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die sich daran anreihende erinnern, um die Stellung, welche hier der Vernunft eingeräumt wird, bedenklich zu finden. In der Zeit der Wolfischen Philosophie fand man alle Wahrheiten des Christenthums vernunftgemäss, und es galt als eine Verstärkung der Glaubwürdigkeit dieser Wahrheiten, dass die Vernunft ein Zeugniss für sie ablegte. In der darauf folgenden Zeit wusste aber die Vernunft mit diesen Wahrheiten nichts mehr anzufangen, und keine Stellung zu ihnen zu nehmen. Daraus glaubte man dann, nachdem man der Vernunft einmal die dominirende Stellung einge

räumt hatte, einen Schluss zu Ungunsten dieser Wahrheiten machen zu dürfen und zu müssen. Wie nun, liess sich der Hermesischen Philosophie gegenüber sagen, wenn die Vernunft Zweifel fasst gegen die historische Wahrheit der Offenbarung, und in sich keine Nöthiggung empfindet, auf dieselbe als die höhere Autorität hinzuweisen ? Dann ist bei der Aufgabe, welche Hermes der Vernunft zuweist, der Menschheit der Weg zu dieser Offenbarung versperrt; das Organ, mit dem sie allein dieselbe erfassen kann, ist ihr abhanden gekommen. Diese Eventualität lag wenigstens im Bereich der Möglichkeit, und historische Präcedentien für dieselbe lagen zudem, wie wir gezeigt haben, vor.

Das ist aber nur das eine Bedenken gegen die Principien des Hermes. Das andere und vielleicht stärkere ist das: nach Hermes muss der richtig denkende, seiner Vernunft folgende, Mensch bei dem christlichen Glauben anlangen, zwingende Vernunftgründe führen ihn dahin, und so kann auch, wer diesen Weg gegangen ist, jedem, der consequenten Denkens fähig ist, das Christenthum beweisen. Eine pure Denkoperation macht also den Menschen zum Christen. Wie besteht damit der Satz, dass der Glaube eine Gabe und Wirkung des hl. Geistes ist?

Schon gegen die Principien dieser Philosophie erheben sich also nicht geringe Bedenken. Und nimmt man auch noch hinzu, dass Hermes mit aller Energie darauf drang, dass man diesen Weg des Denkens gehe, und dass man klare Gedanken habe; nimmt man hinzu, dass er von diesem Standpunkt aus mit Härte und Verachtung von Gefühl und Phantasie sprach, so wäre es nicht zu verwundern, wenn seine Philosophie für viele etwas Abstossendes gehabt hätte,

Und doch nehmen wir geraume Zeit das Gegentheil wahr. Hermes imponirte mit seinem System, und seine Einleitung" schon wurde sehr günstig aufgenommen. Die Tübinger th. Quartalschrift sagte in einer Recension (Jahrgang 1820), dass sich darin ein brennender Durst nach Wahrheit, eine unbesiegbare Geistesstärke in Verfolgung derselben, ein so unwandelbarer Sinn für wissenschaftliche Strenge, eine so warme Religiosität, und eine so tief gegründete Duldsamkeit gegen anders Denkende ausspreche, dass jeder Leser von Kopf und Herz für den Verfasser und sein Werk eingenommen werde. Das Buch wird als ein bedeutender Gewinn für die philosophisch-theologische Literatur bezeichnet.

Erst nachdem der Papst sich gegen das System ausgesprochen hatte, beschäftigte sich die Kritik eingehender mit demselben, erhob man Bedenken gegen das Princip, von dem das System getragen war, und fand man, dass Hermes auch die Dogmen nicht in ihrer Tiefe erfasst, oft sogar gegen den wahren Sinn derselben verstossen habe. Kreuzhage*) gab, aber erst im Jahr 1838, eine Kritik, die gegen den philosophischen Standpunct von Hermes gerichtet war. Myletor **) (Werner) liess erst im Jahr 1845 eine eingehende Kritik der dogmatischen Irrthümer des Hermesianismus erscheinen. Zwischen hinein fiel eine Abhandlung über Glauben und Wissen in der Tübinger theologischen Quartalschrift ***). Auf diesen Umstand eben, dass man so spät erst Bedenken gegen die theologische Philosophie geäussert hatte, gründeten die Hermesianer die Behauptung, dass andere Motive als Bedenken gegen die innere Wahrheit des Systems den jetzigen Angriff hervorgerufen hätten.

Dieser Meinung können wir doch nicht beipflichten. So vielmehr verhielt es sich, wie wir glauben, der Ausspruch des Papstes hat den Theologen nur die Zunge gelöst.

*) Beurtheilung der hermesischen Philosophie mit Beziehung auf das Verhältniss der Philosophie zum Christenthum. Münster 1838.

**) Der Hermesianismus, vorzugsweise von seiner dogmatischen Seite dargestellt in Briefen zweier theologischen Freunde. Regensburg 1845.

***) Heft 3. Jahrgang 1839.

Dass das Hermesische System eine gute Weile hindurch unangefochten blieb, hatte, wie wir glauben, seinen vornehmsten Grund in dem Stand der damaligen Theologie. Alle Dogmatiken dieser Zeit stehen entweder auf dem Wolfischen oder Kantischen Standpunct, also auf dem rationalistischen, wenn auch unbewusst, und ihre Rechtfertigung der katholischen Dogmen ist eine erkünstelte. Es hätte sich von allen diesen Dogmatikern nachweisen lassen, was man jetzt dem Hermesianismus nachwies, dass man diesem Standpunct aus nicht zur wahren Erfassung und Würdigung der katholischen Dogmen gelange.

Das hebt Myletor in der genannten Schrift sehr richtig hervor. „Ich will nicht behaupten, sagt er*) wie einige Gegner des Hermesianismus, als ob Hermes unter katholischen Theologen nicht schon seine Vorgänger gehabt hätte. Es dürften, seitdem der Wolfianismus und dann später der Criticismus in die Theologie eingedrungen ist, bis zu den Zeiten der Reaction schwerlich viele Theologen zu finden sein, in denen nicht eine ähnliche Geistesrichtung wie bei Hermes hervorgetreten gewesen wäre . . . Doch kam es bei ihnen nicht zu einer entscheidenden und rücksichtslosen Anwendung der Grundsätze, diese finden sich mehr angedeutet, vorausgesetzt, nicht so deutlich und klar ausgesprochen, wie bei Hermes; weshalb auch gegen ihre Behandlung der Theologie sich keine Opposition erhob, was sich wohl auch daraus erklärt, dass das katholische Bewusstsein bedeutend abgeschwächt war, und man vollauf gegen den Rationalismus, der damals in seiner Frische und Jugend nicht geringen Schrecken einflösste, zu thun hatte, und daher mit Freuden diejenigen begrüsste, die dem gefährlichen Gegner von dessen eigenem Standpunkt aus die Zulässigkeit der Offenbarung zeigten. So kann sich denn allerdings der Hermesianismus auf eine Art von Tradition berufen, und darin liegt seine historische Berechtigung; aber diese Tradition geht über ein halbes Jahrhundert nicht hinaus. Hermes findet bei jedem billigen Beurtheiler leicht Entschuldigung: denn die Theologie der Zeit, in der er aufgewachsen war, hatte allgemein dahin die Richtung, die er dann so entschieden eingeschlagen, und mit einer seltenen Offenheit

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dargelegt hat, genommen. Ja, man kann ohne anzustossen, behaupten, dass der sporadische theologische Formalismus, unter dessen Einfluss das Christenthum des Katholicismus verkümmerte, mehr schadete, als derjenige, der so ganz concentrirt und durchgreifend in Hermes auftrat: denn so konnte erst dessen Unangemessenheit recht erkannt und zum Bewusstsein gebracht werden, in welcher Erkenntniss dann auch das Heilmittel gelegen war."

Aus dem Standpunct der damaligen Theologie erklärt sich also die Aufnahme, welche das Hermesische System im Anfang fand. Man war nicht überrascht über den philos. Standpunct, den dasselbe einnahm, denn es war kein wesentlich neuer, erfreut aber konnte man von diesem Standpunct aus sein über die Gedankenschärfe, die sich in dem System aussprach, und über das dem Anschein nach glänzende Resultat, demzufolge der Katholicismus sammt allen seinen Dogmen mit Evidenz philosophisch gerechtfertigt erschien. Darin erkannte man einen Fortschritt, den man laut pries. Und in der That, wer die aus der Hermesischen Philosophie hervorgegangenen Dogmatiken mit den früheren verglich, der musste den Fortschritt grösserer Klarheit, schärferer Consequenz, stricterer Durchführung des Princips zugestehen.

Allein es ist auch wahr, was Myletor weiter behauptet, dass gerade in der Zeit, in der Hermes wirkte, ein Umschwung im katholischen Bewusstsein sich anbahnte, der nach dem Tode des Hermes, und bis dahin, wo der Papst sich aussprach, schon zum guten Theil sich vollzogen hatte. Diesen Umschwung kennen wir bereits zur Genüge. Er drückte sich auch darin aus, dass man in der Dogmatik den Wolfisch-Kantischen Standpunct verliess, und dass man die rationalistische Grundlage desselben erkannte, und ihr sich zu entwinden suchte. Staudenmaier und Möhler, so sehr verschieden sie sonst sind, möchten als die Männer bezeichnet werden dürfen, welche vor allem in andere Bahnen lenkten.

Dieser Umschwung war aber von Hermes und seinen Schülern unbeachtet und ungetheilt geblieben. *) Darum konnte der vorhin

*) Kuhn nennt in der schon erwähnten Abhandlung in der theologischen

erwähnte Myletor fortfahrend sagen: „ob auch seine (des Hermes) Schüler auf gleich nachsichtige Beurtheilung Anspruch haben, muss bezweifelt werden: denn erstens hatte eben jene semirationalistische Richtung bei jenen, welche die Unvereinbarkeit des Intellectualismus mit dem Christenthum und näher dem Katholicismus bemerkten, einen Gegensatz in Deutschland, und noch früher in Frankreich in Abbé Lamennais hervorgerufen, welcher wegen des Missbrauchs die Rechte der individuellen Vernunft verwarf, und nur in der objectiven Vernunft das Criterium der Wahrheit anerkannte, den Ausdruck aber dieser allgemeinen Vernunft in der Geschichte. suchte. Zugleich hatte sich, von Schellingischer Philosophie angeregt, eine dritte Richtung, wie wohl nicht so scharf wie die beiden anderen, ausgeprägt, welche die Zusammengehörigkeit des geschichtlichen und rationellen Elements zu erweisen sich vornahm. Diese Richtung wurde von Möhler und den übrigen zur Tübinger Schule gehörigen Theologen repräsentirt . . ."

Fand nun ein solcher Umschwung statt, der in dogmatischer Beziehung seinen stärksten Ausdruck in der Losreissung vom rationalistischen Boden, und in dem Suchen nach einer tieferen Philosophie hatte, als welche man allerdings die Schellingische, überhaupt die Naturphilosophie, erkannte, so ist es natürlich, dass sich bei den von diesem Umschwung Ergriffenen eine Abkehr von der Hermesischen Philosophie einstellte. Bei der Herrschaft aber, welche diese Richtung sich in einem Theil von Deutsch

Quartalschrift die Hermesische Philosophie eine Spätgeburt. Nach Kuhns Auffassung stand Hermes auf dem Reflexionsstandpunct, der durch alle neueren Bestrebungen in der Philosophie vollkommen überwunden und als unzulänglich allgemein erkannt sei. „Die speculative Erkenntniss“, sagt er, „ist durch Schelling und Hegel, wie weit auch beide ihre wahren Grenzen übersprungen haben mögen, als die allein philosophische zur Ueberzeugung der denkenden Zeitgenossen erhoben, und es ist nicht schwer zu begreifen, dass der Reflexionsstandpunkt, auf welchem wie bei Hermes Wahrheit und Gewissheit als getrennte Momente der Erkenntniss, und beide wiederum im Gegensatz zu der Objectivität erfasst werden, in der speculativen und philosophischen Erkenntniss negirt, und gleich von vorn herein als untergeordnete Stufe der Erkenntniss beseitigt ist.

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