und Dänemark, wobei Dänemark entsprechende Gegenwerte zu leisten hätte. Freilich dürften derartige Gegenwerte schwer aufzufinden sein. Aber es wäre Sache Dänemarks, sie zu finden und vorzuschlagen. Hasse, Deutsche Politik, I. Bd., 3. H. 6 Neben diesen Gegenleistungen hat jedenfalls auf Kosten Dänemarks ein Austausch der gegenseitigen Bevölkerung zu erfolgen: a) der Deutschen, die im Grenzgebiet an Dänemark fallen und nach dem deutschen Gebiet auswandern wollen, b) der Dänen, die auf deutscher Seite verbleiben, aber nach Dänemark auswandern wollen. Jedenfalls ist auf deutscher Seite der Aufenthalt von Optanten in der Provinz Schleswig nicht zu dulden, sondern es sind aus dem Grenzgebiete alle Reichsausländer auszuweisen und womöglich Militärgrenzen einzurichten nach unseren Vorschlägen I. 2. S. 145 ff. Eine von pangermaner Seite vorgeschlagene Aufnahme Dänemarks und etwa gar auch Schwedens und Norwegens in das Deutsche Reich oder in einen erweiterten Deutschen Bund würde dagegen nach unserer Meinung für das Deutsche Reich und für das deutsche Volk nur recht wenige Vorteile bieten. Auch ohne diese formen wird sich eine vielleicht sogar vertragsmäßige Besserung der Beziehungen]Dänemarks zum Deutschen Reiche erreichen lassen, obgleich derartige von deutscher Seite ausgehende Bemühungen durch die Tätigkeit der dänischen Protestpartei1) mindestens recht sehr erschwert werden. Andererseits mehren sich erfreulicher Weise in Dänemark die Stimmen, die zu einer endgültigen Verständigung mit Deutschland raten, und die davor warnen, die bisherige Abneigung gegen Deutschland etwa durch England ausbeuten zu lassen. * 1) Die dänische Protestpartei hielt im Juli 1905 ihren Parteitag in Apen= rade ab. Die drei großen Protestvereine, Wählerverein, Sprachverein und Schulverein, haben, wie in Apenrade mitgeteilt wurde, weiter an Mitgliederzahl gewonnen. Sie besitzen im ganzen fast 10 000 Mitglieder. Der Schulverein sandte im vorigen Jahre 217 junge Nordschleswiger auf dänische Nachund Hochschulen, 160 im Winter und 57 im Sommer. Seit der Gründung im Jahre 1892 hat der Verein 2425 junge Leute auf dänische Hochschulen jenseits der Grenze geschickt. Mit einem gewissen Stolz wurde darauf hingewiesen, daß die dänische Protestpartei in den letzten sieben Jahren 500 000 Mk. für ihre Zwecke geopfert habe, nämlich 125000 Mk. für die drei Agitationsvereine, 245 000 Mk. für die Errichtung von Versammlungshäusern und 100000 Mk. für den Bau von vier Freigemeindekirchen. Trotzdem sind die Dänen weniger hoffnungsvoll als früher. In den letzten Jahren hat sich zu viel in Nordschleswig geändert und ihre Stellung ist im ganzen bedeutend schlechter geworden. |