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Die neue Richtung ist in sich mannigfaltig und trägt dem Geist der Zeit in verschiedener Weise Rechnung. Die Einen wollen nicht über das hinausgehen, was sich mit dem katholischen Glauben verträgt; sie glauben, bei dem was sie erstreben, gute Katholiken zu sein und bleiben zu können, aber es beruht das bei ihnen vielfach auf Täuschung. In Wahrheit ist ihnen mehr oder weniger das Verständniss nicht nur von dem, was specifisch katholisch ist, sondern auch von dem, was überhaupt positiv christlich ist, entschwunden. Andere sind mit Bewusstsein, wenn auch mit mehr oder minder klarem, unkatholisch, nicht selten auch einfach ungläubig.

In keiner Zeit war in der katholischen Kirche weniger Verständniss des katholischen Glaubens und weniger innere Anhänglichkeit an denselben vorhanden, als in dieser. Es stand damit um diese Zeit um kein Haar besser in der katholischen Kirche als in der protestantischen; der dem positiven Christenthum entfremdete Geist der Zeit war in die eine Kirche wie in die andere eingedrungen. Unter den Gebildeten zählte die katholische Kirche wenig Gläubige mehr.

Diesen Zuständen gegenüber war die Curie machtlos. Sie kannte sie wohl, sie nahm Notiz von den Vorgängen in Deutschland, und missbilligte alles, was sich nicht in dem altgewohnten Geleis bewegte, sie zog wohl auch einzelne Vorgänge vor ihr Forum, aber sie erreichte damit gar nichts. Auch ihre Nuntien wussten nicht mehr zu thun, als dass sie im Geheimen die Vertreter des Alten zum Widerstand aufstachelten *).

Dieser geringe Einfluss der Curie erklärt sich daraus, dass dieselbe von je und je dem sittlich religiösen Leben des katholischen Volks wenig Beachtung geschenkt und darum keine Anstalten und Einrichtungen getroffen hatte, um dasselbe zu beeinflussen: darum fehlten ihr jetzt auch die Mittel dazu. Immer war es ihr mehr darum zu thun gewesen, ihre Machtstellung in den äusseren Dingen der Kirche aufrecht zu erhalten, aber auch dieser hatte man in dieser Zeit sich durch die Emser Punctation zu entziehen

*) Pacca über die Zustände, die er in Dentschland vorgefunden, von p. 11. an.

gesucht, und früher schon war (in Febronius) das ganze Curialsystem theoretisch angegriffen worden. Die Emser Punctation fiel zwar dahin, aber das Band zwischen der Curie und den Erzbischöfen war doch sehr locker geworden. Endlich auch die weltlichen Fürsten nahmen eine freiere Stellung Rom gegenüber ein, aber nicht nur Rom, sondern auch der Landeskirche gegenüber. Ja sie gestatteten sich vielfache Uebergriffe in das Gebiet, das diese bisher in Anspruch genommen hatte und man dankte es ihnen mehr, als dass man es getadelt hätte: denn was von Besserung in den kirchlichen Zuständen und insbesondere der Schule geschah, das ging von ihnen aus und nicht von den bestellten Leitern der Kirche.

So war der Zustand der katholischen Kirche, als die Katastrophe eintrat, welche zum Zusammenbruch der deutschen Reichskirche führte.

Vom Zusammenbruch der deutschen Reichs

kirche bis zum Jahr 1830.

Cap. I. Der Zusammenbruch.

Der Zusammenbruch wurde eingeleitet durch die Säcularisation.

Nachdem Napoleon das ganze links des Rheins' gelegene Land von Deutschland abgerissen hatte, wurde im Luneviller Frieden (Febr. 1801) bestimmt, dass die deutschen Reichsstände, welche durch Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich Länder und Rechte verloren hatten, auf dem rechten Rheinufer dafür entschädigt werden sollten. Womit anders aber sollten und konnten sie entschädigt werden als mit den Bisthümern und Stiftern, die man säcularisirte und mit den Reichsstädten, die man mediatisirte? Der letzte Fürstbischof von Würzburg hatte recht gesehen, dass der geistliche Besitzstand das Tuch werden würde, aus dem man die Aequivalention schneiden müsse*)." Er musste viel Tuch liefern, dieser geistliche Besitzstand, er musste all sein Tuch daran geben, denn alle Bisthümer und geistlichen Stifter wurden säcularisirt. Man blieb nicht dabei stehen, nur Aequivalente zu geben für das, was auf dem linken Rheinufer eingebüsst worden war, wer die Gunst Napoleons zu gewinnen wusste, wurde überreich entschädigt, und auch solchen wurden Stifter zugewiesen, welche gar nichts auf dem linken Rheinufer eingebüsst hatten.

*) Schwab p. 321.

Mit der Säcularisation war ein Ereigniss eingetreten, das die Welt gerade nicht überraschte, denn seit geraumer Zeit schon waren Stimmen aufgetaucht, welche von verschiedenen Gesichtspunkten aus eine Säcularisation empfahlen. Wir erinnern nur an die schon erwähnte Schrift Carl von Mosers über die Regierung der geistlichen Staaten in Deutschland" 1787, worin er auseinandersetzt, wie die deutschen Staaten mit weltlichen Fürsten besser daran wären. Aber aus Erwägungen der Art, wie wir sie bei Moser finden, ist die jetzt vollzogene Säcularisation nicht hervorgegangen. Man wollte, das ist das einfache Motiv der Säcularisation, Land und Einkünfte haben, um für die erlittenen Verluste entschädigt zu werden und nahm beides den geistlichen Fürsten.

Von Frankreich war der Gedanke ausgegangen. Dieses wollte das linke Rheinufer und wollte dafür die geistlichen Stifter diesseits des Rheins preisgeben. Preussen aber hat zuerst an dem ausgeworfenen Köder angebissen. Es hatte in der geheimen Convention, welche im August 1795 zu Berlin zwischen Haugwitz und dem französischen General Caillard abgeschlossen wurde, versprochen, sich der Abtretung des linken Rheinufers, wenn sie von Frankreich begehrt würde, nicht entgegen zu setzen *) und hatte, da dann zur Entschädigung der weltlichen Fürsten, welche bei dieser Verfügung verlieren würden, das Princip der Säcularisation nothwendig wurde, in die Annahme dieses Princips gewilligt. Oesterreich, als es von dieser Convention Kunde erhielt, war erst gegen solche Plane und liess (Februar 1797) den geistlichen Reichsständen sagen, es werde keine Entschädigung auf Kosten patriotischer Reichsstände annehmen, erwarte aber dafür, dass dieselben sich in engster Vereinigung an das Erzhaus anschliessen und durch Anstrengung der äussersten Kräfte den Kaiser in dem grossherzigen Entschluss bestärken würden, die Reichsstände und Lande mit Nachdruck zu vertheidigen und zu behaupten. Bereits aber in dem Frieden von Campo Formio (19. October 1797), in welchem dem Kaiser von Oesterreich Aussicht auf Salzburg und einen Theil Baierns eröffnet wurde, hat Oesterreich seine guten Dienste dafür anzuwenden versprochen, dass das deutsche Reich das ganze

*) Menzel XII, 2. 246.

Der Zusammenbruch der deutschen Reichskirche. Die Säcularisation. 127

linke Rheinufer an Frankreich überlasse und hat seinen Widerwillen gegen das Princip der Säcularisation aufgegeben *).

Langsam sahen die geistlichen Fürsten die Katastrophe herannahen, ohnmächtig sie abzuwehren, und nicht einmal den Trost hatten sie, dass, als sie Land und Regierung verloren, Deutschland das mit Theilnahme aufnahm. Ja selbst der ehemalige Nuntius Pacca rächte sich für den Aerger, den ihm die geistlichen Fürsten während seiner Anwesenheit in Deutschland bereitet hatten, an ihnen, indem er als hochbetagter Cardinal, in einer bei Gelegenheit der Eröffnung einer Academief ür die katholische Religion gehaltenen Rede die Frage: ob es als ein Unglück für die Kirche anzusehen sei, dass die Ungerechtigkeit und Raubsucht des 18. und 19. Jahrhunderts allen Reichthum und Glanz, welchen sie in Deutschland genossen, zu nichte gemacht habe und dass die deutsche Geistlichkeit sich heut zu Tage gleich dem übrigen katholischen Clerus in Abhängigkeit und Beschränktheit befinde, verneinte. „Es sei kein Unglück gewesen, sagte er, denn wenn die Bischöfe keine weltlichen Domänen mehr besässen, so liehen sie der Stimme des obersten Kirchenhirten ein um so willigeres Ohr, und suchten nicht dem Beispiel des hochmüthigen und ehrgeizigen Patriarchen von Constantinopel zu folgen, noch auch eine fast schismatische Unabhängigkeit zu erringen. Jetzt sehe doch das katholische Volk dieser Diöcesen bei Pastoralbesuchen das Angesicht seiner eigenen Bischöfe und höre, bisweilen wenigstens, die Stimme seiner Hirten. Man dürfe hoffen, in Zukunft zwar einen weniger reichen, aber einen desto erleuchteteren und frömmeren Klerus zu besitzen."

Anders sah von Anfang an der Papst die Sache an. Pius VII., der, weil Rom noch in der Gewalt der Franzosen war, in Venedig am 11. Mai 1800 zum Papst gewählt worden war, erliess noch, bevor die Säcularisation vollzogen worden war, am 2. October 1802 einen beweglichen Brief an den Churfürsten von Mainz (Dalberg), worin er ihn beschwört, er möge als der Erste der Churfürsten und Erzkanzler des Reichs, der sich am Reichstag zu Regensburg befinde, alles anwenden, um das drohende Unglück

*) Menzel, ib. 268.

*) cf. Paccas Gedanken beim Abschied v. Deutschl. Menzel XII. 2.340.

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